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Amts- und Anzeigedlatt für den Oberamtsbezirk Calw.
88. Jahrgang.
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Dienstag, den 8. April 1913.
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Die Heeresvorlage vor dem Reichstag.
Berlin, 7. April 1913.
Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 2.1o Uhr. Das Haus und die Tribünen sind außerordentlich stark besucht. Am Bundesratstisch sind erschienen: Reich-lanzler v. Bethmann-Hollweg, die Staatssekretäre Kuhn, Dr. Sols, Lisco, Krätke, v. Iagow und Delbrück, sowie preußischer Landwirtschaftsminister Frhr. von Schorlemer. Auf der Tagesordnung steht die erste Lesung der Wehr- und Deckungsvorlagen.
Reichskanzler Dr. v. Bethmann-Hollweg: Meine Herren! Die Ihnen zur Annahme unterbreitete Wehrvorlage bringt die Verstärkung unserer Wehrmacht, die nach dem einmütigen Urteil unserer militärischen Autoritäten notwendig ist, um die Zukunft Deutschlands zu sichern. Wir nutzen gegenwärtig die Wehrfähigkeit unserer Bevölkerung nicht vollständig aus. Sollte uns jetzt ein Krieg aufgenötigt werden, so können und werden wir ihn schlagen im sicheren Vertrauen aus die Tüchtigkeit und Tapferkeit unseres Heeres. Aber die Frage ist nur die, können wir uns weiterhin den Luxus gestatten, auf zehntausende von ausgebildeten Soldaten zu verzichten, die wir haben könnten, die wir aber jetzt nicht haben? Kein Mensch weiß, ob und wann uns ein Krieg deschieden sein wird. Aber soweit menschliche Voraussicht reicht, wird kein europäischer Krieg entbrennen, in den nicht auch wir verwickelt sein werden, und dann werden wir um unsere Existenz zu kämpfen haben. Diese Frage hat sich in den letztverflossenen Wochen und Monaten einem Jeden mit elementarer Gewalt aufgedrängt. Von Anfang des Balkankrieges an sind die Großmächte bestrebt gewesen, den Krieg zu lokalisieren. Keine Großmacht hat an territorialen Veränderungen auf dem Balkan teilnehmen wollen, und doch hat monatelang eine Spannung bestanden, die die zunächst interessierten Großmächte Oesterreich und Rußland zu außergewöhnlichen militärischen Maßnahmen veranlaßt hat. Ich will nicht sagen, daß in irgend einem Augenblick der Krieg unmittelbar vor der Tür gestanden hätte, aber wiederholt hat es des ganzen Verantwortlichkeitsgefühls der zunächst interessierten Großmächte bedurft, um Meinungsverschiedenheiten und Interessengegensätzen diejenige Schärfe zu nehmen, die zu einem gewaltsamen Ausbruch führen konnten. (Hört! Hört!) Europa wird dem englischen Minister der Auswärtigen Angelegenheiten Dank wissen für die außerordentliche Hingebung, und den Geist der Verantwortlichkeit, mit dem er die Londoner Botschafterbesprechungen geleitet und immer wieder zwischen Gegensätzen zu vermitteln verstanden hat. Nach dem Fall von Adrianopel hätte man annehmen können, daß es bald zu einem Frieden kommen würde. Das ist leider aber nicht geschehen. Die Türkei hat die ihr von den Großmächten unterbreiteten Vorschläge für den Friedensschluß akzeptiert. Die Antwort der Balkanstaaten unterliegt gegenwärtig der Beschlußfassung der Gesamtheit der Großmächte. Ich muß mich daher enthalten, heute näher daraus einzugehen, denn hier gegenüber dem herausfordernden Widerstande von Montenegro (hört! hört! Gelächter Lei den Sozialdemokraten) kommt es daraus an, daß das bisherige Zusammenarbeiten bei den Großmächten auch weiterhin anhält. An der Flottendemonstration nehmen alle Großmächte mit Ausnahme von Rußland teil, das indessen die Aktion an sich sanktioniert hat. Meine Herren! Ich wiederhole, die Londoner Beschlüsse müssen beschleunigt und mit Nachdruck durchgeführt werden. Dann wird sich auch noch für die ungelösten Fragen eine glückliche Lösung finden. Bis jetzt ist es vor allem die albanische Frage gewesen, die Interessengegensätze zwischen einem Teil der Großmächte hat hervortreten lassen. Wir haben alle ein Interests daran, daß die Balkanstaaten einer Epoche neuen Auflebens engegengehen, im engen wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhang mit ihrem Nachbar und der Gesamtheit der europäischen Staaten. Dann werden auch sie Faktoren des Fortschritts und des europäischen Friedens sein. Trotzdem bleibt das eine unzweifelhaft: Sollte
