Ausland.
Die ungarische Wehrvorlage,
deren Inhalt unseren Lesern bekannt ist und darin gipfelt, daß die Wähler nach dem Maße ihrer Schulbildung Vorrechte vor den Analphabeten genießen, wurde am letzten Tage des alten -Jahres im Budapester Reichstage eingebracht. Mit der gegenwärtigen Vorlage unternimmt die Regierung zum vierten Male den Versuch einer Wahlreform in Ungarn. Obwohl der neue Entwurf eine Vermehrung der Wählerzahl von 120 000 auf 180 000 Stimmen vorsieht, geht er vielen Reichstagsabgeordneten doch nicht weit genug. Selbst aus der Regierungspartei traten mehrere Mitglieder aus, um den Wahlreformentwurs der Regierung in voller Unabhängigkeit bekämpfen zu können. Die Ungarn erstreben dasselbe Wahlrecht, das Oesterreich seit dem Januar 1907 besitzt und das die allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahl der Abgeordneten auf 6 Jahre vorsieht. Ungarn hat bisher wohl* die direkte, aber nicht die gleiche und geheime Abgeordnetenwahl; die letztere bringt ihm auch die jetzige Regierungsvorlage, die das Wahlrecht von einer bestimmten Steuerzahlung abhängig macht, in keiner Weise. Daher sind auch jetzt wieder erregte Wahlrechtskiämpfe und Stürme, im ganzen Lande vorauszusehen.
Ein politisches Duell.
st Budapest, 2. Jan. Zwischen dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Grafen Tisza, und dem oppositionellen Abgeordneten Graf Michael Karolyi fand heute ein Sübelduell unter schweren Bedingungen statt. Es wurden 32 Gänge gefuchten. Das Duell dauerte eine Stunde. Graf Karolyi erhielt mehrere Rißwunden, Graf Tisza einen flachen Hieb auf die Hand. Die Gegner schieden unversöhnt.
Ein Kampf zwischen Beduinen und Italiener.
st Rom, 2. Jan. Die „Ag. Stef." meldet aus Benghasi: Die Beduinen von Zeiana beschossen heute eine vorgerückte Stellung in dem nördlichen Sektor an der Küste. Sie wurden von 2 Kompagnien erythräischer Schützen, unterstützt von Truppen des 68. Infanterieregiments und einer Abteilung eingeborener Truppen zerstreut. Die Feinde erlitten große Verluste. Ein Italiener und 5 ery- thräische Soldaten wurden getötet, 13 verwundet. Ein Kriegsschiff bombardierte später die Küste von Zeiana.
Wachsende Friedensaussichteü.
Konstantinopel, 1. Jan. Als Grund, weshalb die Türkei von den schwebenden, mit dem Bal- kaukrieg zusammenhängenden Fragen, die sie der Intervention der Großmächte unterbreitete, Adrianopel ausschloß, wird das in der geheimen Verhandlung mit Bulgarien bereits erzielte Einverständnis hingestellt. Man nimmt als sicher an, daß Bulgarien unter der Bedingung der Schleifung der Festung auf Adrianopel verzichtet. Die Türkei hätte auch die Verpflichtung übernommen, keine
neuen Befestigungen bis nach Tschorlu anzulegen. Bezüglich der Frage der Inseln im Aegäischen Meere, Kreta ausgenommen, das Griechenland anheimfällt, ist man fest überzeugt, daß die Inseln der Türkei verbleiben, da die Großmächte die Festsetzung einer anderen Macht daselbst nicht dulden wollen. Natürlich wird die Türkei zu Konzessionen in der Verwaltung der Inseln, vielleicht zu einer gewissen Autonomie derselben angehalten werden.
Die Auffassung, daß der Krieg virtuell be- enoet sei unter Hinweis auf die Ermüdung der Truppen, das Fehlen von Führern und die finanzielle Lage, die eine Fortsetzung des Feldzuges als ausgeschlossen erscheinen lassen muß, gewinnt immer breiteren Boden.
Der Finanzminister behob den letzten Rest seines statutarischen offenen Kredites mit 90 000 Pfund bei der Ottomanbank. Die Pforte wird ohne An- spruchnahme eines Kredites am 13. Januar nicht einmal in der Lage sein, für die Zahlung der Monatsgagen und notwendigen Gehälter die erforderlichen 400000 Pfund aufzubringen. Wie soll da ein kostspieliger Winterkrieg inauguriert werden? Es mag tragisch sein, aber man muß den Tatsachen kaltblütig ins Auge sehen: der Hunger und die Sorge um das tägliche Brot wird die Türkei zur Niederlegung der Waffen zwingen.
