WWi»

6i.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

88. Jahrgang.

heiAUNgSweise: Smal wöchentlich. Anzeigenpreis : Im Oberamls- KStzlÄt Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg., KsLsmen 25 Pfg. Schluß für Jnserarannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Freitag, den 14. März 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post» KezugSpreiS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg.. in Bayern und Reich 42 Pfg.

Amtliche Bekanntmachungen

Bekanntmachung

an die Ortspolizeibehörden, betr. das Verfahren mit tuberkulösen Rindern.

Die Ortspolizeibehörden werden auf die Bestim­mungen der ZK 333 ff. über das Verfahren mit Rin­dern, bei denen das Vorhandensein der Tuberkulose festgestellt oder in hohem Grade wahrscheinlich ist und die weiteren Bestimmungen in §8 342 ff. über das Ver­fahren bei einfachem Tuberkuloseverdacht Min.-Verfg. vom 1l. Juli 1912 Reg.Bl. S. 293, betr. Ausführungs­vorschriften zum Viehseuchengesetz mit dem Auftrag hingewiesen, für die Verbreitung der Kenntnis dieser Vorschriften Sorge zu tragen, wonach insbesondere die Unterbringung kranker Tiere an einem anderen Stand­platz oder in eine andere Gemeinde verboten ist.

Den Fleischbeschauern ist Gelegenheit zu geben, sich mit der genannten Ministerial-Verfügung, soweit diese die Fleischbeschauer betrifft, bekannt zu machen.

Calw, den 11. März 1913.

K. Oberamt.

Amtmann Rippmann.

Die Schultheißenämter

werden unter Hinweis aus die Bestimmung des Z 45 der Min.-Verfügung vom 11. Juli 1912. Reg.Bl. S. 293, betr. Ausführungsvorschriften zum Viehseucheugesetz, veranlaßt, die Hundebesitzer anläßlich des Einzugs der Hundesteuer, eventuell durch Vermerk auf dem Steuer­zettel, darauf aufmerksam zu machen, daß frei umher­laufende Hunde mit Halsbändern versehen sein müssen, die Namen und Wohnort des Besitzers des Hundes er­sehen lassen.

Calw, den 12. März 1913.

K. Oberamt.

Amtmann R i p p m a n n.

Die Lehren des Balkankrieges.

k. Der Vortrag, den Herr Feldhaus kürzlich über obiges Thema hielt, verdient schon wegen seines ak­tuellen Inhalts und als warmherziges Zeugnis für den Frieden in großen Zügen skizziert zu werden: Den Friedensfreunden wird der Vorwurf gemacht, sie seien unfähig, Kriege zu verhindern und sollen deshalb schweigen. Freilich hätten sie leider keine Macht, in

begonnene Kriege einzugreifen, aber ihre Aufgabe sei es mehr denn je, durch Umwandlung des öffentlichen Gewissens den Zustand zwischen den Nationen herbeizuführen, der innerhalb derselben schon be­steht: Gesetz und Recht an Stelle von Gewalt. Das Jahr 1912 sei ein Kriegsjahr gewesen, wie wenige, dennoch sei, so widerspruchsvoll es auch klinge, der Friedensgedanke im Wachsen begriffen. Nach dem ital.- türk. Krieg kam der Balkankrieg. Beide Kriege hielten ganz Europa in Spannung, weil es geradezu als Axiom aller Politik gelte, daß die Aufrollung des Balkan­problems den Zusammenstoß der daran interessierten Mächte und damit, bei der Bündnisverknüpfung der­selben, den Weltbrand zur Folge haben werde. Erfreu­licherweise sei durch die beginnende (leider nur teil­weise) Demobilisierung die Spannung zwischen Oester­reich und Rußland gewichen. Auch zwischen Deutsch­land und England sei das Verhältnis sehr gut. Redner kommt in diesem Zusammenhang auf die Flotten- rüstiingsformel 10 :16 zu sprechen und würde sie als diskutable Basis der Verständigung begrüßen. Natür­lich sei der ewige Friede damit noch nicht gesichert, aber der Beweis sei erbracht, daß ngch mehr Fragen, als bisher angenommen wurde, ohne bewaffnete Ent­scheidung gelöst werden können, ferner daß keine Groß­macht den Krieg wirklich will,' aber andererseits der Beweis für das vollständige Versagen aller Bestrebun­gen der Humanisierung des Krieges. Hier schilderte der Redner die aller Kultur und allem Völkerrecht Hohn sprechenden Greuel an der Hand authentischen Materials. Auch die Verlogenheit und Heuchelei der europäischen Diplomatie sei durch den Balkankrieg ins rechte Licht gerückt worden im Verhalten gegen die Türken beim Beginn des Krieges und in der Frage des 8tgtu8 quo. Halbbarbarische Völker kämpfen mit ganz zivilisierten Waffen gegeneinander mit dem Er­gebnis der krassesten Negation aller Zivilisation. Keine Macht der Welt habe sich geregt. Und wie stehe es mit den Verwundeten? Ihre Zahl sei viel größer, als die Kriegführenden wahr haben wollten. Dabei fehle es an allem, an Aerzten, Pflegern, Verbandzeug, Chlo­roform usw. Ein dunkles Blatt dieses Krieges sei auch der religiöse Chauvinismus: Kreuz gegen Halb­mond. Wahre Christen müßten sich solcher Kreuzes­träger schämen, die tierischer noch als das Tier mit den Gegnern umgehen. Ob man hier noch mit Moltke von dem Krieg als einemElement der göttlichen

