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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.
87. Jahrgang.
L.sLrinungSwcije: ümal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im OberamtL- öezirf Lalw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg.. außerhalb desselben 12 Pfg., Reklamen 2S Psg. Schluß sür Jnseratannahmc 10 Uhr vormittags. Telefon 9.
Donnerstag, den 28. November 1912.
Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich. Postbezugspreis für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Psg., in Bayern und Reich 42 Pfg.
Bekanntmachung,
betreffend die Wahl eines Landtagsabgeordneten für den Oberamtsbezirk.
Die Ermittlung des Ergebnisses der in den Abstimmungsdistritten des Oberamtsbezirks Ealro am 29. November 1912 vorgenommenen Wahl eines Landtagsabgeordneten für den Oberamtsbezirk Calw findet in Gemäßheit des Art. 18<l des Landtagswahlgesetzes vom 16. Juli 1906 am Montag, den 2. Dezember 1912 vormittags 9 Uhr im kleinen Sitzungssaal (Zimmer Nr. 9) des Rathauses in Calw durch die Oberamtswahlkommission (Bezirksrat) statt. Der Zutritt zu dem Lokal, in welchem die Verhandlungen stattfinden, steht jedem Wähler offen, Beratungen und Ansprachen Dritter bst der Ermittlung des Wahlergebnisses durch die Oberamtswahlkommission sind nicht gestattet.
Calw, den 28. Nov. 1912.
K. Oberamt:
Reg.-Rat Binder.
Wann muß Deutschland mit?
— ,'b. Die drohende, jetzt allerdings wieder ruhigere politische Lage, die um Haaresbreite Rußland und Oesterreich ernsthaft hintereinander gebracht hätte, legte auch die Frage nahe, in wie weit Deutschland im Ernstfälle durch sein Bundesverhältnis als Dreibundsmacht Oesterreich gegenüber verpflichtet sei. Es herrscht über die Art der deutschen Bundesgefolgschaft noch vielfach große Unklarheit. Da ist einmal darauf hinzuweisen, daß der seit 1883 zwischen Deutschland, Oestereich-Ungarn und Italien abgeschlossene „Dreibund" den Charakter eines Defensivbundes trägt, d. s. eines Abwehr- eines Verteidigungsbündnisses, im Gegensatz zu einem Offensiv-An- griffsbündnis. Der Dreibundsvertrag nun beruht keineswegs auf der Grundlage, daß die Dreibund- mächte sich überhaupt mit ihren Armeen beistehen, falls eine von ihnen mit einem außerhalb des Dreibundes stehenden Staat in kriegerischen Konflikt käme. Der Vertrag zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn, der bereits 1879 geschlossen wurde, verpflichtet die gegenseitige Unterstützung mit Militärmacht nur bei einem Angriff Rußlands auf Deutschland oder auf Oesterreich. Der Angriff irgend einer andern Macht auf eines dieser beiden Reiche verpflichtet den Bundesgenossen jeweils zu neutraler, wohlwollender Haltung, dem Angegriffenen gegenüber. Wörtlich heißt es im zweiten Artikel des Dreibundsvertrags mit Oesterreich-Ungarn: „Wenn jedoch in einem solchen Fall die angreifende Macht von Seiten Rußlands, sei es in Form von aktiven Kooperationen, sei es durch militärische Maßnahmen, unterstützt werden sollte, so tritt die Verpflichtung des gegenseitigen Beistandes mit voller Heeresmacht auch in diesem Falle sofort in Kraft.
Würde Rußland gegen Oesterreich losschlagen, wie es vor kurzem noch den Anschein hatte, dann müßte Deutschland aufgrund seines Vertrages mit Oesterreich-Ungarn, letzterem beistehen, wäre umgekehrt Oesterreich der Angreifer, dann läge für das deutsche Reich keine vertragliche Bindung zum Beistand Oesterreich gegenüber vor. Dasselbe Verhältnis besteht für Oesterreich Deutschland gegenüber, dem es beispringen müßte, falls Rußland es angreifen würde, und das neutral bleibt, wenn eine andere Macht uns überfällt, oder wir in einen Krieg mit Rußland verwickelt würden, in dem Deutschland der Angreifer wäre. Die Bindung der beiden Kaiserreiche Italien gegenüber ist so zu verstehen, daß Deutschland unL Italien gegenseitig sich Hilfe leisten, wenn Frankreich gegen eines der beiden Länder einen Angriffskrieg führt. Oesterreich und Italien dagegen sind vertraglich gehalten, im Falle eines Angriffs durch Rußland oder Frankreich auf ihre Reiche gegenseitige Neutralität zu wahren. Würde Rußland,' dem Frankreich verpflichtet ist, Deutsch
land oder Oesterreich angreifen, dann hätten wir den Fünfstaatenkrieg zu Wasser und zu Lande: auf der einen Seite den Dreibund, auf der anderen Rußland und Frankreich.
Der Balkan krieg.