Die Reunion der Botschafter.
st London. 2. Jan. Die Reunion der Botschafter hat heute nachmittag im Auswärtigen Amt unter dem Vorsitz von Sir Edward Grey ihre Sitzungen wieder ausgenommen.
Vermischtes.
8 Kiderlen-Wlichter und seine Bulldogge. In
den Tagen, da Kiderlen mit Cambon jene von ganz Europa mit Spannung beobachteten Verhandlungen über das Marokkoabkommen führte, erzählten die Annales von dem soeben verstorbenen Staatssekretär eine hübsche Geschichte, in der seine Bulldogge eine Rolle Ispielt. Als Kiderlen seinen Posten in Budapest verließ, um während des Urlaubs von Marschall die Geschäftsführung der deutschen Gesandtschaft in Konstantinopel zu übernehmen, machte diese Bulldogge des Herrn v. Kiderlen, von der er sich nie trennte, von sich reden. Damals besuchte er seinen österreichisch-ungarischen Kollegen, den Grafen von Pallavicini. Im Vorzimmer traf er einen Freund, der ihn einige Augenblicke zurückhielt, während die Tür zu dem Arbeitszimmer des Grafen schon geöffnet stand. Diesen Moment benutzte die Bulldogge, um bei dem Gesandten einzutreten. Pallavicini, fast blind und ein wenig taub, hört ein Geräusch auf dem Teppich und glaubt, der Vertreter Deutschlands sei bei ihm im Zimmer. „Guten Tag, mein teurer Kiderlen", ruft er ihm zu, „haben Sie gute Nachrichten aus Berlin?" Keine Antwort. Sehr erstaunt wiederholt er seine Frage, aber er hört nur ein schnupperndes kratzendes Geräusch. Da tritt der wirkliche! Kiderlen ein. „Er lachte laut bei dem Gedanken, daß man seinen Hund für ihn gehalten hatte, und meinte dann nachdenklich: „Uebrigens wäre meine Bulldogge ein ausgezeichneter Gesandter, besonders in Konstantinopel, wo es sich noch mehr ums Beißen, als ums Bellen handelt."
8 Dar moderne chinesische Grußcomment. Yuan- schiiai, der Präsident der chinesischen Republik, hat nun, um einem längst gefühlten Bedürfnis abzu- helsen, in einem amtlichen Dekret dem Volke Chinas mitgeteilt, daß es fortan einander zu grüßen hat. Die Bestimmungen des neuen Zeremoniells lauten: Paragraph 1: Zum Gruße wird der Hut gelüftet und der Oberkörper vorgebeugt. Paragr. 2: Während der großen offiziellen Zeremonien wird der Hut abgenommen und sich dreimal verbeugt. Paragr. 3: Bei gesellschaftlichen Veranstaltungen erfolgt die Verbeugung nur einmal. Paragr. 4: Auf der Straße lüstet man den Hut, ohne sich zu verbeugen. Paragr. 5: Diesem Erlaß unterstehen nicht Offiziere, Soldaten und Mitglieder der Polizei, für die eine besondere Grußsorm vorgesehen ist. Paragr. 6: Der Gruß der Frauen unterliegt dem 8 2 und 3 mit der Einschränkung, daß sie ihren Hut nicht abzunehmen haben. Der drakonische Erlaß des Präsidenten erregt, wie das Journal des Debats berichtet, in Peking große Aufregung, ist er doch nur einer unter andreeü, die die gesamte Kleidung und deren Schnitt regulieren und als Tracht zu offiziellen Gelegenheiten je nach dem Anlasse Gehröcke, Smokinas und Zylinder europäischen Vorbildes als Gesetz vorschreibt.
Handel und Verkehr.
Il Stuttgart» 3. Jan. (Schlachtviehmartt.) Zugericeoin: 66 Großvieh, 38 Kälber, 689 Schweine.
