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Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.
88. Jahrgang.
gm vberamts- ffelben I2Psg-, Telefon 9.
Mittwoch, den 16. April 1913.
Bezugspreis: In der Sladt mit Trägerlohn Mk. 1.2S vierteljährlich, Post, bezugsprets für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk, 1.29, im Fernverkehr Wk. 1.39, Bestellgeld in Württemberg 30 Vsg., in Lagern und Reich «2 Pfg
Steuern, die der Gesetzgeber vergaß.
Der Wahrheit würde es nicht entspechen, wollte jemand behaupten, das deutsche Volk sei ob der Milliardenvorlage begeistert. Das verlangt übrigens auch kein Mensch, Zm Gegenteil wird man sichdarüber freuen müssen und darauf stolz sein dürfen, daß dieses ungeheure Opfer in der Hauptsache ohne ernsthaften Widerstand, ohne direkten Widerwillen von der Mehrheit des Volkes getragen werden will in dem Bewußtsein, daß die Zeichen dre Zeit solche Lasten für Deutschland als Weltamcht bedingen. Wir glauben, daß es peinliche Pflicht der Gesetzgebung ist, die Milliardenlast so umzulegen, daß sie die Schultern zu tragen bekommen, die die kräftigsten sind und daß sie namentlich die Kreise nicht vergißt heranzuziehen, denen aus der Vermehrung des Heeres besondere wirtschaftliche und finanzielle Vorteile erwachsen: Bekleidungsindustrie, Krupp usw. Vorschläge, wie sich die Deckung der Milliarden am wenigsten drückend herbeiführen ließe, tauchen jetzt neben denen der Regierung auf. Und darunter sind solche, die so unbedingt für sich sprechen, daß man tatsächlich wünschen möchte, der Reichstag sehe sie sich näher an, vielleicht ließe sich über manche von ihnen mit weniger Mühe eine Einigung unter den Parteien finden, als über verschiedene der im Regierungsprojekt vorgesehenen. Eine Steuer, die dem kleinen Mann sicherlich keine Sorgen bereiten würde, hat der Berliner Rennstallbesitzer Linden- staedt im Vorschlag. Er propagiert die Idee einer Besteuerung der Rennwetten. Als Fachmann muß er es wissen, wenn er behauptet, daß in Friseurgeschäften, Zigarrengeschäften, Restaurants, Stehbierhallen, Hotels, Cafes jährlich tausendfach Wetten abgeschlossen und vermittelt werden, daß Tagesumsätze von 2000 bis 10 000 -1l bei Sportbureaus, Kommissionsgeschäften und von Agenten oder Buchmachern bei Wetten Vorkommen und er berechnet, daß sich an die Hw ei Milliarden Mark aus dieser Besteuerungsart für den Reichssäckel ergeben würden. Solche ausgiebige Steuerobjekte, meinen wir, sollte sich das Reich doch nicht entgehen lassen. Eine andere Steuerquelle zu nutzen, die den gewaltigen deutschen Steuerstrom gleichfalls um eine sehr ausgiebige Zufuhr bereichern würde, drängt Pfarrer Lic. Traub. Er schreibt in seiner „Christlichen Freiheit"; „Die tote Hand soll lebendig werden! Warum schweigt die Kirche? Der Besitz der evangelischen und katholischen Kirchengemeinschaften ist wahrhaft ein erstaunlicher. Die sogenannte „tote Hand" soll aber von der Gesetzgebung unberührt bleiben. Warum? Wäre es nicht ein Ehrentitel für die Kirchen, wenn sie mit gutem Beispiel vorangingen? Es handelt sich doch nicht darum, daß man nur Fahnen ein
segnet und patriotische Gedenkfeiern unterstützt; es handelt sich um den gleichen Tatbeweis von Opferwilligkeit, den man von dem gemeinen Mann verlangt. Das Geld wird in kirchlicher Sprache sehr zweideutig behandelt. Man schilt auf den Reichtum und freut sich des eigenen Besitzes, man predigt, daß man nicht Schätze sammeln soll auf dieser Erde, und weiß doch viel zu gut, daß jede Kirche ihre organisatorische Kraft gerade solchen weltlichen Schätzen verdankt. So kommt es. daß man diese halben und in sich zwiespältigen Redensarten der Kirche längst nicht mehr ernst nimmt. Ernst nehmen würde man die Kirchen, wenn sie einmal eine Tat tun würden. Warum erklären sich die Kirchen nicht freiwillig bereit, so und so viele Millionen aus ihrem eigenen Besitz zu geben? Sittliche Kraft besteht nicht im Predigen, sondern im Leisten. Es wäre am Platze, daß die Kirchen jetzt zur „lebendigen Hand" würden, statt daß sie als „tote" nur am Besitz festhalten, sich selbst aber aus großen Zeiten ausschalten. Hier bietet sich dem