Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
88. Jahrgang.
;?sHs«aungSw-if-- «mal wöchentlich. «n,-ig-nprei«: JmOber-mtS- «nlw für die einspaltige Borgtszetle 10 Pfg., außerhalb deAelben 12 Pfg-, AM«me" 2S Psg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon S.
Montag, den 7. April 1913.
Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.SS viertelfährlich, Post-
bezugSpreir für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.S0. Bestellgeld in Württemberg 30 Psg.. in Bayern und Reich 42 Pfg.
Amtliche Bekanntmachungen.
-
K. Oberamt Calw.
. Andie Ortsarmenbehörden!
Der Aufwand auf die in endgültiger Fürsorge eines Ortsarmenvervandes des Schwarzwaldkreises stehenden Geisteskranke«, Geistesschwachen, an Epilepsie oder ähnlichen Krankheiten leidenden Personen, sowie aus Taubstumme und Blinde wird vom Landarmenverband zu 3 Vierteilen ge- j agen.
Die Ortsarmenbehörden wollen dafür sorgen, dag die Ersatzansprüche für das Rechnungsjahr 1912 in Bälde bei der Landarmenbehörde angemeldet werden.
Der Ersatzanspruch geht verloren, wenn er nicht innerhalb der Frist von 9 Monaten nach Schlug des Rechnungsjahrs, in dem der Aufwand entstanden ist, geltend gemacht wird.
Im übrigen wird auf die im Calwer Wochenblatt von 1903 Nr. 63 erschienene Bekanntmachung der Landarmenbehörde vom 21. April 1903 hingewiesen.
Calw, den April 1913.
_ Regierungsrat Binder.
Parlamentarisches.
Aus dem Reichstag.
Berlin, 5. April. Nach dem gestrigen sitzungssreien Reichstag, der für eine siebrnsiiindtgc Budgerkommlssions- Sitzung reserviert war, verhandelte man heute, am Vortage vor der hochbedeutsamen Wehr- und Deckungsvorlage, den Etat des Reichstages. Als erster Redner betrat Abgeordneter Bassermann von den Nationalliberalen die Rednertribüne, um zwei von ihm und seinen Parteifreunden eingebrachte Anträge eingehend und mit ruhiger Sachlichkeit zu begründen. Der erste Antrag fordert eine Abänderung des Diätengesetzes dahin, daß den Abgeordneten freie Fahrt während der Dauer der Legislaturperiode gewährt werde. Bisher galt bekanntlich die freie Fahrt nur für die Dauer der Session. Ein zweiter Antrag des nationalliberalen Führers will durch einen Gesetzentwurf die Nachprüfung der Wahlen einer gerichtlichen Behörde überwiesen wissen. Wohl selten hatte der Abgeordnete Basiermann so sehr den Beifall des ganzen Hauses gefunden, als mit seinem ersten Anträge. Die Redner sämtlicher Parteien nach ihm in bunter Reihenfolge stimmten begreiflicherweise rückhaltlos diesem Vorschläge bei und es war von vornherein ohne weiteres klar, daß dieser Antrag einstimmig angenommen werde. Zwei konservative Abgeordnete stimmten gegen die dauernde Frei
fahrt erster Klasse. Bedeutend mehr Widerspruch fand der
zweite Antrag der Nationalliberalen trotz einer wohlerwogenen und streng wissenschaftlichen Befürwortung durch den Straßburger Strafrechtslehrer von Calker, der unter anderem darauf hinwies, daß die Entscheidung über die Gültigkeit einer Wahl im Plenum stets eine Machtentscheidung sei und da es sich bei solchen Nachprüfungen stets mehr oder minder um eine rein rechtliche Frage handele, so sei der Reichstag nicht immer die geeignete Instanz dazu. Beifall fand der Redner bei einem großen Teil der bürgerlichen Parteien mit seinem Vorschlag, einen Wahlprüfungssenat an dem zukünftigen Reichsvcrwaltungsgcricht einzurichten, der aus Richtern und Abgeordneten bestehen soll, bei dem aber die Richter gegenüber den Abgeordneten die Majorität haben. Besonders die Sozialdemokraten und das Zentrum ließen durch ihre Vertreter Stück len (Soz.), Fischer- Berlin (Soz.) und Dr. Spahn (Zentr.) erklären, daß sie mit der Uebertragung der Wahlprüfungen an einen Gerichtshof nicht einverstanden sein könnten, da dies der Preisgabe eines der wichtigsten Rechte des Reichstages gleichstche. Dr. Arendt von der Reichspartei machte dagegen den Vorschlag, alle formalen Beweiserhebungen durch einen Gerichtshof vornehmen und endgültig darüber entscheiden zu lassen. Schließlich aber folgte