114.
Amts- und Arrzeigeblatt für den Oberamlsbezirk Calw.
88. Jahrgang.
Iö?E«inirngsweise: Smal wöchentlich, ilnzeigenpreiö : Zin ObcramtS- für di« einspaltige Borgtszeil« 10 Pfg., außerhalb derselben 12 Pfg., KsÄsm?«» W Psg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon S.
Dienstag, den 20. Mai 1913.
Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Postbezugspreis für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., rn Bayern und Reich 42 Pfg
Amtliche Bekanntmachungen
Ausstellung von Lehrlingsarbeiten.
Die diesjährige Ausstellung der Lehrlingsarbeiten findet in Stuttgart im Ausstellungsgebäude, Kanzleistraße 28, statt.
Sie wird am 22. Mai eröffnet und dauert bis einschließlich Sonntag, den 8. Juni. An den Werktagen ist die Ausstellung vormittags von 10 bis 12 Uhr, nachmittags von 2 bis 5 Uhr, an den Sonntagen von 11 bis 3 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Die Gewerbetreibenden, insbesondere die Aussteller und Lehrmeister, werde zu zahlreichem Besuche eingeladen.
Calw, den 19. Mai 1913.
K. Oberamt:
Binder.
Für Rußland.
Von H. Prehn v. Dewitz.
Das Hazardspiel, in dem die deutsche Politik seit ein paar Jahrzehnten am Goldenen Horn Einsatz auf Einsatz wagte, ist zu Ende. Viel ist verloren, vielleicht nicht alles, doch nur kärglich ist der Rest, der für den wagemutigen Spieler herausspringt. Die Türkei scheidet endgültig aus der Reihe der europäischen Großmächte aus. An Stelle des Türkenreichs, das trotz seiner Schwächen für die Stabilität der Dinge im Osten von Wert war und für das Deutsche Reich und das mit ihm verbündete Österreich-Ungarn immerhin einen strategischen Stützpunkt bildete, treten jetzt die vergrößerten Balkanstaaten. Österreich steht vor einem neuen Balkanproblem und die deutsche Politik vor der Entscheidung, ein Bollwerk im Osten zu errichten. Gerade in unseren Tagen haben wir ja die Verhetzungen erlebt, die von hüben und drüben ausgingen, die den Panslawismus gegen den Pan- germanismus ausspielten; selbst aus der Mitte der Parlamente heraus ist uns das Gespenst eines Eigantenkampfes des Germanentums gegen das Slawentum leichtfertig heraufbeschworen worden. Selbst die weitschauende Börse ist dem allgemeinen Unruhtaumel zum Opfer gefallen und ohne zu fragen, weshalb und warum, sind Werte von der Güte sicherer Siaatspapiere ins Bodenlose gesunken. Ist es verständlich, daß im Jahrhundert der Weltwirtschaft und der weltwirtschaftlichen Gebundenheit der einzelnen Nationen das Gespenst des furchtbaren Rassenkampfes dräuend am politischen Gesichtskreis aufzutreten vermag? Die unheilvolle Massenwirkung hatte auch hier wieder einmal ihr verderbliches Regiment angetreten. Und niemand trat auf, niemand unternahm es, den alles vergiftenden Sprudel an seiner Quelle zu verstopfen. Da kamen aus Rußland selbst die ersten beruhigenden Meldungen. Das offizielle Rußland geht
nicht mit den hetzerischen Allslawen, so hieß es. Der russische Minister des Äußern warnte vor der Zuspitzung von Rassen- fraaen, die er als friedensgefährlich bezeichnete. Um eines Allslawentums willen verschmähte Rußland den Krieg. Das Eis war gebrochen, die Welt von einem Alpdruck befreit. Rußlands Diplomatie hatte klug gehandelt. Im Zarenreiche wußte man nur allzu sicher, daß die Valkanstaaten, die einmal die Morgenluft der Freiheit gewittert hatten, sich nicht ohne Schwierigkeiten ins Schlepptau des Riesen nehmen lassen würden. Unter dem Druck der Umstände gaben die russischen Allslawen Frieden — die verantwortliche russische Regierung aber war bereits lange vorher aus rein wirtschaftlichen Gründen den wüsten Kriegstreibereien entgegengetret'en. Kriege werden heute nicht mehr um Religions-, um Rassen- oder Thronfragen ausgefochten. Das Jahrhundert der Weltwirtschaft kennt nur noch Wirtschaftskriege um wirtschaftlicher Vorteile willen. Mochten die „Kleinen" in verblendeter Politik idealer Vorteile halber den Rassenkampf predigen, die moderne Großmacht Rußland hat stets schwerwiegend genug ihr „vsto" einzulegen gewußt. Rußland wollte den Frieden und hat ihn zu erhalten gewußt. Ein Krieg mit Österreich, mit Deutschland hätte der Wirtschaftspolitik des Zarenreiches unheilbare Wunden geschlagen. Rußland, Österreich und Deutschland sind mehr und mehr ein großes kontinentales Wirtschaftsgebiet geworden, in dem Deutschland und Österreich als Industriestaaten, Rußland als Agrarstaat sich gegenseitig in Kauf und Verkauf auf das glücklichste ergänzen. Namentlich Deutschland braucht den europäischen Kontinent und vor allen Dingen Rußland für den Absatz seiner Jn- dustrieerzeugnisse; geht doch sein Export nach überseeischen Ländern infolge des englischen und amerikanischen Wettbewerbes immer mehr zurück. Aber auch Rußland ist aus die deutschen Märkte für den Absatz seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse angewiesen. So kann man wohl von einer russisch-deutschen Wirtschafts-Entente sprechen, deren Ergebnisse bisher für beide Länder die segensreichsten Folgen gezeitigt haben. Das Ziel der deutschen Wirtschaftspolitik wird deshalb nach wie vor ein freundschaftliches Einvernehmen mit Rußland bilden. Auch auf russischer Seite verheimlicht man sich die Wichtigkeit freundlicher Beziehungen zum Deutschen Reiche nicht. Möge eine zielbewußte deutsche Politik, die zugleich im modernen Geiste Wirtschaftspolitik ist, fürder nicht ungenutzt das Motto „pro llimsia" tragen. Dann wird das Zarenreich im Osten Deutschland ein Bollwerk werden.
