41. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 88. Jahrgang.

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Mittwoch, den 19. Februar 1913

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post« bezugSpreiS für den OrtS- und Nachbarorrsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Die Neubildung der französischen Armee 1813.

Von Dr. Simon, Steglitz.

Nach den ungeheuren Verlusten des russischen Feld­zuges waren die zunächst verfügbaren Depots der einzelnen Regimenter nahezu erschöpft, so das; aus den Ersatzbeständen nur wenige Mannschaften in die Front gesandt werden tonn- > ten. So konnte man an der Grenze die Ankunft der Rekruten ! kaum abwarten; in solchen Fällen wurden sogenannteprovi­sorische Halbbrigaden" gebildet, die an Buntscheckigkeit der Regimentsabzeichen der verstorbenen deutschen Reichsarmee wenig nachstanden. Dafür ein Beispiel: Die laut Dekret vom 12. Februar 1813 für Hamburg gebildete Reservedivision um­faßte in ihrer ersten Brigade bei nur 7 Bataillonen Teile von 23 verschiedenen Jnfanterieregimentern, so daß bei sechs Kompagnien im Bataillon kaum je zwei Kompagnien einem Regiments entstammten!

Doch bedurfte es nur eines Zeitraums von wenigen Wochen, und der große Organisator Napoleon l. hatte diese Gerippe in einen festen Körper umgewandelt. Die Aus­hebungen wurden in der energischsten Weise durchgeführt: Bald mußte ihm Frankreich 380 000 Rekruten stellen, indem diejenigen Heerespflichtigen, die sonst erst 1814 hätten ein­gestellt werden sollen, bereits jetzt herangezogen wurden. Aus den Kohorten der Nationalgarde wurden neue Regi­menter gebildet, die mit ihren kriegserprobten Mannschaften später die tüchtigsten Truppen waren; die Marine mußte mehr als ein Armeekorps liefern, während die Linienschiffe und Fregatten Frankreichs in den Häfen moderten und später meist in Antwerpen eine Beute der Engländer wurden. Aus den in Spanien kämpfenden Truppen zog Napoleon mehr als zehntausend Offiziere und Unteroffiziere und sandte dafür zum Ausfüllen der Lücken ziemlich unausgebildete Rekruten als Ersatz nach dem Süden.

Mit diesen jungen Soldaten und den aus Spanien mit der Post eintreffenden Führern hätte Napoleon die immerhin schon im Frühjahrsfeldzuge recht leistungsfähigen Regimenter unmöglich aufstellen können, wenn nicht die aus Rußland zurückkehrenden Reste der großen Armee das starke Rückgrat gebildet hätten, mit dem die Neuformationen erst den rechten Halt empfingen.

In Mainz pflegte der alte Marschall Kellermann in höchsteigener Person Tag für Tag die durchmarschierenden Bataillone zu mustern. Mit weitgehenden finanziellen Mit­teln und mit noch größerer militärischer Gewalt versehen, war der alte Veteran dem Kaiser gewissermaßen persönlich dafür verantwortlich, daß jeder Soldat mindestens zwei Paar Stiefel hatte. Die Schuster von Mainz und der ganzen Um­gegend werden nie wieder so große Lieferungen zu erledigen gehabt haben wie im Februar und März 1813! Unterwegs wurden auf den ziemlich langen Märschen nach dem guten, alten Exerzierreglement, das eigentlich noch aus der Zeit des französischen Königstums stammte und nur durch die Praxis eines zwanzigjährigen Krieges modernisiert war, Felddienstübungen improvisiert, wenn cs hoch kam, wurde vielleicht auch in 14 Tagen einmal nach der Scheibe geschossen mit einem Gewehr, dessen Modell ebenso altehrwürdig war wie das Exerzierreglement. Niemals dürfte es jedenfalls ein Heer gegeben haben, das so ausschließlich nur für den

Krieg vorgebildet wurde, weil zu Paradeübungen eben keine Zeit übrig war.

Die Masse der aus Rußland heimkehrenden Veteranen hatte in Magdeburg hinter sicheren Wällen eine Zuflucht gefunden; aber erst als Ende April die neuen Regimenter und die Überbleibsel der großen Armee sich südlich von Magdeburg vereinigt hatten, waren die ersten schweren Zei­ten der Neubildung glücklich überwunden. Doch war es einzig und allein die Tapferkeit der alten Offiziere und Unter­offiziere und die geniale Führung Napoleons und seiner Marschälle, die in den beiden großen Schlachten des Früh- jahrsfeldzuges bei Eroß-Eörschen und Bautzen Erfolge brach­ten. Und die Infanterie daran ist kein Zweifel be­stand die Feuerprobe gut.

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.

Calw, 19. Februar 1913.

