M 301. Amis- und Anzeigeblati für den Oberamtsbezirk Calw. 87. Jahrgang.

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Srschetnungsweise: smal wöchentlich. Anzeigenpreis: JmOberamtS- veztrk Ealw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg.. Reklamen 2S Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon S.

Montag» den 23. Dezember 1912.

Bezugspreis: In der Stadt mit LrSgerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Posr- bezugspreis für den Orts- und NcrchbarortSverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Der Ministerwechfel in Württemberg.

Stuttgart, 21. Dezember. (Telegr.j Der Minister des Innern, v. Pischek, ist lt.Staatsanz." in den Ruhe­stand getreten. An seine Stelle tritt Kultusminister v. Fleischhauer, dessen Posten der Präsident des evan­gelischen Konsistoriums, v. Habermaas übernimmt. (Wiederholt aus einem Teil der Samstagsnummer.)

Beinahe 70 Jahre alt, hatte der nunmehr zurück­getretene Minister des Innern v. Pischek schon seit ge­raumer Zeit Gerüchte über seine Ämtsmüdigkeit aus­zustehen, an denen er bei seiner rüstigen Gesundheit und Eeistesfrische, bei seiner unermüdlichen Arbeits­kraft und bei der Freude, die er bis in die letzten Wochen hinein an seiner Berufsarbeit empfand, gänz­lich unbeteiligt war. Schon als Herr v. Weizsäcker den Aufstieg vom Kultministerium ins Auswärtige als Mi­nisterpräsident unternahm, gingen die Rücktrittsgerüchte über Herrn v. Pischek los. Sie wiederholten sich in den letzten Jahren mehrere Male kurz nach einander, als die Selbstverwaltungsbestrebungen im Stuttgarter Rat­haus mit denen aus die Erhaltung des Staatseinslusses gerichteten des Ministers zusammenstießen. Und zu An­fang ds. Mts. wurde von sozialdemokratischer Seite die beginnende Verschiebung der Parteiverhältnisse in der Zweiten Kammer zum Anlaß genommen, Herrn von Pischeks bevorstehenden Abschied anzukündigen. Die Tatsache war richtig, der Beweggrund falsch. Unsere Regicrungsform ist konstitutionell, aber nicht parlamen­tarisch. Veränderte Mehrheitsverhältnisse im Landtag haben auf das Recht der Krone, Minister zu ernennen und zu entlassen, keinen bestimmenden Einslutz. Aber der Minister verschloß sich auch nicht der Erkenntnis, daß der, aus der vom Psalmisten umgrenzten Höhe des Lebens angelangt, nach fast halbhundertjähriger Arbeit im Dienste des Staates, die gewaltige Last der Arbeit und Verantwortung nicht mehr lange tragen dürfe, wenn er den wohlverdienten Stand der Ruhe noch recht genießen wollte. Es wird wohl von untergeordneter Bedeutung bei dieser Entschließung gewesen sein, daß der Minister die Partei, deren Führer er einst durch ein rasches Wort schwer gereizt hatte, nun 20 Abgeord­nete stark, als zweitstärkste Fraktion in den Halbmond­saal anrücken sah. In Geislingen wars, im Sommer 1903, als Herr von Pischek in einer Tischrede auf der Bundesversammlung der landwirtschaftlichen Vereine von denbezahlten Wortführern des Bundes der Land­wirte" sprach und ihnen eine verhetzende, in der Be­nutzung ihrer Mittel wenig wählerische Tätigkeit vor­warf. Schon im Jahre zuvor hatte er die von der Land­wirtschaft geforderte Höhe der Getreidezölle scharf be­kämpft und im Reichstag eine verstärkte Rücksicht auf die Interessen der Industrie verlangt, d. h. derjenigen

