Pforzheim. 6. Juni. Im benachbarten, nunmehr eingemeindeten Dillweitzenstein ereignete sich ein merkwürdiges Ereignis. Ein 10 jähriger Knabe, welcher am 5. Juni einen gefundenen Geldbetrag von 15 nicht abgeliefert hatte, wurde von einem Schutzmann über die grotze steinerne Brücke begleitet, deren weiter und hoch gespannter Vogen die Bewunderung jedes Fremden erregt. Plötzlich schwang sich der jugendliche Ausreißer über die Brüstung der Brücke und stürzte 13 in tief hinab in das Flußbett. Mit Beihilfe eines Passanten holte der Schutzmann den kühnen Flüchtling aus der Nagold, woraus der Knabe schwer verletzt hervorgezogen und zunächst in die elterliche Wohnung, sodann durch ein Auto in das städtische Krankenhaus verbracht wurde. —
WürttSMbreg.
Stuttgart, 7. Juni. Die Zweite Kammer setzte heute die Beratung des Etats des Innern bei Kapitel „Zentralstelle für Gewerbe und Handel" fort. Es sprachen Herbster (Ztr.), der einen Antrag befürwortete, den Handwerkskammern zur Errichtung und Unterhaltung von Submissionsämtern Beiträge zu gewähren und die Mittel schon diese Etatsperiode zu verwilligen; Reichel (Soz.), welcher die Gewährung staatlicher Beiträge für Arbeiter des Baugewerbes zum Besuch der Baufachausstellung in Leipzig beantragte, Andre (Ztr.) und der Minister des Innern v. Fleischhauer, der sich dagegen verwahrte, daß der Kurs nach dem Wechsel im Ministerium rückwärts gehe, und Unterstützungen zum Besuch der Leipziger Ausstellungen gerne zusagte. Nach Ausführungen von Feuerstein (Soz.) und Andre (Soz.) vertagte sich die Kammer aus Dienstag.
Stuttgart, 8. Juni. Zur Feier des 25jährigen Regierungsjubiläum des Kaisers findet am 15. Juni, dem Todestage des Kaisers Friedrich III., in den Garnisonskirchen Militärgottesdienst statt. Am 16. Juni werden sämtliche militärischen Gebäude beflaggt. Morgens ist großes Wecken, vormittags werden Appelle mit Ansprachen abgehalten, um 11 Uhr ist große Paroleausgabe im Hofe der großen Jnfanteriekaserne und dann werden die Mannschaften festlich bewirtet.
Stuttgart, 9. Juni. Stuttgart war heute früh Zeppelinbahnhof. Es trafen sich um 6 Uhr 40 das 4 Uhr 25 Min. in Friedrichshafen aufgestiegene neue Luftschiff LZ 19, und das um 5 Uhr 30 Min. in Baden-Oos abgefahrene Delagschiff Sachsen. Das erstere Luftschiff war auf der Rückreise nach Frankfurt begriffen, wo es seine Abnahmefahrt für die Militärverwaltung zu bewerkstelligen hat. Die Sachsen befand sich unter Führung des Grafen Zeppelin auf dem Weg nach Wien. Die Schiffe, die in ungleicher Höhe fuhren, trafen sich über dem Neckartal bei Cannstatt und tauschten Signale aus, woraus L Z 19, der in der kurzen Zeit von 2 Stunden 20 Minuten von Friedrichshafen gekommen war, sich nach Norden wandte, die „Sachsen", die die Ueberfahrt über den Schwarzwald gleichfalls in der ungewöhnlich kurzen Zeit von 1 Stunde 10 Minuten gemacht hatte, dem Remstal zu lenkte. Das Wetter war trüb; es herrschte leichter Regen.
