Rr. 153. (27.)

Attensteig, 4. Juli

^ Jahrgang 1S14

Die Luft so still ...

Die Luft so still und der Wald so stumm An dieser bewachsenen Halde,

Ein grüngewölbtes Laubdach ringsum,

Ein Wiesental unten am Walde.

Nur Amselschlag einsam und weit,

Und Falkenschrei aus der Höhe,

Und nichts Lebendiges weit und breit,

Als im Waldtal grasende Rehe.

Wildblühende Blumen sprießen umher,

Rings stießen süße Düfte,

Ohne Rauschen raget der Bäume Meer Hoch in die sonnigen Lüfte.

Natur, in dein Leben still und kühl Liege ich selig versunken;

Ein süßes Kindermärchengefühl Macht mir die Sinne trunken.

Wolfgang Müller von Königswinter.

Das Glöcklein des Glücks.

Roman von Ludwig Roh mann.

(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)

In der behaglichen Wohnstube in Dambitzen saßen Petzold und Martha Prochnow einander gegen­über. Draußen klatschte ein schwerer Regen nieder. Mächtige Blitze gebärdeten sich, als wollten sie den schwarzen Nachthimmel in Fetzen zerreißen, und der Donner brach sich so hart am Herrenhause, daß die Wände dröhnten.

Martha saß dem Doktor gerade gegenüber, das Gesicht dem offenen Fenster zugekehrt. Die Hänge­lampe brachte nur ein gedämpftes Halbdunkel im Zimmer zuwege, die streng geschnittene, - klassisch schöne Profillinie des Mädchentopfes ließ sie aber scharf, wie aus dem dunklen Untergrund eines Rem- brandtschen Bildes hervorleuchten.

Es wäre gewissenlos und jedenfalls ganz falsch verstandene Menschlichkeit, wenn ich Ihre Sorge be­schwichtigen wollte. Ich denke nicht daran, Vorwürfe auszusprechen namentlich jetzt nicht, da sie nichts mehr helfen können. So konstatiere ich also Tat­sachen, wenn ich bedaure, daß Ihr Vater gar zu sorglos wider meine Vorschriften gelebt hat. Eine so vorgeschrittene Diabetes bedingt nun einmal die allervorsichtigste Lebensweise."

Mein Vater hat sich nichts versagt," antwortete sie schwer.Und ich beneide ihn darum, daß er's konnte! Das Leben ist doch nur dann etwas'wiert, wenn man's genießt. Leben!" Ihre Stimme zitterte, ihre Brust hob und senkte sich, und ihre feinen Nasen­flügel schienen zu beben.Leben leben! Es muß wundervoll sein, sich frei und ganz ohne Rück­sicht aushleben zu können!!"

Petzold schob die Brille vor die Augen und sah scharf zu ihr hinüber-

Na ja," meinte er trocken,es müßte. Ich Hab' aber noch Keinen getroffen, dem's geglückt wäre. Der Katzenjammer kommt allemal nach."

Ein spöttisches Lächeln zuckte um ihren Mund.

Was wissen Sie denn vom Leben, Doktor! Sie sind ein Arbeitstier wie Millionen andere; Sie gehen am Leben vorüber und vergessen keinen Augenblick, daß der Tod für das Ende unserer Tage die einzige Gewißheit darstellt!"

Was ich vom Leben weiß, möchten Sie wissen? Na, das kann ich Ihnen sagen. Ich weiß, daß das Leben keine Trägheit duldet, und daß die Arbeit Anfang und Inhalt alles Lebens sein muß. Ich weiß ferner, daß Schönheit und Genuß nur Ruhepunkte, niemals Selbstzweck sein dürfen. Das ist meine An­sicht vom Leben, und da ich's ein paar Jahre länger kenne als Sie, mein gnädiges Fräulein, so dürfen Sie immerhin einmal darüber Nachdenken, ob meine altmodische Anschauung nicht doch etwas für sich hat! Im übrigen handelt es sich jetzt leider darum, daß da drinnen ein Leben abläuft, ohne daß wir etwas dagegen tun können. Vielleicht entschließen Sie sich, Professor Zahn aus Königsberg telegraphisch rufen zu lassen. Eine Amputation kann die Katastrophe vielleicht für kurze Zeit aushalten"