^ Creditbank für Landwirtschaft und Gewerbe. Unter zahlreicher Beteiligung aus Stadt und Bezirk hat die Credit­bank für Landwirtschaft und Gewerbe Calw E. E. m. b. H. ihre 44. General-Versammlung am Sonntag imBadischen Hof" in Lalw abgehalten. Nach der üblichen Begrüßung der Versammlung durch den Direktor Kommerzienrat Wag­ner gab dieser einne kurzen allgemeinen Geschäftsbericht, in welchem er etwa folgendes ausführte: Der Geschäftsgang und das Erwerbsleben darf im abgelaufenen Jahre als günstig bezeichnet werden, obwohl die politische Lage das ganze Jahr hindurch eine gespannte war. Dank der günsti­gen Frühjahrswitterung, die eine große Ueppigkeit der Winterfrüchte hervorgebracht hatte, sah der Landmann hvffnungsfreudig dem Jahrgang 1912 entgegen. Die erste Futterernte brachte zwar gute und reichliche Erträge, allein die Regenperiode von Juli bis September verursachte großen Schaden. Es war dem Landwirt unmöglich, die Ernte heim­zubringen, die Früchte sind ausgewachsen gewesen, die Quali­tät der Körner hat besonders gelitten, das Mehl ist von schlechter Beschaffenheit und unverkäuflich. Da indessen die Hopfen-, Kartoffel- und Obsternte gut ausgefallen ist, auch die Viehzucht rentabel war, so kann der Jahrgang 1912 trotz mancher Enttäuschungen nicht als Mißjahr bezeichnet wer­den. Wesentlich besser steht es mit der gewerblichen Tätigkeit, mit Handel und Industrie. Die schon in den Vorjahren begonnene Aufwärtsbewegung hat angehalten und man spricht von einer Hochkonjunktur. Trifft diese auch nicht überall zu, so wird man doch sagen können, daß der Handel sich eines regen Absatzes erfreute und daß Industrie und Handwerk gut beschäftigt waren. Das ist auch beim Bauhandwerk der Fall; wenn die Zahl der Neubauten auch keine große war, so waren doch die baulichen Verbesserungen usw. nicht unbedeutend. Bei der Bank selbst war der Gel d-

verkehr wieder ein recht lebhafter. Die große Nachfrage nach Geld konnte fast immer mit sog. eigenen Mitteln be­friedigt werden, doch hat die Bank verschiedene Geldgesuche auf zweite Hypothek angesichts der politischen Unruhen im Interesse ihrer Liquidität ablehnen müssen. Hypothekengeld war im letzten Jahre selbst bei I g-Sicherheit schwer oder gar nicht zu bekommen, in Stuttgart z. B. mußten neben sehr großen Provisionen 4j4 bis 8 Proz. Zinsen bezahlt wer den. War die Knappheit auf dem Geldmarkt im allgemeinen schon groß, so hat das Darlehnsgesuch der Amtskörperschast zum Krankenhausbau diesen Zustand in unserem Bezirk noch besonders verschärft. Zwecks Verhütung der Entziehung größerer Betriebsmittel mußte vom 1. Januar ab der Zins­fuß bei der Sparkasse von 3)4 auf 4 Proz., beim Anlehens­konto unter Anbedingung einer halbjährlichen Kündigungs­frist von 4 auf 4j4 Proz. erhöht werden. Die Bankverwal­tung hat im letzten Jahre einen modernen Stahlpanzer­schrank mit Safes-Einrichtung für 2500 -K angeschafft. Ein großer Teil der vorhandenen Fächer ist bereits an Kunden vermietet, ein Beweis dafür, daß die neue Einrichtung einem Bedürfnis entspricht. Das Schlußergebnis des genossenschaft­lichen Betriebs muß als zufriedenstellend bezeichnet werden. Von dem erzielten Reingewinn von 28 221,73 -4l müssen allerdings noch 3169,96 -4t Kursverlust bei den Aktien der Reichsbank, welche gegenüber dem Vorjahr um 10 Proz. im Kurs fielen, in Abzug gebracht werden, so daß als restlicher Reingewinn zu verbuchen sind 25 061,77 -4t gegenüber 28 606 -4( im Vorjahr. Das llnkostenkonto ist gegenüber dem Vorjahr durch Steuern und Gehaltserhöhungen gestiegen. Bei Vergleichung der neuen Bilanzzahlen mit denjenigen des Vorjahrs ergeben sich folgende nennenswerte Aenderun- gen: unter den Aktiven sind im Kontokorrent mehr 133 000 -4t, Wechselkonto weniger 28 000 -4t, Bankenkonto mehr 26 000 -4t. Der Passiv stand dagegen weist fol­gende Steigerungen auf: Zuwachs an Mitglieder-Einlagen 19 000 -4t, Zunahme der auf Kontokorrent angelegten Gelder 53 000 -4t, Zuwachs beim Anlehenkonto 71000 -4t, Banken- konto weniger 30 000 -4t. Die Gesamtsumme der Bilanz alle Konti zusammengerechnet ergibt gegenüber dem Vorjahr einen Mehrbetrag von 122 000 -4t, ein schönes Zeichen erfreulicher Entwicklung. Der Mitgliederzuwachs beträgt 37, die Gesamtzahl der Genossen 1157. Die Ver­wendung des Reingewinns ist in folgender Weise beantragt: Der Reservefonds soll erhalten 2820 -4t und stellt sich sodann einschließlich der Spezialreserven auf 91 700 -4t; am Haus- konto sollen die Kosten der letztjährigen baulichen Aenderun- gen mit 531,13 -<t wieder abgeschrieben werden. Als Ab-

5 Brigitta.

Erzählung von Adalbert Stifter.