Erlös auS Hz Kilo Schlachtgewicht: Ochsen 1. Orra - a) ausgemästele von 98 bis 100 Pfg., 3. Qual, b) fleffchigs und LÜere von —bis — Pfg.; Bullen (Farren) 1. Qnal a) vollfleischige, von 90 bis 93 Pfg., 3. Qualität d) älter» und weniger fleischige von 83 bis 88 Pfg., Stiere und Jungrinder 1. Qual, a) ausgemästete von 98 bis 103 Ps, 3. Qualität d) fleischige von 96 bis 98 Pfg., 3. Qualität o) geringere von — bis — Pfg.; Kühe 1. Qual, aj jung, gemästete von — bis — Pfg., 3. Qualität b) älter, gemästete von — bis — Pfg., 3. Qualität o) geringer« von — bis —Pfg., Kälber: 1. Qualität s) beste Saug, kälber von 137 bis 130 Pfg. 3. Qualität d) gute Saugkälber von 133 bis 137 Pfg. 3. Qualität v) geringere Saugkälber von — bis — Pfg., Schweine 1. Qual, a) jur-.j.- fleischige 88 bis 89 Pfg., 3. Qualität b) jüngere fette cs? 88 bis — Pfg., 3. Qualität o) geringere von 83 bis — Psi.
Verantwortlicher Redakteur: Ludwig Laut.
Druck und Verlag der W. Rieker'schen Buchdruckerei in Altensteig.
Inserate jeder Art
in unserer Tageszeitung
„Aus den Tannen" ^
sind VON
größtem Erfolg.
nur ungetrübtes, giänzendes Glück in der schönen, reichen Umgebung wahrnahmen.
Hilde entging es nicht, daß die Falte auf Heidecks Stirn, die sie zum erstenmal bei ihm nach seiner Hochzeitsreise gesehen, häufiger sichtbar war, daß er still und gedrückt war, wenn er sich unbeobachtet glaubte; ja, sie war zuweilen Zeuge gewesen, daß Edith sehr unfreundlich gegen ihn war und für seine Wünsche geflissentlich taub blieb. Er war immer unverändert gütig und liebevoll gegen seine Frau. Aber manchmal, wenn ihr Benehmen gar zu kalt und egoistisch wurde, dann war er still mit einem traurigen Gesicht hinausgegangen. Wie weh hatte das Hilde getan, aber sie wagte doch nicht, Edith Vorhaltungen zu machen. Wenn dann abends im Kreise froher Gäste Edith in lächelnder Schönheit strahlte und ihr Gatte den heiteren, liebenswürdigen Wirt machte, dann mußte Hilde unwillkürlich an den Vorgang am Morgen denken, und auf die wiederholte» Ausrufe älterer und jüngerer Damen: „Oh, wie ist dies glückliche, junge Paar zu be- neiden!" wußte sie dann nichts zu erwidern, und man nahm natürlich ihr Schweigen als Zustimmung.
Der Herbst brachte durch die Jagden fast noch mehr Unruhe, und Rolf mußte sich dis Zeit oft stehlen, um in feiner Wirtschaft, unter seinen Zenten und überall nach dem Rechten zu sehen, wie er -re doch so gern wollte und wie er es für seine Pflicht ^lelt. Er zerbrach sich den Kopf, auf welche Weise er eine ruhigere Zeit herbeischaffen könnte, um mehr seinen Pflichten zu leben. Wenn er seine Gedanken gegen seine Schwiegereltern äußerte, so meinten diese lachend:
„Aber, lieber Sohn, du hast ja gute Inspektoren, was willst du mehr? Geselligkeiten, Jagden, Reisen, dies gehört einmal zu deinem Stande, und schließlich will sich deine Frau doch auch amüsieren. Man ist doch nur einmal jung!"
Hiernach schwieg Heideck über die Sachen, aber innerlich wuchs die Sehnsucht nach stiller, stetiger Arbeit, nach ruhigem
Leben ins llngemeffene, und er konnte es nicht lassen, eines Morgens beim ersten Frühstück zu sagen, als Edith wieder eine größere Festlichkeit plante: „Ich dächte, wir hätten unseren geselligen Verpflichtungen nun vorläufig genügt und könnten jetzt endlich einmal etwas in Ruhe leben I" Als er aber ihr bestürztes Gesicht sah, erfaßte er ihre Hand und fuhr fort: „Sieh', Liebling, als ich mich verheiratete, da malte ich es mir so wunderschön aus, wenn wir beide zusammen still und fleißig hier leben und arbeiten wollten für unser schönes Heiüburg, für alle seine vielen Bewohner; und auch lesen wollte ich noch so vieles mit dir zusammen, um uns noch weiter zu bilden! Durch all den Trubel und die viele Geselligkeit ist nichts aus meinen schönen Plänen geworden; aber nun lassen wir es damit genug sein, und ein recht gemütlicher, stiller Winter soll uns entschädigen, nicht wahr, Liebling?"
