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47. Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw. 88. Jahrgang.

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Mittwoch, den 26. Februar 1913

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post« bezugSpreiS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg-, in Bayern und Reich 4L Pfg.

Marinebegeisterung im Jahre 1848.

Im soeben erschienenen Märzheft desTürmers" versucht Dr. Thilo Schnurre aus den 10 000 Petitionen, die im Jahre 1818 bei der Nationalversammlung in Frankfurt einliefen, ein Bild derVolksstimmung und Volkswünsche" der da­maligen Zeit zu geben. Es ist bunt genug; in leuchtender Farbe steckt darin eine starke Marinebegeisterung.Der Lieblingswunsch der Nation war die Gründung einer deut­schen Kriegsflotte. Deutschland besaß schon damals nächst England und Nordamerika die bei weitem meisten und größ­ten Handelsschiffe. War es nicht eine Schmach, daß diese vor der Blockade eines winzigen Staates wie Dänemark in neutrale Häfen flüchten mußten? Am ärgsten empfunden wurde dies von den Deutschen im Ausland und von den Küstenstädten. Aber auch aus dem Süden des Vaterlands schallten mahnende Stimmen. Paul Pfizer, der nationale Apostel der Deutschen, hatte bereits im Jahre 1812 geklagt, daß Deutschland in einer Zeit, wo sich der Orient öffnet und eine neue Weltepoche den durch europäischen Einfluß noch nicht umgestalteten Erdteilen anzubrechen scheint, träumend zusieht, wie England, Frankreich, Rußland ihren Schritt be­eilen, um sich jener ganzen Zukunft zu bemächtigen. Bei dem von der Nationalversammlung niedergesetzten Marine­ausschuß liefen zahlreiche Denkschriften ein, die sich mit der Schaffung einer deutschen Flotte befaßten. Kiel, Danzig, Glückstadt, Wismar und Emden setzten ihre Vorzüge ins hellste Licht, um einen Kriegshafen zu bekommen. Aus Schleswig-Holstein ging dem Parlament ein gedruckter Pro­spekt eines Kanals zwischen Nord- und Ostsee zu. Ein Ober­appellationsrat aus Kassel beantragte den Bau einer Schiffs­eisenbahn von Flensburg nach Husum. Mehrere Eingaben beschrieben den Bau voneigentümlichen, unabwehrbaren Zerstörungsschiffen", und ein Gutsbesitzer aus Pommern zeigte sogar eine Erfindung an, welche die Kriegs­schiffe entbehrlich machen sollte. Lobenswert war die Petition der schleswig-holsteinischen Vereine gegen das Branntweintrinken, die um Fernhaltung des Alkohols von der deutschen Flotte boten. Die Frage, aus die alles ankam, war die Beschaffung der nötigen Geldmittel. Die National­versammlung hatte 6 Millionen Taler für die Kriegsflotte bewilligt, aber nicht einmal zwei davon wurden von den zum Teil widerspenstigen Einzelstaaten bezahlt. Von der linken Seite des Parlaments liefen Anträge ein, die den deutschen Klerus und die Fürsten zu freiwilligen Beiträgen aufforderten. Der Abgeordnete Vogt aus Gießen, der ge­wandteste Redner der Linken, der sonst an den Fürsten kein gutes Haar ließ, verlangte nun auf einmal:Die National­

