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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
88. Jahrgang.
»»Ichriuongrwris«: «mal wöchentlich. Sn-etg«nprei»: Jm vberamtr- ^ejtrk <lalw für die einspaltige BorgiSzeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg., Neillamen 2S Pfg. Schluß für Jnseratannahm« 1V Uhr vormittags. Telefon S.
Mittwoch, den 15. Januar 1913
Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1LS vierteljührlich. Post- bezugSpreiS für den Ort«- und NachbarortSverkebr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1L0. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg-, >u Bagern und Reich 42 Pfg.
Amtliche Bekanntmachungen.
Die Herren Ortsvorsteher
werden beauftragt, die Zahl der voraussichtlich an den diesjährigen Frühjahrsmusterungen teilnehmenden Militärpflichtigen sämtlicher 3 Jahrgänge spätestens bis 23. Januar ds. Js. hieher anzuzeigen.
Calw, den 13. Januar 1913.
K. Oberamt:
Rcg.-Rat Binder.
Das englisch-deutsche Problem.
Eine neue, bisher noch wenig erörterte Seite des englisch-deutschen Problems behandelt Max W. Karstensen in lieber Land und Meer. Ausgehend davon, daß der Niedergang der lateinischen Rasse die germanische zum Erben der Weltherrschaft gemacht hat, meint der Verfasser, hätte es nicht schwer sein können, ein Imperium zu schaffen, wie die Welt noch keines gesehen, wenn nicht der leidige Hang zur Zwietracht unter den Germanen die Lösung der gemeinsamen Ausgabe verhindert hätte. Karstensen zieht dann eine Parallele zwischen der Einigung der germanischen Stämme zu einem einheitlichen deutschen Reich und die Eroberung der Meere durch die vorgeschobenen Stämme des Germanentums von den britischen Inseln aus, um schließlich zu sagen: ..Die Vereinigung der so gewonnenen ungeheuren Mächte zu Wasser und zu Lande, der keine Nation und keine Gruppe von Nationen widerstehen könnte, ist das englisch-deutsche Problem," Alle Gründe, die gegen eine Bereinigung Deutschlands und Englands zu sprechen scheinen, mutzten vor der Tatsache zuriick- treten, dah die Interessen der beiden Völker überall in der Welt parallel laufen. Das einzige, was England von Deutschland jetzt noch trenne, sei die Eifersucht der Großen des Landes, die sich in eine neue Situation nicht hineindenken können und sich der Einigung ebenso hartnäckig widersetzen, wie sich einst auf dem Festlande die Partikularisten gegen den Reichsgedanken sträubten. Den breiten Massen der Völker sei dieses Gefühl der Eifersucht gänzlich unbekannt, und auf dieser sowohl wie auf jener Seite des Kanals wären die Völker herzlich froh, wenn endlich Friede und Einmütigkeit geschaffen würden. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen begründet Karstensen das Aufeinanderangewiesensein der beiden Länder damit, daß England seinen Kolonialbesitz ohne die Hilfe Deutschlands werde auf die Dauer halten können. „Der reichste Besitz Englands, Indien," sagt er, „ist von allen Seiten bedroht, und es bedürfte nur der Stimmung Deutschlands, um es an Rußland auszuliefern. Wären England und Deutschland eins, so würde der Vormarsch Rußlands auf Indien ohne weiteres zum Stillstand kommen." Ebenso unsicher wie der Besitz Indiens sei der Kanadas. Diese Kronkolonie,
zwar dem Namen nach englisch, werde von Jahr zu Jahr mehr amerikanisch und drohe so verloren zu gehen. Nur eine systematische Kolonisierung vermöge diesen Verlust abzuwenden. Das einzige Volk, das Kanada germanisch erhalten könne, sei das deutsche, und Deutschland wäre sehr wohl in der Lage, die zur Rettung Kanadas notwendige germanische Kolonisierung vorzunehmen. Aehnlich liegen die Verhältnisse in Australien, wo die Einwanderung der Asiaten geradezu in erschreckendem Umfange zunehme. Und da es England eben an Menschenmaterial fehlt, um seine Besitzungen zu bevölkern, so bleibe ihm als einziger Ausweg immer und immer nur die Hilfe von Deutschland. Ein fundamentaler Irrtum sei sodann auch die Legende von der absoluten Herrschaft Englands über die Meere. Wohl habe es einmal eine Zeit gegeben, wo England auf den Meeren allmächtig war, aber diese Zeit sei längst vorüber. Japan, die Vereinigten Staaten, Frankreich haben ihm auf bedeutenden Meeren das Vorrecht abgenommen. Nur in der Nordsee hat England noch die Suprematie. Und wenn einst die Flotte zur Verteidigung englischer Kolonien aus der Nordsee verschwinden müßte, wäre England der Großmut Deutschlands auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Zwingend wie für England, meint Karstensen, liegen auch die