preußischen Oberkirchenrat Gelegenheit, Sünden gut zu machen, hier könnte die katholische deutsche Kirche zeigen, daß sie deutsch empfindet." — Aber wir wissen noch eine Steueridee, die eigentlich jedermann einleuchten sollte. Arthur Brausewetter nennt sie eine sittliche Steueridee, weil sie „zur Selbstverleugnung erzieht und den bedenklichen Hang zum Vergnügen und Luxus hemmen würde". Also eine Steuer auf Vergnügungs- und Luxussucht. Die denkt er sich folgendermaßen: „Alle an der Spitze von Militär- und Zivilbehörden, der staatlichen und städtischen Verwaltungen stehenden Menschen, alle die „Repräsentierenden" in Berlin wie in sämtlichen großen und kleineren Städten Deutschlands täten sich zusammen und gäben offen kund: Im Hinblick auf die ernste Zeit und Lage würden sie ihre Repräsentationsessen und Feste aus das not wendigste einschränken und die notwendigen in der einfachsten Form geben. Die Ersparnis, die hierbei erzielt würde, betrüge für sie so viele Hunderte oder Tausende, die sie hiermit für den Kriegsfonds zeichneten. Und nun folgten die namentlichen Zeichnungen: Oberpräsident soundso so und so viel Mark, Regierungspräsident, Oberbürgermeister usw. Und ihnen schlössen sich nun alle Privatkreise in der Stadt wie auf dem Lande an: die großen Finanzleute, die Rechtsanwälte, die Aerzte, die höheren Beamten, die Gelehrten und Künstler, die Rittergutsbesitzer und Landräte, vornehmlich aber die ungezählten Kreise, bei deren Esten und Festen bisher eine große Ueppigkeit die Regel war, — welche ungeheure Summen würden da innerhalb eines einzigen Winters Zusammenkommen!" — Damit spricht Brausewetter eine Binsenwahrheit aus. Und wir möchten seine sittliche Steuer
idee dahin erweitern: Alle Vereine in Deutschland, vorzüglich die patriotischen, streichen die Hälfte ihrer Jahresvergnügungen aus dem Vereinpsrogramm. Die einzelnen Mitglieder dieser Vereine verwenden die ehrliche Hälfte des Betrags, den sie für sich und ihre Familien beim Mitfesten für Bier, neue Kleider, Kartenspiel, Esten und Trinken hätten liegen lassen, zur freiwilligen Gabe als Wehrbeitrag. Die Veredelung der Matrikularbeiträge könnte ruhig Unterlasten werden, wenn diese oder ähnlich gestaltete Opfer dem Reichstag angeboten würden. — Geld zur Deckung seiner Milliardenvorlage hat Deutschland, aber der Bürger ist stark interessiert daran, daß es genommen wird, wo es am wenigsten schmerzt. Wege, die ergiebige Geldquellen erschließen, sind die drei hier skizzierten. Sie haben alle drei für sich: Schonung der Kleinen, Gerechtigkeit und sittliche Berechtigung. . -cL
Stadt, Bezirk «nd Nachbarschaft
Ealw. 16. April 1913.
Ix Das Militärersitzgeschiift. Der Oberrekrutierungsrat sieht sich x ranlaßt, bezüglich etwaiger Gesuche von Rekruten um Einstellung zu einem bestimmten Truppenteile, sowie in betreff des freiwilligen Eintritts zum Dienste bekannt zu machen, daß die Entscheidung der Oberersatzkommisston über die Verteilung der ausgehobenen Mannschaften auf die verschiedenen Waffengattungen und Truppen- (Marine-)teile, sowie über die Verteilung der Ersatzreservisten (Marineersatzreservisten) auf die verschiedenen Waffengattungen usw. und Marineteile endgültig ist; eine Berufung gegen diese Entscheidung ist nicht statthaft. Wer freiwillig zu zwei-, drei- oder vierjährigem aktiven Dienst in das Heer oder die Marine oder auch zu fünf- oder sechsjährigem Dienst in letztere eintreten will, hat die Erlaubnis zur Meldung bei einem Truppen-(Marine-)teil beim Zivilvorsitzenden der Ersatzkommision seines Aufenthaltsorts (in Stuttgart der Stadtdirektor, im übrigen der Oberamtmann) nachzusuchen und zu diesem Zweck die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters, sowie die obrigkeitliche Bescheinigung, daß er durch Zivilverhältnisse nicht gebunden sei und sich untadelhaft geführt habe, beizubringen. Den mit Meldescheinen versehenen jungen Leuten steht die Wahl des Truppenteils, bei welchem sie dienen wollen, frei. Jeder Militärpflichtige, gleichwohl, ob er sich im ersten, zweiten oder dritten Militärpflichtjahr
so) Im Sturm genommen!
Roman aus den Freiheitskriegen 1813—1814.
Von H. E. Jahn.
