Das Glöcklem des Glücks.

> Roman von Ludwig Rohmann.

' Fortsetzung. (Nachdruck verboten.)

' Erst ganz spät, als die Sonne schon tief im Westen stand, kamen Wannoffs an alle drei. Der Rittmeister würdig und ernst, Frau von Wannoff mütterlicher, überströmender Teilnahme, und Ulrich

Ja, das war nun schwer zu sagen. Erst hatte er sich widerwillig mitschleppen lassen. Er mußte ja mitkommen, das iah er ein, ein Opfer bliebs darum doch, und er ver­wünschte den Zwang, der ihm das Opfer auferlegtki Und nun stand er Marta gegenüber, und seine Verblüffung war so groß, daß er kaum wußte, was er sagte.

Das war also die Marta Prochnow seine stille Liebe aus der glücklichen Penälerzeit! War die schön geworden und groß und stolz! Das heißt, schön war sie eigentlich immer gewesen und reif und selbstbewußt über ihre Jahre hinaus. Aber nun war das alles voll ausgereift und es war etwas anderes noch dazu gekommen ein zarter, frau­licher Reiz. Dann brannte da etwas in ihren großen, klaren Augen, etwas aus dem tiefsten Innern heraus, das ihn verwirrte.

Marta war ihnen auf den Hof hinaus entgegengegangen, und Frau von Wannoff hatte sie herzlich umarmt.

»Mein liebes Kind; wir wollen Ihnen nichts von unserer Teilnahme sagen davon haben Sie wohl schon mehr als genug gehört. Nur, daß ich Ihnen herzlich gut bin, das sollen Sie wissen. Brauchen Sie eine mütterliche Hilfe, dann kommen Sie zu mir, und rufen Sie mich. Wir Frauen* fast hätte sie gesagt: Wir einsamen Frauen »wir Frauen müssen schon ein wenig zusammenstehen, weil wir doch alle das gleiche vom Leben erdulden.* Dabei küßte i sie Marta auf die Stirn, und Marta stand einen Augenblick demütig und erschauernd unter diesem Kusse.Eine Mutter!* sagte sie leise.Ich danke Ihnen, liebe gnädige Frau!" Dann kam der Rittmeister und hielt ihre Hand fest. »Liebste Marta. Meinen alten Prochnow kann ich nicht betrauern. Er tät' es selbst nicht, wenn er's noch könnte, und ich weiß, daß er zufrieden gegangen ist, weil er das Seinige fröhlich und restlos genossen hat. Sie aber haben wir lieb wie eine Tochter*

Marta sah dem Rittmeister fest in die Augen, und ihre Stimme zitterte in verhaltener Bewegung, als sie dankte.

»Es ist der erste wirkliche Trost, daß ich Sie sehen darf. Alle die Leute, die ich heute sehen mußte, haben mich bis zur Unerträglichkeit mit ihrer Teilnahme gefoltert. Wollen Sie mir eine Liebe tun, dann bleiben Sie noch, und schenken Sie mir den Abend ja?*

Dann endlich kam Ulrich an die Reihe.

»Marta*. Er verbesserte sich schnell: »Gnädiges Fräulein!*

Seine Verlegenheit gab ihr sofort alle Sicherheit wieder. »Herr Doktor sind wir einander so fremd geworden? So lange ich denken kann, waren wir gute Freunde, und ich habe mir, wenn ich an Sie dachte, immer erlaubt, weniger förmlich zu sein, als Sie es sind. Der Doktor Wannoff war für mich etwas ganz Unpersönliches, ich habe immer nur den Ulrich aus unserer Jugendzeit im Sinn gehabt, wenn ich an Sie dachte!*

»Und Sie haben an mich gedacht?*

Sie vermied die Antwort und lächelte ihn schalkhaft an: Soll das heißen, daß Sie an mich nie gedacht haben?"

»Gewiß nicht,* stammelte er, und dabei starrte er sie beinahe unschicklich an.

»Ist aber auch war,* sagte der Rittmeister schnell.Wo ihr doch miteinander ausgewachsen seid und das Du immer selbstverständlich war! Einen Bruder oder einen guten Freund zum mindesten kann unsere Marta schon gebrauchen, scheint mir, und es ist doch kein Kunststück, über die paar Entwicklungs­jahre zurückzugreisen. Kinderfreundschaft Lebensfreund­schaft -das ist nur so eine Redensart, die das Leben

freilich oft genug bestätigt hat. Aber ich meine doch, daß ihrs beim Du ruhig lassen könntet.*

Marta sah Ulrich ruhig und erwartungsvoll an, und Ulrich mußte wohl etwas sagen.

Wenn ich darf?"

Sie gab ihm ruhig die Hand.

»Wenn wir einander die alten geblieben sind warum denn nicht?*

Ulrich griff nach der Hand und hielt sie fest.

Ich glaube* sagte er schnell.

Einen Augenblick standen sie sich so gegenüber, dann zog Marta ihre Hand zurück.

»Verzeihung,* sagte sie, »daß ich Sie hier draußen stehen lasse. Wir wollen doch hineingehen.*

Wannoff ging mit seiner Frau voran, und Ulrich und Marta folgten. Nun besann er sich darauf, daß er noch nichts von seiner Teilnahme gesagt hatte.