Stuttgart, 7. Juni. Im Hause Brennerstraße 16, in dem sich die Wirtschaft zum Vrennerstüble befindet, wohnt im 3. Stock in einer Schlafkammer seit drei Jahren der 30 Jahre alte Taglöhner Paul Kaiser. Seit drei Wochen war nun Kaiser beschäf
tigungslos und lag den Tag über im Bett. Dies war ihm von der Wirtsfrau Rehm, der die Kammer gehört, schon des öfteren untersagt worden und gestern wurde ihm mitgeteilt, daß er heute ausziehen müsse, falls er bis dahin keine Beschäftigung habe. Heute mittag kurz vor 12 Uhr begab sich nun Frau Rehm in die Kammer hinauf, um sie herzurichten, fand aber Kaiser wiederum im Bett liegend vor. Anscheinend machte sie ihm nun einen Vorhalt, worauf Kaiser kurzerhand ein ziemlich langes Messer ergriff und es ihr fast bis ans Heft ins Herz stieß. Mit einem Aufschrei fiel die Frau zu Boden und war sofort tot. Auf den Hilferuf hin eilten der Wirt Rehm und ein Bewohner des zweiten Stocks in die Kammer hinauf. Inzwischen hatte sich Kaiser selbst die Kehle durchschnitten, so daß auch bei ihm der Tod nach kurzer Zeit eintrat. Die beiden Männer fanden nur noch zwei Leichen vor. Die nähere Untersuchung der Wirtin Rehm ergab, daß sie auch einige Stiche in den Rücken erhalten hatte, tödlich wirkte jedoch der Stich ins Herz.
Schorndorf, 8. Juni. Heute wurde in Schorndorf der 18. Württembergische Handwerker-Landesverbandstag abgehalten. In einer öffentlichen Versammlung sprach Handwerkskammersekretär Gebhardt über das Submissionswesen. Die Versammlung nahm eine Resolution an, die sich insbesondere für die gesetzliche Regelung des staatlichen Submis- sionswefens und die Errichtung von Submissionsämtern bei den Handwerkskammern und eines staatlichen Submissionsamtes ausspricht.
Göppingen, 7. Juni. Am Dienstag wurde die 65 Jahre alte Ehefrau des Bauern Frech in Schlat von der während des Fahrens heraustretenden Deichsel eines Bauernfuhrwerks an den Kopf getroffen, sodaß sie einen Schädelbruch erlitt, dem sie nun erlegen ist.
Jsny, 8. Juni. Der Schultheißensohn Paul Bader in Siggen ist beim Pferdeschwemmen in einem Weiher abgeworfen worden und ist ertrunken. Die schwergeprüfte Familie Hatte erst vor einem halben Jahre die Mutter durch den Tod verloren.
Wangen i. A., 7. Juni. Das am 4. ds. Mts., abds. 5^ Uhr niedergegangene Hagelwetter hat einen bedeutend größeren Schaden verursacht, als anfangs angenommen wurde. In den Gemeinden Sommersried und Wiggenreute soll sich strichweise der Schaden bis auf 60 ^ belaufen.
Ans Welt «nd Zeit.
H- Baden-Oos, 9. Juni. (Priv.-Telegr.) Das Luftschiff ist heute früh 5 Uhr 30 Min, nach Wien aufgestiegen. Beteiligt waren der alte Graf Zeppelin, der junge Graf Zeppelin, Dr. Eckener, Kapitän Gluud und Ingenieur Ziegele, sowie die Monteure der Delag.
Berlin, 8. Juni. Im Beisein der kaiserlichen Familie, des Reichskanzlers, von Ministern und Staatssekretären, sowie der Botschafter verschiedener Länder fand heute die Einweihung des Stadions in der Grunewalder Rennbahn statt. An dem Festzug beteiligten sich 30 000 deutsche Sportsleute, darunter 9000 Vertreter des Jungdeutschlandbundes. Nach der Ansprache des Staatsministers a. D. v. Podbielski, dem Vorsitzenden des Reichsausschusses für olympische Spiele, flogen 10 000 Militärbrieftauben mit der Rede des Staatsministers nach allen Gegenden des Reiches auf.
Koblenz, 7. Juni. Seit heute früh ist der zweigleisige Verkehr aus der linkshreinifchen Eisenbahn
strecke Koblenz-Boppard und auf der Strecke Koblenz- Mayen wieder durchgeführt. Gestern besichtigte der Oberpräsident mit dem Regierungspräsidenten das lleberschwemmungsgebiet. Wie jetzt übersehen werden kann, hat das Rheinstädtchen Rhens am schwersten gelitten. Die Flut hat gerade den Stadtteil betroffen, in dem die ärmsten Leute wohnen, deren ganzes Hab und Gut vernichtet wurde. Einige der alten Häuschen drohen einzustürzen.
