mentlich aber betonte er, daß der Mann wieder mehr für seine Familie gewonnen werden müsse. Fischer ging auf die Frage ein: Wie können die Kinder in den Familien wirkliche Persönlichkeiten werden? In heutiger Zeit, wo sich alles so rasch wandelt, ist es sehr nötig, die Kinder für die eigene Entwicklung frei zu geben. Das wird allerdings den Eltern nicht immer leicht. Aber es ist durchaus nötig, wenn wir auch in der Zukunft Persönlichkeiten haben wollen. Am Abend des 14. fand eine große, von etwa 4000 Menschen be­suchte Volksversammlung im Eagenbielschen Saale statt, wobei eine Reihe großzügiger Reden für den evange­lisch-sozialen Gedanken warben. Die gestrigen Ver­handlungen des Kongresses wurden zunächst mit der Erstattung des Tätigkeitsberichts des letzten Jahres durch den Generalsekretär Pastor Tic. Schneemelcher fortgesetzt. Die Frage derBedeutung der Konsumgenossenschaften" behandelte dann in einem besondern Vortrag Prof. l)r. Wilbrandt- Tllbingen. Der Redner sieht die Bedeutung des Zu­sammenschlußes der Konsumenten und Produzenten der Verbilligung und Verbesserung der Erzeugnisse und der sozialen, hygienischen und technischen Hebung der Angestellten. Er glaubt, daß durch die allmähliche Vollendung des Zusammenschlusses die große Masse des Volkes auf diesem Wege allmählich zu einer Befreiung aus der heutigen Herrschaft des Großkapitals und des Großgrundbesitzes gelange. Die Politik gegen die Kon­sumvereine beruhe auf einem Mangel an Verständnis für die Bedeutung der Sache. Die Konsumgenossen­schaftsbewegung sei politisch und religiös neutral und ihrem Wesen nach dem sozialdemokratischen Klassen­kampf gerade entgegengesetzt. Die Konsumgenossen­schaftsbewegung werde in einer künftigen Entwicklung so systematisch gefördert werden, wie sie durch das Prin­zip des Geschäftsverkehrs von heute systematisch unter­drückt werde. In der Besprechung bestritt das Bürger­schaftsmitglied W ä ch t l e r - Hamburg entschieden die allgemeine Notwendigkeit der Konsumvereine. Der Kongreß dürfe Konsumvereine nur dann befürworten, wenn sie besser und billiger verkauften, und wenn sie politisch neutral seien. Die Mitglieder sähen selbst ein, daß sie bei den Konsumvereinen nicht billiger kaufen, und darauf sei es zurückzuführen, daß ein hoher Pro­zentsatz der Mitglieder ihren Bedarf nicht in den Kon­sumvereinen decke. Die Mitglieder würden vielfach durch Zwang zum Beitritt ni den Konsumverein ge­bracht. Die Vereine seien sozialdemokratische Institu­tionen. Nur 265 Konsumvereine gehörten in Deutsch­land dem bürgerlichen Crügerschen Verbände an, wäh­rend über 1000 Konsumvereine dem sozialdemokrati­schen Verbände angehörten. Prof. Wilbrandt habe nur die Vorzüge der Eenossenschastsbewegung geschildert, nicht die Schattenseiten. Was solle nun aus den Leuten werden, die sich bisher vom Zwischenhandel redlich er­nährt haben? Prof. Wilbrandt meinte, diese kümmer­lichen Reste müßten verschwinden. Alle Handwerker und Kleingewerbetreibenden sollten also einpacken und aufhören. Wenn der Zwischenhandel ausgeschaltet werde und alles dem Konsumverein überlasten bleibe, dann hätten wir den sozialistischen Zukunftsstaat. Der Kongreß sollte nicht nur an die Arbeiter denken, son­dern auch an die andern Stände. Prof. Eregory- Leipzig rühmte die sozialdemokratischen Arbeiten in den Konsumvereinen und brach eine Lanze für den Natio­nalismus der Sozialdemokratie, während der Vor­sitzende davor warnte, daß diese Ausführungen als offizielle Kundgebungen des Kongreßes ausgehen; er