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.
Calw, 20. Mai 1913.
Die Frühjahrshauptübung der Feuerwehr. Trommelwirbel und Hörnerklang alarmierten gestern abend vor sieben Uhr die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Calw zur Frühjahrshauptübung. Vor den Ee- räteräumen in der Salzgasse waren dann zur festgesetzten Stunde sämtliche Kompagnien in voller und blanker Ausrüstung angetreten; auch die Sanitätskolonne. Den
schmetternden Klängen der zu strammen Feuerwehrleuten verwandelten Stadlmusikanten folgten alsbald mit flatternder Fahne in langem Zuge die Mannschaften und Geräte, um über die Waldhornbrücke und die Bischoffstraße nach dem Brühl zu ziehen, wo Aufstellung genommen wurde. Umsäumt von einer großen Zuschauerkette, die dartat, daß eine Feuerwehrhauptübung in Calw immer noch ein Ereignis bedeutet, wurde die Wehr dort von ihrem Kommandanten, E. Dreitz, gemustert. Dann besprach dieser mit den Führern den Brandplan. Es war angenommen, daß das zur Zeit im Umbau begriffene Oberamtsgebäude in Brand geraten sei. Die Kanzleien waren leer, aber im Bau noch Handwerker beschäftigt, das Treppenhaus war herausgenommen. Große Rauchmassen hinderten die im Gebäude sich aufhaltenden Leute, zu entfliehen, sodaß die Nettungsschläuche in Tätigkeit treten mußten. Die Geretteten nahm die Sanitätskolonne zur weiteren Behandlung auf. Die Feuerwehr nun hatte ein weiteres Augenmerk auf die umliegenden Gebäude zu richten. Sie griff das brennende Gebäude zunächst von der Kirchenseite an, um das Gotteshaus zu schützen; währenddem sprang aber der Wind um und die Flammen gefährdeten das Müllersche und Friseur Winzsche Haus. Daher mußte ein zweiter Angriff unternommen werden. Die Hauptwassermassen wurden jetzt von dieser Seite aus auf den Brandgegenstand geworfen, bis der beabsichtigte Zweck erreicht war. — Die Hebung dauerte fünf Viertelstunden und hatte eine noch größere Zuschauermenge als der Abmarsch angezogen. Die Feuerwehrleute arbeiteten rasch und umsichtig. Im „Badischen Hof", wohin sie am Schluß in geschloffenem Zuge rückten, fand anschließend an die Hebung Versammlung statt.
Ein bedauerlicher Unglücksfall hat sich am vergangenen Samstag auf der Bahn in Horb ereignet. Der hier in Calw ansässige Schaffner Schempf war beim Ausladen eines Weinfasses vom Eisenbahn- auf einen zur Beförderung in die Stadt dienenden Wagen behilflich. Er hatte vorne an der Deichsel Aufstellung genommen, als das Faß auf dem Wegen wieder zurückrollte, sodaß der vordere Teil des Wagens aufschnappte und Schempf von der Deichsel emporgeschnellt wurde. Der bedauernswerte Mann erlitt dabei nicht unbedeutende Verletzungen, die seine alsbaldige Ueberführung nach Calw notwendig machten. Eine Seite des Körpers
Das Wirtshaus im Spessart.
11 ) Erzählung von Wilhelm Hauff.
„Damit kann ich nicht dienen," entgegnete sie finster, „die andern werden schon den Weg im Dunkeln finden, und für Euch ist dies Stümpchen hier hinlänglich; mehr habe ich nicht im Hause."