Was heute an Nachrichtenmaterial vorliegt, zeigt deutlich, daß in der allmählichen Entspannung der Lage kein Rückschlag eingetreten ist. Oesterreich hält an seinem Einspruch gegen eine territoriale Festsetzung Serbiens an der Adria fest, stellt aber die ganze diplomatische Austragung der Frage zurück, bis der Friedensvertrag zwischen den Balkanstaaten und der Türkei vorliegt, aus dem man ersehen kann, welche Veränderungen des Statusquo eintreten werden.
Sofia, 27. Nov. Die Ansicht, daß Bulgarien militärisch erschöpft sei und übergroße Verluste durch Gefechte und Krankheiten erlitten habe, sowie daß der Vorrat an Munition nicht ersetzt sei und überhaupt Kriegsmüdigkeit herrsche, wird hier bestritten. Infolge der Einberufung von zwei jungen Jahres- klassen, die, abgesehen von vortrefflicher Vorbereitung für den Heeresdienst, durch Jugendübungen in der Heimat, jetzt schon eine einmonatige eingehende Ausbildung erhalten hätten, sei es möglich gewesen, sehr bedeutende Neuformationen aufzustellen, die vorzüglich bekleidet, genügend ausgerüstet und gut bewaffnet seien. Von diesen jungen Leuten, die mit verspätet eingetroffenen Reservisten vermischt sind, kommen allerdings jetzt Zehntausende durch Sofia. Alle machen einen vortrefflichen Eindruck strammer Feldsoldaten, denen man den Stolz und die Freude ansah, daß ihnen trotz der Jugend die Ehre zuteil wird, an dem großen Kampf mitzuwirken. Der Mangel an Offizieren wird trotz der Verluste nicht für so fühlbar erklärt, da General Sawwow, während er Kriegsminister war, drei Jahre hindurch jährlich 900 der besten Unteroffiziere in einem einjährigen Kursus eine militärische Ausbildung zu Reserveoffizieren geben ließ. Diese Männer sollen sehr gute Dienste geleistet haben und werden zu Offizieren der Reserve befördert werden. Wie gut, reichlich und von wo die Kriegsvorräte ergänzt wurden, wird man nach dem Kriege erfahren.
Parlamentarisches.
AusdemReichstag.
Berlin, 27. Nov. Bei der heutigen Präsidentenwahl des Reichstages wurden 371 Stimmzettel abgegeben. Davon entfielen aus Dr. Kämpf (Fortschr. Volksp.) 1!>0, auf Dietrich (Kons.) 60. Zersplittert waren 1 Stimmen. Weihe Zettel wurden 117 abgegeben. Dr. Kämpf ist somit gewählt und nahm die Wahl dankend an.
Vizepräsident Dr. Paasche eröffnet die Sitzung um 1.20 Uhr. Am Bundesratstisch sind erschienen die Staatssekretäre Delbrück und Kühn, sowie Unterstaatssekretär Wahnschaffe. Das Haus und die Tribünen sind sehr gut besetzt. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Wahl des Präsidenten. Zum Präsidenten wurde Dr. Kämpf (F. V.) gewählt, der die Wahl mit Dank annahm und sagte: Ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, um die Geschäftsordnung zu fördern. Ich bitte um Ihre Unterstützung hierbei. Es folgten die I n t e r p e l l a t i o n e n der National- liberalen und Sozialdemokraten betr. die auswärtige Lage. Auf eine Anfrage des Präsidenten erklärte der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg: Ich bin bereit, die Interpellationen in nächster Woche zu beantworten und zwar, wie ich hoffe, in den ersten Tagen. Auch liegt mir daran, über die gestellten Fragen im Reichstage Auskunft zu geben. Damit ist die Angelegenheiten für heute erledigt. Es folgt die Interpellation der Sozialdemokraten betreffend die Teu- rungsverhiittnisse. Der Reichskanzler erklärt sich bereit, die Interpellation heute zu beantworten. Auf Antrag des Abg. Spahn (Z.) wird damit verbunden die erste Lesung des Gesetzentwurfs betreffend vorübergehende Zollerleichterungen bei der Fleischeinfuhr. Abg. Scheidemann (Soz.)