So telegraphieren Sie, ich bitte darum." Es lag jetzt ein Ausdruck tiefer Qual in ihrem Gesicht. Sinds au^- nur wenige Tage, die wir gewinnen ich will nicht darauf verzichten."

Aber Ihr Vater, wird der's zufrieden sein?"

Sie starrte wieder verloren ins Leere:Wenn Sie ihm nur die Hoffnung lassen ja."

Petzold stand auf.

Gut denn. Ich will zusehen, daß ich den P ost- verwalter unterwegs Herausklopfen kann. Professor

Zahn wird dann wohl morgen mittag hier sein; ich will's so einrichten, daß ich um 11 Uhr hier Mn."

Martha trat dicht zu ihm heran.

Ich danke Ihnen, Keber Herr Doktor. Und was ich da vorhin gesagt habe mein Gott, es kommen in meiner Einsamkeit oft seltsame Stimmungen über mich. Eine unbändige Lebenssehnsucht, und dann wieder ein Ueberdruß, der mich bis zum Ekel erfüllt. Können Sie das verstehen?"

Vielleicht," brummte Petzold.Warum leben Sie denn auch in Einsamkeit? Wenn Sie verheiratet wären, könnten Sie sich jedenfalls besser als jetzt ausleben und vor allem: Sie hätten dann zum Lebensüberdruß gar keine Zeit.

Meinen Sie?" Nun huschte wieder ein spöt­tisches Lächeln um ihren Mund.Ich habe bisher noch nicht die Ueberzeugung gewinnen können, daß die Ehe oder doch wenigstens die Liebe das Allheil­mittel für alles Sehnen ist. Aber vielleicht versuch' ich's eines Tages damit."

Nur versuchen? Mir scheint, es ist damit wie Mit allen Wundermitteln: man muß dran glauben, sonst helfen sie nicht."

Ter Regen hat noch nicht ganz aufgehört," sagte sie, ihm auf die Tstele hinaus folgend.

Tut nichts mein Schimmel und ich sind an alle Wetter gewöhnt, und durch meinen Flausrock dringt kein Regen."

Wie Sie wollen. Gute Nacht, und noch einmal herzlichen Dank." Unter der Tür hielt sie ihn noch einmal auf.Sind Sie heute bei Wannosfs vorüber­gekommen ?"

Ja ich bin sogar dort gewesen, um meine Eve mit heim zu nehmen."

Ach, Eve war also dort. War wohl großer Feiertag drüben? Ulrich scheint sich ja recht heraus­gemacht zu haben. Die Journale bringen sein Bild, und ich habe ihn kaum wicjdererkannt. Wenn die Bilder nicht geschmeichelt sind ?"

Weiß ich nicht ich habe keins davon gesehen. Aber Mn hübscher, forscher Junge ist er jedenfalls. Und nun noch einmal: Gute Nacht!"

Gute Nacht!"

Sie ging langsam in die Stube zurück und trat ans Fenster, durch das eine köstliche Kühle herein­wehte. In der Ferne wetterleuchtete es noch kräftig.

Martha stand unbeweglich und während sie die frische Luft in gierigen Zügen einsog, schweiften ihre Gedanken nach Wonneberg hinüber. Ob er wirklich so stark und männlich geworden war, wie auf den Bildern?.'...

Die Krankenschwester öffnete leise die Tür:Herr von Prochnow ist aufgewacht und fragt nach dem gnädigen Fräulein"

Ein Schatten flog über Marthas Gesicht. Da war die Not wieder, da die Pflicht, und die träumende Sehnsucht ging daran unter.