es einmal zu einer europäischen Konflagration kommen, die das Slawentum dem Germanentum gegenüberstellt, dann ist es für uns ein Nachteil, daß die Stelle im Gegengewicht der Kräfte, die bisher von der europäischen Türkei eingenommen wurde, jetzt zum Teil von Slawenstaaten besetzt ist. (Hört! Hört!) Diese Verschiebung der militär-politischen Situation aus dem Festlande hat sich vorbereitet. Jetzt, wo sie in unerwartet großem Umfange eingetreten ist, würden wir gewissenlos handeln, wenn wir nicht die Konsequenzen daraus ziehen. Meine Herren! Ich sage dies weil ich einen Zusammenstoß zwischen Slawentum und Germanentum für unausbleiblich halte. Manche Publizisten verfechten das Gegenteil. Das ist ein gefährliches Unternehmen; solche Thesen wirken als in die Ohren fallende Echlagworte suggestiv (sehr richtig! beim Fortschritt) und düngen den Boden, auf dem mißleitete Volksleidenschasten in die Halme schießen. (Sehr richtig!) Mit der Regierung Rußlands, unseres großen slawischen Nachbarreiches, stehen wir in freundschaftlichen Beziehungen. (Beifall.) Die Rassengegensätze allein werden zu keinem Kriege führen. Wir jedenfalls werden ihn nicht entfachen und die gegenwärtigen russischen Machthaber werden es auch nicht. Aber den russischen Staatsmännern ist es so gut wie uns bekannt, daß die panslawistischen Strömungen, die schon Bismarck beunruhigten, durch die Siege der Balkanstaaten mächtig gefördert worden sind. Die bulgarischen Siege werden von diesen Kreisen zum Teil als Siege des panslawistischen Gedankens im Gegensatz zum germanistischen Gedanken bezeichnet. Daß wir Oesterreich gegenüber unsere Bundestreue auch über die diplomatische Treue hin bewahren werden, ist selbstverständlich. (Beifall). Durch die neue akute Bewegung der Rastengegensätze erhält aber die Verschiebung der militärpolitischen Situation, die durch den Balkankrieg entstanden ist, eine solche Bedeutung. Wir sind gezwungen, sie mit in Rechnung zu stellen, wenn wir an die Zukunft denken. Unsere Beziehungen zu der französischen Regierung sind gut. Bismarck hat in seiner Rede vom 11. Januar 1887 gesagt: „Wenn die Franzosen so lange Frieden halten wollen, bis wir sie angreifen, dann ist der Friede immer gesichert." Daran hat sich bis jetzt nichts geändert. Ob und welchen Wechsel die Zukunft bringen mag, weiß ich nicht. Es wäre vermessen, es hieße geradezu das Schicksal heraussordern, wollte man sagen: wenn ein Krieg kommt, sind wir stark genug. Wir machen Ihnen die Vorlage nicht, weil wir Krieg, sondern weil wir Frieden haben, und weil wir, wenn ein Krieg kommt, Sieger bleiben wollen. (Lebhafter Beifall rechts). Die große Mehrheit erkennt diese Bedeutung der Vorlage. Wir werden auch wenn sie Gesetz geworden sein wird, so wenig ein Störenfried der Welt sein, wie wir es bisher gewesen sind. Herr Churchill hat in der gleichen Rede, die er neulich gehalten hat, das Verhältnis der englischen zur deutschen Flotte dargelegt und dabei den Gedanken wiederholt, daß zur Verminderung der Rüstungen die Schiffswerften der großen Nationen von Zeit zu Zeit ein Jahr feiern sollten. Herr Churchill hat diesen Vorschlag speziell an Deutschland gerichtet. Aber er hat anerkannt, daß alle Großmächte an dieser Kontingentierung beteiligt werden müßten. Die Tatsache, daß dieser Gedanke ausgesprochen worden ist, und die Form, in die ihn der erste Lord der englischen Admiralität gekleidet hat, beweist einen großen Fortschritt. Ich habe Ihnen die Lage geschildert, wie ich sie sehe, ohne schön zu färben oder schwarz zu sehen. Wir allein sind nicht Herr darüber, ob sich unsere Zukunft friedlich oder bedrohlich gestalten wird, aber wir sind Herr darüber, ob wir einer ungewissen Zukunft mit gutem Gewissen entgegengehen können. (Lebhafte Zustimmung rechts.) An Ihnen, meine Herren, liegt jetzt die Entscheidung! (Lebhafter, anhaltender Beifall rechts und im Zentrum, Zischen bei den Sozialdemokraten.) Kriegsminister v. Heeringen begründete darauf die Vorlage kurz und sachlich; Haase (Soz.) sprach gegen, Liebert (Rp.) und Behrens (W. Vgg.) für sie. Schluß ^
- -7 Uhr.
Stadt» Bezirk und Nachbarschaft
Talw. 8. April 1913.
Amtsversammlung.
