^283.

87. Jahrgang.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamlsbezirk Calw.

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««jcheinungsweise. 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamrs- L^zÄk Calw für die einspaltige Bargiszeile 10 Pfg.. außerhalb desselben 12 Pfg., Reklamen 28 Pfg. Schluß für Jnserarannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Montag, den 2. Dezember 1912.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.28 vierteljährlich, Post­bezugspreis für den OrtS- und Nachbarortöverkehr Mk. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Amtliche Bekanntmachungen.

Bekanntmachung

in Betreff der Landtagsrvahl.

Nach dem heute durch die Oberamtswahlkom- misfion festgestellten Ergebnis der am 29. November ds Js. stattgehabten zweiten Landtagswahl für den Oberamtsbezirk Calw wurden von 6043 Wahlberech­tigten 4226 gültige Stimmen abgegeben. Von die­sen hat

Emil Staudenmeyer, Verwaltungsaktuar in Calw,

2640 Stimmen auf sich vereinigt und somit die ver­hältnismäßige Stimmenmehrheit erhalten, es ist da­her dieser als gewählt zu betrachten.

Calw, 2. Dezember 1912.

K. Oberamt:

Reg.-Rat Binder.

Parlamentarisches.

Berlin, 29./30. Nov. 1912.

Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 1.05 Uhr. Am Bundesratstisch sind erschienen Staatssekretär Delbrück und Kriegsminister v. Hee­ringen. Auf der Tagesordnung stehen zunächst kurze Anfragen. Auf die von nationalliberaler Seite gestellte Frage, in welcher Weise in Ermangelung der Anwesenheit eines deutschen Kriegsschiffes für den Schutz der Deutschen in Saloniki gesorgt worden sei, erwiderte Geh. Rat Lehmann, bei den Ereig­nissen in Saloniki seien bisher Leben und Eigen­tum der Deutschen nicht zu Schaden gekommen. Die dortigen Behörden hätten in Verbindung mit den Konsuln Maßnahmen getroffen, die jede Gefahr für Leben und Gesundheit der Deutschen beseitigen. Sollte sich wider Erwarten die Lage zuspitzen, so sind die deutschen Kriegsschiffe im Mittelmeer im Stande, in kurzer Zeit vor Saloniki zu erscheinen. Ferner fragten die Nationalliberalen an, ob dafür gesorgt sei, daß die gesetzlich vorgesehene Errichtung von Maschinengewehrkompagnien sofort durchgeführt werden könne. Kriegsminister von Heeringen: Die nach dem Friedenspräsenzgesetz von 1911/12 vor­gesehenen 114 Maschinengewehrkompagnien sind am 1. Oktober 1912 errichtet worden. Die Versicherung kann ich geben, daß für den Kriegsfall das Erfor­derliche in die Wege geleitet worden ist. (Lebh. all­seitiges Bravo). Auf die Frage des Abg. Eöhre (S.) bezgl. der Resolutionen über die Wohnungs­reform erwiderte Unterstaatssekretär Richter: Die Resolutionen sind vom Bundesrat dem Reichskanz­ler überwiesen worden. Ich bin nicht imstande, zu sagen, ob noch in dieser Session ein diesbezgl. Ge­setzentwurf vorgelegt werden kann. Darauf wird die Debatte über die Teuerungsinterpellation fort­gesetzt. Abg. Sieg (Natl.): Als praktischer Land­wirt kann ich bestätigen, daß sich unsere Wirtschafts­politik vorzüglich bewährt hat. Abg. Graf Schwe­rin-Läwitz (kons.): Was wir wünschen und brauchen sind gleichmäßige Preise. Für unsere Vieh­zucht ist es notwendig, daß sie vor dauernden Beun­ruhigungen geschützt wird. In 5 Jahren wird das Ziel erreicht sein, daß die deutsche Landwirtschaft den gesamten Fleischbedarf decken kann, zumal sie schon jetzt trotz der enormen Bevölkerungszunahme 95 Prozent produziert. Das Fleischbeschaugesetz bringt der Landwirtschaft nicht nur erhebliche Ko­sten, sondern auch sonstige Schädigungen. Präsident Dr. Kämpf teilt mit, daß der ursprüngliche spezia­lisierte Jnterpellationsantrag der Sozialdemokraten zurückgezogen und in folgender Fassung ersetzt wor­den ist.:Die Behandlung der den Gegenstand der Interpellation bildenden Angelegenheit durch den Reichskanzler entspricht nicht der Anschauung des Reichstages." St.-Sekr. Delbrück: Die öfteren Debatten über die Fleischteuerung haben uns der Lösung des Problems nicht wesentlich näher gebracht.