Ich komme," sagte sie schwer. Und langsam ging sie hinüber zur Krankenstube.

III.

Menschenskind nun siehst du einmal, wsie dein alter Vater sich durchs Leben schleppt. Keine Freude darf man sich gönnen Hundsföttisch, sag' ich dir, solch ein Dasein!"

Ein Hustenanfall nahm dem Rittmeister das Wort vom Munde und Ulrich stützte ihn, bis der Kranke sich beruhigt hatte und erschöpft in die Kis­sen zurücksank.

-Mater, wir hätten doch auf den Doktor hören sollen. Wenigstens nach dem Abendessen durftest du nichts mehr trinken.

:Aeh!" Wannoff machte eine verächtliche Ge­bärde.Was der Doktor schon weiß! Soll ich etwa wie ein artig Kind mit den Hühnern schlafen gehen, wenn ich wirklich einmal Grund Hube, so recht von Herzen froh zu sein? Wir verderben uns ohne­hin viel zu viel durch die ewigen Rücksichten. Ich hab's nun einmal nicht verstanden, mich weich zu betten und das Leben nach meinem Gefallen zu zwingen ; aber nun will ich mir wenigstens nicht ver­sagen, was mir für ein paar Stunden über den Katzenjammer forthelfen kann." >

Mn erneuter Hustenansall schreckte ihn aus, und Ulrich suchte ihn zu beruhigen:Diu solltest nicht so viel sprechen, Vater"

Nicht so viel ? Aber, Menschenskind, wes­halb denn bloß nicht? Der Husten bringt mich nicht um, und ich will reden. Oder meinst du, es wäre mir einerlei, was denn nun aus dir wirbt" '

-Ulrich horchte erstaunt auf:Aus mir?"

^Ja, mein Jung aus dir. Wenn ich's! nicht bin, der sich um dich sorgst, dann tut's doch lske^n Mensch! Deine Mutter ist ja gewiß eine kreuzbrave Frau; aber siehst du, die arbeitet zu viel. So ist deine Mutter. Eine ausgezeichnete Gutsfrau wirk­lich ganz ausgezeichnet. Was aber über die Wirt­schaft hinausaeht, siehst du, das kennt sie einfach nicht! Und danum messen wir zwei allein über deine Zukunft ins Reine kommen."

iUlrich wußte nicht recht, was er aus all dem machen sollte, und er kämpfte vergebens gegen ein stabiles Gefühl des Unbehagens an. Er begriff abso­lut nicht, was denn über seine Zukunft zu reden sei. Sein Weg war ihm doch vorgezeichnet, Hindernisse gab es nach der Heimssehr von der erfolgreichen Ex­pedition Loch überhaupt nicht mehr zu überwinden. Daneben aber floß sein Unbehagen noch aus einer anderen Quelle. Seine gesunde, kraftpvlle Jugend hatte eine n atürliche Abneigung gegen alles Krank­hafte und Absterbende, und es quälte ihn, daß er dem Zustand des Vaters nicht größeres Mitleid ent­gegenzubringen vermochte. Vor allem aber tat die Art ihm weh, in der eben von seiner Mutter ge­sprochen worden war, es tat ihm weh, daß der Vater anscheinend gar nicht begriff, wie unendlich groß die Last war, d ie sie geduldig und mit immer /gleich­bleibender Aufopferungsfähigkeit trug.

Etwas von diesem Unbehagen klang in dem Ton,, mit dem er nun fragte ,watz,denn über seine Zukunft zu besprechen sei. Ob er etwa heiraten solle?