selbst teile diese Anschauungen nicht. Als nächster Red­ner ergriff, von lebhaftem Beifall begrüßt, Eeheimrat Adolf Wagner das Wort:Ich stimme den Aus­führungen des Pros. Wilbrandt in allen wesentlichen Hauptpunkten zu. Er geht als Staats- oder Katheder­sozialist weiter als wir Aelteren, aber er kommt auf demselben Wege auf Grund seiner neuern Erfahrungen zu weitern Zielen. Seine Ausführungen gipfeln dar­in und das ist der Punkt, weshalb sein Vortrag für den evangelisch-sozialen Kongreß eine so große Bedeu­tung gewonnen hat daß er überhaupt einmal min­destens die Möglichkeit in Aussicht gestellt hat, unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem, das auf einem ganz außerordentlich gesteigerten Privategoismus und Fami­lienegoismus beruht, als zersetzbar und veränderlich hin- gestellt hat. Wir können uns darüber nicht täuschen, daß durch den unserm freien Konkurrenzsystem ange­paßten kapitalistischen Geist die sittlichen Erundan- schauungen von Mein und Dein wesentlich geschädigt worden sind. Gerade hier in Hamburg können wir sehen, wie der kapitalistische Geist nach allen Seiten auch recht bedenkliche Wirkungen gehabt hat. Sehr be­denklich ist in diesem Sinne das Börsengeschäft, was im Grunde weiter nichts als Spiel ist. Möglichst viel erwerben, ganz gleich auf welche Art, ohne Rücksicht auf Mittel und Wege, das ist das Ziel unseres Er­werbslebens. Sind denn überhaupt die Konsumvereine die Hauptgegner des Mittelstands? Sind die Konsum­vereine schuld an der schwierigen Lage, in der sich der Mittelstand befindet? Nein. Viel mehr Schuld trägt die kapitalistische Konzentration in den Warenhäusern. Dadurch sind zahllose mittlere und kleinere Geschäfts­leute beseitigt worden, und hiergegen sollte sich die Mit­telstandsbewegung wenden. Wenn wir aus dem maß­losen kapitalistischen System herauskommen und in einen gesunden Sozialismus hineinkommen wollen, so darf das nicht geschehen nach sozialdemokratischem Rezept, sondern nach dem Rezept des Staatssozialismus: Staats­eisenbahnen, Staatsbergbau, Staatsforstwesen, Staats­domänen usw. Da hat Preußen vorbildlich gearbeitet. Es eignen sich sehr viele Dinge für die Verstaatlichung und die Kommunalisierung. Vieles aber auch eignet sich nicht dafür, und da muß die genossenschaftliche Be­wegung einsetzen. Nach weitern kurzen Bemerkungen wurde die Tagung geschlossen.

Stadt. Bezirk «nd Nachbarschaft

Talro, 17. Mai 1913.

Die heutige Nummer besteht aus sechs Seiten.

Vom Rathaus.

(Siehe auch 2. Blatt mit Schlug des Berichts über die Etatberatung.)

Oeffentliche Sitzung des Gemeinderats unter dem Vorsitz von Stadtschultheiß Lonzam Freitag nachmittag von 5 Uhr ab. Anwesend sind 9 Eemeinderäte. Die Erledigung der laufenden Geschäfte machte neben der Sitzung zur Etats­beratung eine zweite Sitzung in dieser Woche erforderlich. In ihr beschäftigte sich der Eemeinderat zunächst mit Ge­nehmigung vonBeifuhren des Holzes für die Schu­len und öffentliche Gebäude, für Armen- und Krankenhaus, Rathaus, Elektrizitätswerk, Easfabrik, Kirche usw. für 1913. Sie wurden vergeben an die Unternehmer Wilh. Schelling, Alber, W. Necker. Zum Teil waren sehr niedere Preise für die Beifuhr verlangt worden, so dag aus der Mitte des Ee- meinderats es verurteilt wurde, daß die Fuhrleute einander dermaßen unterbieten. Nachher komme man und klage. Der

Gemeinderat will sich's überlegen, ob die Beifuhr künftig nicht besser im Submissionswege zu vergeben wäre, um den ungesunden Preisdrückereien eher zu begegnen. Die Gras - Verpachtungen von städtischen Grundstücken werden in der vorgetragenen Weise gebilligt. Der Gelderlös daraus beträgt rund 69 Für Laubholz und Stammholz aus

städtischen Waldungen wurden erlöst 792,80 111,7 A;

für Stangen 96,80 89,7 Aus der Dörtenbachschen

Stiftung wird der K l ei n k i nd ers ch u l e der jährliche Bei­trag von 100 überwiesen. Genehmigt wird der Ver­trag zwischen Stadtbauamt und Zimmermeister Kirchherr über die Herstellung einer neuen Holztreppe im Rathaus­gebäude. Baugesuche mußten gleichfalls erledigt werden.

