Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.
Bom Rathaus.
Calw. 25. Oktober 1912.
Oeffentliche Sitzung des Eemeinderats mit Ortsarmenbehörde am Donnerstag, 24. Oktober, von nachmittags 5 Uhr ab unter dem Vorsitz von Stadtschultheiß Conz. Anwesend waren Dekan Roos und 10 Ee- meinderäte. — Die Verhandlungen begannen mit der Besprechung von Armensachen. Die geforderte Anerkenntnis eines Unterstützungswohnsitzes und der damit verbundenen Verpflichtung für die Gemeinde wurde vom Eemeinderat gegeben. Er nahm auch Kenntnis von der Verbringung eines Mannes nach Weißenau und eines Jungen in eine andere oberschwäbische Anstalt, wo er nach langen romanhaften Irrfahrten endlich einen Platz fand. — Dekan Roos gibt zu erwägen, ob nicht für die in Pflege der Ortsarmenbehörde stehenden Pflegekinder, hauptsächlich Mädchen, etwas mehr als bisher getan werden könnte; namentlich durch Frauen der hiesigen Gemeinde, die etwa bis zum 18. Jahr ein fürsorgendes Auge auf diese Kinder hätten und dafür sorgten, daß die Kinder nach der Schulentlassung untergebracht werden in Häusern oder Anstalten, wo sie gute Ausbildung in Haushaltarbeiten erhalten. Er schlägt die Anstalt Stammheim vor und eine ähnliche Anstalt in Zell i. W. (Baden). — Der Vorsitzende begrüßt die Zuziehung von Frauen für diese Fürsorgetätigkeit. Ohne Verbindung mit dem Eemeinderat geschehe eine solche durch Frauen aus dem Frauenkranz; für den Eemeinderat wäre es aber wünschenswert, zu wissen, an wen er sich eintretenden Falles zu wenden hat. — Die Ortsarmenbehörde will dem Vorschlag nachgehen; Dekan Roos wird weitere Schritte in der Sache tun. — Die Verpachtung der früheren Allmandstllcke auf dem Windhof erbrachte 725 Mark. Bisher wurden an Pachtzins erlöst ganze 82 Mark; die neue Art der Verpachtung wirkte aber in der günstigen finanziellen Weise. Pächter sind in der Hauptsache die früheren Besitzer der Allmandstücke. — Die Windhof- bauten selbst sind nach dem Bericht der Bauschau in äußerst schlechtem Zustand. Der Pachtvertrag, dessen Unterschrift noch nicht getätigt ist, sondern erst auf Lichtmeß 1918 zu erfolgen hätte, wird nunmehr erst nach Vorlage von Berechnungen über die auszuführenden Bauarbeiten und deren evtl. Genehmigung durch den Eemeinderat endgültig anerkannt, bezw. unterschrieben werden. — Schluß der Sitzung nach 2X> Stunden.
6. Neue Wegbenennung. Der Eemeinderat hat in seiner gestrigen Sitzung beschlossen, anläßlich des bevorstehenden 50. Todestages des Dichters Ludwig Uhland dem sogenannten „neuen Weg" den Namen Uhlandstraße zu geben.