Steppenhaus.

Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht, aber daß es nicht fest und gut war, das wußte ich. Es mußte die allzu große Müdigkeit daran schuld sein. Die ganze Nacht ging ich auf dem Vesuv herum, und sah den Major bald in einem Pilgeranzug, in Pompeji sitzen, bald im Fracke zwischen den Schlacken stehen und Steine suchen. In meinen Morgentraum tönte Pferdegewieher und Hundegebell, dann schlief ich einige Zeit fest, und als ich erwachte, war Heller Tag in dem Zimmer, und ich sah hinaus in den Saal, in dem die Waffen und Kleider von der Sonne beschienen hingen. Unten erbrauste der dunkle Park von dem Lärmen der Vögel, und als ich aufgestanden und an eines der Fen­ster getreten war,, funkelte die Halde draußen in einem Netze von Sonnenstrahlen. Da ich noch kaum ange­kleidet war, klopfte es an meine Tür, ich öffnete und es trat mein Reisefreund herein. Ich war immer die Tage her begierig gewesen, wie er aussehen möge, und er sah nicht anders aus, als er eben aussehen konnte, nämlich so zu der ganzen Umgebung stimmend, daß es

schien, ich hätte ihn immer so gesehen. Auf der Ober­lippe hatte er den gebräuchlichen Bart, der die Augen noch funkelnder machte, das Haupt deckte ein breiter, runder Hut und von den Lenden fiel das weite weiße Beinkleid hinab. Es war ganz natürlich, daß er so sein mußte, ich konnte plötzlich nicht mehr denken, wie ihm der Frack stehe, seine Tracht schien mir reizend, daß mir mein deutscher Flaus, der bestaubt und herab­geschunden auf einer Bank unter dem verschossenen Seidenkleide eines Tataren lag, fast erbärmlich vorkam. Sein Rock war kürzer, als sie gewöhnlich in ganz Deutschland sind, stand aber sehr gut zu dem Ganzen. Mein Freund schien zwar gealtert, denn seine Haare mischten sich mit Grau und sein Antlitz war voll von jenen feinen und kurzen Linien, die bei wohlgebilde­ten Menschen, die sich lange erhalten, doch endlich die wachsende Zahl der Jahre anzeigen; aber er erschien mir so angenehm und einnehmend wie immer.

E^ grüßte mich sehr freundlich, sehr herzlich, ja fast innig und als wir eine halbe Stunde geplaudert hatten, waren wir schon wieder so bekannt wie zuvor. Es schien, als hätten wir uns seit unserer italieni­schen Reise gar nicht getrennt. Da ich mich ankleidete und dazu bemerkte, daß ein Koffer mit meinen andern Sachen ankommen werde, schlug er vor, ich möchte bis dahin, oder wenn ich wollte, in der ganzen Zeit meines Hierseins, ungarische Kleider anziehen. Ich ging in die Sache ein, und die nötigen Vestandstücke waren bald herbeigeschafst, wobei er bemerkte, daß er in den

nächsten Tagen schon für Abwechslung sorgen werde. Wie wir nun so in den Hof hinunterkamen zu den mit uns gleich gekleideten Knechten, und wie diese aus den finstern Schnurrbärten und den buschigen Augen­brauen so beifällig auf uns blickten, und uns die Pferde zu eiGem Morgenritte zuführten, war etwas so Edles und Beruhigendes in dem Schauspiele, daß ich mich innerlichst recht davon erquickt fühlte.

Wir ritten, von der großen sanften Dogge begleitet, in den Besitzungen des Barons herum. Er zeigte mir alles und gab gelegentlich Befehle und Lobsprüche. Der Park, durch den wir zuerst ritten, war eine freundliche Wildnis, sehr gutgehegt, rein gehalten und von Wegen durchschnitten. Als wir hinaus auf die Felder kamen, wogten sie im dunkelsten Grün. Nur in England habe ich ein Gleiches gesehen; aber dort schien es mir, war es zarter und weichlicher, während dies hier kräftiger und sonnnedurchdrungener schien. Wir ritten hinter dem Parke sachte bergan und an dem Kamme dieser sanften Höhe, die gegen die Haide ging, zogen sich die Wein­pflanzungen dahin. Ueberall war ein dunkles, breites Blatt, die Pflanzungen nahmen einen großen Strich ein, an allen Stellen waren Pfirsichbäume eingestreut, und von den gehörigen Orten blickten, wie in Maros- hely, die weißen leuchtenden Punkte der Wächterhäus­chen herüber. Auf die Haide gekommen, sahen wir seine Rinder, eine große, zerstreute, fast unübersehbare Herde. Eine Stunde Reitens führte uns dann zu den Gestüten