Kreise in unserer rvürttembergischen Industrie, die im Gegensatz zur Großindustrie einen Abbau oder die völ­lige Aufhebung des Schutzzolles fordern. Die Energie, mit der der Minister den Uebertreibungen anläßlich der Fleischteuerung entgegentrat und die Notwendigkeit eines Schutzes der Fleischproduzenten betonte, sowie die vom Reichskanzler vorgeschlagenen, von der Linken verurteilten Maßnahmen zur Linderung der Fleischnot vertrat, hat die alten Gegensätze rechtshin erheblich ge­mildert. Und schließlich war der Minister nicht der Mann, der einer Austragung ernster Differenzen im Landtag aus dein Wege ging, so gern er auch sonst in seiner Verwaltung geringere Schwierigkeiten solcher Art durch Nachgiebigkeit oder Kompromisse zu heben pflegte. Es ist dem Minister sicherlich nicht angenehm gewesen, daß beim Beginn des Wahlkampfes ein Parteiführer der Linken zwecks Hervorhebung des Ranges seiner Partei von ihr rühmte, sie habe sogar auf die innere Verwaltung des Landes Einfluß erlangt. So wollte der Minister seine Maßregelung einiger Beamten und ähn­liche Zeichen der Nachgiebigkeit jedenfalls nicht gedeutet wissen. Was er dem Lande in der Zeit, seit er am 14. Dezember 1893 als Nachfolger des Ministers v. Schmid in Gesetzgebung und Verwaltung geleistet hat, ist noch in guter Erinnerung: Die Verwaltungsreform mit der neuen Gemeinde- und Bezirksordnung, das Wasser­gesetz, das Körperschastssorstgesetz, die Bauordnung, die Landeswasserversorgung gehören an erster Stelle ge­nannt. Nicht vollenden konnte er die Vereinfachung der Staatsverwaltung, mißglückt ist ihm die Einführung einer Landwirtschaftskammer, gerne erledigt hätte er vielleicht auch die neue Wegordnung. Es wird wohl kaum einen württembergischen Minister des Innern je­mals gegeben haben, der sein Departement besser kannte, als Herr von Pischek, und der ihm in der Kunst, es parlamentarisch zu vertreten, überlegen gewesen wäre. Wenn auch der Wechsel in der leitenden Persönlichkeit des Ministeriums des Innern keinen Systemwechsel der Eesamtregierung bedeutet, so ist doch Herr v. Fleisch­hauer der im Grunde seines Wesens und politischen Denkens konservativer veranlagt, als sein Vorgänger, für dessen Nachfolger er schlechthinder gegebene Mann" war. Zwar, jetzt auch schon scchzigjährig, war er, bevor er siebthalb Jahre lang das Kultministerium mit anerkannter Befähigung verwaltete, 18 Jahre lang das Kultministerium mit anerkannter Befähigung ver­waltete, 18 Jahre lang in der inneren Verwaltung tä­tig, nachdem er der Jurispruderz den Rücken gekehrt hatte. Er ist im Ministerium des Innern vom Hilfs­arbeiter bis zum Ministerialdirektor ausgerückt. Sein Nachfolger im Kultministerium, der bisherige Präsi­dent des Evangelischen Konsistoriums, Dr. v. Habermaß, ein Mann von sehr entschiedenem evangelischem Stand­

punkt, ist beinahe 57 Jahre alt und gleichfalls der Ju­ristenwelt entnommen. Er war Landrichter in Heil­bronn, als er 1893 Regierungsrat im Kultministerium wurde. Seit dem 25. Mai 1910 war er Präsident des Konsistoriums.

Stuttgart» 22. Dez. Wie ziemlich bestimmt ver­lautet, ist als Nachfolger des zum Kultminister ernann­ten bisherigen Präsidenten des Evangelischen Konsi­storiums Dr. v. Habermaas Direktor v. Römer vom Kosistorium in Aussicht genommen.

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft

Calw, 23. Dezember 1912.

X Die Kinosrage in Calw. Die Ausmachung eines Kinos im Dreitzischen Saale macht auch für Calw die Kinematographensrage aktuell. Stadtschultheiß Conz erklärte in der Sitzung der bürgerl. Kollegien am Donnerstag, er sei kein großer Freund dieser Kinos, aus bekannten Gründen und weil bereits längst festge­stellt sei, daß die Kontrolle über ihre Darbietungen eine äußerst schwierige sei. Hier hätten sich Herr Hager aus Pforzheim und Herr Stey-Hirsau um Ausmachung eines solchen umgetan. Fernhalten könne man gesetz­lich die Kinematographen nicht, sie sind nicht kon­zessionspflichtig in dem Sinne, daß der Eemeinderat die Bedürfnisfrage zu prüfen hätte. Wir müsse sie so, wie sie sich der freien Konkurrenz austun, haben. Dagegen sind ministerielle Richtlinien aufgestellt die zu Be­schneidung der Auswüchse der Kinematographenbetriebe dienen sollen. Ihre Vorstellungen sind nur zu gewissen Zelten (Sonntagvormittagsgottesdiensten und hohen christlichen Festen) nicht gestattet. Stadtpfarrer He­ber le fürchtet Störungen durch die Musik des Kino hier an Gottesdiensten und Beichtstunden in der ka­tholischen Kirche. Er hat bereits auch an das Oberamt sich gewandt; bei den umliegenden Bewohnern sei von diesem aber bezüglich der Störungen noch keine Erkun­digung eingezogen worden. Die Kollegialmitglie­der sprachen sich zum Teil dahin aus, daß bei der Sache hier schwerlich viel herauskommen könne. Auch wurde angeführt, daß gediegene Programme das Unterneh­men nicht zu Blüte bringen, das, wenn es heraufkom­men wolle, eben wie in anderen Städten auch, Schund bringen müsse. Die Gewerbeordnung aber biete vor­erst keine Handhabe, die Kinos zu sperren, oder zu un­tersagen. Man könne die Besitzer nur gegen Nichtge­stattung von Vorführungen an entsprechende (ideale) Gegenleistungen binden.

Jubilars im Württb. Schwarzwaldoerein. Der

Württ. Echwarzwaldverein hat 26 Mitglieder für un­unterbrochene 25jährige Zugehörigkeit zum Württ.