Aus der Diözesansynode. Am Mittwoch wurde hier in Anwesenheit von Prälat v. Frohnmeyer die jährliche Diözesansynode abgehalten, zu der sich die Geistlichen und weltlichen Abgeordneten des Bezirks fast vollzählig eingefunden hatten. Eröffnet wurde die Synode mit einer ebenso gedankentiefen als ans Herz greifenden Predigt von Dekan W u n d e r l i ch - Althengstett. Die darauf folgenden Verhandlungen fanden im Saal des ev. Vereinshauses statt. Nachdem Dekan Roos als Vorsitzender die Anwesenden herzlich begrüßt und Prälat v. Frohnmeyer in einer wirkungsvollen Ansprache auf den Ernst der Zeit, angesichts dessen wir aber doch nicht mutlos zu werden brauchen, hingewiesen hatte, wurden die vorgeschriebenen Wahlen zur Landessynode vorgenommtzn. Der Bezirk hatte diesmal einen weltlichen Abgeordneten nebst Ersatzmann zu wählen. Mit
55 von 63 abgegebenen Stimmen wurde, wie bereits mitgeteilt, als Abgeordneter gewählt: David Eundert, Verlagsbuchhändler in Stuttgart, als Ersatzmann mit 57 Stimmen Schultheiß Hanselmann in Liebelsberg. Der neugewählte Abgeordnete soll nach einem von Stadtschultheiß Conz- Calw gestellten Antrag gebeten werden, nach Beendigung einer Session dem Bezirk über die in der Landessynode verhandelten Fragen Bericht zu erstatten. Aus dem nun folgenden umfassenden und inhaltsreichen Bericht von Dekan Roos über die kirchlichen Verhältnisse des Bezirks sei hervorgehoben, daß an manchen Orten der Kirchenbesuch der Männer leider viel zu wünschen übrig läßt und der 3. Jahrgang der christenlehrpflichtigen Söhne seiner Verpflichtung zu regelmäßigem Besuch der für die Konfirmierten veranstalteten Gottesdienste sich oft entziehe. Wir dürfen wohl einmal auch an dieser Stelle die Eltern und Lehrherren der christenlehrpflichtigen Jugend bitten, dafür zu sorgen, daß die konfirmierten Söhne und Töchter die ihnen gebotene Gelegenheit zu religiöser Weiterbildung doch regelmäßig benützen. Wie nötig unsere Jugend solche Weiterbildung hat, weiß jeder, der mit der Jugend zu tun hat, zur Genüge. Erfreulicherweise ist der Sinn für Wohltätigkeit im Bezirk auch im letzten Jahr sehr rege geblieben; so ist z. B. für die Basler Mission noch nie soviel gegeben worden, wie im vergangenen Jahr (einige namhafte Legate eingerechnet 27 160 Mk.). Nach dem Synodalbericht hielt Pfarrer Hinderer von der Evang. Gesellschaft in Stuttgart einen interessanten orientierenden Vortrag über den Evang. Preßverband. Er erörterte überzeugend die hohe, ja gewaltige Bedeutung der Presse in der Gegenwart, zeichnete die sehr verschiedenartige Stellung der modernen Zeitungen zu religiös-sittlichen Problemen, speziell zu Fragen der christl. Weltanschauung, wies die Notwendigkeit der Gründung eines Evgl. Pretzverbandes für ganz Deutschland, der evang.-christ- liche Weltanschauung in der Presse zur Geltung bringen und die Leser über alle wichtigen Vorgänge innerhalb der ev. Kirche auf dem laufenden erhalten möchte, nach und erläuterte sodann noch in Kürze die Einrichtungen > der württ. evgl. Pretzverbands. Der Vortrag wird wohl manchem die Augen darüber geöffnet haben, wie wichtig und nötig es ist, daß auf evang. Seite ähnliches geleistet werde auf dem Gebiet der Presse, was auf katholischer Seite in straffer Organisation schon längst und mit großem Erfolg geschieht. Der Aufruf zur Unterstützung der Bestrebungen des Evang. Preßverbands durch Gewährung eines jährlichen Mitgliederbeitrags blieb denn auch nicht unerhört. — An die Verhandlungen schloß sich das übliche gemeinschaftliche Mittagessen an, das im Easthof zum Waldhorn eingenommen wurde. iVlqcit.
ep. Zur Notstandsfrage ländlicher Gemeinden. Unter den vielen ländlichen Gemeinden Württembergs wird es kaum eine arme Gemeinde geben, die nicht schon in Fällen außerordentlicher Not die Hilfe eines Vereins erfahren hätte, der am 1. Dezember ds. Js. auf eine 25jährige gesegnete Tätigkeit zurllckblicken darf. Wir meinen den „Verein zur Hilfe in außerordentlichen Notstandsfällen auf dem Lande". Aber er sollte noch mehr Freunde haben, namentlich aus den wohlhabenden Kreisen, die ihrer sozialen Pflicht eingedenk sind und den wirtschaftlich Schwachen zur rechten Zeit stärken wollen, daß er nicht mit seiner Familie in gänzlicher Verarmung körperlich und sittlich verkommt. Solch ein Erinnerungstag, wie die 25. Wiederkehr der Gründung, an dem der Verein mit berechtigter Freude zurückblicken darf auf das, was
er geleistet hat, legt es uns nahe, ihm wieder fröhliche Geber und Mitarbeiter zu wünschen.
b. Postanweisungsverkehr mit der Türkei. Für Postanweisungen nach Konstantinopel und Smyrna, (deutsche Postanstalten) sowie nach den ottomanischen Postanstalten gilt mit sofortiger Wirkung das Umrechnungsverhältnis von 100 Piaster (Eold)-18 Mk. 90 Pfg. Die Berichtigung des Briefposttarifs ist eingeleitet.