Es muß schrecklich sein, so ganz allein im Leben zu stehen*

»Ich weiß nicht,* sagte sie nachdenklich. »Eigentlich bin ich doch immer allein gewesen. Mein Vater hat mich auf seine Art ja gewiß herzlich lieb gehabt; aber es war doch eigentlich mehr ein kameradschaftliches Verhältnis auf der Grundlage des gegenseitigen Bündnisses. Nur, daß ich dabei einsam geworden bin, während mein Vater bis zuletzt seine Lebensfreudigkeit und seine Genußfähigkeit bewahrte.*

Drinnen bat sie, Platz zu nehmen, und dann ging sie in die Küche, um mit der Köchin Rücksprache zu nehmen. Die Herrschaften würden zum Abend bleiben.

Als Marta zurückkam, fragte Wannoff, ob er seinen Freund nicht noch einmal sehen dürfe.Das heißt, wenn es ihnen nicht zu schmerzlich ist, meine liebe Marta'

Marta war bereit.

»Ich habe ihn im Herrenzimmer aufgebahrt. Da sind so viele Erinnerungszeichen aus seinem frohen Leben, und dort hat er sich, wenn er daheim war, am wohlstengefühlt. Aber daß ich nur daran denke: Mein Vater hat einen Brief für Sie hinterlasfen."

»Für mich?* fragte Wannoff überrascht.

»Ja. Er liegt auf seinem Schreibtisch."

Sie gingen in das Herrenzimmer hinüber der Ritt­meister mit innerem Widerstreben, gegen das er mit aller Willenskraft ankämpfen mußte, um Haltung zu bewahren. Das Grauen vor dem Tode packte ihn wieder, und unter anderen Umständen hätte kein Mensch ihn dazu gebracht, einem Toten ms Antlitz zu sehen. Hier aber ging das nicht anders, denn der Abschied von dem alten Genossen seiner frohen Tage gehörte in sein wohlbedachtes Programm.

Am Sarge standen sie schweigend. Wannoff mit ge­falteten Händen und anscheinend in tiefster Versunkenheil. Frau von Wannoff neben Marta, deren niederhängende Hände sie ergriff und warm in den ihren hielt. Und Ul­rich hatte nur einen neugierigen Blick für den Toten. Dann sah er Marta an, die seinen Blick anscheinend nicht wahr­nahm. Es interessierte ihn, zu beobachten, ob sie weinen würde: halt- und fassungslos, oder mit verhaltenem Schmerz und sparsamen Tränen.

Sie weinte gar nicht, und ihr Gesicht verriet nichts von dem, was in ihr vorging. Dann wandte sie langsam den Kopf nach ihm hin und sah ihn an fest und klar. Ein

aufreizender, tiefer Blick, hinter dem das stille, geheimnisvolle Leuchten stand. Er hielt den Blick aus, als wäre er ge­bannt, bis sie sich langsam abwandte und zum Schreibtisch ging. Sie kam mit einem kleinen Brief zurück, den sie darauf Wannoff gab.

»Ich bitte, Herr Rittmeister.*

»Sie wissen, was darin steht?*

»Nein. Ich fand den Brief unter dem Kopfkissen und weiß nichts davon.*

»Ich danke, liebes Kind.*

»Wollen wir nun hinübergehen?*

.Ja.'

Wannoff stieß es hervor und erschrak selbst darüber, wie rauh seine Stimme klang. Ihm war wirklich miserabel zu­mute, und er sehnte sich darnach, in eine freundlichere Um­gebung zu kommen.

(Fortsetzung folgt.)

Kriegs-Allerlei.

8 Ei» besonders ergreifender Tranerbrief war letzter Tage zu lesen: Zwei Brüder, beide Kriegsfrei­willige im selben Regiment (Söhne des Schulrats Schnizer in Eßlingen) haben am I. Nov. in Nordfrankreich neben- einander im gleichen Augenblick den Tod für das Vaterland gefunden. Wem fallen da nicht unwillkürlich Karl Geroks berühmte Verse auf ein bei Champigny gefallenes Brüderpaar ein:

Ruht in einer Gruft, ihr Braven:

Schön ift's, wenn zwei Brüder schlafen Arm in Arm und Brust an Brust.

Schön, wenn sie zusammen wallen Durch die Welt im Jugendmut,

Schön wenn sie zusammen fallen.

Während Kriegeshörner schallen,

Einer in des andern Blut!

Stolz mögt Ihr das Haupt erheben,

Eltern, euch den zweiten Kranz,

Die ihr eures Lebens Leben In den Söhnen hingegeben Am Altar des Vaterlands!

Auch Fr. Th. Bischer hat einem im Dezember 1870 ge­fallenen Brüderpaar ein Gedicht gewidmet, von dem einige Strophen hier erwähnt seien:

Zusammen sind wir hoffnungsvoll erblühet,

Zusammen griffen wir zur blanken Wehr,

Fürs Vaterland in tiefster Brust erglühet,

Zusammen kämvften wir im Siegesheer,

Zusammen sind wir brüderlich gefallen,

Zusammen gehn wir in die ew'gen Hallen.

Wir haben nicht um wenige zu klagen.

In ganzen Schwaden sind sie hingemäht.

Und mancher sank in reifen Mannestagen,

Doch dieser Fall des Jünglingspaares steht Ein Sinnbild da, für all den Schmerz errichtet, Ein Trauerspiel, vom strengen Tod gedichtet.

Sie bleiben unser. Willig hingegeben Der großen Zukunft ernstem Aufgebot,

Dem Wohl des Volks, worin wir sind und leben, Geweiht im Tode, sind sie uns nicht tot;

Dem Vaterland zwei Heldensöhne schenken:

Ja, Trost ift's, solchen Opfers zu gedenken.

Altenfteig-Madt.

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