M 113. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 88. Jahrgang.
U«sH«i»ungtwe>se: Smsl wöchentlich. Anzeizenprei«: Im Oberamts- Talw für di« einspaltige Borgiszeile !0 Pfg., außerhalb desselben lS Pfg., -RrAsunen W Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon g.
Montag, den 19. Mai 1913
Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- bezugSpreiS für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.2O, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., rn Bayern und Reich 42 Pfg-
Amtliche Bekanntmachungen.
Bekanntmachung,
betreffend die an der K. Baugerverkschule in Stuttgart abzuhaltendc Vorprüfung zur Bauwerkmeifter- prüfung.
Die Gesuche um Zulassung zur vorbezeichneten, am Ende des Sommersemesters stattfindenden Prüfung sind unter Beachtung der in der Ministerialversügung vom 13. Mai 1902 (Regierungsblatt Seite 169) enthaltenen Vorschriften bis 1. Juni ds. Js. Lei der Direktion der K. Baugewerkschule einzureichen.
Der Beginn der Prüfung wird den Kandidaten mitgeteilt werden. »
Calw, den 18. Mai 1913.
K. Oüeraint:
Binder.
Bereinigung aller Slawenvölker?
Seit den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts spukt der panslawistische Gedanke in den Köpfen alter und junger Balkanpolitiker. Auf einem Festessen der Slawischen Wohltätigkeitsgesellschaft in Petersburg, die sich zum Mittelpunkt der panslawistischen Agitation gemacht hatte, verkündete bereits am 2. April 1887 Jgnatiew als letztes Ziel die Vereinigung aller Slawen Europas unter dem Szepter des Zaren. So war in den Allslawismus zugleich der Pan- russismus getragen. Wohlweislich hielt"sich'die russische Re-> gierung zunächst von jeder Agitation für ein Allslawentum unter dem Zarenszepter fern. Ihr Standpunkt war so korrekt, daß selbst Bismarck dem amtlichen Rußland jede panslawistische Tendenz absprach. Wie er noch Anfang 1892 hervorhob, würden die panslawistischen Leitartikel in russischen Zeitungen nicht von Russen geschrieben, sondern hauptsächlich von Polen mit der Absicht, Slawentum und Germanentum gegeneinander zu Hetzen, und in der Hoffnung, beim Siege des einen wie des andern, ihre Rechnung— ein neues Königreich Polen — zu finden. Anklang fand die allslawistische Agitation der achtziger Jahre vor allem in den Kreisen der Tschechen, die von der Hilfe Rußlands die Aufrichtung eines großtschechischen Staates erhofften. Dann kamen die schweren Niederlagen Rußlands im Kriege mit Japan und damit ein Abflauen der panslawistischen Bestrebungen auf der ganzen Linie. Polen und Tschechen sahen sich in ihren nationaistaatlichen Hoffnungen getäuscht und traten ostentativ den Rückzug an. Erst im Frühjahr 1908 machten sich wieder neue panslawistische Bestrebungen bemerkbar. Dr. Kramarcz, ein tschechischer Politiker von ausgesprochen deutschfeindlicher Richtung, prägte das Wort von der „slawischen Solidarität". Er sprach von dem „gemeinsamen Feind", gegen den es das Slawentum zusammenzuschließen gelte, er verkündete die Notwendigkeit, die Slawen von dem wirtschaftlichen und kulturellen Einfluß der Deutschen zu befreien und wies auf die Gefahren hin, die dem russischen Reich aus dem Fortschreiten der Eermanisation aus dem Balkan, in Konstantinopel und Kleinasien drohen. Tausende und Abertausende hörten seinen Ruf, und wieder waren es Tschechen und Polen, die in neubelebter Hoffnungsseligkeit die neupanslawistische Agitation aufnahmen. Allen voran schürten die Polen das Feuer. In der Begründung ihres Programms forderten sie allerdings die möglichst weitgehende Autonomie des Königreichs Polen als Grundlage für eine polnisch-russische Annäherung. Hier stieß der Neupanslawismus auf die ersten Schwierigkeiten. Es gelang nicht, die russisch-polnische Entente zustande zu bringen. Die russische Regierung weigerte sich, den Polen eine weitgehende nationale Selbständigkeit zu gewähren und somit die Vorbedingungen für die Verwirklichung der neupanslawistischen Bestrebungen herzustellen. Der Sprachenwirrwarr unter den Slawenvölkern bildete ein weiteres Hindernis für die Verwirklichung des altslawischen Gedankens. Bulgaren, Polen und Serben, Slowaken, Slowenen, Tschechen, Serbokroaten und wie sie alle heißen, die hinfort der Panslawismus unter einen Hut bringen sollte, traten mit atler Kraft für die Erhaltung ihrer Sprache ein. Rußlands Ziel, die schliehliche Russisizierung aller Slawen, trat bald nur allzu deutlich hervor. Wollten die Slawen nicht endlich einer allrussischen Jnteressenpolitik zum Opfer fallen, so mußten sie sich auf sich selbst besinnen. In seiner Schrift „Der Neupanslawismus" sagte schon Kuschnir: „Wenn wir den slawischen Brüdern zuliebe aufhören müßten, Ruthe- "en zu sein, dann ist es uns gleich, ob wir Russen oder -Deutsche werden." Das Wort Kuschnirs hat den modernen Panslawismus in ungeahntem Grade beeinflußt. Die Vereinigung aller Slawenvölker unter dem Reußenszepter gilt dem aufgeklärten Balkanpolitiker bereits als Utopie. Das -Gespenst eines Weltkampfes zwischen Germanen und Slawen ist heute mehr denn je zu einem Phantom geworden — mögen es selbst Rußlands allslawistische Agita-
und wieder wie Leuchtkugeln über den dunklen politischen Horizont schicken. In absehbarer Zeit sind die
klaffenden Gegensätze unter den slawischen Völkerschaften weder durch Kongresse, noch durch schreiende Agitatoren zu beseitigen. Selbst auf das kulturelle und wirtschaftliche Gebiet beschränkt, haben die slawischen Solidaritäts- und Einigungsbestrebungen vorderhand keine Aussicht auf Erfolg.