-j- Ein verspätetes Kind der Sonne in Gestalt einer appetitlichen Erdbeere trug uns ein Leser des Calwer Tagblattes zu. Er fand es an einem Rain der Straße von Ottenbronn nach Hirsau. Es hätte früher kommen sollen, zur Zeit, als seine Geschwister ihre Blütenköpfchen dem Licht der Sonne boten, wennschon viel schöner es draußen auch damals nicht war, als gegenwärtig. Aber das freundliche Pflänzchen freute uns herzlich, gerade weil es so überraschend sich eingestellt hatte und für Ausgang Oktober immerhin eine Seltenheit bedeutet.
»cd. Mutmaßliches Wetter. Immernoch lagert über Nordwestdeutschland eine Depression, außerdem zieht aus dem nördlichen Ozean ein neuer Luftwirbel herauf, unter dessen Einfluß wir bald geraten werden. Für Samstag und Sonntag ist daher zeitweilig trübes, mäßig kühles und strichweise regnerisches Wetter zu erwarten.
Württemberg.
Die Verfassung der württ. ev. Landeskirche.
ep. Die Wahlen zur 8. ev. Landessynode, die gegenwärtig wieder siattfinden, lassen ein Wort über die kirchliche Verfassung in Württemberg, deren Erundzüge noch nicht überall bekannt sind, angebracht erscheinen. Der erste Schrit^ auf dem Wege, den kirchlichen Gemeinden einen eigenen Anteil an der Leitung ihrer Angelegenheiten zu gewähren, war die Einführung des Pfarrgemeinderats i. I. 1851, des Vorgängers des jetzigen (1887/88 eingeführten) Kirchengemeinderats, dem neben der kirchlichen Leitung des Eemeindelebens, die auch jenen zustand, die Verwaltung des Kirchenvermögens übertragen wurde. Auf dem Kirchengemeinderat baut sich die Diözesansynode auf, die kirchliche Bezirksversammlung, bestehend aus den Geistlichen und den in gleicher Zahl von den Kirchengemeinderäten gewählten Abgeordneten! des Bezirks. Sie hat u. a. die Wahlen zur Landessynode vorzunehmen. Diese kirchliche Landesversammlung (eingeführt 1867, erste Tagung Februar 1869) besteht aus 50 von den Diözesansynoden gewählten Abgeordneten, je hälftig geistlichen und weltlichen, einem von den Professoren der ev. Theologie an der Hochschule gewählten Vertreter und 6 vom König ernannten Mitgliedern, und ist berufen zur Mitwirkung an der kirchlichen Gesetzgebung des Landes. So wenig ohne den Landtag ein staatliches Gesetz erlassen oder geändert werden kann, so wenig kann ohne die Synode ein kirchl. Gesetz erlaßen oder geändert werden. Auch Fragen des sittlich- religiösen Lebens (wie Sonntagsfeier, Sonntagsruhe, Eideszwang u. s. f.) nimmt die Synode in Behandlung.
Im Zeichen des Luftsports.
Stuttgart, 24. Oktober. Heute mittag fand als Einleitung der großen sportlichen Veranstaltungen die nationale Zielfahrt statt, an der 30 Ballons teilnahmen. Die Fahrt war als Zielfahrt veranstaltet und zehn Preise, darunter ein Ehrenpreis des Königs, ausgesetzt. Branddirektor Jacoby hatte umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen und einen vollständigen Lösch-
meiner Landschaft, wo bleiben sie, will man mich nicht Wiedersehen in der Heimat? Ist keiner von allen da, mir den Bügel zu halten, als der Bauer?"
Seine Begleiter drängten sich staunend um den Herzog her, als sie ihn also sprechen hörten. Sie wußten nicht, war es Ernst oder bitterer Scherz über sein Unglück. Sein Mund schien zu lächeln, aber sein Auge blitzte mutig, und seine Stimme klang ernst und befehlend. Sie sahen einander wegen dieser düstern Laune zweifelhaft an, aber der Pfeifer von Hardt erwiderte seinem Fürsten: „Diesmal ist's nur der Bauer, der Euch auf Württembergs Boden hilft, aber verachtet nicht ein treues Herz und eine feste Hand. Die andern werden schon auch kommen, wenn sie hören, daß der Herr Herzog wieder im Lande sei."