Sofia, 7. Juni. Das offiziöse Regierungsorgan „Mir" schreibt zur Lage: Während die Serben sich weigern, den Vertrag zu erfüllen und die in Betracht kommenden Gebiete zu räumen, und während die Griechen die bulgarischen Gebiete östlich von Saloniki besetzen, da die bulgarischen Truppen von Saloniki nach Bulair abgezogen worden sind, was Zusammenstöße zur Folge hatte, antwortet Bulgarien auf alle diese Herausforderungen nur mit Abwehrmaßnahmen. Wenn es nun doch noch zum offenen Konflikt kommen sollte, lehnt Bulgarien jede Verantwortung dafür ab.
Sofia, 8. Juni. Die Konferenz der vier Ministerpräsidenten der Balkanstaaten ist sehr zweifelhaft geworden. In politischen und diplomatischen Kreisen wird allgemein erklärt, daß der Krieg mit Serbien und Griechenland so gut wie unvermeidlich erscheint. Die Kriegsgefahr war nie so groß wie heute. Die Erregung ist ungeheuer, Serbien läßt Telegramme nicht passieren. Seit heute herrscht verschärfter Kriegszustand, für 9 Uhr wurde die Hauptsperre verfügt._
Landwirtschaft «nd Markte.
Nagold, 5. Juni. Dem Viehmarkt waren Angeführt: 14 Ochsen, 9 Stiere, 98 Kühe, 41 Stück Jungvieh und 57 Kälber. Verkauft wurden: 5 Stück Ochsen mit einem Gesamterlös von 3995 2 Stiere
mit einem Gesamterlös von 785 25 Kühe mit
einem Gesamterlös von 9640 -N, 22 Stück Jungvieh mit einem Gesamterlös von 5177 -N und 14 Kälber mit einem Eesamterlös von 2889 -N. Der Preis pro Ochse betrug 955—1160 M, pro Stier 360—425 Mark, pro Kuh 240—615 ^l, pro Stück Jungvieh 220—400 und pro Kalb 140—208 ^l. — Auf den Schweinemarkt waren zugeführt: 119 Läufer- und 284 Milchschweine. Verkauft wurden: 98 Läuferschweine mit einem Gesamterlös von 4096 -N und 189 Milchschweine mit einem Gesamterlös von 5148 Mark. Der Preis pro Paar Läuferschweine betrug 73—119 und pro Paar Milchschweine 40—58
Herrenberg. 7. Juni. Auf den heutigen Schweine- markt waren zugeführt: 86 Stück Milchschweine; Erlös pro Paar 40—56 33 Milchschweine; Erlös pro Paar 70—100 -K. Verkauf: flau.
Stuttgart, 7. Juni. Schlachtviehmarkt. Zugetrieben: 90 St. Großvieh, 127 Kälber, 355 Schweine. Bullen 1. Kl. 90—93 -N. Stiere 1. Kl. 100—103 ^l, Jungrinder 98—100 d Kälber 1. Kl. 107—112 -K. Kälber 2. Kl. 98—106 ^t. Schweine 1. Kl. 70—71 ^l. Schweine 2. Kl. 66—68 °N. Schweine 3. Kl. 58—63 Zt. Verlauf des Marktes: langsam.
Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner.
Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei.
Reklameteil.
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lum-Bek zu unterstützen und zu retten. Ein großes Gedränge war um den Laden, Kinder tanzten um den Laden her und verhöhnten ihn, und die Alten lachten. Er selbst stand vor Wut zitternd und in großer Verlegenheit vor dem Laden, in der einen Hand einen Schal, in der andern den Schleier. Diese sonderbare Szene kam aber von einem Vorfall her, der sich nach Saids Abwesenheit ereignet hatte. Kalum hatte sich statt seines schönen Dieners unter die Türe gestellt und ausgerufen, aber niemand mochte bei dem alten, häßlichen Burschen kaufen. Da gingen zwei Männer den Basar herab und wollten für ihre Frauen Geschenke kaufen. Sie waren suchend schon einigemal auf und nieder gegangen, und eben jetzt sah man sie mit umherirrenden Blicken wieder herabgehen.
Kalum-Bek, der dies bemerkte, wollte es sich zunutze machen und rief: „Hier, meine Herren, hier! Was suchet ihr? Schöne Schleier, schöne Ware?"