Verhältnisse für Deutschland, denn es zeigt sich, daß die Grenzen, die das Reich sich gegeben hat, zu eng sind, um die ungeheure Spannkraft des Volkes zu faßen, und während England nicht weiß, wo es die Menschen hernehmen soll, um seine Länder zu bevölkern, wißen wir nicht, wo noch das Land finden für unsern Bevölkerungsüberschuß. Auch die Behauptung, daß England und Deutschland sich notwendigerweise feindlich gegenüberstehen müßten, weil der deutsche Handel und die deutsche Industrie eine schwere Bedrohung für die Englands bildeten, sei blanker Unsinn. Gerade in diesen beiden Faktoren arbeiten England und Deutschland ununterbrochen Hand in Hand, und noch nie habe die Handelsgeschichte zweier Völker eine so großartige Zunahme des Güteraustausches gezeigt wie die zwischen England und Deutschland. „Wir mögen versuchen," schließt der Verfaßer, „wirklich fundamentale Interessengegensätze zwischen England und Deutschland zu finden, es wird uns nicht gelingen. Es gibt keinen Punkt der Erde, an dem nicht Vorteile für beide Nationen die sichere Folge gemeinsamer Arbeit wären; dagegen gibt es aber unzählige gemeinsame Probleme, zum Beispiel die wirtschaftliche Erschließung der ungeheuren Schätze Südamerikas, die einzig und allein durchführbar sind, wenn sich der englischen die gewaltige Stoßkraft Deutschlands anschließt. Gegenüber solchen Kulturaufgaben ist alles das, was die sterbenden lateinischen Raßen jetzt noch in Marokko, in Tripolis und anderswo versuchen, läppische Großmachtspielerei ohne jeden ideellen und kulturellen Wert. Dieselben unerforschlichen Naturgesetze, die Völker aus der Tiefe hoben und sie wieder versinken ließen, haben jetzt die germanischen Völker emporgewuchtet über alle andern, damit sie die Träger der Weltherrschaft seien. Dies
begreifen und danach handeln, heißt das englisch-deutsche Problem lösen."
Parlamentarisches.
Berlin, 14. Januar.
Aus dem Reichstag.
Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 1 Uhr. Auf der Tagesordnung stehen zunächst kurze Anfragen. Auf die Anfrage des Abg. Müller-Meiningen (F.Vp.) wegen der Besetzung von Lehrstellen an der philosophischen Fakultät an der Universität Straßburg i. E. nach konfessionellen Rücksichten erwidert Ministerialdir. Lewald: Der Wirkungskreis des Professors ist gegenüber dem des bischöflichen Seminars streng abgetrennt. Die gleiche Praxis besteht auch an den anderen Universitäten. Ein Anlaß zur Aenderung dieser Praxis besteht nicht. Auf die Anfrage des Abg. Thoma (ntl.j, ob 1. die bayer. Regierung ihre Gesandten zur Mitarbeit an der bayerischen Staatszeitung heranzuziehen gedenke und ob 2. Vorsorge getroffen sei, daß die Behandlung von Fragen der Reichspolitik in jenem offiziösen Preßunter- nehmen nur im Einvernehmen mit dem verantwortlichen Leiter der Reichspolitil erfolgen könne, erwidert Geh. Legationsrat Lehmann: Der erste Teil der Frage ist mit Nein zu beantworten, der zweite Teil mit Ja. Auf die Anfrage des Abg. Müller-Meiningen wegen der Erteilung von der Kongoakte widersprechenden und die Rechte der Eingeborenen schmälernden Konzeßionen erwidert Geh. Legationsrat Lehmann: Die Maßnahmen der belgischen Regierung laßen erkennen, daß sie bemüht ist, sich im Rahmen der Bestimmungen der Kongoakte zu halten. Auch in Zukunft werden die Rechte der Eingeborenen in loyaler Weise durchgesetzt werden. Auf eine Anfrage des Abg. Erzberger (Z.) wegen Ausschreitungen gegen die Bewohner der bisher türkischen europäischen Gebiete während des Balkankrieges erwidert Geheim. Legationsr. Lehmann: Bis zu welchem Grade die Gerüchte auf Wahrheit beruhen, insonderheit inwieweit die Ausschreitungen irregulären Banden zur Last fallen, läßt sich von hier nicht übersehen. Die deutsche Regierung hat sich an die zur Abhilfe berufenen Regierungen gewendet, um darauf hinzuwirken, daß solchen beklagenswerten Hebelgriffen vorgebeugt werde. — Hierauf wird die zweite Lesung der Etats des Reichsamts des Innern fortgesetzt. Hierzu liegen bis jetzt 7 Resolutionen vor. Mayer- Kaufbeuren (Z.): Die wirtschaftliche Entwickelung Deutschlands zeigt ein erfreuliches Bild. Vergleicht man hierbei die Lage des Geldmarktes., der besonders stark unter der Krediteinschränkung und der Kriegsfurcht litt, kann das Jahr 1912 als das Jahr der Kontraste bezeichnen. Hoffentlich gelingt es unserer Diplomatie, die Zeiten bald friedlicher zu gestalten und damit der Kriegsfurcht den Boden zu entziehen. Koelsch (natl.): Gesetzgeberische Maßnahmen zur Verhinderung der Verschandelung von Ee-
Die Schule des Lebens.
