^ 57. ArnLs- und Anzeigeblalt für den Oberamtsbezirk Calw. 88. Jahrgang.
Sinai wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts- <?Llw für die einspaltige Vorgiszeile 10 Pfg., außerhalb derselben 12 Pfg., lbezkarnen 25 Pfg. Schluß für Jnferatannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.
Montag» den 10. März 1913.
Bezugspreis: In der Stadt mit Lrägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich. Postbezugspreis für den Orts- und Rachbarortsverkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg.» in Bayern und Reich 42 Pfg
Parlamentarisches.
Aus dem Reichstag.
Berlin, 8. März. Präsident Dr. Kämpf gab Kenntnis! von einem Beileidstelegramm der portugiesischen Deputiertenkammer, in dem die herzlichste Anteilnahme an dem Marineunglück ausgesprochen ist. Darauf folgt die dritte Lesung des Notetats, der nach belangloser Debatte angenommen wird. Es folgt der Etat für Ostafrika. Das Gehalt des Gouverneurs wird ohne Debatte bewilligt. Dr. Paas che (Natl.): Die Sozialdemokraten wollen unsere Baumwoll- kultur aufgeben, weil die amerikanische Produktion immer weiter zunimmt. Das wäre völlig verfehlt. Ostafrika ist noch lange nicht erschlossen, so daß man unmöglich übersehen kann, was aus dem Lande herauszuholen ist. — Beim Titel „Bekämpfung epidemischer Krankheiten 310 000 -K" beantragt derselbe Abgeordnete die Erhöhung dieses Titels. Durch die außerordentlich hohe Zahl von Geschlechtskranken ist in den Kolonien die Kinderzahl sehr gering. Dagegen müssen die umfangreichsten Maßnahmen getroffen werden. Staatssekretär Dr. Solf: Die Lues kommt nur vereinzelt vor. Die Trunksucht ist nicht von den Deutschen eingeschleppt worden. Die Neger berauschen sich nicht an Alkohol, sondern an heimischen Getränken. Dort können wir nur Mäßigung anempfehlen; Verbote nützen wenig. — Der Etat wird bewilligt. — Es folgt der Etat für Kamerun. Braband (F. Vpt.): Neu-Kamerun wird jetzt wesentlich günstiger beurteilt als zuerst. Auch hier sind Bahnbauten und eine Regulierung der Flüsse notwendig. Mit Stolz wird stets der Name Dominik und der des früheren Gouverneurs Puttkammer zu nennen sein. Unseren deutschen Brüdern, die dort ihr Leben gelassen haben, können wir nicht besser danken, als durch die Förderung des Werkes, für das sie ihr Leben einsetzten. Erzberger (Ztr.): Für Kamerun ist die Bekämpfung des Alkohols besonders wichtig. Die Gesellschaft Süd-Kamerun ist die, mit der wir immer noch am besten gefahren sind. Daß Herr Dr. Semler der Leiter dieser Gesellschaft ist, war uns längst bekannt. Es wird immer verlangt, daß Männer der Praxis dem Reichstag angehören. Da kann man Dr. Semler doch keinen Vorwurf machen, sonst dürften die Gewerkschaftsangestellten ja auch nicht hier sein. Die Angriffe waren deplaziert. Nach Reden der Sozialdemokraten Weil! und Ledebour, die dem nationalliberalen Abgeordneten Semler Vorwürfe darüber machen, daß er Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft Süd-Kamerun ist und die Linie der Süd-Kameruner Bahn im Interesse der Gesellschaft geführt werde, wird der Etat darauf genehmigt; ohne Debatte derjenige für Togo. — Es folgt der Etat für Süd w est a f r i k a. Hierzu liegt eine Resolution der Kommission vor auf anderweitige Aufstellung des Etats, hinsichtlich der Landesgrenzen und der Schutztruppen