Ein Gewitter mit Hagel ging gestern über Calw nieder. Eine drückende Schwüle am Nachmittag ließ wohl ahnen, daß sich oben etwas zusammenbrauen müsse, und gegen 9 Uhr prasselten gewaltige Regengüsse zur Erde. Kurz darauf schüt­tete es Hagelkörner, erst erbsengroß, dann in der Größe von Haselnüssen, bis schließlich solche vom Umfang einer Walnuß und noch größer gefunden wurden. Etwa 7 Minuten dauerte das Hagelwetter. Diese Zeit genügte, um unter den Blüten­bäumen und den Sträuchern in Wald und Feld, den Zier­pflanzen in den Gärten furchtbar zu Hausen. Noch stunden­lang nachher konnte man auch auf den Straßen an einzelnen Stellen bis über die Knöchel in Hagelkörnern waten. Bis nach 11 Uhr nachts grollte der Donner und zuckten und wetter­leuchteten die Blitze in unaufhörlicher Folge. Die Luft war nach dem fürchterlichen Wetter kühl geworden. Wie groß dre materiellen Verluste sind, die durch den Hagel angerichtet wurden, darüber liegen heute zuverlässige Angaben noch nicht vor. Von verschiedenen Seiten wird behauptet, seit 20 Jah­ren sei Calw von solchen Hagelschlägen nicht mehr heim­gesucht worden. Es scheint, daß die Höhen besser weggekom­men sind als die Talstriche. Vom Bahnhof weg galloppier- ten die Pferde von einem Omnibus mit diesem, wohl auf­geschreckt durch die niedergehenden Hagelschlossen und das Blitzen und Donnern, nach ihrem Stall; glücklicherweise kam es dabei zu keinem Unfall.

Der Konsistorialerlaß über die Einführung des neuen Gesang- und Choralbuchs möge auch an dieser Stelle bekannt gegeben sein:Nach jahrelanger Vorbereitung wird am kom­menden Dreieinigkeitsfest die allgemeine Einführung des neuen Choralbuchs in die Gottesdienste unserer Gemeinden beginnen. Von dem bisherigen Gesangbuch und Choralbuch scheiden wir mit Dank für den reich gesegneten Dienst, den sie durch siebzig und mehr Jahre den Gemeinden geleistet haben. Das Gute und Bewährte aus beiden Büchern ist in den neuen beibehalten; das weniger Wertvolle ist durch neue Lieder und Melodien ersetzt. Was an dem Altgewohn­ten geändert wurde, bedeutet in den meisten Fällen Rückkehr zum Ursprünglichen und Anschluß an den gemeinsamen Besitz der deutschen evangelischen Landeskirchen. Der Uebergang zum Neuen soll schonend vor sich gehen. Deshalb werden im Gottesdienst insolange, als in der Gemeinde das neue Gesangbuch noch nicht allgemeiner verbreitet ist, solche Lieder gesungen werden, für die auch das bisherige Gesangbuch be­nützt werden kann. Aber gewiß werden die Gemeindeglieder sich bald in dem Wunsch zusammenfinden, daß das neue Ge­sangbuch ausschließlich benützt werde. Das Singen nach neuen oder abgeänderten Melodien wird durch die Mitwirkung der Schule und der an vielen Orten bestehenden Kirchenchöre wesentlich gefördert werden, und die Freude an einem gehalt­vollen, lebendigen Choralgesang wird das darf erhofft werden bald alle Schwierigkeiten überwinden. Möge denn unter Gottes Beistand auch fernerhin die Kraft unserer Lieder und Choräle sich an Alten und Jungen, an Fröhlichen und Trauernden, an Gesunden und Kranken bewähren und mögen

Das Wirtshaus im Speffart.

9 ) Erzählung von Wilhelm Hauff.

Im Gegenteil, frag' nur die Mutter!" erwiderte Wolf.Du warst es, der zuerst schoß, und du hast diese Schande über uns gebracht, kleiner Dachs."

Der Kleine blieb ihm keinen Ehrentitel schuldig, und als sie am Fischteich angekommen waren, gaben sie sich gegenseitig noch die vom alten Wetter von Zol­lern geerbten Flüche zum Besten und trennten sich in Haß und Anlust.