Weltordnung sprechen wolle? Ob beim Kampf der Maschinengewehre,, beim elektrisierten Stacheldraht und bei den aus Luftkreuzern geschleuderten Wurfgeschossen noch von derEntfaltung edelster Tugenden" die Rede sein könne? Ob nicht vielmehr General Kretschmann in den Kriegsbriefen an seine Frau Recht habe, wenn er schreibt:Die Opfer, welche die Schlachtfelder kosten, sind doch bei weitem der geringste Teil des Hebels, welches der Krieg anrichtet. Nicht der ruinierte Wohl­stand nicht die verbrannten Häuser sind es, es ist die bis ins tiefste verderbte Moral. Wann werden wir dieses Uebel überwunden haben?" Redner schildert die nicht auszudenkenden Folgen eines Weltkrieges zwi­schen Millionenheeren. Und das Resultat? Einegroße Täuschung", wie der Engländer Norman Angell in sei­nem berühmten Buche, das diesen Titel trägt, über­zeugend nachweist. Kein Volk gewinnt, weder Sieger noch Besiegte. Der Einsatz des Kampfes ist die Kultur. Rüstungen erzeugen Eegenrüstungen und damit neue Keime des Mißtrauens und der Unsicherheit, neue Schä­digungen von Handel und Industrie. Nach Aufzählung aller der ungeahnten Erfolge, die die Friedensbewe­gung in den letzten 20 Jahren trotz großer Schwierig­keiten gehabt habe, und von denen das Wachsen des Schiedsgerichtsgedankens besonders wertvoll sei, schloß der Redner mit einem warmen Appell an alle vernünftig Denkenden, an alle Christen, der Sache der Friedens­bewegung zu dienen, damit die Zeit der Kriege einmal aufhöre und eine Zeit wirklicher Kultur anbreche, in der das Wort der unermüdlichen Vorkümpferin, Berta von Suttner, zur Wahrheit geworden sei: Die Waffen nieder!

Stadt» Bezirk und Nachbarschaft.

Calw. 14. Mürz 1913.

Vom Rathaus.

Oefsentliche Sitzung des Eemeinderats unter dem Vorsitz von Stadtschultheiß Conz am Donnerstag, den l3. März, von nachmittags 5 Uhr ab. Anwesend sind 12 Gemeinderäte. Die Beratung wird zunächst ge­heim geführt über die Frage der Vergebung der elek­trischen Installation im neuen Bezirkskrankenhaus. Dann beschließt der Eemeinderat, Schreinermstr. Schaible die Aufstellung von Schrannen auf dem Wochen­markt zu übertragen, auf denen die Verkäufer künftig ihre Waren feilzubieten haben. Herr Schaible erhält die Befugnis, für jeden aufgestellten Korb vom Besitzer

4 ) 3m Sturm genommen!

Roman aus den Freiheitskriegen 18131814.

Von H. E. Jahn.

Rentier Lange hatte sich ganz in seine Wohnung zurück­gezogen, die er nur selten zu kleinen Spaziergängen verließ. Die Worte Monsieur Soulards saßen noch zu frisch in seiner Erinnerung und er hielt die Begeisterung, die alle Herzen durchloderte, nur für ein Strohfeuer, das bald niederge­brannt sein würde. Er gehörte zu den Kleinmütigen, die jedes Aufbäumen gegen den furchtbaren Dämon Napoleon als aussichtslos hielten,konnte es doch nur die völlige Ver­nichtung Preußens und neue Kriegskosten bringen. Jeden Abend kam der Schlächtermeister Fischer auf kurze Zeit zum Besuch, und dann klagten sich die beiden Seelen ihr Leid und malten sich die Zukunft Preußens in den schwärzesten Farben aus. Ab und zu begleitete den Schlächtermeister noch der Supernummerarius Brümmer, ein kahlköpfiges Männchen, mit dünnem, grauen Spitzbart, das sehr schwer­hörig war. Am Abend des 11. März stellte sich Fischer wie­der ein. Er pustete und begann:Ick sage jahr nischt, aberst war des een Klamauk un een Klimmbimm! Am Kcenigstor stand der Prinz Heinrich, der Bruda unsers Keenigs, der Gouverneur der Marken, de Sieger von Preußisch-Eylau, Jeneral von L'Estocq und viele Offizierers un Herrns von's Rathaus, daß eenem ordentlich blau, rot, schwarz und jrin vor Oogen wurde. Am 11 >4 kamen die Russen von Fried­richsfelde her, worauf Kosaken, dann Dreijuners un Husa-