sowie auf Rückbeförderung der nach Kamerun verbannten Hottentotten. Eine weitere Resolution verlangt Verringerung der Schutztruppen. Qucssel (Soz.): Die Beurteilung der Kolonien aus die Diamantenfunde zu gründen, wäre verfehlt. Wir verlangen, daß die Grenzen Deutschlands für südafrikanisches Fleisch geöffnet werden. Die Urteile sind viel zu hart und beruhen auf Rassenhaß. Auch der Gouverneur Dr. Seitz ist nicht freizusprechen. Er hat in einem Fall ein Urteil gegen einen Kinderschänder kassiert und das Todesurteil gegen den Verbrecher gefällt. Gouverneur Dr. Seitz: Der Fall liegt so, daß ich das erste Urteil kassieren mußte und daß sich bei der zweiten Gerichtsverhandlung erschwerende Umstände zeigten, so daß der Mann zum Tode verurteilt wurde. Ich habe aber dieses Urteil in 10 Jahre Gefängnis umgewandelt. Hoch (Soz.): Hinsichtlich der Diamantenfrage gebe ich zu, daß die Versprechungen vom Kolonialamt größtenteils erfüllt worden sind. Mit einem Schutzzoll, von dem 5 Proz. den Arbeitern vergütet werden sollen, ist den Arbeitern nicht gedient, sondern nur einigen Kapitalisten. Nach weiteren Bemerkungen des Abg. Ques- sel (Soz.) wird das Gehalt des Gouverneurs bewilligt. Die Resolution auf Verminderung der Schutztruppe wird abgelehnt, die übrigen Resolutionen werden angenommen. — Der Rest des Etats wird bewilligt. — Bei dem Etat für Neu-Guinea wird eine Resolution der Kommission
Verbot der Jagd auf Paradiesvögel einstimmig an- ^
genommen und der Etat bewilligt. — Ohne Debatte passiert der Etat für Samoa. — Es folgt der Etat für Kiautschou, der en bloc angenommen wird, ebenso der ! Etat der Schutzgebietsschuld und das Etatsgesetz. — Darauf vertagt sich das Haus. — Präsident Dr. Kämpf: Bevor ich die heutige Sitzung schließe, fühle ich mich gezwungen, den Gedenktagen, die demnächst begangen werden, ein, Wort zu widmen. Die Erinnerung an jene glorreiche Zeit vor 100 Jahren gilt der Gesetzgebung von Stein und Hardenberg unter Friedrich Wilhelm III., die das Volk begeistert und zu großen Leistung befähigt hat, gilt der allgemeinen Wehrpflicht auf Grund des Scharnhorstschen Gedankens des Volksheeres, gilt den begeisterten Aufrufen „An mein Volk" und „An mein Kriegsheer", gilt der Opferfreudigkeit und dem Opfermut, den in jener Zeit alt und jung, arm und Reich betätigt hat, gilt dem ersten Aufflammen des deutschen Gedankens. (Bravo!) War von diesem ersten Aufflammen des deutschen Gedankens bis zur Errichtung des Deutschen Reiches der Weg hart und dornenvoll, so steht doch nunmehr das eine fest, daß wir alle nunmehr endgültig unter dem sthwarz-weiß-roten Banner leben, das uns beschützt. (Bravo!) Meine Herren! Angesichts dieser Tatsache feiert das Deutsche Reich zusammen mit dem preußischen Volk und dessen König freudig die Gedenktage an den Beginn der Staatserneuerung, an den ersten Völrerfrieden in Deutschland. (Die Mitglieder der bürgerlichen Parteien hatten sich von den Sitzen erhoben.) Meine Herren! Indem ich Ihnen allen ein'frohes Osterfest wünsche, schließe ich die Sitzung. (Allseitiges Bravo!) — Nächste Sitzung: 2. April, nachmittags 2 Uhr. Tagesordnung: Antrag der Freisinnigen betreffend die Einschränkung der Fideikommisse, Petitionen. — Schluß 7^ Uhr.
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft
Calw, 10. März 1913.