Tags daraus aber machte Kuno sein Testament, und Frau Feldheimerin sagte zum Pater:Ich wollte was wetten, er hat keinen guten Brief für die Schützen geschrieben." Aber so neugierig sie war, und so oft sie in ihren Liebling drang, er sagte ihr nicht, was im Testament stehe, und sie erfuhr es auch nimmer, denn ein Jahr nachher verschied die gute Frau, und ihre Salben und Tränklein halfen ihr nichts; denn sie starb an keiner Krankheit, sondern am achtundneunzigsten Jahr, das auch einen ganz gesunden Menschen endlich unter den Boden bringen kann. Graf Kuno ließ sie bestatten, als ob sie nicht eine arme Frau, sondern seine Mutter gewesen wäre, und es kam ihm nachher noch viel einsamer vor auf seinem Schloß, besonders da der Pater Josef der Frau Feldheimerin bald folgte.

Doch diese Einsamkeit fühlte er nicht sehr lange; der gute Kuno starb schon in seinem achtundzwanzigsten Jahr, und böse Leute behaupten an Gift, das ihm der kleine Schalk beigebracht hatte.

Wie dem aber auch sei, einige Stunden nach sei­nem Tod vernahm man wieder den Donner der Ka­nonen, und in Zollern und Schalksberg tat man fünf­undzwanzig Schüsse.Diesmal hat er doch daran glauben müssen," sagte der Schalk, als sie unterwegs zusammen­trafen.

Ja," antwortete Wolf,und wenn er noch ein­mal aufersteht und zum Fenster herausschimpft wie da­mals, so Hab' ich eine Büchse bei mir, die ihn höflich und stumm machen soll."

Als sie den Schloßberg hinanritten, gesellte sich ein Reiter mit Gefolge zu ihnen, den sie nicht kannten. S>e glaubten, er sei vielleicht ein Freund ihres Bruders und komme, um ihn beisetzen zu helfen. Daher ge­bärdeten sie sich kläglich, priesen vor ihm den Ver­storbenen, beklagten sein frühes Hinscheiden, und der kleine Schalk preßte sich sogar einige Krokodilstränen aus. Der Ritter antwortete ihnen nicht, sondern ritt still und stumm an ihrer Seite den Hirschberg hinauf. So, jetzt wollen wir es uns bequem machen, und Wein herbei, Kellermeister, vom besten!" rief Wolf, als er abstieg. Sie gingen die Wendeltreppen hinauf und in den Saal, auch dahin folgte ihnen der stumme Reiter, und als sich die Zwillinge ganz breit an den Tisch ge­setzt hatten, zog jener ein Silberstück aus dem Wams warf es auf den Schiefertisch, daß es umherrollte und klingelte, und sprach:So, und da habt ihr jetzt euer Erbe, und es wird just recht sein, ein Hirschgulden." Da sahen sich die beiden Brüder verwundert an, lachten und fragten ihn, was er damit sagen wolle.

Der Ritter aber zog ein Pergament hervor, mit

hinlänglichen Siegeln; darin hatte der dumme Küno alle Feindseligkeiten ausgezeichnet, die ihm die Brüder bei seinen Lebzeiten bewiesen, und am Ende hatte er verordnet und bekannt, daß sein ganzes Erbe, Hab und Gut, außer dem Schmuck seiner seligen Frau Mutter, auf den Fall seines Todes an Württemberg verkauft sei, und zwar um einen elenden Hirschgulden! Um den Schmuck aber solle man in der Stadt Balingen ein Armenhaus erbauen.

. Da erstaunten nun die Brüder abermals, lachten aber nicht dazu, sondern bissen die Zähne zusammen, denn sie konnten gegen Württemberg nichts ausrichten, und so hatten sie das schöne Gut, Wald, Feld, die Stadt Balingen und selbst den Fischteich verloren und nichts geerbt, als einen schlechten Hirschgulden. Den steckte Wolf trotzig in sein Wams, sagte nicht ja und nicht nein, warf sein Barett auf den Kopf und ging trotzig und ohne Gruß an dem württembergischen Kom­missär vorbei, schwang sich auf sein Rotz und ritt nach Zollern.

Als ihn aber am andern Morgen seine Mutter mit Vorwürfen plagte, daß sie Gut und Schmuck ver­scherzt hätten, ritt er hinüber zum Schalk auf der Schalks­burg:Wollen wir unser Erbe verspielen oder ver­trinken?" fragte er ihn.

Vertrinken ist bester," sagte der Schalk,dann haben wir beide gewonnen. Wir wollen nach Balingen reiten und uns den Leuten zum Trotz dort sehen lasten, wenn wir auch gleich das Städtlein schmählich verloren.

(Fortsetzung folgt.)