Im großen Rathaussaale fand gestern die Amtsversammlung des Bezirks Calw von vormittags >49 Uhr ab statt. Der Oberamtsvorstand, Reg.-Rat Binder, erösfnete die Versammlung mit freundlichen Begrüßungworten und hob hervor, daß hervorragend wichtige Angelegenheiten nicht zur Beratung stehen, die wichtigste Sache sei wohl, daß der Amtskörperschaftshaushalt mit einem Defizit von 12 000 .11 mehr als im Vorjahr abschließe, was hauptsächlich von der Verzinsung der Krankenhausbauschuld herrühre. — Darauf verlas Oberamtssekretär Schäfer die Anwesenheitsliste. Stimmberechtigt waren (nach Turnus IV) die Gemeinden: Calw, Agenbach, Altburg, Althengstett, Bergorte, Dachtel, Deckenpfronn, Emberg, Eechingen, Hirsau, Liebenzell, Neu weiler, Oberhaugstett, Oberreichenbach, Ottenbronn, Sim- mozheim, Stammheim, Teinach, Zavelstein; Calw mit 0 Stimmen, Hirsau, Liebenzell, Stammheim mit je 2 Stimmen, alle übrigen Gemeinden mit je 1 Stimme. Von jeder Gemeinde waren so viel Vertreter erschienen, als sie gestern Stimmen in der Amtsversammlung führte. Außerdem waren die Vertreter der diesmal nicht stimmberechtigten Gemeinden anwesend. — Gemeindepfleger Schöninger (Dennjächt), der zum ersten Male der Amtsversammlung beiwohnt, wird vom Vorsitzenden auf die rwn ihm als Gemeinderat abgelegte Verpflichtung hingewiesen. — Darauf erfolgte die Abhör der amtskörperschaftlichen Rechnungen für 1911: der Oberamtspflege, der Oberamtssparkasse und der Krankenpflegeversicherung. Die Oberamtspflege-Rechnung für 1911 schließt mit 379 395,26 .11 baren Einnahmen und mit 370 198,55 .II Ausgaben. Die Oberamtssparkasse weist im Rechnungsjahr 1911 einen Kassenumsatz von 2 073 991,71 -11 mit 1 053 817,90 ^t Einnahmen und 1020143,81 .11 Ausgaben auf. Der Abschluß der Bezirkskrankenpflegeoersicherung pro 1912 lautet auf 8551,51 Einnahmen und 8545,37 -II Ausgaben. Unter den Einnahmen findet sich ein satzungsgemäßer Zuschuß der Oberamtspflege von 1720 ^1. Die Rechnungen wurden ordnungsgemäß geprüft und richtig befunden, so daß die Amtsversammlung den Rechnern Entlastung erteilen konnte. — Von der Stadtgemeinde Calw liegt ein Antrag vor, für die Projektbearbeitung einer Bahnlinie Herrenberg—Calw insgesamt 2000 °>l, für die Strecke Böblingen-Calw 200 zu bewilligen. 900 ^t sind für die erstere Strecke bereits früher aus dem amtskörperschaftlichen Eisenbahnbaufonds Calw zur Verfügung gestellt worden, so daß der neu zu gewährende Zuschuß 1100 ^t betragen würde. Der Bezirksrat will zu den bewilligten 900 .1t noch weitere 100 .1t genehmigen. Der Antrag Calws wird lebhaft diskutiert. Oekonom Dingler (Calw) beantragt, das Projekt Böblingen—Calw ganz fallen zu lasten; die Amtsver- sammlung soll die für das Böblinger Projekt geforderten 200 .« zu den für das Herrenberger angeforderten weiteren 100 ^t schlagen. Schultheiß Reiff (Ämmozheim) bittet, beide Anträge abzulehnen. Calw habe den ersten Nutzen, deshalb sollte Calw auch ein größeres Opfer bringen. Reg.- Rat Binder vermittelt, als die Debatte dahin zu führen droht, die Versammlung soll sich für Ausführung eines der fraglichen Projekte erklären, dahin, daß die Amtsversammlung sich nicht auf ein Projekt versteifen dürfe. Man habe für Herrenberg—Calw einen Beitrag gegeben, darum erfordere die Gerechtigkeit, auch für die andere Linie einen Beitrag zu leisten. Verwaltungsaktuar Stauden meyer stellt den Antrag: Die Amtsversammlung lehnt es ab, sich für das eine oder andere zur Rede stehende Projekt zu entscheiden. Dieser Gegenantrag zu dem Antrag Dingler wird durch die Ablehnung des Antrages Dingler gegenstandslos. Daraufhin nimmt die Amtsversammlung den Bezirksratsantrag an: für die Kosten des Projektes Hcrrenverg—Calw zu den bereits bewilligten 900 weitere 100 .1t, und zu den Kosten des Böblinger Projekts 200 ^1t zu leisten. — Ein im vorigen Jahre von Schultheiß Reiff im Bezirksrat eingegangener Antrag fordert, daß die Oberamtssparkasse den Zinsfuß der Einlagekapitalien von 311 auf 4 Prozent erhöht. Er hat als Ortssparpfleger von
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