Ein ruchloses Verbrechen.
Noch in später Nachtstunde durcheilte unsere Stadt die Kunde von einer entsetzlichen Tat, die sich vor dem Bahnwarthaus bei Althengstett an der Straße Calw—Althengstett zugetragen hat. Kurz, nachdem der Nachteilzug von Stuttgart her die Schranke bei dem Bahnübergang vor Althengstett passiert hatte und der dort bedienstete Bahnwärter Löffler, ein Mann in älteren Jahren, sich in sein Bahnwarthans zurückbegrben wollte, sprang aus dem Hinterhalt ein junger Bursche aus Löffler zu und versetzte ihm mit einem Gegenstand einen wuchtigen Schlag auf den Hinterkopf, daß Löffler bewußtlos aus den Schienen zusammenürach. Der Täter begab sich daraus ins Bahnwarthans, wo er die Frau des Löffler schlafend im Bette fand. Die Frau fuchte er zu erwürgen. Todesangst verlieh der alten Frau Riesenkraft, so daß sie sich von dem Eindringling losmachen konnte. Sie lies in der kalten Nacht, nur ganz leicht bekleidet, hilferusend nach Althengstett, wo sie die Bewohner alarmierte. Von Althengstett aus wurde sosort telephonische Nachricht nach Calw gegeben, von wo sich alsbald Stationslommandant Sautter mit einem Landjäger nach dem Unglücksort begab. Der schwerverletzte Mann wurde im Auto des Handelsschuldirektors Weber in das Calwer Krankenhaus Lbergeführt, wo er bewußtlos darniederliegt. — Der mutmaßliche Täter konnte noch in der Nacht verhaftet werden. Am Tatort fand sich ein Hut, der aus die Spur führte. Darnach kam,als Täter in Betracht der 23 Jahre alte Weiß von Althengstett, der zwar die Tat nicht eingestand, obschon frische Blutspuren an seinem Gewand zu finden waren. — Von anderer Seite schreibt man uns: Althengstett, 10. Mürz. Am gestrigen Sonntag kurz vor 11 Uhr nachts, als der Zug nach Calw beim Bahnübergang auf der Staatsstraße Althengstett— Calw, von Althengstett 10 Minuten entfernt, den Bahnwartposten passiert hatte, wurde der 08-jährige Bahnwart Christian Löfsler von einem Unbekannten mit einem Prügel auf den Kopf geschlagen, daß er bewußtlos zufammenbrach. Der Täter begab sich sodann in das Bahnwarthans und machte dort bei der im Bett schlafenden betagten Ehefrau des Löffler-den Versuch, sie zu erwürgen. Dir Frau entkam ihm und sprang hilferusend dem Orte zu. Dies mag den Verbrecher veranlaßt haben, die Flucht durch das Fenster zu ergreifen. Die sofort angestellte Untersuchung ergab, daß
der Verbrecher in der Eile seinen Hut mit eingestempeltem Namen znrückließ, was auch sofort zur Verhaftung eines hiesigen Bürgersohnes führte. Er leugnet zunächst die Tat. Obgleich er der Sohn einer ehrbaren Bürgerssamilie ist und ihm diese Tat niemand zugetraut hätte, lassen die Verdachts- gvünde fast keinen Zweifel darüber, daß nur er der Täter sein kann. Der Uebersallene wird lebhast bedauert, er ist ein pflichtbewußter, tüchtiger Bahnwärter und schwebt in Lebensgefahr. Das Gericht wird hoffentlich bei einem solchen ruchlosen Mordbuben mit dem Strafmaß nicht kargen!
8cb- Mutmaßliches Wetter. Für Dienstag und Mittwoch ist vorwiegend trockenes, wenn auch noch wechselnd bewölktes Wetter zu erwarten.