„Euter Alter," erwiderte einer, „deine Waren mögen recht gut sein, aber unsere Frauen sind wunderlich, und es ist Sitte in der Stadt geworden, die Schleier bei niemand zu kaufen, als bei dem schönen Ladendiener Said; wir gehen schon eine halbe Stunde umher, ihn zu suchen, und finden ihn nicht; aber kannst du uns sagen, wo wir ihn etwa treffen, so kaufen wir dir ein andermal ab."
„Allahit Allah!" rief Kalum-Bek freundlich grinsend. „Euch hat der Prophet vor die rechte Türe geführt. Zum schönen Ladendiener wollet Ihr, um Schleier zu kaufen? Nun, tretet nur ein, hier ist sein Gewölbe."
Der eine dieser Männer lachte über Kalums kleine und häßliche Gestalt und seine Behauptung, daß er der schöne Ladendiener sei; der andere aber glaubte, Kalum wolle sich Uber ihn lustig machen, blieb ihm nichts schuldig, sondern schimpfte ihn weidlich. Dadurch kam Kalum-Bek außer sich; er rief seine Nachbarn zu Zeugen auf, daß man keinen andern Laden als den (einigen das Gewölbe des schönen Ladendieners nenne; aber die Nachbarn, welche ihn wegen des Zulaufs, den er seit einiger Zeit hatte, beneideten, wollten hiervon nichts wissen, und die beiden Männer gingen nun dem alten Lügner, wie sie ihn nannten, ernstlich zu Leibe. Kalum verteidigte sich mehr durch Geschrei und Schimpfworte, als durch seine Faust, und so lockte er eine Menge Menschen vor sein Gewölbe; die halbe Stadt kannte ihn als einen geizigen, gemeinen Filz, alle Umstehenden gönnten ihm die Püffe, die er bekam, und schon packte ihn einer der beiden Männer am Bart, als eben dieser am Arm gefaßt und mit einem einzigen Ruck zu Boden geworfen wurde, so daß sein Turban herabfiel und seine Pantoffeln weit hinwegflogen.
Die Menge, welche es wahrscheinlich gerne gesehen hätte, wenn Kalum-Bek mißhandelt worden wäre, murrte laut, der Gefährte des Niedergeworfenen sah sich nach dem um, der es gewagt hatte, seinen Freund niederzuwerfen; als er aber einen hohen, kräftigen Jüngling mit blitzenden Augen und mutiger Miene vor sich stehen sah, wagte er es nicht, ihn anzugreifen, da überdies Kalum, dem seine Rettung wie ein Wunder erschien, auf den jungen Mann deutete und schrie:
„Nun, was wollt ihr denn mehr? Da steht er ja, ihr Herren, das ist Said, der schöne Ladendiener." Die Leute umher lachten, weil sie wußten, daß Kalum-Bek vorhin Unrecht geschehen war. Der niedergeworfene Mann stand beschämt auf und hinkte mit seinem Genossen weiter, ohne weder Schal noch Schleier zu kaufen.
„O du Stern aller Ladendiener, du Krone des Basar!" rief Kalum, als er seinen Diener in den Laden führte: „Wahrlich, das heiße ich zu rechter Zeit kommen, das nenne ich die Hand ins Mittel legen; lag doch der Bursche auf dem Boden, als ob er nie auf den Beinen gestanden wäre, und ich — ich hätte keinen Barbier mehr gebraucht, um mir den Bart kämmen und salben zu lassen, wenn du nur zwei Minuten später kamst; womit kann ich es dir vergelten?"
Es war nur das schnelle Gefühl des Mitleids gewesen, was Saids Hand und Herz regiert hatte; jetzt, als dieses Gefühl sich legte, reute es ihn fast, daß er die gute Züchtigung dem bösen Manne erspart hatte; ein Dutzend Barthaare weniger, dachte er, hätten ihn auf zwölf Tage sanft und geschmeidig gemacht; er suchte aber dennoch die günstige Stimmung des Kaufmanns zu benützen und erbat sich von ihm zum Dank die Gunst, alle Woche einen Abend für sich benützen zu dürfen, zu einem Spaziergang, oder zu was es auch sei; Kalum gab es zu, denn er wußte wohl, daß sein gezwungener Diener zu vernünftig sei, um ohne Geld und gute Kleider zu entfliehen.
(Fortsetzung folgt.)