Heiraten?" Der Rittmeister lachte krächzend auf.Richtig, mein JunH heiraten sollst du auch. Und das eben muß rch dir sagen: keines hier aus der Gegend. Es ist immer eine Dummhcht, wenn man nur eine Frau heiratet und nichts weiter. Eine Frau allein ist gut für ein paar glückliche Wochen mitunter vielleicht auch für ein bischen länger es kommt eben darauf an, was für Men­schen sich da zusammengefunden haben. Wer etwas werden will, muß mit der Frau vor allem Ver­bindungen heiraten, Verbindungen und Geld. Ist die Frau dann dazu hübsch und nett, so kann das Nützliche einmal wirklich auch zum Vergnügen wer­den. Hier oben bei uns aber gibt's nur Mädchen und Geld klotzig viel GeH, das ist wahr. Für dich aber ist das zu wenig. Tu mußt dir mal was'in Berlin suchen, und deine junge Berühmtheit wird dir dabei sehr viel nützen. Ich hatte eine glänzende Zukunft und Hab' mir alles verdorben durch meine Heirat"

Vater!" rief Ulrich gequält. !

sHe?" machte Wannoff gedehnt.Ist doch nur die blanke Wahrheit, Wenns auch ein bißchen hart klingen mag. Ich hätte die Tochter meines Ober­sten heiraten sollen; das Mädchen war toll in mich verschossen, und ich brauchte nur zuzugreifen. Dabei ausgezeichnete Familie der damalige Oberst wurde' nicht lange danach Exzellenz und Kriegsminjister. Das Mädchen hat dann einen andern genommen, der noch ein Jahr jünger im Avancement war als ich und der ist heute General im großen Ge­neralstab. Also! und nun sieh mich an: Ich sitze hier auf meiner Klitsche und hin so ziemlich mit allem fertig!"

Vater!" rief Ulrich wieder, während er auf- stand und erregt auf und nieder ging.Ich kanns nicht ertragen, dich so reden zu hören. Wir beide, du und ich, haben doch wahrhaftig allen Grund, der Mutter dankbar zu sein für alles, was sie an 'süns getan hat."

Wannoff folgte Ulrich mit forschenden Blicken.

Je, Ully, was hast du denn?" fragte er dann Msicher.Ich Hab' doch gar nichts gegen Mutting gesagt? Ich will dir doch man bloß klarmachen, daß man mit einer Heirat vorsichtig sein muß"

,Das ist's ja eben!" rief Ulrich wieder, und er vermochte seine Erregung nicht mehr zurückzuhalten. Das heißt doch mit dürren Worten, daß die Hei­rat mit meiner Mutter dir kein Glück gebracht hat und das ist nicht wahr Vater, dutznlußt das doch auch wissen! Und weißt Lu's nicht, dann ist die Mutter doppelt zu beklagen!"

^,,Du bist erregt, Ulrich, und ich sollte das übel­nehmen; denn du verteidigst deine Mutter und fügst mir selbst ein schweres Unrecht zu, wenn du meinst, daß ich wider die Wahrheit gesprochen habe. Aber lassen wir das ich will nicht empfindlich sein. Die Hauptsache ist doch, daß du dich hier nicht für die Ehe einfangen läßt. Geld haben wir selbst genug darauf kannst du also zur Not schon verzichten, wenn die Verbindung nur sonst vorteilhaft für dich ist. Hier oben aber ist mehr als Geld nich< für dich zu haben."

Ulrich blieb stehen.

Auch kein Glück?" fragt er scharf.

Aer Rittmeister verzog das Gesicht zu einer ver­ächtlichen Grimasse. »

Aeh, mein Jung Glück! Was man so in jungen Jahren gemeinhin Glück nennt, das ist doch nur Lüge. Man meint, die Sonne einzusangen, und für die Ewigkeit festzuhalten, wenn man solch hüb­sches junges Ding in die Arme nimmt, und merkt erst, wenn's zu fpät ist, daß man nur einen Rausch durchlebt hat. Aus der Ernüchterung jergibt tich dann die Gewöhnung, wenn die beiden Leute Takt besitzen und hübsch verständig siuid."

(Fortsetzung folgt.)