begründet die Interpellation. In den Regierungsmatznah- men sind mancherlei Bestimmungen enthalten, welche geradezu unverständlich erscheinen, z. B. datz die Fleischeinfuhr aus den Balkanländern gestattet wurde 3 Tage vor Ausbruch des Krieges. Was bisher geschehen ist, ist vollkommen ungenügend. Machen wir es einmal der Regierung durch Verweigerung der Mittel unmöglich, in der bisherigen Weise weiter zu wirtschaften, lediglich im Interesse des kleinen Häufchens um den Bund der Landwirte. Die Lebensmittelzölle sind in unseren Tagen ein himmelschreiendes Unrecht. Reichskanzler von Bethmann Hollweg: Wenn die Sozialdemokratie zur Herbeiführung einer Besserung der Verhältnisse einen Umsturz unseres Wirtschaftssystems fordert, so schlägt sie ein untaugliches Mittel vor. Wir sind in der Oeffnung unserer Grenzen soweit gegangen, als es sich mit unserer Verantwortung für den Seuchenschutz irgendwie verträgt. Der jetzt auch wieder angegriffene H 12 des Fleisch- beschaugesetzes hat der deutschen Landwirtschaft tatsächlich einen großen, aber auch recht kostspieligen sanitären Schutz gewährt. Vor allem aber können sie doch nicht verlangen, dag wir inländisches Fleisch schärfer behandeln als ausländisches. (Leb. Zustimmung rechts und in der Mitte.) Was die Einführung von Gefrierfleisch anlangt, so ist die Frage einfach die, wollen wir das Ziel weiter verfolgen, unser Volk mit den Produkten der eigenen Landwirtschaft zu ernähren, oder wollen wir dieses Ziel aufgeben. Wir können nur das eine oder das andere wollen. Ich wäre sehr dankbar, wenn Herr Scheidemann den Beweis dafür erbringen wollte, dag die deutsche Landwirtschaft dazu nicht imstande ist. Tatsächlich ist es ihr gelungen, die Fleischversorgung des deutschen Volkes in immer höherem Grade durchzuführen. Wenn der Abg. Scheidemann behauptet, das Fleisch sei ein Leckerbissen für den .Arbeiter geworden und wenn er bei dieser Gelegenheit dem Herrn Landwirtschaftsminister Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse vorwirft, so mutz ich diesen Vorwurf einfach zurückgeben. (Zustimmung rechts und in der Mitte, lebh. Unruhe und Pfuirufe links.) Eine Einschränkungsnotwendigkeit ist allerdings eingetreten und sie geht weit über die Arbeiterkreise hinaus, aber dag der deutsche Arbeiter am Hungertuch nagt, ist einfach nicht wahr. (Stürmischer Widerspruch links.) Datz die Einfuhr von Gefrierfleisch der Landwirtschaft nicht schaden werde, ist ebenfalls eine falsche Behauptung des Herrn Scheidemann. Die Viehzucht, insbesondere die Schweinezucht, die hauptsächlich in den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben unter 20 Hektar ihre Stätte hat, würde in diesem Teile durch die Einfuhr aufs schwerste geschädigt werden und auch sie von der Linken, meine Herren, haben doch immer die Notwendigkeit betont, die kleinen Betriebe zu fördern und zu vermehren. Was die Futtermittelzölle anlangt, so gelten die Gründe, die im vorigen Jahre für ihre Beibehaltung maßgebend gewesen sind, angesichts des Charakters der Ernte in diesem Jahre erst recht. Die Aufhebung der Einfuhrscheine wäre durchaus keine so einfache Sache, wie Herr Scheidemann meint. Sie würde aufs tiefste in das Leben der Landwirtschaft eingreifen. In der Ausrufung der Kommunen zur Mitarbeit haben wir geglaubt, ein wirksames Mittel gefunden zu haben, und es hat sich dabei keineswegs um die Abwälzung einer Aufgabe auf andere Schultern gehandelt. 70 deutsche Städte haben von der ihnen gegebenen Ermächtigung Gebrauch gemacht, und überall sind die Fleischpreise gesunken. Dabei beziehen die Kommunen naturgemäß das Fleisch aus dem Auslande. Für die Zukunft wird es notwendig sein, datz sie auch Beziehungen zur inländischen Landwirtschaft, insbesondere zu den landwirtschaftlichen Genossenschaften, Hersteilen. Auf Antrag des Abg. Bassermann (Natl.) findet Besprechung der Interpellation statt. Inzwischen ist ein sozialdemokratischer Antrag eingegangen, der nach der neuen Geschäftsordnung feststem, datz zwischen den Anschauungen des Reichstages und des Reichskanzlers bezüglich verschiedener die Beseitigung der Teuerung ins Auge fassender Mittel ein Widerspruch bestehe. Eiesberts (Ztr.): Eine Beseitigung der Zölle, wie sie von den Interpellanten gefordert wird, wäre gleichbedeutend mit dem Ruin der Landwirtschaft. Die amerikanischen Kapitalisten würden nach Zulassung unbegrenzter Mengen Gefrierfleisch alles daran setzen, den deutschen Markt in die Hand zu bekommen. Die Fleischverteurung wird viel zu sehr vom politischen Standpunkt aus betrachtet. Weilnböck (Kons.) erkennt das Bestehen ungewöhnlich hoher Fleischpreise und einer Viehknappheit an, hält sie aber für vorübergehende Erscheinungen. Der Gesetzentwurf über vorübergehende Zollerleichterungen bei der Fleischeinfuhr sei ein Eingriff in die Zollgesetzgebung von 1912. Nötiger (Natl.): Unser Wirtschaftssystem hat sich bewährt. Die Politik der mittleren