Für die Nationalspende zum Kaiserjubiläum für die christlichen Missionen in den deutschen Kolonien hat Baron v. Schroeder (Hamburg-London) 100 000 -K gespendet. Auch in Württemberg hat sich dieser Tage ein evangelisches Landeskomitee für die Nationalspende gebildet, dem bereits eine Gabe von 5000 aus ungenannter Hand zu geflossen ist. Wie wir hören, sind auch in unserem Bezirk Vorbereitungen zur Bildung eines Komitees und zur Errichtung von Sammelstellen für die Spende im Gang.
Das Regierungsjubiliium des Kaisers. In einer Reihe von wiirttembergischen Städten sind für den 15. Juni, den Tag der vor 25 Jahren erfolgten Thronbesteigung Kaiser Wilhelms, größere Feiern vorgesehen. Wie nun jetzt bekannt wird, hat der Kaiser in bezug auf die Feier seines Regierungsjubiläums gewünscht, daß am Sonntag, den 15. Juni, dem Todestage Kaiser Friedrichs, von jeder öffentlichen Feier abgesehen werden möge: nur bei den Gottesdiensten soll im allgemeinen Kirchengebet der Bedeutung des Tages durch eine Fürbitte für den Kaiser gedacht werden. Insoweit von einzelnen Behörden, Gemeinden und Vereinen besondere Feiern geplant sind, sollen diese tunlichst am 16. Juni (Montag) gehalten werden. An diesem Tage werden auch die Schulfeiern stattfinden.
Wildbad, 8. März. Die schon längst als ein Bedürfnis empfundenen Ruheräume im großen Badgebäude werden zurzeit von der K. Badverwaltung mittels eines Umbaues im K. Badhotel eingerichtet. Die Bauarbeiten schreiten jo rasch vorwärts, daß ihre Fertigstellung bis zu Beginn der Badezeit in Aussicht genommen werden.
Wildberg, 8. März. Gestern nachmittag wurde die Feuerwehr alarmiert, weil spielende Buben ein Feuerle gemacht und einen Waldbrand entfacht hatten, der aber bald wieder gelöscht werden konnte.
Schwann (O.-A. Neuenbürg), 8. Mürz. Der von hier gebürtige ledige Goldschmied Friedrich Wildemann wollte die Rheinische Kreditbank in Pforzheim um 200 betrügen, indem er eine gefälschte Quittung mit dem Namen seines früheren Prinzipals zum Einkassieren hinschickte, und zwar durch den 18 Jahre alten Hilfsarbeiter Hermann Brenner von Pforzheim. Aber der Schwindel wurde entdeckt und Wildemann verhaftet. Sein Helfershelfer brannte durch.
Württemberg.
Stuttgart, 9. Mürz. Auf dem Hauptbahnhof wurden gestern abend gegen 8 Uhr dem Bahnhofsaufseher Josef Weiß von einer Rangierabteilung beide Unterschenkel abgefahren. Er wurde ins Katharinenhospital gebracht, wo er infolge des Blutverlustes fast hoffnungslos darniederliegt.
Stuttgart, 9. März. Großes Aufsehen erregt hier der Zusammenbruch der Bankfirma August Fritsch, eines alten, angesehenen Stuttgarter Hauses. Der Inhaber hat Selbstmord verübt. Bankier Fritsch war erst vor 11 Tagen anläßlich der Geburtstagsfeier des Königs durch Verleihung des Hosratstitels ausgezeichnet worden. Fritsch war ehrenamtlich Kassierer verschiedener Wohltätigkeitsvereine. Dir Ueberschuldung soll etwa 1 Million Mark betragen.
Stuttgart, 8. März. Auf Veranlassung der südwestdeutschen Konferenz für Innere Mission wird unter der Leitung von Professor D. n. Wurster (Tübingen) vom 23. bis 25. April ein Ferienkurs in Stuttgart abgehalten werden. Die Gegenstände sind teils der Naturwissenschaft, teils der Religionsgeschichte entnommen. Namhafte Gelehrte haben zugesagt, u. a. der ncucrnannte Vorstand des Predigerfemi-