armen
onntags
Altensteig. 11. Juli
Jahrgang 1S14
Die alte Mühle.
Die Räder der alten Mühle Gehn leise im Abendwüw;
Versonnen steh ich und träume Zurück mich als glückliches Kind.
Wie lauscht ich immer so gerne Dem fröhlichen Räderspiel —
Ich machte mir draus Melodien Und lustige Verse viel.
Und als ich älter geworden —
Da lernte ich leise verstehn:
Die Räder der alten Mühle Wie können so traurig sie gehn!
Just wie ein Menschenleben Voll Lust und Lieb und Freud —
Und grausam zerstörter Hoffnung Und tiefem Herzeleid!
Ja, wie ein Menschenleben,
Das stürmend vorwärts will —
Und langsam — langsam wird's ruhig —
Die Räder — sie stehen still.
Helene Kennert.
Das Glöcklein des Glücks.
Roman von Ludwig Rohmann..
(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
Ulrich starrte seinen Vater in tiefer Bestürzung an. Nun zum erstenmal sah er des Vaters Wesenheit unverhüllt, und der Abgrund entsetzte ihn, der seine Eltern trennte. Nun begriff er, daß nicht ein leichter Sinn, sondern brutaler Egoismus ihn jede Rücksicht hatte vergessen lassen, daß alle die Opfer, die Von der Mutter in den langen Jahren dieser Ehe Tag um Tag und Stunde um Stunde in unendlicher Hiebe und Geduld gebracht worden waren, nicht einmak erkannt wurden! Ein tiefer Groll gegen den Mann, der sich selbst und anderen das Leben verdorben hatte, stieg in ihm auf und er fühlte, daß diese Stunde ihn ganz von seinem Vater trennte, während das leidvolle Bild der Mutter wie in Verklärung vor seine Seele trat.
Ter Rittmeister gefiel sich in der Rolle dies alles überschauenden lebensklugen Mannes so sehr, daß er nicht meffkte, was in Ulrich vorging.
,/Siehst du, mein Jung, weil das alles! so ist, weil ich das Leben kenne, tpie du es nicht-kennst; weil du dein Leben erst leben und zu einem glänzenderen Abschluß führen sollst als ich — darum sag' ich dir das alles. Ein Mann wie dus -n hei) das ist so was für die Töchter des Landes! Halte dein Herz nicht in der Hand, daß nicht jede danach greifen kann, wahre dem Kopf sein Recht, alles zu prüfen und' zu überschauen. Dü kannst alles haben, was du haben willst, wenn du nur immer Herr deiner selbst bleibst; und kannst alles verlieren und dich dazu, wenn du so töricht bist, Glück aus! (eines Weibes Händen zu erwarten. Keine Sentiments — das ist am Ende alles, was du dir merken mußt, und wer danach lebt', hat recht über alles und alle."
Ulrich war fassungslos- In sein warmes, frohes Heimatgenießen fiel all die harte kalte Weisheit vernichtend wie ein Rauhfrost ein. Neben dem namenlosen Mitleid mit der Mutter drängte der Widerwille gegen den kranken Mann überragend hervor. Im Augenblick übersah er, was er vom Leben seines Vaters wußte: ein Leben, das glänzend im Aufstieg zur Höhe der Mannesehre gewesen, das im jähen Abstieg zerbrach und häßlich bis in die letzten Einzelheiten Md nutzlos dazu tvär bis- auf diese Stunde.
- Eine tiefe RatlossM-vL kam über Ulrich. Was sollte er antworten? Ver- .Mann'M ö in den Kissen war doch sein Vater, und er war ernstlich kvank.
So entstand eine lange Pause, die der Mtt- meister mit ärgerlichem Erstaunen wahrnahm. Er richtete sich nicht ohne Mühe auf.
/„Ulrich!" rief er scharf.
Ulrich schreckte zusammen.
.„Verzeih, Vater —!" Seine Stimme zitterte im Nachklang seelischer Erschütterung. „Was du mir da gesagt hast, war so — wie soll ich sagen:! sp neu, es ist meinem eigenen Empfinden so fremd, daß ich nicht gleich damit fertig werden kann. Meine Glückshoffnungen sehen anders aus, als die Glücksregeln, die du eben aufgestellt hast."
;-,Das ist's eben, mein Jung. Es lebt ein weich- mütig Geschlecht, das nie was Rechtes schaffen und vollbringen wird. Wenn das so weitergeht, wird schließlich noch die ganze Menschheit nach dem Rezept eingeschätzt werden müssen, das ein Witzbold einmal auf einen Grabstein setzte: „Er wurde geboren, nahm
ein Weib und starb!" Jung, du sollst mir keiner von denen werden!" '
Vr sank erschöpft in die Kissen zurück, die Augen aber ließen den Sohn nicht los, und djie zitternden Hände reckten sich Ulrich beschwörend entgegen.
v,Verzeih, Vater, aber ich kann nicht — — du meinst es ja gewiß gut mit mir, aber schließlich jjmuß ja jeder das Leben nehmen, wie sich's ihm darstellt. Fremde Erfahrungen haben in Wirklichkeit noch keinem Menschen genützt. Mir fällt ein Wort von Geibel ein:
Lehr' nur die Jungen weisheitsvoll —
Wirst ihnen keinen Irrtum sparen.
