253. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 87. Jahrgang.

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Montag, den 28. Oktober 1912.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich. Post­bezugspreis iür den OrrS- und Nachdarörtsoerkehr Mk. 1.20. ich Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Psg.. in Bayern und Reich 42 Pfg.

Der Balkankrieg.

Die Niederlagen der Türken nehmen kein Ende und ihre Lage scheint eine trostlose zu sein. Das wichtigste Ereignis, das die seit gestern vorliegenden Nachrichten vom Kriegsschauplatz melden, ist die Einnahme Ueskübs durch die Serben. Der Telegraph meldet darüber:

Belgrad, 25. Oktober. (Telegr.) Amtlich wird ge­meldet, daß Ueskllb um 2 Uhr nachmittags von den ser­bischen Truppen eingenommen worden ist. Die amtliche Bestätigung traf um 7.20 Uhr abends hier ein und rief unbeschreiblichen Jubel hervor. Abends fanden in der Stadt stürmische Manifestationen statt. Die Türken hat­ten sich bereits mittags aus Ueskllb zurückgezogen, so daß die Stadt von den Serben ohne Kampf eingenommen wurde. Die fremden Konsuln in Uesküb gingen dem ser­bischen Kronprinzen entgegen und erbaten seinen Schutz für die Bevölkerung der Stadt.

Von weiterer Wichtigkeit ist, daß die Vereinigung der serbischen mit der montenegrinischen Armee sich am 26. ds. vollzogen hat. Die bulgarischen Truppen sind in ihrem stürmischen Vordrängen auf Adrianopel durch die gewaltigen Anstrengungen wohl ermüdet, aber nicht so, datz sie nicht in der Lage wären, ihren Sieg bei Kirk- kilisse auszunützen. Einzelne Nachrichten künden schon, datz die türkische Hauptmacht bei Lueleh-Vurgas, südlich von Adrianopel, von dem linken bulgarischen Flügel er­reicht sei. In einzelnen Gegenden des Operationsfeldes hat Regen eingesetzt, der die Beweglichkeit der Heeres­körper sehr hindert. Die türkische Behauptung, Kirk- kilisse sei von den Türken wieder erobert, darf kaum ernst genommen werden.

Berlin, 26. Oktober. Die erste vom Roten Kreuz ausgerüstete und nach Bulgarien bestimmte Hilfsexpe­dition ist gestern abend von Berlin abgereist.

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.

cll. Oeffentliche Versammlung dev sozialdemokr. Partei. Die Agitation auf die Landtagswahl innerhalb der Stadt hat die Sozialdemokratie am Samstg abend mit einer öffentlichen Versammlung imBadischen Hof" eingeleitet. Die Versammlung eröffnete Herr Störr. Sie sei, sagte er, keine eigentliche Wähler­versammlung, sondern gelte der Entgegennahme des Be­richts über dieTätigkeit des Landtags und die Sozial­demokratie" während der verflossenen Landtagsperiode. Referent war Landtagsabgeordneter Heymann. Der

durch die Vorgänge innerhalb der Sozialdemokratie Württembergs in letzter Zeit sowohl als auch durch seine revisionistische Tätigkeit im Landtag bekannte Red­ner gab einleitend eine kurze Vorgeschichte der Entwick­lung der Zweiten Kammer zur reinen Volkskammer und ging dann über zur Entwicklung der Tätigkeit der Sozialdemokratie an dem Volksschulgesetz. An ihm hätte die sozialdemokratische Fraktion anerkanntermatzen sach­lich mitgewirkt, selbst unter Verzicht auf grundlegende Forderungen ihrerseits. Als solche grundlegende Forde­rungen bezeichnet er die Einheitsschule für die Kinder des gesamten Volkes. Wie auf diesen, hat die Sozial­demokratie auch auf die Ausführung ihres Wunsches nach Konfessionslosigkeit der Volksschule verzichten müssen. Der Konfessionalismus mützte im Interesse des Staates aus der Volksschule verschwinden. Duldsam­keit und Sparsamkeit waren die Hauptmotive für diese Forderung. Die nationalliberale Partei aber habe ver­sagt bei der Entscheidung. Die Sozialdemkraten hoffen, datz es immer mehr gelingen wird, im Volke die Ueber- lebtheit des Konfessionalismus für die Volksschule nach­zuweisen, bezw., datz im neuen Landtag eine moderne Auffassung dieses Gedankens Platz greift. Neben ande­rem sind aber bei dem neuen Volksschulgesetz Verbesse­rungen namentlich inbezug auf die Höchstzahl der vom Lehrer zu unterrichtenden Schüler (60) erreicht worden. Bei der Bauordnung handelte es sich um wichtige, ma­terielle Entscheidungen, um die Frage der Wohnungs­politik unsres heutigen Staates u. die Sozialdemokratie ist stolz darauf, datz sie unter Dr. Lindemann in dieser Hinsicht Fortschritte gegenüber früher durchsetzte. Sie habe die sozialpolitischen Gesichtspunkte in den Vorder­grund stellen müssen denn das sei die Aufgabe der Sozialdemokratie, für die breiten Schichten der minder­bemittelten Bevölkerung zu sorgen. Als ein, vom Standpunkt der Allgemeinheit aus unhaltbarer Zu­stand gilt dem Redner das Apothekerprivileg. Würt­temberg besitzt 298 Apotheken. Der Wert einer Apotheke sei von 18911905 um 45,4 Prozent gestiegen, infolge dieses Monopols. Von 18761905 sind die württem- bergischen Apotheken durchschnittlich 2 mal verkauft wor­den. Der Geldaufwand betrug 25 722 780 Mark und die Zinsen daraus betragen jährlich 970 000 Mark; sie sind lediglich eine Rente für dieses vom Staat gewährte Monopol und müssen von den Leuten aufgebracht wer­den, die die Apothekerpreise zu bezahlen haben. Gegen