man nach einer langen und interessanten Aussprache über diese Angelegenheit einem Anträge des Vizepräsidenten des Reichstages Dr. Dove tF. Vp.), indem man beschloß, zur Vorprüfung der ganzen Angelegenheit sie an die Geschäftsordnungskommission zu verweisen. Hierauf beendete man den Etat des Reichstages, um sich dann mit der von der Budgetkommission vorbereiteten Frage der Veteranenbeihilfe zu befassen. Erzberger (Zentr.) berichtet aus den Kommissionsverhandlungen, daß die Regierung erklärt hätte, daß sie eine Erhöhung der Kriegsteilnehmerbeiträge nicht von dem Zustandekommen des Leuchtölgesetzes, wie anfangs geplant, abhängig machen würde. Gleich nach dem Berichterstatter erklärte der Reichsschatzsekretär Kühn, daß die Regierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen würde, einen bestimmten Termin aber infolge der schwebenden Verhandlungen noch nicht angeben könne. Nachdem sich noch die Abgeordneten Prinz Schönaich-Carolath (Natl.), Schöpflin (Soz.) und Baumann (Zentr.) an der Aussprache beteiligt hatten, vertagte sich das Haus auf Montag, um sich dann mit Energie den Wehr- und Deckungsvorlagen zu widmen. Die Sitzungen der einzelnen Fraktionen zu dieser hochwichtigen Frage haben in den letzten Tagen stattgefunden und man wird gespannt sein dürfen, welche Stellung die einzelnen Parteien insbesondere zu
der schwierigen Frage der Deckung der entstehenden Kosten
einnehmen werden.
Stadt, Bezirk «nd Nachbarschaft.
Calw, 7. April 1913.
— Von der Neuen Höheren Handelsschule. Am
letzten Samstag sind zwei weitere Schüler der Neuen Höheren Handelsschule von der K. Prüfungskommission für Einjährig-Freiwillige in Stuttgart geprüft worden, und auch diese beiden Kandidaten haben das Examen bestanden. Es sind somit von insgesamt 13 Kandidaten 12 durchgekommen.
Aus der Schule. Als der Lehrer den Anfängern die Biblische Geschichte von der Erschaffung der Welt und die Bedeutung des Lichtes erklärte, entwickelte sich zwischen ihm und einem ABC-Schützen folgendes Zwiegespräch: „Lehrer: „Wie war es im Anfang auf der Erde?" Schüler: „Finster." L.: „Wo ist es bei uns finster?" Sch.: „Im Keller." L.: „Was nimmt der Vater mit, wenn er in den Keller geht?" Sch.: „s'Krüegle!"
b. Unsere Schulrekrutcn. Von den Wünschen und Hoffnungen der Eltern begleitet, halten unsere Kleinen ihren Einzug in die Schulstube, die einen mit einem gewissen Bangen, die andern voll froher Erwartungen, je nach den Schilderungen, die ihnen im Elternhaus bisher von der Schule gegeben wurden. Für die Eltern beginnt nun eine Zeit neuer Sorgen. Manchem der Neulinge bekommt die Schule, so gern sie sie aufsuchen, doch nicht recht: Sie gehen körperlich zurück, die bleicher gewordenen Wangen erzählen von den neuen und ungewohnten Anstrengungen, für die die Kraft der kleinen Sechsjährigen denn doch nicht ausreicht. Die altem Herkommen gemäß schon für das erste Schuljahr geforderte Lese-, Rechen- und Schreibfertigkeit stellt an das sechs- bis siebenjährige Kind in der Tat oft recht unvermittelt unverhältnismäßig hohe Anforderungen, sodaß der Wunsch nach einem späteren Beginn des planmäßigen Unterrichts in diesen Fertigkeiten vollauf berechtigt erscheint. Zunächst können aber Elternhaus und Schule Zusammenwirken, um dem Kinde den Ueber- gang vom Spiel zur Strenge der Schularbeit zu erleichtern. Die Eltern suchen sich leicht in einem zwar verständlichen, aber doch nicht zu billigenden Ehrgeiz gegenseitig zu überbieten, indem sie die „Fortschritte", die gerade ihr Kind in dem oder jenem Punkte gemacht hat, rühmend hervorheben; sie geben so Anlaß, daß schließlich ein wahres Wettrennen nach Fortschritten
Feuilleton.
20) Im Sturm genommen!
Roman aus den Freiheitskriegen 1813—1814.
Von H. E. Jahn.
„Gott weeß es!" sagte der Meister sichtlich erfreut. „Es war ä kuter Kerl! Jche konnte ihn immer sehre leiden: aber die Frau, leider Eotts, niche! Er lachte ihr zu viele, und kein Mensch darf lachen, sie ist emale so, merschtenteels! Aber Bursche, wo haste den Hoya denne gesehn?"