Was ihnen gründlich nützen soll,
Das müssen sie eben selbst erfahren.
Wenn du mir etwas zuliebe tun willst, Vater, dann sprich nicht mehr davon. Ich bin froh heimge- kommen —, doch absichtsvolle Zweckberechnung müßte mir die Freude verderben. Es wird schon alles werden, wie's mir taugt, wenn ich erst wieder draußen im Leben stehe."
„Es wird schon werden!" Wannosf lachte kurz auf. „Der alte Trost, mit dem man die besten Gelegenheiten verpaßt! Aber ich will mich trösten und hoffen, daß du doch nicht vergessen wirst, was wir jetzt miteinander gesprochen haben. Und die Augen will ich offen halten, so lange du hier bist!"
Ueber Ulrichs Gesicht huschte schon wieder ein Lächeln.
s„Tu das, wenn's dich beruhigt; aber es ist wohl keine Gefahr —"
j,,Hoffentlich nicht. Aber lassen wiir das nun. Es ist da noch etwas anderes, worüber ich ins klare kommen möchte: deine zukünftige Stellung in der wissenschaftlichen Welt und in der Gesellschaft. Wie stehst du in Wahrheit zu deinem Freunde, dem Professor ?"
„Wie ich — ? Ja, Vater, wie denn anders als freundschaftlich? Und ich Hab' doch auch eine große Dankespflicht gegen ihn zu erfüllen."
„Dank? Na, meinetwegen. Aber Dank ist Gefühl, und alles Gefühl ist gefährlich. Das solltest du nicht vergessen. Ihr habt gemeinsam die Tiefsee- Expedition ausgeführt —"
„Verzeihung, Vater — die Gemeinsamkeit war doch sehr bedingt. Walther war der Leiter der ganzen Expedition — ich war, wie andere auch, sein Begleiter und Mitarbeiter."
',)Gut — dann also Expeditionsleiter und Mitarbeiter. Es soll Vorkommen, daß die einen den Namen geben und das Verdienst einstecken, indes die anderen die Arbeit leisten."
Ulrich fühlte ordentlich, wie das Blut ihür zu Kopfe stieg.-
„Jetzt versteh' ich dich nicht, Vater — und ich bitte dich, laß mich nicht irre werden an dir. Walther ist eine Autorität! Er ist ein so gründlicher, uner-- müdlicher Arbeiter, daß er auch ohne mich hätte fertig werden können; daß er mir an allen seinen Arbeiten und Feststellungen einen Anteil gönnte, das kann nur meine Dankesschuld vermehren."
„Aeh — schon wieder Dank ! Bist du-immer nur Handlanger und Zuschauer gewesen? Hast du nicht auch gearbeitet — selbständig und auf eigene Hand? Na also! Und das interessiert mich nun, was du mit diesem Anteil zu beginnen gedenkst." ?
„,Das klingt ja gerade, als könnte dieser Anteil wie ein materieller Wert sauber geschieden und geteilt werden! Meine wissenschaftliche Zukunft wird Vorteil davon haben und einen sehr wesentlichen Vorteil habe ich doch auch schon liquidiert, wenn ich so sagen darf: Mein Name wird mit dem seinem genannt, und ich kann mir die Universität aussuchen, an der ich mich habilitieren will."
„Ist ja alles gut und schön, mein Jung, Mau wird in Zukunft von der Schlegel'schen Expedition sprechen wie üblich: die Namen der Leiter sind unvergänglich damit verknüpft, die Namen der Begleiter und Mitarbeiter vergißt man. Soll dein Schicksal nicht das gleiche sein, dann mußt du deinen Anteil an der g»roßen Arbeit wahren, mutzt selbst sagen, was deine Arbeit war und was! ffie gezeigt hat —"
-Ein schamvoller Zorn ließ Ulrich jede Rücksicht vergessen. —
„Vater — das würde eine Gemeinheit sein! Du läßt mich bedauern, daß ich Walther als Gast mjit , hierher gebracht habe —"
Dem Rittmeister stieg die Röte ins Gesicht, in seinen Augen blitzte es drohend auf.
„Es scheint mir notwendig, dich daran zu erinnern, daß du mit deinem Vater sprichst," sagte er scharf. „Was ich dem Gast schuldig bin, werde ich nicht vergessen. Sogar dankbar will ich ihm sein; aber doch nur, weil er dir über 6in paar Sprossen auf der Leiter zur Höhe geholfen hat. Was aber hat es mit ihm zu kun, wenn ich mir nun über^ lege, wie du aus ber Lage, in dlie dein Freund dik selbst geholfen hat, den rechten Vorteil ziehst?"
„Wir verstehen uns nicht, Vater — und ich fürchte, wir werden uns auch nie verstehen lernen."
