277.
Amts- und Anzeigedlatt für den Oderamtsbezirk Calw.
87. Jahrgang.
Ässchetnungsweise: Smal wdchcnlttch. Anzeigenpreis: Im Oberamts- Lrzir? Calw für die emspalrige Borgiszeile Psg.. außerhalb desselben 12Pfg., Neklamen 25 Pfg. Schluß für Jnfcrarannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.
Montag, den 25. November 1912.
Bezugspreis: In der Stadt mir Trägerlohn Mk. 1.25 viertelfährlich. Postbezugspreis für den Orts- und NachbarortSverkehr Mt. 1.20. im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg-. in Bayern und Reich 42 Psg.
Der BalLankrieg.
Konstantinopel. 24. Nov. Der Minister des Aeußern hat dem Vertreter des „W. T.-V. erklärt, daß neue Verhandlungen mit Vulgaren über den Friedensschluß noch nicht begonnen hätten und auch noch keine neuen Vorschläge Bulgariens eingegangen seien. Die Türkei werde nur stark modifizierte Vorschläge diskutieren, die früheren seien undiskutierbar, jetzt nach den klaren Erfolgen von Tscha- taldscha natürlich noch mehr wie früher.
Konstantinopel. 24. Nov. Gestern sind unter der Bevölkerung der Stadt 60 Cholerafälle vorgekommen. Die Zahl der bisherigen Fälle beträgt 531, wovon 247 tödlich verliefen. Mehrere Dörfer zwischen Tschataldscha und Konstantinopel sind von den Bewohnern aus Angst vor der Tholera verlassen worden. Die Epidemie wütet fortgesetzt unter den Flüchtlingen und Verwundeten in San Stefano.
Konstantinopel. 24. Nov. Es wird der Gedanke erwogen, die Matrosen der fremden Kriegsschiffe wieder einzuschiffen. Nachdem Bulgarien gemäßigtere Friedensbedingungen angeboten hat, werden für heute neue Friedensverhandlungen erwartet.
Sofia, 26. Nov. Von kompetenter Stelle wird versichert, daß die Verhandlungen über den Waffenstillstand fortdauern. Für den Fall, dag sie ergebnislos verlaufen, besteht die Absicht, mit allen verfügbaren Truppen der mazedonischen, griechischen und der serbischen Armee die Tschataldscha- linie zu forcieren. Nach erfolgter Vereinigung würden die drei Armeen eventuell doch in Konstantinopel einziehen.
Paris, 24. Nov. Der Sonderberichterstatter des „Temps" in Konstantinopel meldet: Mitglieder des von Engländern geleiteten ägyptischen Roten Halbmonds, die sich bei den Türken in der Tscha- taldschalinie befinden, berichten, daß infolge der getroffenen strengen sanitären Maßregeln die Cholerafälle in den letzten Tagen von 3000 auf 100 täglich zurückgegangen sind. Der Belgrader Berichterstatter des „Temps" meldet: Die serbische Regierung hat der Militärbehörde den Befehl erteilt, die serbischen Bewohner der besetzten türkischen Gebiete zu bewaffnen und die den Türken abgenommenen Waffen unter die Freiwilligen zu verteilen, die von
serbischen Offizieren eingeübt werden sollen, um sie unverzüglich verwenden zu können.
Wien, 24. Nov. Die Blätter stellen fest, daß die Nachrichten über Rüstungen Rußlands an der Nordostgrenze Oesterreich-Ungarns, deren Zweck nicht klar sei, hier mit großer Ruhe und Kaltblütigkeit ausgenommen würden. Sollte es sich dabei um einen Versuch der Einschüchterung Oesterreich-Ungarns in der Geltendmachung seiner gewiß berechtigten Politik Serbien gegenüber handeln, so würden die militärischen Maßregeln Rußlands diesen Zweck gewiß verfehlen, da die Monarchie von ihren minimalen Forderungen nicht abgehen werde. Auch die „Reichspost" konstatiert, daß die erwähnten Nachrichten in Wien ohne Nervosität ausgenommen worden find.
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.
Calw, 25. November 1912. Vorstellung und Prüfung der freiwilligen Sanitätskolonne Calw.