Stadt» Bezirk und Nachbarschaft
Calw, 19. Mai 1913.
d. Bevölkerungsbewegung im Bezirk Calw in den letzten 1v Zähren. Das statistische Landesamt veröffentlichte dieser Tage die Ziffern der Bevölkerungsbewegung in den württembergischen Oberämtern im Jahr 1912. Um nun ein besseres Bild für die Beurteilung dieser Bewegung zu bekommen, ist die Gegenüberstellung eines größeren Zeitraums erforderlich und wir lassen deshalb die bezüglichen Ergebnisse des ganzen letzten Jahrzehnts folgen. Zum Vergleich sei beigefügt, daß in ganz Württemberg im Jahre 1912 die Zahl der: Eheschließungen 18 384, Geborenen 73 206, Gestorbenen 41151 betragen hat, so daß sich ein Geburtenüberschuß von 32 055 Seelen ergab; im Jahrzehnt 1903—1912 betrug in Württemberg die jährliche Durchschnittzahl der Eheschließungen 18 070, der Geborenen 76 528, der Gestorbenen 46 297 und der Geburtenüberschuß 30 231. Das Jahr 1912 steht somit hinsichtlich der Eheschließungen und des Geburtenüberschusses Uber und hinsichtlich der Geborenen und Gestorbenen hinter dem 10jährigen Landesdurchschnitt.
Im Bezirk Calw ergaben sich folgende Ziffern:
1903
Eheschließ
ungen
Geborene
Gestorbene
Geburten
überschuß
231
903
567
336
1904
207
919
543
376
1906
222
874
615
260
1906
241
930
569
361
1907
233
905
552
353
1908
208
919
534
385
1909
189
911
535
376
1910
209
856
507
349
1911
229
827
521
306
1912
201
821
492
329
Während des ganzen Jahrzehnts war also letztes Jahr im Bezirk Calw die Geburtenziffer am niedrigsten; da aber auch die Sterblichkeitsziffer die geringste war, ergab sich dennoch ein mittlerer Geburtenüberschuß. Die außerordentlich günstige Sterblichkeitsziffer, die besonders einen Rückgang der Kindersterblichkeit erkennen läßt, ist umso erfreulicher, als die Bevölkerung allein in 5 Jahren um über 1100 Personen zunahm. Verhältnismäßig gering war im letzten Jahr die Zahl der Eheschließungen. Wenn man schließlich gegenüberstellt, daß im Bezirk Calw im Jahrfünft i. Jan. 1906 bis 31. Dez. 1910 der Geburtenüberschuß 1824 Köpfe betrug, während sich die Bevölkerungszunahme in unsrem Bezirk in dem etwa gleichen Volkszählungs-Jahrfünft 1. Dez. 1905 bis 1. Dez. 1910 auf 1153 Personen bezifferte, so ergibt sich ferner, daß während den 5 Jahren eine Abwanderung von 671 Personen stattgefunden hat.
Das Frühjahrskonzert des Liederkranzes am Samstagabend verlief unter sehr zahlreicher Teilnahme seiner Mitglieder und Freunde mit recht gutem Erfolg. Zu diesem starken Besuch trug sicherlich auch die Erwartung bei, das Preisiicd des Vereins für Tübingen hören zu dürfen — im Rate einer weisen Direktion aber lag es anders beschlossen. Die Zuhörer konnten sich trotzdem keineswegs beklagen. Eine gediegene Auswahl aus der Männcrchorlitcratur, verschiedene gemischte Chöre und einige Orchesterstücke wechselten untereinander. Die Männerchöre waren in der Mehrzahl Pflichtchöre fürs Tübinger Sängerfest: „Zu Straßburg auf der Schanz"; „Es geht bei gedämpfter Trommel Klang"; „Leise zittert im Morgenwind", von Würz; „Morgen muß ich fort von hier"; „Wohin mit der Freud?"; „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd" von Hirsch, und „Mailied" von Mayer. In: schönen Akkorden schwollen die Lieder durch den Raum, wir- j kungsvoll vom Dirigenten, Oberlehrer Beutel, herausge-! arbeitet und jeder Vortrag wurde anerkennend lebhaft beklatscht. Das gleiche ist auch über den Vortrag der Ouvertüre!