Soll wirklich diese Wirtschaftspolitik die Schuld an der augenblicklichen Teuerung tragen? Das Wirt­schaftsleben eines Landes wird beeinflußt durch die Vorgänge auf der ganzen Welt. Infolge der inter­nationalen Entwicklung des Wirtschaftslebens wird auch die Preissteigerung hervorgerufen durch ähn­liche Vorgänge in anderen Ländern. Das ist der wahre Grund für die jetzige Teuerung. Großbritan­nien, das klassische Land des Freihandels, ist nicht frei geblieben von bedeutenden Preissteigerungen, ebenso Dänemark, die Schweiz, Oesterreich-Ungarn usw. Wir bestreiten nicht, daß das Fleisch immer noch knapp ist. Um dieses Uebels Herr zu werden, müssen wir praktisch den Hebel ansetzen. Vermeh­rung der Viehzucht, Verbesserung der Veterinär- und Seuchenpolizei, innere Kolonisation und Verbesse­rung des Futterbaues. Alles dieses ist aber Sache der Landesregierungen. Von heute auf morgen lassen sich solche Probleme nicht lösen. Eothein (FVP): Nicht nur die unteren Volksschichten, sondern auch weite Kreise des Mittelstandes werden von der Fleischnot betroffen. Wir treiben einer Reihe von Fleischnotjahren entgegen und jede neue Fleischnot .wird schlimmer als die vorhergehende. Die Schuld daran fällt auf die Regierung und auf die Parteien, die die jetzige Wirtschaftspolitik fortsetzen. S ü d e- kum (S.): Wir Sozialdemokraten haben stets die Interessen der deutschen Bauern nachdrücklich ge­wahrt. Das Einsuhrscheinsystem ist der Hauptfehler unseres ganzen Wirtschaftssystems. Eine auf den Freihandel eingeschworene Partei ist die Sozial­demokratie nicht. Es ist leide reine wahre Tat­sache, daß ein Teil der Bevölkerung seinen Fleisch­bedarf mit Hundefleisch deckt. Darauf wird ein Schlußantrag angenommen. Die Vor­lage über vorübergehende Zollerleichterungen bei Vorlage über vorübergehende Zollerleichterungen bei der Zolleinfuhr wird an eine Kommission von 28 Mitgliedern verwiesen. Nächste Sitzung: Sonnabend vormittag 11 Uhr. Tagesordnung: Namentliche Ab­stimmung über den soz. Jnterpellationsantrag, Ge­setz über den Zusammenstoß von Schiffen, Kinder­saugflaschengesetz und Postscheckgesetz. Schluß 7"/, Uhr.

Präsident Dr. Kämpf eröffnete die Sitzung um 11.15 Uhr. Am Bundesratstisch sind erschienen Staatssekretär Delbrück und der bayr. Ministerprä­sident Frhr. v. Hertling. Die soz. Interpellation über die Teuerungsverhältnisse:Die Behandlung der den Gegenstand der Interpellation bildenden Angelegenheit durch den Reichskanzler entspricht nicht der Anschauung des Reichstages" wird in na­mentlicher Abstimmung mit 174 gegen 140 Stim­men bei 9 Stimmenthaltungen abgelehnt. Es folgt die erste Beratung des Gesetzes über den Zu­sammenstoß von Schiffen und die Bergung in See­not. Staatssekretär Lisko: Nachdem internatio­nale Verträge abgeschlossen worden sind, muß unser Handelsgesetzbuch abgeändert werden. Hierzu dient der vorgelegte Gesetzentwurf, dessen Bestimmungen lediglich die Konsequenz des internationalen Ueber- einkommens sind. Dr. Semler (natl.): Dieser internationale Vertrag ist ein Kulturwerk ersten Ranges. Künftig sollen nicht nur allein kollidie­rende Schiffe einander Hilfe leisten, sondern jedes Schiff soll der verunglückten Mannschaft beizusprin­gen haben. Dr. Herzfeld (S.): Wir begrüßen den Vertrag als ein Glied in der Kette der Solidari­tät der Völker. Das Gesetz wird darauf ohne weitere Debatte sofort auch in 2. Lesung angenommen. Es folgt die erste Lesung des Kindersaugflaschenge­setzes, in dem Kindersaugflaschen mit Rohr und Schlauch verboten werden. Rühle (S.): Die Vor­lage ist nurweiße Seife" gegenüber dem Elend, das in der Kindersterblichkeit zu erkennen ist. Es ist ein beschämendes Zeichen für unseren Kulturzustand,