„Höst auf, hör' auf, ich bitte dich!" rief seine Frau entsetzt. „Du hast wirklich sonderbare Ideen, mein guter Rolf! Glaubst du denn wirklich, ich dächte daran, hier auf dem Lande einen Winter zu versauern? Man merkt wirklich, daß du ohne Mutter und Schwester ausgewachsen bist! Du hast ja gar keinen Begriff, was eine vornehme Dame zum Leben braucht! Meinst du, ich hätte keine Anregung nötig, keine Zerstreuung, wenn hier in der Einöde nichts als Schnee und Eis zu sehen ist?!"
Er vermochte nichts zu erwidern. Er blickte um sich auf die wundervolle Einrichtung, auf die behaglichen Räume, hinaus in den herrlichen Park, in dem die Novemberstürme das letzte Laub von den mächtigen alten Bäumen rissen. War es nicht eine schöne Umgebung, in der seine Frau lebte? Suchte er ihr nicht alles zu schaffen, wonach ihr Sinn stand! Er empfand den Vorwurf, er wisse nicht, was eine vornehme Frau zum Leben brauche, als bittere Ungerechtigkeit. Aber was sollte er sagen? Seine Frau verstand ihn doch nicht. Diese schmerzliche Ueberzeugung hatte sich ihm in letzter Zeit mehr und mehr aufgedrängt, so sehr er sich dagegen wehren mochte. Seufzend erhob er sich, um hinauszugehen, doch Edith hielt iüu zurück:
„Ich wollte schon täglich mit dir besprechen, wie wir die Zeit nach Weihnachten einrichten. Wir gehen dann doch mir den Eltern einige Wochen nach Berlin, und ich wollte gern Ende Februar etwas an die Riviera, am liebsten Mentone. Wir können ja von da aus Touren machen."
Erstaunt blickte er sie an. Soeben hatte er ihr lang und breit erklärt, daß er eine ruhige Zeit zu Hause wünsche und brauche, daß ihm unendlich viel daran gelegen sei, endlich einige stille Wochen der Arbeit und Pflichterfüllung zu haben, da kam sie mit diesen so völlig mit seinen Wünschen im Widerspruch stehenden Plänen, die sie so bestimmt vorbrachte, als sei die Verwirklichung selbstverständlich. Er fühlte sich ratlos. „Edith, ich begreife dich nicht!" war alles, was er zu jagen vermochte. „Gelten denn meine Wünsche dir gar nichts? Hast du mich denn gar nicht lieb?"
„Dasselbe kann ich dich fragen," entgegnete sie unfreundlich.
Da verließ er still das Zimmer. Wie würde sich weiter ihr Leben gestalten? Nun kam der Winter, bald war Weihnachten I
Weihnachten! Ein plötzliches, warmes, liebes Erinnern trat bei diesem Gedanken vor seine Seele. Oh, wie hatte er sich das Fest im eigenen Heim früher ausgemalt, auf der eigenen Scholle! Welch Helles Fest hatte es werden sollen! Und nun? er wagte nicht daran zu denken. Edith würde alle Vorbereitungen lästig finden. Und dann irrte die Erinnerung wieder zurück, und er sah eine zierliche Gestatt in dem niederen Stübchen der Erdhütte, wie sie ein winziges Tannenbäumchen mit Lichtern versah, und wie plötzlich der dunkle Raum hell wurde, und ihm war, als höre er noch einmal die glockenreine Stimme: „Stille Nacht" anstimmen, und die Kinder fielen ein, und als das Lied zu Ende war, fand man jubelnd Len Korb, und dann war er fortgeschlichen mit solchem glücksfrohen Herzen, wie später kaum jemals wieder, nur einmal noch, als er auf seinem Weihnachtsplatz das Kuvert mit dem Bildchen gesunden.
Fortsetzung folgt.
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