die Aufhebung des Monopols hätten alle bürgerlichen Parteien gestimmt. So bleibt diese Arbeit dem nächsten Landtag. Im Oberamtsarztgesetz sei der grotze Vorteil die Einführung des Schularztes, wobei gerade die Mehr­heit der Volkspartei versagt habe, trotzdem für die Ge­meinde pro Jahr und Kops nur 20 Pfennig Belastung in Betracht gekommen wären. Das Zentrum habe sich in dieser Frage fortschrittlicher gezeigt, als die liberalen Parteien, wenngleich bei ihm möglicherweise aus der ganzen Frage eine Personalfrage ausschlaggebend war. In den Fragen der allgemeinen Steuerpolitik be­handelte Heymann besonders ausführlich die Beamten­aufbesserungsvorlage. Sie sei nur zustandegekommen durch die taktische Ausnutzung der Situation durch die Sozialdemokratie, die dadurch für die unteren Staats­angestellten gleichfalls eine Lohnaufbesserung zuwege brachte. Entschieden wurde die Forderung nach Ueber- tragung des Proporzes auf die Wahl der Bezirksabge­ordneten gestellt, um die Stimmen der Minderheit ent­sprechend zur Geltung bringen zu können. Die Proporz­wahl habe sich bei uns bei den Landes- u. Eemeindewah- len wohl bewährt. Die Frage wird im nächsten Landtag wieder angeschnitten werden. Auch die nach der Aus­scheidung des Kirchenguts aus dem Staatsgut wird ins Rollen gebracht werden. Ihre Durchführung würde die Einlösung eines alten Versprechens der Verfassung bedeuten. Mit ihr würde der erste Schritt zur org a- nisatorischen Trennung von Kirche und Staat ge­tan. Im allgemeinen babe sich die Sozialdemokratie die größte Mühe gegeben, für die Allgemeinheit zu wirken. Sie bestrebe Sozialisierung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. 311 763 Menschen, fast die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung Württem­bergs hätten ein Einkommen von 500950 M.! Die Pro­duktion gehe immer mehr mit Erfolg in Staats- und Eemeindehände, also in Regiebetrieb über; das sei nichts anderes, als was die Sozialdemokratie wolle. Den Abschluß des Vortrags bildete die Aeutzerung des Wun­sches nach Stärkung der Partei, die eine grundsätz­liche Opposition gegen die schwarzblauen Parteien und ihre Politik trieben. Das sei nur die Sozialdemokratie. In der Diskussion bestätigte Postsekretär Kauff- mann, datz der Referent sachlich und gemäßigt geblie­ben sei und datz das, was er z. B. in Schulfragen wolle, auch der Liberale unterschreiben könne. In den einzel­nen vom Hauptredner angeschnittenen Punkten: Bau­

kichtenstein.

K9) Romantische Sage von Wilhelm Hauff.

Doktor Calmus erhob noch einmal seine Stimme, aber die Bürger überschrieen ihn.