versammlung möge beschließen, im Vertrauen auf den Patriotismus der deutschen Fürsten dieselben zu ersuchen, die Hälfte der ihnen auf ein Jahr bewilligten Zivillisten und Apanagen auf den Altar des Vaterlandes niederzu­legen." Von seiten der Flottenvereine, die sich zahlreich, vor allem in den Küstenstädten, bildeten, wurden Sammlungen im Volk eingeleitet. Ausfallen muß es, daß hierbei gerade die wohlhabenden Stände am wenigsten spendeten. Der Wittenberger Professor, der der Nationalversammlung 100 Exemplare seines GedichtesPetri Befreiung aus dem Ker­ker" zum Besten der deutschen Kriegsmarine verehrte, glaubte Wunder, was er dem Vaterland damit für einen Dienst leistete. Der Magistrat von Arnsberg dachte zwar prak­tischer, als er zehn zum Schiffsbau geeignete Eichstämme als Geschenk für die Kriegsmarine anbot, aber viel war es gerade auch nicht. Die Zurückhaltung der oberen Zehn­tausend in dieser nationalen Sache war treffend charakteri­siert in den Fliegenden Blättern:Zum Bau der deutschen Flotte wurde von einem reichen Bankier ein Eichwald ver­ehrt; mit den Vorarbeiten zum Einsäen soll bereits begon­nen werden" stand unter einem entsprechenden Bild. Am größten war die Opferwilligkeit in den mittleren und unte­ren Städten. Die süd- und mitteldeutschen Liederkränze, die in den zwanziger und dreißiger Jahren die Hauptträger des nationalen Lebens gewesen waren, überboten sich gegen­seitig in Darbietungen zum Besten der deutschen Flotte. In Schulen und Familien wurden Sparbüchsen aufgestellt. Patriotische Lotterien, Bazare, Preiskegeln und Scheiben­schießen wurden veranstaltet. Pfennig-, Dreikreuzer- und Sechsersammlungen ergaben selbst auf den ärmsten Dörfern, wie z. B. in Hinterspessart, namhafte Beträge. Im Erz­herzogtum Weimar brachte die Sechserkollekte, die von Haus zu Haus durch Jungfrauen eingesammelt wurde, 1716 Taler ein. 31000 Personen hatten beigesteuert, und gerade die ärmsten, Handarbeiter, Dienstboten, Spitalfrauen und Sol­daten, hatten die größte Vaterlandsliebe gezeigt. Stellen­weise erinnerte die Opferwilligkeit fast an das Jahr 1813. Mancher legte sein Liebstes auf den Altar des Vaterlandes nieder: silberne und goldene Schmuckstücke, wie Broschen, Ringe und Schnallen, selbst Tortenschaufeln, Fingerhüte und Pfeifenbeschläge wurden geschickt. Eindeutsches Mädchen" aus Heilbronn opferte ihren silbernen Strickpfeil und schrieb dabei:Sind Ihnen Gaben, auf diese Weise gegeben, will­kommen, so bedürfte es nur einer leisen Ermunterung von Ihrer Seite, und Hunderte meiner schüchternen Schwestern würden mit Freudei ihr Scherflein zum großen Zweck bieten, denn ich versichere Sie, kein Ring, kein Ohrengehänge will

fürder mehr seine Zwecke tun, alles will besseren Zwecken dienen und will wenigstens ein Nagel oder ein schwarz-rot- goldener Wimpel an unserer Flotte werden." Im allgemei­nen aber entsprach der Erfolg nicht der Begeisterung; etwas mehr als 200 000 Gulden kamen ein, verschwindend wenig, wenn man dagegen die Millionen der Zeppelin- oder der Flugzeugspende hält. Freilich war das Jahr 1818 auch eine ungünstige Zeit. Handel und Industrie lagen darnieder, das Volk verarmte und hungerte infolge Mißernte und Teuerung."

Stadt» Bezirk und Nachbarschaft

Calw, 26. Februar 1913.

Königsgeburtstagsfeier in Calw.

Keine glänzenden Paraden, Scharen glitzernder Uniformen, Kanonensalut u. a. sind es, die bei uns in Calw der Feier von Königs Geburtstag das erhöhte festliche Gepräge und Gepränge verleihen. Aber, was die Verhältnisse zulassen, das wird auch bei uns kräftig herbeigezogen zur möglichst würdigen Ausgestaltung dieses Tages. Es war am vergangenen Sonntag schon die Jungdeutschlandgruppe, die den Königstag ein­leitete mit einem Marsch auf die Ottenbronner Höhe und dort abkochte; am Montag abend dann füllte Trommel- und Pfeifenklang der Jugendkapelle die Straßen, während die Spöhrersche Höhere Handels­schule ihr Königsbankett im Bad. Hof veranstaltete. Am Festtage selbst, als noch die Dämmerschatten mit dem mählich ins Tal blickenden Sonnenlicht kämpften, donnerte es über die Häuser der Stadt hinweg, rasselten wiederum die Trommeln und die Stadtkapelle tat das Ihre, den Tag freudig beginnen zu lassen. Wie üblich, wehten aus den amtlichen Gebäuden, dann aber auch aus vielen privaten die Fahnen in württembergischen, städtischen und Reichsfarben. Unter Glockengeläute und den Klängen der Stadtmusik bewegte sich um 10 Uhr ein großer Zug vom Rathaus ab nach der evgl. Kirche. Vertreten war die Bürgerschaft, darunter fast voll­zählig die staatlichen und die städtischen Beamten, Mit­glieder der bürgerlichen Kollegien und die militärischen Vereine. Die Predigt hielt Dekan Roos. Dem Fest­gottesdienst folgte von nachmittags Uhr ab das Festessen im Hotel Waldhorn unter zahlreicher Beteili­gung. Die Versammlung dort geriet bald in angeregte Unterhaltung und nahm den Königstoast, von Ober­amtsrichter Hölder mit Begeisterung auf. Regie­rungsrat Binder faßte die Gefühle der Feiernden in einem Glückwunschtelegramm an den König nach Kap

ii Brigitta.

Erzählung von Adalbert Stifter.

So gingen ein paar Jahre hin.