Die Schule des Lebens.

12) Roman von Herbert v. Osten.

Auf den Gedanken kam natürlich niemand, daß der ränkesüchtige Italiener absichtlich den Schein erweckte und stundenlang in irgend eine dunkle Nische des Trep­penhauses gedrückt stand, nur um die Menschen auf die Vermutung zu bringen, er werde von der Komtesse em­pfangen.

Einige Offiziere wollten sogar zu nächtlicher Stunde in einem versteckten Teile des Glacis den Signor Co- lonna mit einer dichtverschleierten Dame am Arm ge­sehen haben und alle schworen darauf, daß diese Dame die schöne Weyherr gewesen. Man hatte deutlich ihren weißen, atlasgefütterten Radmantel erkannt.

Wie konnte man ahnen, daß Toskas Zofe, mit der Colonna, um öfter Zutritt in das Weyherrsche Haus zu erhalten, scheinbar ein Verhältnis angeknüpft, sich auf seine Bitte zu dem verabredeten Rendezvous mit dem auffallenden Mantel ihrer Herrin geschmückt.

Kurz, die Lästerzungen wurden immer geschäftiger. Einer erzählte es dem anderen und durch einige Offi­ziere, deren Eltern in der Stadt lebten, erfuhren auch die Familien von dem Gerede, und hatten die Herren noch gezweifelt, die Damen glaubten es ganz bestimmt. So kam es, daß, nachdem kaum wenige Tage verflossen waren, man in allen Häusern und an allen Ecken von

dem Verhältnis der Komtesse zu dem jungen Musik­lehrer zischelte und tuschelte.

Keiner mochte von djkm anderen an Scharfsinn übertroffen werden, jeder hatte selbst zahlreiche Ver­traulichkeiten und verstohlene zärtliche Blicke zwischen den beiden bemerkt.

Die zarte Hendricks errötete vor Verlegenheit, wenn in einem Damenkafse Toskas Name genannt wurde, sie hatte ja längst derartiges prophezeit und sich daher immer ängstlich von der Komtesse zurückgehalten.

Die würdige Majorin Adler gab die frappierende Neuigkeit heraus, daß die überschwengliche Zärtlichkeit mit der sie Toska stets umfangen, nur die denkbar kühlste Form gewesen, die der Tochter des Obersten ge­genüber sich nicht gut vermeiden ließ. Seitdem man erfahren, daß der Oberst seine Kinder fast mittellos zu­rückgelassen, verblaßte überhaupt der Nimbus, der die Weyherrs bisher umgeben.

Die kleine Hanny Welten war vielleicht die einzige, die mit Ostentation Partei für ihre berauschend schöne Komtesse nahm und Toska nach wie vor die unentweih- ten Gefühle ihres fünfjehnjährigen Herzchens widmete.

Trotz aller Mahnungen ihrer älteren Freundinnen, sich durch diese Schwärmereien nicht vor der Welt zu kompromittieren", setzte sie die gewohnte Fensterpro­menaden vor der Weyherrschen Villa fort. Mit kühn zum Himmel erhobenem Stumpfnäschen kaufte sie täg­lich einen Veilchen- und Rosenstrauß, um ihn mit glü­henden Wangen und schwärmerischem Augenaufschlag

Toskas Jungfer zu übergeben.

Und als sie dem Grafen Hochstraten begegnete, wie er mit finster zusammengezogenen Brauen und tief zur Erde gesenktem Blick die Straße entlang schritt, da konnte sie sich nicht länger zurückhalten. Sie streckte dem verwundert aufblickenden Leutnant beide Hände mit den hastigen Worten entgegen:

Ach, lieber Graf, seien Sie doch nicht so traurig, es ist ja alles nicht wahr, sondern nur eine boshafte Altjungfernklatscherei; ich glaube kein Wort von der ganzen Geschichte."

Percy starrte der zierlichen kleinen Gestalt des jetzt eilig daooneilenden Backfischchens wie entgeistert nach. Soweit war es also schon gekommen, daß sich die Kinder in der Schule zuflüsterten, daß des Grasen Hochstraten Braut in Beziehungen zu ihrem Musiklehrer stände. Er rang nach Luft. Sein Stolz litt unsagbar bei dem Gedanken, daß man es wagte, den Ruf des Mädchens, das er liebte, in solch schmachvoller Weise zu untergra­ben.

Er fühlte sich unfähig, in dieser Gemütsverfassung den Weyherrs gegenüberzutreten, er ging direkten We­ges in den Easthof zurück, wo sein Pferd im Stalle stand, ließ seinen Gig anspannen und fuhr nach Dernburg heim, ohne Toska gesehen zu haben.

Er zürnte ihr, daß sie sich gegen seinen bestimmt ausgesprochenen Wunsch, den jungen Colonna aus kei­nen Fall wieder zu empfangen, aus Trotz und Eigen­sinn aufgelehnt. Gewiß hatte sie auch jetzt wieder eine