Schwer finkt er zurück auf die blutgetränkte Scholle. Das Regiment ist vorgegangen; und er ist allein zwischen all den Verwundeten und Toten zurückgeblieben. Endlich, die Zähne fest zusammenbeißend, gelingt es ihm, sich aufzurichten, sich auf das Gewehr eines erschossenen Landwehrmannes zu stützen, langsam zurückzuwanken, um irgendwo einen Wagen zu erreichen und verbunden zu werden. Er hat fürs erste sein Taschentuch notdürftig um das verletzte Bein geschlungen, aber bei jeder Bewegung quillt dickes Blut aus dem Verbände hervor und tropft schwer an dem zerrissenen, schwarzen Leder der Reithosen hinab. Endlich hat Hans die Straße nach Schkeuditz und Halle erreicht. Eine lange, bange Schmer- zensbahn liegt hinter ihm, ein Weg von Stunden in Grauen und Schrecken. Auf der Straße schleppt sich mühsam ein Dünger Zug verwundeter Menschen dahin, blutend, dem Tode "uhe, während die Franzosen hinter Möckern hervor mit Kanonen in die Masten des Elends hineinfeuern.
M gelangte glücklich durch dieses wüste Schlachten der Wehrlosen, erreichte Stahmeln, wo er verbunden und mit b"n^"^"^en Offizieren auf einen mit zwei mageren Kühen bespannten Leiterwagen verladen wurde, um nach Halle transportiert z« werden.
Schwarz und kalt kam die Nacht, kein Feuer durfte angezündet werden, der Feinde wegen. Hungrig, todmüde und frierend lagen die Krieger des Porckschen Korps auf der feuchten Erde. Da begann plötzlich ein Musketier der 6. Kompagnie des Leibregiments, Hensel mit Nanien, den seine Kameraden spottend den „Kanter" nannten, das alte, wunderbar erhabene Lied: „Nun danket alle Gott." Und wie vordem in der weißen Dezembernacht bei Leuthen die alten Grenadiere des großen Königs, so sangen jetzt deren Enkel und Urenkel denselben Psalm; und die feierlichen Klänge tönten über das weite, wüste Schlachtfeld. Und es war, als das fromme Lied allmählich im Brausen des Windes verklang, als schwebten auf den leuchtenden Tönen all die Seelen der Gefallenen empor, in die tiefe, dunkle Unendlichkeit.
Der 17. Oktober war ein Sonntag. Napoleon benutzte den Tag, um Vorbereitungen zum neuen Kampfe zu treffen. Er vermochte nicht den Gedanken an einen notwendigen Rückzug zu fasten, nicht, daß sein „Stern" verlöschen könne. Bald auf einen Glückszufall hoffend, wodurch ihn früher das Schicksal oft aus den schwierigsten Lagen befreit hatte, bald geneigt, sich bei andern Rat zu holen, besonders bei Murat, ließ er die Zeit während der Morgenstunden nicht untätig verstreichen. Ruhelos ging er auf den Dämmen zwischen den Teichen bei Meusdorf auf und nieder. Endlich aber betrieb er die Vorbereitungen mit gewohnter Schnelle und Energie. Er durcheilte zu Wagen und zu Pferde die Aufstellung seiner Soldaten und besprach sich eingehend mit Ney, der ihm den Rücken gegen die Angriffe Blüchers decken sollte. Nachdem alle Anordnungen getroffen waren, begab er sich zur Quandt-
schen Tabaksmühle, wo er sich von nun an beständig aufhielt. Und wunderbar, die kriegrische Haltung der französischen Armee, besonders aber der blutige Nimbus, der das Haupt besten umloderte, der jene Masten befehligte, erschreckte Schwarzenberg und die Generäle des böhmischen Heeres so, daß sie ihre Stellung nicht zu verlosten wagten, hoffend und harrend auf das Eintreffen der russischen Reservearmee unter Benningsen. Wie in der höchsten Not an der Beresina, 2ö. bis 28. November 1812, eigentlich nur die Furcht der russischen Generäle vor dem gewaltigen und unbesiegbaren Schlachtenmeister den Uebergang über den angeschwollenen Fluß gelingen ließ, so erfüllte auch jetzt wieder Zagen, Kleinmut und Besorgnis die Herzen seiner Gegner. Noch was sein „Glücksstern" nicht untergegangen, mochten ihn auch düstere Wolken umdrängen!
Da aber kam die Siegesbotschaft Blüchers und zugleich die Nachricht, daß die Nordarmee bei Breitenfeld angelangr sei. Nun raffte sich, auf Drängen der Monarchen, Schwarzenberg zu dem Entschluß auf, am nächsten Tage wieder angriffsweise vorzugchen. Unter all den goldstrotzenden Generälen der Verbündeten war nur einer, der Napoleon nicht fürchtete, und das war der alte Blücher. Er war auch derjenige, der dem „Kerl", so nannte Blücher den Kaiser, schon am 17. wieder zu Leibe ging und den Franzosen Gohlis und Eutritzsch entriß. Daher konnte Napoleon am IS. Mai 1814 auf Elba von ihm mit Recht sagen: „Ce vieux diable m'a toujours attaquii avec la meine vigueur; s'il etait battu, l'inftant d'apres il se montrait encore pr^t pour le compat." Er wurde auch am nächsten Tage gerade durch den alten