„Meinst du", sprach Illerich bitter lachend, indem er sich vom Pferde schwang, „sie werden auch kommen? Bis jetzt haben wir wenig Kunde davon. Aber ich will anklopfen an ihren Türen, daß sie merken sollen, es ist der alte Herr, der in sein Haus will!"
„Sind dies die Landsknechte, die mir dienen wollen?" fuhr er fort, indem er aufmerksam das kleine Heer betrachtete. „Sie sind nicht übel bewaffnet und sehen männlich aus. Wieviel sind es?"
„Zwölf Fähnlein, Euer Durchlaucht, antwortete der Oberst Peter, der noch immer mit gezogenem Hut vor ihm stand und hie und da verlegen den ungarischen Bart zwirbelte. „Lauter geübte Leut'
Gott straf' mein' Zeel', tut mir leid, wenn ich geflucht Hab', der König in Frankreich hat sie nicht besser."
„Wer bist denn du?" fragte ihn der Herzog, der die große dicke Figur mit dem langen Hieber und dem roten Gesicht verwundert anschaute.
„Ich bin eigentlich ein Landsknecht meines Zeichens, man nennt mich den langen Peter, jetzt aber wohlbestallter Oberst versammelter —"
„Was, Oberst! Diese Narrheit muß aufhören. Ihr mögt mir wohl ein tapferer Mann sein, aber zum Hauptmann seid ihr nicht gemacht. Ich selbst will Euer Oberst sein, und zu Hauptleuten werde ich einige meiner Ritter machen.
„OsML manc!!< — tut mir leid, wenn ich geflucht ha', aber erlaubt, Herr Herzog, einem alten Kerl ein Wort, daz ist gegen unfern Pakt mit dem Eoldgülden monatlich und den vier Maaz Wein tagtäglich. Da steht zum Beispiel der Ztaberl aus Wien, z'gibt keinen Tapferem unter dem Mond —" „Schon gut, Alter, schon gut! Auf die Eoldgülden und den Wein soll mir's nicht ankommen. Wer bisher Hauptmann war, soll es richtig bekommen. Nur den Befehl müßt Ihr abgeben. Habt Ihr Pulver und Kugeln?"
„Das will ich meenen!" sagte der Magdeburger. „Wir haben noch von Eurer Durchlaucht eigenem Pulver und Blei, das wir in Tübingen mitgenommen. Wir haben Munition auf achtzig Schuß für den Mann."
„Gut. Georg von Hewen und Philipp von Rechberg, ihr teilt Euch in die Knechte. Jeder nimmt sechs Fähnlein. Ihr da, die Ihr Euch Hauptleute nennet, könnet bei den einzelnen Fähnlein bleiben und den beiden Herren an die Hand gehen. Ludwig von Eemmingen, seid so gut und nehmet den Oberbefehl über das Fußvolk. Jetzt gerades- wegs auf Leonberg. Freu' dich, mein treuer Bannerträger," sagte Ulerich, als er sich aufs Pferd schwang; „so Gott will, ziehen wir morgen in Stuttgart ein".
Die Reiterschar, den Herzog an der Spitze, zog fürder. Der lange Peter stand noch immer unverrückt auf dem Platz, den Hut mit der stolzen Hahnenfeder in der Hand, und schaute den Reitern nach.
„Daz ist einmal ein Fürst!" sprach er zu den Hauptleuten, die neben ihm standen. „Waz der für eine gewaltige Stimme hat und wie er greulich mit den Augen funkelt, daz ez einem angst und bange wird. Hu, ich meint, er woll' mich mit Haut und Haar verschlucken, alz er mich fragte: Wer bist denn du?"
„Mir wor's g'rod, wie wenn einer siedend Wasser über mein Leib' schütten tät. In Wien ist doch auch 'n Kaiser, aber er tut nit so g'waltig wie der do!"
„Also Hauptleut' sind wer g'wesen," sprach der Hauptmann Muckerle, „die Herrlichkeit hat nit lang dauert."
(Fortsetzung folgt.)