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!" Was anderes als dieses Wort unsres Goethe ist es, das die Grundmotive für die Ausübung der schulgerechten Hilfeleistung in Notfällen abgibt, der sich im württembergischen Heimatlande nunmehr 30 geschlossene, ausgebildete Vereinigungen geweiht haben? Hingegeben haben zu dem weiteren Zwecke, Wunden zu heilen, draußen im Feld, wenn heute oder morgen das Vaterland ruft, und tapferer Jugend Leiber tod- und verderbenbringenden Kugeln entgegentrotzen! Und mit dem gestrigen Tage stellte auch unsre Stadt Calw eine Kolonne, die 30. im Lande, zum Württembergischen Freiwilligen Sanitätskorps. Der gestrige Sonntagnachmittag war ausgefüllt mit der offiziellen „Indienststellung" und Uebernahme in das Württembergischen Korps. Er war ein Ehrentag für die Freiwillige Sanitätskolonne Calw und ein Festtag für sie und das gute Gelingen des Tages mag ihrem Gründer, Amtmann Rippmann, dem ärztlichen Leiter, Dr. Schiler, dem Kolonnenführer, Amtsgerichtssekretär Pfi- zenmaier und jedem einzelnen Mitglied Genugtuung und Ersatz sein für die vielen anstrengenden Stunden, die der Kolonnendienst mit sich gebracht hat. Die erste Friedens-Feuerprobe nahm einen allseitig anerkannt befriedigenden Verlauf.
Amtliche Bekanntmachungen.
K. Oberami Calw.
An die Gemeindebehörden.
Soeben ist im Verlag von W. Kohlhammer in Stuttgart erschienen das Werk: Die Verhältniswahl in den zwei württembergischen Landeswahlkreisen. Zusammenstellung der einschlägigen Vorschriften in sachlicher Ordnung mit erläuternden Anmerkungen von Dr. A. Neuschler,Regierungsrat im K. Ministerium des Innern. Preis drosch. Mark 1,80, geb. Mark 2.—, bei 20 Exemplare brosch. Mark 1.50, geb. Mark 1.75.
Zwecks glatter Abwicklung des Wahlgeschäfts wird den Gemeinden das Werk zur Anschaffung bestens empfohlen. Etwaige Bestellungen wollen umgehend dem. Oberamt gemacht werden, das dieselben einer im Bezirk befindlichen Sortimentsbuchhandlung überweisen wird.
Den 22. November 1912.
Regierungsrat Binder.
Kurs für Kavfleute und Angehörige der Kleider- iudustrie.
Für Prinzipale und Gehilfen von Manufaktur- warenhandlungen, sowie von Kleiderkonfektions- und Maßgeschäften wird im Fall genügender Beteiligung ein Kurs zum Zweck der Unterweisung in Waren- und Materialienkunde am Technikum für Textilindustrie in Reutlingen abgehalten werden.
Der Kurs wird am 7. Januar 1913 beginnen und drei Wochen dauern. Der Unterricht findet an allen Werktagen in den Stunden von 10 Uhr vormittags bis 7 Uhr nachmittags statt. Die Teilnehmer haben ein Unterrichtsgeld von 20 Mark zu entrichten. Die Anmeldungen, aus welchen Name, Beruf, Wohnort und Alter der Angemeldeten, sowie die Firmen, denen sie angehören, ersichtlich sein sollen, müssen bis spätestens 30. Dezember 1912 bei der K. Zentralstelle für Gewerbe und Handel in Stuttgart eingereicht werden.
Calw, den 22. November 1912.
K. Oberamt:
Reg.-Nat Binder.
kichtenstein.
88) Romantische Sage von Wilhelm Hauff.
„Das warst du, Hans?" rief Georg und sah ihn mit scheuen Blicken an.
„Das war ich", sagte dieser langsam und ernst; aber es ward mir dafür, was mir gebührte. Der Herzog entkam uns damals und sammelte ein Heer; wir konnten nicht lange aushallen und ergaben uns auf Gnad und Ungnad. Es wurden zwölf Anführer des Aufruhrs nach Schorndorf geführt und dort gerichtet; ich war auch unter ihnen. Aber als ich so im Kerker lag und mein Unrecht und den nahen Tod überdachte da graute vor mir selbst, und ich schämte mich, mit so elenden Gesellen, wie die andern elf waren, gerichtet zu werden."