„Nu, eben! Meister, auf dem Erimmaschen Steinweg, am Johanniskirchhof. Er ist preißischer Offizier und se Ham ihne in eine der Kapellen eingesperrt, die rechts an der Mauer sein."
„Hm, hm!" machte der Meister kopfschüttelnd. „Es sin schwere Kriegszeiten! Und im Kriege wird niemand geschont, wie es im Liede so sehre scheene heißt."
„Meister," sagte der Lehrjunge mit blitzenden Augen, „iche Ham schone mit dem Berliner gesprochen. Se Ham ihme, da alleweil die Kapelle zu klein war, nur mit einem russischen Offizier zesammengesperrt. Die Kapelle Ham hinten, nach der Neuen Johannisgasse zu, ein Mauerloch: und will ich ihme, akrat es dunkel ist, einen Hammer und ein Brecheisen dorchstecken, dadermit er den Kanaillen von Franzosen ausrücke. Jche und der Baule Weber, mir werden mit Kleidern hinter dem Boseschen Garten, da, wo die Wiese is, aus sie warten, dadermit sie siche umziehn können und die Unifom in den Garten schmeißen."
Mienchen klatschte freudig in die Hände und ries: „Brav, Orche! Ich werde dir Kleider vom Baba mitgeben und ein Paket mit Mundbrot. Komm, Oerche, aber sage der Mama nischt; sie würde nur wietig wer'n."
Georg schüttelte den struppigen Flachskopf, er kannte die Frau Meisterin zu genau, und beide eilten hastig aus dem Gemach. Meister Böhlke sah ihnen bedenklich nach und sagte warnend: „Oerche! Nimm dich in acht! Laß diche niche daderbei derwischen, nachens schießen diche die Franzosen tot! Oerche, du sterzt diche ins Verderben!" — —
Inzwischen saß Hans Hoya in der dunklen Kapelle aus dem Stroh. Der Raum war so klein, daß man nur noch einen der übrigen gefangenen Offiziere zu ihm in die modrige Zelle hatte sperren können. Es war ein russischer Husarenleutnant, Iwan Iwanowitsch Ljeß mit Namen. Lange schon war das Zwielicht gekommen, aber draußen schmetterten noch immer die Hörner der vorübermarschierenden Regimenter. und das holprige Straßenpflaster dröhnte unter dem Taktschritt. Das kleine, vergitterte Luftloch in der Tür jedoch gestattete nur einen Blick auf den Iohannisfriedhof, wo die zerlumpten österreichischen Gefangenen frierend zwischen den verwüsteten Gräbern kauerten. Da tönte plötzlich an der Rückwand der Kapelle ein leises Klopfen. Hans horchte und glitt rasch an die Mauer. Ein Stein fiel oben aus einer Fuge, und jetzt hörte er ganz deutlich seinen Namen wispern. Vor Freude erbebend, raunte er: „We ist da?"
„Jche, der Oerche, der Lehrbube des Meisters Böhlke!" klang dieselbe Flüstcrstimme und entwickelte die Einzelheiten
des Fluchtplanes im einschmeichelndsten sächsischen Dialekt. Hans lauschte gespannt und sagte endlich tief bewegt: „Georg, du bist ein braver und kluger Junge; ich werde dir deinen Freundschaftsdienst nicht vergessen!"
„Mir Sachsen, mir sein Helle!" lachte der Lehrling vergnügt. „Mit dem Zeuge warten mir bei Böses Garten. Jche lobe mir pardu solche Abendeuer, iche finde sie sehre scheene! Weeßkneppchen!"
Ein leises Rascheln zeigte dem jungen Krieger an, daß sich sein kleiner Freund entfernt hatte, um alle notwendigen Gegenstände für seine Befreiung herbeizuschaffen.
„Haben Sie gesprecht?" fragte der Russe gespannt.
„Mit einem jungen Freund, der uns Helsen will." Und Hans erzählte dem aufmerksam Lauschenden alles.
„kos ivelikij! Ich verstehen! Ich kommen mit, mein Wohltäter. Du fein moi lud jösnvi pri jat je>! Meine liebe Freund!" Und Iwan Iwanowitsch küßte stürmisch Hans auf beide Backen.
Eine halbe Stunde mochte vergangen sein. Die Nacht war währenddessen noch finsterer geworden, da schob sich vorsichtig eine kleine Hand durch die Oeffnung der Rückwand der Kapelle und ein Hammer und ein Brecheisen wurde den Gefangenen hineingereicht. Es flüsterte: „Mir warten bei Böses Garten!" und dann wieder Stille. Die schweren Tritte einer Patrouille stampften vorüber. Hatte sie den Knaben bemerkt? Hans und sein russischer Freund horchten mit angehaltenem Atem voll Besorgnis. Es war ihnen, als klänge das Klopsen ihres Herzens laut durch die bange Stille. Doch