daß ein solches Gesetz überhaupt nötig ist. (Lärm bei der Mehrheit. Präsident Dr. Kämpf ruft den Redner zur Ordnung.) Deutschland ist immer in der Welt voran, wo es sich um Unkultur handelt. (Großer Lärm. Präsident Dr. Kämpf ruft den Red­ner zur Ordnung.) Ministerialdirektor von Jon- quieres: Die Vorwürfe des Vorredners, daß die Materie in dem Gesetz nicht erschöpft werde, wären berechtigt, wenn wir ein Gesetz zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit vorgelegt hätten. Ein solches Gesetz ist nicht denkbar. Mit diesem Spezialgesetz folgen wir dem Beispiel Frankreichs. Sittart (Z.): Wie steht es denn in den sozialdemokratisch geleiteten Gemeinden um die Säuglingssterblichkeit? Was hat das Millionenheer der Sozialdemokratie für den Säuglingsschutz getan im Gegensatz zu der christlichen Charitas? (Sehr gut. Große Unruhe.) Wir erkennen es mit Genugtuung an, daß unsere Regierung geeignete Maßnahmen vorschlägt, um den beklagenswerten Uebelständen entgegenzutreten. Schulenburg (natl.): Die sozialdemokratische Rede zeigt, daß den Sozialdemokraten jede Saug­flasche recht ist, um sich mit Macht gegen die heutige Gesellschaftsordnung vollzusaugen. (Sehr gut. Heiterkeit). Darauf geht die Vorlage an eine Kommission von 14 Mitgliedern. Es folgt die 1. Lesung des Po st s ch e ck g e s etz e s. Das Gesetz will das durch Verordnung eingeführte Postscheckwe­sen gesetzlich regeln und das Verfahren mehrfach än­dern. Die Stammanlage soll von 100 Mark auf 50 Mark herabgesetzt werden. Staatssekretär Krätke: Das Postscheckwesen hat sich günstig weiter entwickelt. Es ist auch gelungen, mit dem Ausland in Verbin­dung zu treten. Oesterreich-Ungarn, die Schweiz, Belgien und Luxemburg haben sich dem Verkehr an­geschlossen. Weitere Verhandlungen sind im Gange. Die ganze Einrichtung hat den Beifall der Beteilig­ten gefunden, aber die Grenze zwischen Zahler und Empfänger, sowie die Gebühr ist nicht richtig abge­steckt. Insbesondere ist es ein Nachteil, daß bei mehr als 600 Buchungen für einen Kontorinhaber eine Zuschlagsgebühr von 7 Pfennig für jede Buch­ung in Anrechnung gebracht wird. Diese Unbequem­lichkeit soll beseitigt werden, indem bei der Einzah­lung eine Frankierung eintritt. Eine Konferenz von Vertretern der verschiedenen Berufsarten ist von uns einberufen worden, deren Beschlüsse in dem gegen­wärtigen Gesetz niedergelegt sind. Südekum (S.): beantragt Kommissionsberatung. Irl (Z.): Wir begrüßen die Errichtung des Postscheckverkehrs und wünschen eine weitere Erleichterung, zumal der kleine Besitz große Vorteile aus diesem Verkehr hat. Frommer (kons.): Das Postscheckwesen hat für uns nicht unbeträchtliche Bedenken, da wir daraus eine Beschädigung des Genossenschaftswesens herlei­ten. Dove(FVP-): Im großen und ganzen sind wir mit dem Entwurf einverstanden. Die Vorlage wird der Budgetkommission überwiesen. Nächste Sitzung Montag nachmittag 2 Uhr. Tagesordnung: Erste Lesung des Etats. Schluß Z43 Uhr.

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.

Calw, 2. Dezember 1912.

X Vachkonzert des Kirchengesangvereins. Ad­vent! Wo in der evangelischen Familie Musik ge­trieben wird, greift man an diesem Tage und in die­ser Vorweihnachtszeit nach Bach. Seinem Advents­konzert in der evangelischen Stadtkirche hat der Kir­chengesangverein gleichfalls die Prägung eines Bach- Konzerts gegeben. In einer 5stimmigen Motette, einer Passacaglia in <?-moll für Orgel, einer Kantate für eine Solostimme, dem Orgelvorspiel:Nun komm der Heiden Heiland" und der Kantate für den 1. Advent aus dem Jahr 1714 erschöpfte sich die zum Vortrag gebrachte Musik, die von den Ausübenden im großen ganzen mit idealem Schwung und in großer Schönheit den Zuhörern nahegebracht wurde.