Gegen Ende derselben erschien ein Mann in der Hauptstadt, der in den verschiedensten Kreisen derselben ein Aufsehen erregte. Er hieß Stephan Murai. Sein Vater hatte ihn auf dem Lande erzogen, um ihn für das Leben vorzubereiten. Als seine Erziehung voll­endet war, mußte er zuerst Reisen machen und dann sollte er die gewählte Gesellschaft seines Vaterlandes kennen lernen. Dies war die Ursache, daß er in die Hauptstadt kam. Hier wurde er bald der fast einzige Gegenstand der Gespräche. Einige rühmten seinen Ver­stand, andere sein Benehmen und seine Bescheidenheit, wieder andere sagten, daß sie nie etwas so Schönes ge­sehen hätten, als diesen Mann. Mehrere behaupteten, er sei ein Genie, und wie es an Verleumdungen und Nachreden auch nicht fehlte, sagten manche, daß er et­was Wildes und Scheues an sich habe, und daß man es ihm ansehe, daß er im Walde auferzogen worden sei. Einige meinten auch, er besitze Stolz, und wenn es dar­auf ankomme, gewiß auch Falschheit. Manches Mädchen­herz war im mindesten doch neugierig, ihn einmal er­blicken zu können. Brigittas Vater kannte die Familie des neuen Ankömmlings sehr gut. er war in früheren

Jahren, da er noch Ausflüge machte, öfter auf ihre Be­sitzungen gekommen, und war nur später, da er immer in der Hauptstadt lebte, und sie nie, mit ihr außer Be­rührung geraten. Da er sich um den Stand der Güter, der einst ein vortrefflicher gewesen war, erkundigte, und erfuhr, daß derselbe jetzt noch bedeutend besser sei und bei der einfachen Lebensweise der Familie sich noch immer verbessere, dachte er, wenn der Mann sonst auch noch in seinem Wesen nach seinem Sinne wäre, so könnte er einen erwünschten Bräutigam für eine seiner Töchter abgeben. Da aber dasselbe mehrere Väter und Mütter dachten, so beeilte sich Brigittas Vater, ihnen den Vorsprung abzugewinnen. Er lud den jungen Mann in sein Haus, dieser sagte zu, und war schon mehrere- male in einer Abendgesellschaft desselben gewesen. Bri­gitta hatte ihn nicht gesehen, weil sie gerade in jener Zeit schon seit länger her nicht in das Gesellschafts­zimmer gekommen war.

Einmal ging sie zu ihrem Oheime, der eine Art Fest veranstaltet und sie dazu eingeladen hatte. Sie war auch schon in früheren Zeiten machmal nicht un­gern zu der Familie des Oheims gegangen. An jenem Abend saß sie in ihrem gewöhnlichen schwarzseidenen Kleide da. Um das Haupt hatte sie einen Kopfputz, den sie selber gemacht hatte, und den ihre Schwestern häßlich nannten. Wenigstens war es in der ganzen Stadt nicht Sitte, einen solchen zu tragen, aber er stand ^ zu ihrer dunklen Farbe iehr gut.

Es waren viele Menschen zugegen, und da sie ein­mal durch eine Gruppe derselben hindurchblickte, sah sie zwei dunkle, sanfte Jünglingsaugen auf sich geheftet. Sie blickte gleich wieder weg. Da sie später noch ein­mal hinschaute, sah sie, daß die Augen wieder gegen sie gerichtet gewesen sein. Es war Stephan Murai, der sie angeblickt hatte.

Ungefähr acht Tage danach wurde bei ihrem Vater getanzt. Murai war auch geladen und kam, da schon die meisten zugegen waren, und der Tanz bereits be­gonnen hatte. Er schaute zu, und da man sich zum zweiten Tanze zusammengestellt hatte, ging er gegen Brigitta hin und bat sie mit bescheidener Stimme um einen Tanz. Cie sagte, daß sie nie tanzen gelernt habe. Er verbeugte sich und mischte sich wieder unter die Zu­schauer. Später sah man ihn tanzen. Brigitta setzte sich hinter einem Tische auf ein Sofa und sah dem Treiben zu. Murai sprach mit verschiedenen Mädchen, tanzte und scherzte mit ihnen. Er war an diesem Abende be­sonders lieb und verbindlich gewesen. Endlich war die Unterhaltung aus, man zerstreute sich nach allen Rich­tungen, um seine Behausung zu suchen. Als Brigitta in ihr Schlafgemach gekommen war, das sie mit vielen Bitten und Trotzen ihren Eltern abgcrungen hatte, daß sie es allein bewohnen durfte, und als sie sich dort ent­kleidete, schoß sie im Vorbeistreisen einen Blick in den S-ücgel und sah die braune Stirne durch denselben eleiten und e>e rabenschwarze t>cke. nch sich um t:e