Der Rittmeister lächelte in sich hinein.'
„Fühl' du nur erst einmal die Zurücksetzung hinter den Freund, dann kommen wir uns schon näher. Und was ich da gestern von deinem großen Werk gesagt habe — das war nur so ein »Einfall. Inzwischen aber habe ich's doch überdacht: das Werk mußt du schreiben —"
„Ueber die Expedition und ihre Ergebnisse?"
„Natürlich — worüber sonst?"
„Nie, Vater — nie. Tu weißt, datz Walther dieses Werk schreiben wird."
.„Schön, ich weiß. Aber mag er doch über die ganze Expedition schreiben — was liegt daran? Du aber wirst auch schreiben und besseres als er. Du greifst dir einfach irgend eins der Ergebnisse heraus und behandelst es ganz selbständig. Vielleicht ein Buch über die Lebensarbeit der Organismen auf dem Meeresboden. Oder ein Beitrag zur Biologie der Tiefseeorganismen. Oder vielleicht eine Monographie über irgendwie benamste Biester. Die Hauptsache bleibt immer, daß du Neues bringst und das Neue auch beweisen kannst. Und beweisen läßt sich alles, was man beweisen will — in der Wissenschaft mehr noch als im gewöhnlichen-Leben, wenn's nicht gerade um Zahlen geht." Wannosf ließ sich zufrieden in die Kissen zurückfallen. „Wir kommen am Ende schneller zusammen, als du selbst gedacht hast: Und nun kannst du mich ein Stündchen schlafen lassen. Ich denke datz ich dann aufstehe und zu Mittag mit euch 'zusammen sein kann."
Ulrich stieg wie in Betäubung über die Treppe zur Diele hinab. Wie jung und stark, wie froh; und lebenstüchtig er auch schien — er war keine Kampsl- natur, und Stimmungen hatten immer Gewalt über ihn gehabt. Das Unglück hatte er nur in besonders- weichmütigen Stunden ganz ausgekostet, vor häßi- lichen Eindrücken hatte er sich an das Herz der Mutter geflüchtet.
Nun war er ein Mann. Einer, der viel erfahren, viel von der Welt und manches vom Leben gesehen hatte. Fröhlich war er heimgekehrt, fröhlich sollte der Aufenthalt daheim sich gestalten, und fröhlich hatte er zurückkehren wollen in die große W-elti, zurück zur Arbeit, zum Erfollg, zum Glück. Und nun kam der kranke Mann und scheuchte ihn aus der frohen Ausgeglichenheit auff: Zerrte an pem Ideal, das er sein Leben lang in der Mutter verehrt hatte, warf Gedanken in die junge Seele, die nur verwirrend wirken mutzten, und vor allem: er erschreckte ihn durch die Aussicht aus Kämpfe mit dem Freund, an den er sich bisher so angelehnt hatte. Das Buch — das unglückselige Buch! Die Freundschaft sprach laut und hart dagegen, datz er es schreiben oder auch nur daran denken könne. Dabei lockte der Gedanke an die Möglichkeit der Ausführung; der Erfolg schien ihm gewiß und in seinem Traum von zukünftiger Größe siel ein neues, starkes Licht.
So fühlte er sich innerlich zerrissen und chaotisch wogten Empfindungen, abgerissene Gedanken und Vorstellungen durcheinander. Eins aber fühlte er vor allem stark heraus: datz ihm die ganze Freude am Daheimsein verdorben sei, und daß auch die paar Heimattage mit ihren Freuden daran nichts mehr würden ändern können.
(Fort setzung fol gt.).
Sonntags-Gedanken.
Laissst die Kindlein zu mir kommen.
Wenn eine Mutter ihr Kind auf dem Schoß hat, ist sie ohne weiteres religiös gestimmt. Und wenn die Seele des kleinen Kindes zu wachsen beginnt, faltet die Mutter, getrieben nicht von äußeren Vorschriften sondern durch inneres Bedürfnis, die HändchenThres Kleinen und bringt ihm ein Gebet bei zu dem, unter dessen Schutz sie sich mit ihrem Kinde weiß, Wer wollte bestreiten, datz das Gebet für das Kind unverständlich und mechanisch ist? Aber wer wollte es der Mutter verwehren? Wer wollte den Anblick eines solchen betenden Kindes missen? „Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast Tu eine Macht zugerichtet!" Und für das Kind selbst bleibt das Kindergebet eine liebe Erinnerung, an die es gern und freudig zurückdenkt. Und aus dem Mechanischen und aus dem Unverständlichen wächst heraus die Gewohnheit, und aus der Gewohnheit soll Leben und Innerlichkeit und Kraft herauswachsen: k
Sie lehrte Dir den frommen Spruch Sie lehrte Dir zuerst das Reden,
Sie faltete die Hände Dein Und lehrte Dich zum Vater beten.
Es ist merkwürdig, wie man immer und immer wieder behauptet hat, daß Religion nichts für die Kinder sei, weil sie doch nicht alles verständen, und weil erst der Erwachsene die Geheimnisse der Religion