zu „Don Juan" von Mozart durch ein Streichquartett, zusammengesetzt aus Mitgliedern des Vereins und ihm nahestehenden Musikliebhabern, zu sagen und über die zwei russischen Lieder für Klavier, Violine und Viola von Eilka. Die gemischten Chöre, einige Mendelssohn und „O Schwarzwald" von Jsenmann überraschten durch Wohlklang und Frische, so daß alle Darbietungen den besten Eindruck hinterließen. Und man empfand: Material besitzt der Liederkranz sehr gutes, namentlich in den Unterstimmen; von seiner Bearbeitung und der Disziplin der Sänger wird es äbhängen, ob der ersehnte Erfolg in Tübingen winkt. Mit uns werden diesen alle Freunde des Männergesanges dem tüchtigen Verein aufrichtig wünschen.
Warnung für Gastwirte. In letzter Zeit sind eine große Anzahl Gastwirte durch Reisende, die Musikautomaten vertreiben, in erheblicher Weise geschädigt worden. Die Reisenden schließen mit den Gastwirten folgenden Vertrag ab: „Die Firma des Reisenden verpflichtet sich, einen Musikautomaten in dem Gasthaus aufzustellen und behält sich das Eigentumsrecht an dem Automaten vor. Der Gastwirt verpflichtet sich, die Einnahmen des Automaten in bestimmten Zeitabschnitten an die Firma abzuführen. Wenn der Kaufpreis des Automaten, der 900 bis 2000 <41 beträgt, durch diese Einnahmen gedeckt ist, so soll das Eigentumsrecht an den Automaten an den Gastwirt übergehen." Angeblich zur Sicherung der Eigentumsrechte der Firma muß der Gastwirt noch einen Wechsel über die Kaufpreissumme ausstellen, und der Reisende erklärt ausdrücklich, daß dieser Wechsel niemals weitergegeben wird. Nach kurzer Zeit wird dieser Wechsel zedoch von der Firma weitergegeben. Da dem Gastwirt Einwendungen aus dem Vertrage gegen den gutgläubigen Erwerber des Wechsels nicht zustehen, kommt er so in die Lage, den noch dazu viel zu hohen Preis für den Automaten auf einmal zahlen zu müssen. Die Gastwirte werden deshalb gewarnt.
scb. Mutmaßliches Wetter. Für Dienstag und Mittwoch ist vorwiegend trübes, etwas kühleres und auch vielfach regnerisches Wetter zu erwarten.
- Althengftett, 17. Mai. Innerhalb kurzer Zeit gingen einem Pferdebesitzer im Bezirk Calw trotz bester Pflege seine zwei wertvollen Pferde ein. Wie wird der Mann froh sein, daß er seine Pferde in dem Bezirkspferdeversicherungsverein versichert hatte, bei dem er ohne weitere Umstände sofort seine Entschädigungssumme erheben konnte. Dieser Fall dürfte ein weiterer Ansporn sein, wertvolle Pferde durch Versicherung zu decken, denn nicht jeder ist in der Lage, nach Eintritt des Schadens eine Summe zu besitzen, mit der er sich sofort wieder zwei andere Pferde erwerben kann. Mancher sagt sich wohl: „Mein Pferd ist gesund; wenn ich lange Zeit Beiträge bezahle, so kann ich zuletzt ein Pferd drum kaufen." Dies mag richtig sein. Jedoch bringt er das Geld, das er wegen Nichtversicherung an Beiträgen nicht zu leisten hat, in den meisten Fällen nicht auf die Sparkasse, auch muß er damit rechnen, daß selbst die anscheinend gesunden Pferde oft sehr schnell eingehen. Um den Bezirkspferde- versicherungsvercin, diese nur im Interesse der Pserde- besitzer des Bezirks Calw geschaffene Einrichtung, leistungsfähig zu gestalten, ist ein zahlreicher Anschluß an denselben notwendig. Den Pferdebesitzern ist jederzeit Gelegenheit geboten, sich bei Schultheiß Braun in Althengstett oder Oberamtspfleger Fechter in Calw zur näheren Unterrichtung eine Satzung zu erbitten und sich dort mündlich oder schriftlch anzumelden.
Zaucistein, 19. Mai. Der Absturz des Touristen am Pfingstsonntag und seine anscheinend ans Wunderbare grenzende Bewahrung vor einem schrecklichen Tode stellt sich nicht so „wunderbar" heraus. Der Tourist fiel nämlich nicht aus 30. sondern aus 3 Meter Höhe von der Umfassungsmauer herab. — Zur Vorsicht mahnt : der Fall immerhin.
^ 8t. Licbelsberg, 17. Mai. Vom Evangelischen Ober-
l schuirat ist die ständige Lehrstelle an der hiesigen Volksschule dem Unterlehrer 'Theophil Kümmerte in Winnenden über- ! tragen worden.