„Und wie wurdest du gerettet?" fragte Georg teilnehmend.
„Wie ich Euch schon in Ulm sagte, durch ein Wunder. Wir zwölf wurden auf den Markt geführt, es sollte uns dort der Kopf abgehauen werden. Der Herzog saß vor dem Rathaus und ließ uns noch einmal vor sich führen. Jene elfe stürzten nieder, daß ihre Ketten fürchterlich raffelten, und schrien mit jammernder Äimme um Gnade. Er sah sie lange an und betrachtete dann mich. Warum bittest du nicht auch? fragte er. Herr, antwortete ich, ich weiß, was ich verdient habe, Gott sei meiner Seele gnädig. Roch
einmal sah er auf uns, dann aber roinkte er dem Scharfrichter. Wir wurden nach dem Alter gestellt, ich als der jüngste war der letzte. Ich weiß wenig mehr von jenen schrecklichen Augenblicken; aber nie vergesse ich den greulichen Ton, wenn die Halsknorpel krachten.—"
„Um Gottes willen hör auf," bat Georg, „oder übergehe das Gräßliche!"
„Neun Köpfe meiner Gesellen staken auf den Spießen, da rief der Herzog: Zehn sollen bluten, zwei frei sein. Bringt Würfel her und laßt die drei dort würfeln! Man brachte Würfel, der Herzog bot sie mir zuerst; ich aber sagte: Ich habe mein Leben verwirkt u. würfle nicht mehr darüber! Da sprach der Herzog: Nun, so würfle ich für dich. Er bot den zwei andern die Würfel hin. Zitternd schüttelten sie in den kalten Händen die Würfel, zitternd zählten sie die Augen: der eine warf neun, der andere vierzehn; da nahm der Herzog die Würfel und schüttelte sie. Er faßte mich scharf ins Auge, ich weiß, daß ich nicht gezittert habe. Er warf — und deckte schnell die Hand darauf. Bitte um Gnade, sagte er, noch ist es Zeit. Ich bitte, daß Ihr mir verzeihen möget, was ich Euch Leids getan, antwortete ich, um Gnade aber bitt ich nicht, ich habe sie nicht verdient und will sterben. Da deckte er die Hand auf, und stehe, er hatte achtzehn geworfen. Es war mir sonderbar zu Mut, es kam mir vor, als habe er gerichtet an Gottes Statt. Ich stürzte auf meine Knie nieder und ge
lobte fortan in seinem Dienst zu leben und zu sterben. Der zehnte ward geköpft, wir beide waren frei."
Mit immer höher steigender Teilnahme hatte Georg der Erzählung des Pfeifers von Hardt zugehört, aber als er schloß, als sich das sonst so kühn und listig blickende Auge mit Tränen füllte, da konnte er sich nicht enthalten, seine Hand zu fassen, sie fest und herzlich zu drücken. „Es ist wahr", sagte der junge Mann, „du hast Schweres an deinem Landesherrn verschuldet, aber du hast auch schrecklich gebüßt, denn du hast den Tod dennoch erlitten; jenes schnelle Zücken des Schwertes ist nichts mehr gegen das Gefühl, so viele bekannte Menschen hinrichten u. fich den Tod immer näher kommen sehen! Und hast du nicht durch ein Leben voll Treue, durch Aufopferung u. Wagnis aller Art den Fürsten versöhnt, an den du deine Hand legtest? Wie oft hast du ihm Freiheit, vielleicht das Leben gerettet! Wahrlich, deine Schuld ist reichlich abgetragen."
Der arme Mann hatte, nachdem er seine Erzählung geschlossen, wieder mit düsterem Sinnen ins Feuer geschaut. Er hätte ganz teilnahmlos geschienen, wenn nicht unter den Worten Georgs nach und nach ein trübes Lächeln auf seinen Zügen erschienen wäre. „Meint Ihr," sagte er, „ich hätte gebüßt und meine Schuld abgetragen? Nein, solche Schulden tilgen sich nicht sobald, und ein geschenktes Leben muß für den ausgesetzt werden, der es uns fristete. Das Ümherschleichen in den Bergen, Kundschaft brin-