rens, dann zehn Bateljone Infanterie un dann 48 Kanonen. Uf'n Schloßplatz hielt der Jeneral Wittgenstein un ließ seine Schlakedaten an sich vorieberlatschen, un von oben aus'm Schloß kieckten de Prinzen un de Freileins sich de Schoose mit an. De Berliner waren reen aus die Pelle. De kleenen Mächens wehten mit weiße Tücha aus die Fensta un schmis­sen den Russen mit Blumen uf de Küppe. Un jebrüllt hat alles, det mir de Ohren noch janz taub sind:Vieh-satt" unHurrah". Heute abend is jroße Erleuchtung von die Stadt, wat sie 'ne Jolliviehkation nennen. Ick mechte ihr mir ansehen, aberst Mutta hat heute morjen schon jekollert, det ick ihr ins Jeschäft bei die unruhjen Zeiten alleene lassen duhe. Sie un det Mächen, die Lotte, sind ja alleene, seitdem de Stromer Fritze zu's Militär durchgebrannt is. Hören Se, lieber Nachbar, ick Ham ooch Nachricht von dem Bengel, er hat sich bei die Kolbergers jemeldet. Ooch von Hans Hoya ließ er scheen jrüßen, der bei de Frewilljen Jägers bei die Brandenburger Dreijuners, Nummer zwee, stehe. Na, wat sagen Se dazu? Ick sage jar nix!"

Endlich am 17. März zogen auch die preußischen Trup­pen unter Porck in die befreite Hauptstadt ein, die dank des Mutes und der Vaterlandsliebe dieser Krieger keinen Feind mehr in ihren Mauern sehen sollte. An diesem Abend erschienen Fischer und Brümmer gemeinsam bei Lange und berichteten, was sie gesehen und gehört hatten. Da Brüm­mer, wie gesagt, schwerhörig war, überschrie er den biedern Schlächtermeister und behielt zuletzt richtig allein das Wort.

Am Königstore hatten sich Prinz Heinrich, General Wittgenstein und viele preußische und russische Offiziere auf­gestellt, auch preußische Freiwillige Jäger waren dabei. Die

Bataillone präsentierten vor dem Prinzen, dann geschah mit klingendem Spiel der Einmarsch über den Alexanderplatz durch die Königsstraße. Am Fuße der Bildsäule des Großen Kurfürsten stand die Musikkapelle der Berliner Vürgergarde; und sobald ein Regiment über die lange Brücke kam, schmet­terte ihm ein jubelnder Tusch entgegen. Am Schlotzplatz wurde vor dem Prinzen, dem General Porck und den anderen Generälen vorbeimarschiert, vom Balkon sahen die anwesen­den Prinzen und die Fräulein Prinzessinnen dem bunten Schauspiele zu. Heute abend ist wieder große Illumination der Stadt und eine Eala-Festvorstellung im Theater.

Ich frage Sie, meine lieben Freunde, was soll, was muß daraus werden, sitzen wir nicht wie Belsazar an der Tafel der Freuden und sehen nicht das drohende, feurigeMene mene tekel Upharsin"? Sehet nach Westen, wo der finstere Höllenfürst seine gewaltigen Rüstungen treibt und bereit ist, neue Hekatomben von Menschenleben dem Tode zu schlach­ten! Dunkel ist die Zukunft, die ich sehe, und ich höre nichts in ihr als Weinen und das Geklirr der Ketten!"

Ein besonders schwarzer Tag war für diese drei zittern­den Hasenherzen der 23. März, an dem dieVossische Zei­tung" des Königs Aufruf:An mein Volk",An mein Kriegsheer", die Verordnung in Betreff der Landwehr und die Kriegserklärung an Frankreich brachte, ausgefertigt vom 17. zu Beslau. Der zuerst benannte Aufruf begann mit den Worten:Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litauer! Ihr wißt, was Ihr seit sieben Jahren erduldet habt: Ihr wißt, was Euer trauriges Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden!"

(Fortsetzung folgt.)