In diesem Augenblick kam ein neuer Trupp Bür­ger aus der obern Stadt herabgerannt.Der Herzog ist vor dem Rotenbühltor," riefen sie,mit Reitern und Fußvolk. Wo ist der Statthalter? Wo sind die Bundes­räte? Er will in die Stadt schießen, wenn man nicht aufmacht! Fort mit den Bündischen! Wer ist gut württembergisch?"

Der Tumult wuchs von Sekunde zu Sekunde. Die Bürger schienen noch unschlüssig, da bestieg ein neuer Redner die Bank, es war ein feiner Herr, der durch sein schmuckes Aeutzere einen Augenblick den Bürgern imponierte:Bedenket, ihr Männer," rief er mit feiner Stimme,was wird der durchlauchte Bundesrat dazu sagen, wenn ihr "

Was scheren wir uns um den Durchlauchtigen!" überschrie man ihn.Fort! Reißt ihn herab mit dem rosenfarbenen Mäntelein und dem glatten Haar, das ist ein lllmer! Fort mit ihm auf ihn, er ist von Ulm!"

Aber ehe sie noch diesen Entschluß ausführten, trat ein kräftiger Mann hinauf, warf mit einem Schlag den Doktor rechts und den Ulmer mit dem rosenfarbenen Mäntelein links von der Bank und winkte mit der Mütze in die Luft.Still! Das ist der Hartmann,"

flüsterten die Bürger,der verstehts, hört, was er spricht!"

Höret mich!" sprach dieser.Der Statthalter und die Bundesräte sind nirgends zu finden, sie sind ent­flohen und haben uns im Stich gelassen, darum greifet die beiden da, wir wollen sie als Geiseln behalten. Und jetzt hinauf ans Rothenbühltor, dort steht unser rechter Herzog, 's ist bester, wir machen selbst auf, als datz er mit Gewalt eindringt. Wer ein guter WUrttemberger ist, folgt mir nach."

Er stieg herab von der Bank, und jubelnd umgab ihn die Menge. Die beiden Fürsprecher des Bundes wurden, ehe sie sich dessen versahen, gebunden und fort- gesührt. Jetzt ergoß sich der Strom der Bürger vom Marktplatz zum obern Tor hinaus über den breiten Gra­ben der alten Stadt in die Turnierackervorstadt, am Bollwerk vorbei zum Rotenbühltor. Die bündischen Knechte, die das Tor besetzt hielten, wurden schnell über­mannt, das Tor ging auf, die Zugbrücke fiel herab und legte sich über den Stadtgraben.

Dort hatten indessen die Anführer des Fußvolkes ihre besten Truppen aufgestellt, denn man wußte nicht genau, wie die Bündischen sich bei Annäherung des Her­zogs benehmen würden. Illerich selbst hatte die Posten beritten. Vergeblich suchte Georg von Sturmfeder ihn zu überzeugen, datz die Besatzung von Stuttgart so schwach sei, daß sie ihnen nicht die Spitze bieten könne, vergeblich stellte er ihm vor, datz die Bürger ihn zurück­

sehnen und willig ihre Tore öffnen werden. Der Herzog schaute finster in die Nacht hinaus, preßte die Lippen zu­sammen und knirschte mit den Zähnen.

Das verstehst du nicht;" murmelte er dem Jüng­ling zu.Du kennst die Menschen nicht; sie sind alle falsch; traue niemand als dir selbst. Sie drehen den Mantel nach jedem Wind! Aber diesmal will ich sie fasten. Meinst du, ich habe mein Land umsonst mit dem Rücken angesehen?"

Georg konnte diese Stimmung des Herzogs nicht be­greifen. Im Unglück war er fest, sogar mild und sanft gewesen, hatte von manchem schönen Brauch gesprochen, den er einfllhren wolle, wenn er wieder ins Land komme, hatte selten Zorn über seine Feinde, beinahe nie Unmut über die Untertanen gezeigt, die von ihm abgefallen waren; aber sei es, datz mit dem Anblick der vaterländischen Gegenden auch das Gefühl der Krän­kung stärker als zuvor in ihm erwachte, sei es, datz es ihm unangenehm auffiel, datz der Adel und die Stände noch nichts hatten von sich hören lasten, er war, seit er die Grenzen Württembergs überschritten, nicht freu­dig, gehoben, erwartungsvoll, sondern ein stolzer Trotz blitzte aus seinen Augen, seine Stirne war finster und eine gewisse Strenge und Härte im Urteil siel sei­nen Umgebungen, besonders Georg von Sturmfeder auf, der sich in diese neue Seite von Ulerichs Charakter nicht gleich zu finden wußte.

Die Aufforderung an die Stadt mochte wohl schon