Schweigend nahm der junge Herr das Licht und stand auf. Die andern folgten ihcki, und die Handwerksburschen nahmen ihre Bündel, um sie in der Kammer bei sich niederzulegen. Sie gingen dem Studenten nach, der ihnen die Treppe hinan leuchtete.
Als sie oben angekommen waren, bat sie der Student, leise aufzutreten, schloß sein Zimmer auf und winkte ihnen herein. „Jetzt ist kein Zweifel mehr," sagte er, „sie will uns verraten; habt ihr nicht bemerkt, wie ängstlich sie uns zu Bette zu bringen suchte, wie sie uns alle Mittel abschnitt, wach und beisammen zu bleiben? Sie meint wahrscheinlich, wir werden uns jetzt niederlegen, und dann werde sie um so leichteres Spiel haben."
„Aber meint ihr nicht, wir könnten noch entkommen? fragte Felix. „Im Wald kann man doch eher auf Rettung denken, als hier im Zimmer."
»Die Fenster sind auch hier vergittert," rief der ^..^"Ent, indem er vergebens versuchte, einen der Eisenstabe des Gitters los zu machen. „Uns bleibt nur e i n Ausweg, wenn wir entweichen wollen, durch die Haus- ture, aber ich glaube nicht, daß sie uns fortlaffen werden."
„Es käme aus den Versuch an," sprach der Fuhrmann; „ich will einmal probieren, ob ich bis in den Hof kommen kann. Ist dies möglich, so kehre ich zurück und hole euch nach." Die übrigen billigten diesen Vorschlag, der Fuhrmann legte die Schuhe ab und schlich sich auf den Zehen nach der Treppe; ängstlich lauschten seine Genossen oben im Zimmer, schon war er die eine Hälfte der Treppe glücklich und unbemerkt hinabgestiegen; aber als er sich dort um einen Pfeiler wandte, richtete sich plötzlich eine ungeheure Dogge vor ihm in die Höhe, legte ihre Tatzen auf seine Schultern und wies ihm, gerade seinem Gesicht gegenüber, zwei Reihen langer, scharfer Zähne. Er wagte weder vor- noch rückwärts auszuweichen; denn bei der geringsten Bewegung schnappte der entsetzliche Hund nach seiner Kehle. Zugleich fing er an zu heulen und zu bellen, und also- bald erschien der Hausknecht und die Frau mit Lichtern.
„Wohin? was wollt Ihr?" rief die Frau.
„Ich habe noch etwas in meinem Karren zu holen," antwortete der Fuhrmann, am ganzen Leibe zitternd; denn als die Türe aufgegangen war, hatte er mehrere braune, verdächtige Gesichter, Männer mit Büchsen in der Hand, im Zimmer bemerkt.
„Das hättet Ihr alles auch vorher abmachen können," sagte die Wirtin mürrisch. Faffan, daher! schließ' die Hoftüre zu, Jakob, und leuchte dem Mann an seinen Karren." Der Hund zog seine greuliche Schnauze und seine Tatzen von dere Schulter des Fuhrmanns zurück und lagerte sich wieder quer über die Treppe, der Hausknecht aber hatte das Hoftor zugeschloffen und leuchtete dem Fuhrmann. An ein Entkommen war nicht
zu denken. Aber als er nachsann, was er denn eigentlich aus dem Karren holen sollte, fiel ihm ein Pfund Wachslichter ein, die er in die nächste Stadt überbringen sollte; „das Stümpchen Licht oben kann kaum noch eine Viertelstunde dauern," sagte er zu sich; „und Licht müssen wir dennoch haben!" Er nahm also zwei Wachskerzen aus dem Wagen, verbarg sie in die Aermel und holte dann zum Schein seinen Mantel aus dem Karren, womit er sich, wie er zum Hausknecht sagte, heute nacht bedecken wollte.
Glücklich kam er wieder auf dem Zimmer an. Er erzählte von dem großen Hund, der als Wache an der Treppe liege, von den Männern, die er flüchtig gesehen, von allen Anstalten, die man gemacht, um sich ihrer zu versichern, und schloß damit, daß er seufzend sagte: „Wir werden diese Nacht nicht überleben."
„Das glaube ich nicht," erwiderte der Student; „für so töricht kann ich diese Leute nicht halten, daß sie wegen des geringen Vorteils, den sie von uns hätten, vier Menschen ans Leben sollten. Aber verteidigen dürfen wir uns nicht. Ich für meinen Teil werde wohl am meisten verlieren; mein Pferd ist schon in ihren Händen, es kostete mich fünfzig Dukaten noch vor vier Wochen; meine Börse, meine Kleider gebe ich willig hin; denn mein Leben ist mir am Ende doch lieber als alles dies."
„Ihr habt gut reden," erwiderte der Fuhrmann; „solche Sachen, wie Ihr sie verlieren könnt, ersetzt Ihr Euch leicht wieder; aber ich bin der Bote von Aschaffenburg und habe allerlei Güter auf meinem Karren und im Stall zwei schöne Rosse, meinen einzigen Reichtum."