29) Roman von Herbert v. Osten.
„Beatrice," jauchzte er: „Glückliche, gottbegnadete Veatrice! Ich vermag nicht in Worten auszudrücken, wie gewaltig mich dein Lied bewegt. In deine Seele ist er gefallen, der Götterfunke des Genius! Dich hat das Glück gefunden, daheim im engen Felsental von Santa Lucia — während es mich floh, obwohl ich ihm nachjagte, ruhe- und rastlos durch die halbe Welt," fügte er dumpf hinzu.
„Ich, der ich gehungert und gedarbt habe, um mich in der Kunst ausbilden zu lassen, ich konnte nichts schaffen, wie jammervolles, elendes Stückwerk. O, Veatrice, du weißt nicht, wie namenlos unglücklich ich mich fühle, wie ich lechze und dürfte nach dem Lorbeer des Ruhms, der sich nicht auf meine Stirn senken will, wie ich die Arme ausbreite nach dem gleißenden, verlockenden Glück, das sich immer wieder von mir abwendet, mich hohnvoll der Nacht meines Elendes preisgibt."
„Du sprichst im Fieber, Adrian," sagte Beatrice, während sie erstaunt, fast unwillig, in des Jugendfreundes flackernde Augen blickte, „denn ich kann und will es nicht glauben, daß anders wie im Fieberwahn mein kühner, feuriger Adrian so mutlos, so verzagt sprechen könnte! Oder mit allen Kräften der Seele möchte ich die hassen, die dein Selbstgefühl so schmählich vernichtet, deine kühnen Zukunftsträume in den
Staub gezogen," und zornfunkelnd suchten ihre sprühenden Augen nach Toskas schlanker Gestalt.
Adrian strich mit müdem Ausdruck die dunklen Haare aus der Stirn, während es bitter von seinen Lippen klang: „Wenn du die haßen willst, die mein Selbstvertrauen gebrochen, so haße die ganze Welt, denn mir hat nichts Wort gehalten."
Wieder glühte ein haßerfüllter Blick aus Beatrices schillernden Augen zu der bleichen Frau hinüber, die noch immer regungslos am Fenster saß und hinausstarrte in die sternenfunkelnde Winternacht.
Adrian sah es nicht, er sprach mit trübem Lächeln weiter:
„Darum, Beatrice, wenn noch etwas in deinem Herzen für den Freund deiner Kindheit spricht, so wecke die mühsam niedergerungenen Hoffnungen auf einstiges, berauschendes Glück nicht auf, ich habe mich selbst aufgegeben, seit ich den Glauben an meinen Genius verloren."
„Aber ich gebe dich nicht auf, dich, an den ich geglaubt habe, wie an einen Gott, diese sieben langen Jahre. Ich sage es dir, dein Genius schläft nur, doch er wird erwachen! Adrian, muß ich dich mahnen an jene weiche Sommernacht, wo wir im Schatten der blühenden Granaten auf der Bank vor deines Vaters Hause saßen, und Esten, Schlaf und alles vergaßen über der Geschichte des Knaben Paganini. Entsinnst du dich nicht mehr, wie du damals plötzlich aufsprangst, und beide Hände zum Himmel erhebend, ausriefst: „Bea
trice, bei dem schmerzensreichen Bilde der Eebcnedeiten schwöre ich dir's, ich will ein zweiter Paganini werden. Hier in meiner Brust fühle ich das Ringen des Genies, das sich durchkämpfen und Bahn brechen wird, trotz tausend Hindernisten!" Und diese Begeisterung sollte unecht gewesen sein? Dieser Glaube an deine Kunst, der dich dem Wutausbruch des jähzornigen Vaters trotzen, dich Elternhaus, Heimat, alles aufgeben ließ, dir den Mut verlieh, arm in die Welt hinauszuziehen, nichts besitzend, wie dein Lied und deine Geige? Das ist unmöglich ich glaube es nimmermehr!"
„Und doch ist es wahr!" lächelte Adrian düster.
„Nein und tausendmal nein!" flammte Beatrice leidenschaftlich auf. „Spiele mir etwas vor, zeige mir deine Kompositionen, und dann wollen wir weiter sprechen."
„So überzeuge dich selbst," entgegnete Colonna, indem er aus seinem Schreibtisch ein Paket dicht beschriebener Notenblätter hervorzog und dem Mädchen darreichte.
Beatrice griff hastig darnach und setzte sich an das Klavier, bald diese, bald jene Melodie anschlagend und die Begleitung leise vor sich hinsummend.
Adrian lehnte mit über der Brust verschränkten Armen ihr gegenüber an dem Flügel und der tiefe Schmerzenszug um seinen Mund verschärfte sich immer mehr, je deutlicher sich Befremden und Enttäuschung in Beatrices beweglichen Zügen malte.