Aus den Tannen :: Sonntagsblatt
Rr. 27Ü. (45.)
M- K-
Es ist das kleinste Vaterland der grüßten Liebe nicht zu klein;
Je enger es dich rings umschließt, je näher wird's dem Herzen sein.
Wilhelm Müll r.
Ein Jahr des Glncks.
Novelle von Maria Hellmuth.
(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.
Mr. Wood hat Hetta Rackow wohl hübsch gefunden, doch gar so scheu und zurückhaltend, das ist nicht sein Fall,
— daß sie aber so entzückend schön sei,-so — ah,
so begehrenswert-er muß an sich halten und
preßt seine Hände zu Fäusten, um nicht vorzustürzen und diese Purpurlippen mit einem Kuß zu schließen. Und das winzige Füßchen, das sich da vorwitzig unter dem Kleidersaum vorstreckt I Die Versuchung ist für Frank Wood mit seinem heißblütigen Naturell sehr groß, doch er steht unbeweglich. Es ist nicht allein der Gedanke: Miß Rackow
— Schützling des Chefs! der ihn zurückhält, es liegt auch
ein Hauch keuscher Reinheit über dieser jungen Mädchenknospe, der jede unlautere Regung zurücktreten läßt. Aber seine Blicke scheinen die Macht zu haben, die holde Schläferin zu erwecken. Sekundenlang wurzeln die beiden Augenpaare ineinander, dann flutet dunkle Glut über Antlitz und Nacken des jungen Mädchens. '
Sie schnellt empor und steht nun da mit hochatmender ! Brust, in unbeschreiblicher Verwirrung die Augen zu Boden senkend. j
„O, Mr. Wood! Wo kommen Sie her?" stammelt j sie und streicht an ihrem zerknitterten Kleide herunter. „Die ! Schwüle, — die Stille — ach, ich glaube gar, ich habe s ein wenig geschlafen." !
Mit scheuem Aufblick heben sich die dunklen Wimpern, die die blauen Augen fast schwarz erscheinen lassen und ! einen so pikanten Kontrast zu dem lichtblonden Haar bilden, doch schnell sinken sie wieder herab vor den blitzenden Augen ihr gegenüber, die eine zu deutliche Bewunderung i verraten. >
Und dabei möchte Hetta keinen Blick von ihm wenden, ! wie er vor ihr steht in seiner kraftvollen Männlichkeit: i Schön — keck und siegesbewußt. s
Nicht im Einklang damit ist der gedämpfte ein- s schmeichelnde Tonfall seines Organs, als ersetzt endlich sein ;
schweigendes Anschauen aufgibt. t
„Es ist mir ein serr großen Smerz, Miß Rackow, daß j ich Ihnen habe gestört," sagte er. „Ich wollen erst oben s gehen, aberr es ist gewesen ein serr gurte Gedanke hier i an Fluß. O, wie serr gutt! Habe ich doch gesehen ein ! Bild — ein Bild — wie kann ich nur sagen — wie deutsche j Märchen. Aberr Miß sind doch nicht erzürnt, daß ich !
habe den Schlummer geweckt?" ?
Hetta schüttelt eifrig das Köpfchen.
„Nein, o nein!" — Ach, was hat sie ihm alles sagen wollen, wenn der Zufall sie einmal außerhalb des Geschäftes zusammenführt, und nun doch wieder diese lächerlich dumme Befangenheit.
„Ich hatte Gelegenheit, Sie zu bewundern, wie Sie das Kind aus dem Wasser retteten," beginnt sie nun hastig. Wenn er doch nur nicht gleich wieder fortgehen möchte!
Er wehrt lachend ab. „O, nicht sprechen von die kleine Sache. Kam grade von Training, plumps — Baby über Bord, beinah in mein Skuller. Aber wollen Miß Rackow nicht wieder — einnehmen den sönen Platz und mir erlauben auch-?"
Hettas Herz klopft zum Zerspringen. Was sie geträumt, wird Wirklichkeit.
Mit verschämtem Lächeln. läßt sie sich auf der Kante des Steines nieder, einen zweiten Platz freilassend. Aber nein, das geht doch nicht! Und schnell breitet sie ihr Kleid über den ganzen Sitz, zugleich mit neckischer Handbewegung auf das Gras neben sich deutend.
„Tbaulr ^ou!" Er hat sich zu ihren Füßen gelagert und schaut von unten herauf in ihr Gesicht. Das macht sie aufs neue sehr verlegen. Sie weicht seinem Blick aus.
Da fällt ihr der weiße Flanellanzug auf, den er trägt.
O, Mr. Wood, Sie wollten zu einer Tennispartie, nicht wahr?"
Er nickt gleichmütig. „Macht nix. — Hier ist es sehr herrlich und da bleibe ich."
Das charakterisiert so ganz Frank Wood: Hier ist es schön und da bleibe ich! Aber Hetta empfindet die Schmeichelei darin, die ihrer Person gilt, sehr beglückend, und auch ein wenig Schadenfreude läuft mit unter. Mag Hilde Dallwitz mit ihrer Gesellschaft vergebens warten. Diese Hilde, die sich so viel auf ihre Eroberung einbildet und ganz laut damit prahlt.
Sie fängt nun von der bevorstehenden Ruderregatta zu sprechen an; ob ihn das stundenlange Rudern, neben dem Dienst in der Fabrik, nicht ermüde.
Er lacht und streckt seine Arme. ' Bis Uhr
drei in Fabrik, weiter : sechs Meilen rüder , - , T Lawn- Tennisschlagen, zr^etzt noch tanzen, bin ich »och nicht müde."
Und als er ihren bewundernden Blick bemerkt, fügt er hinzu, daß sich in den Bergen Schottlands keine Schwächlinge entwickelten.
* Sie sieht ihn fragend an: „Schottland?" Ja, das wäre seine eigentliche Heimat, nur der Vater Engländer gewesen, aber früh gestorben und er mit der Mutter wieder nach Schottland gekommen.
„Aber sprecken wir davon nicht," sagt er nun, und «in Schatten legt ßch über die bis dalli» uraül ende Miene
Altensteig, 16. November.
Zahrgang ISIS.
seines Gesichts. „Das Hochla
Menschen hier besser sind. Alle serr gut." Nun lacht er schon wieder und erzählt, daß seine Wirtin, Mrs. Schulz, ihm zu jedem Rudern einen „Stuhl" aufdrängt. Hetta ist erstaunt und findet die Idee absurd. Ein Stuhl sei doch unbequem; — was er damit tue?
„Aufessen!"
Sie ist völlig verblüfft. Endlich nach längerer Debatte, wie er ihr immer wieder einen „Klappstuhl, der mit Butter gestrichen sei," beschreibt, kommt ihr die Erleuchtung, daß er eine Klapp„stulle" meint, und sie lacht, bis chr di» Tränen in die Augen schießen. Er findet ihr Lachen reizend, und wie sie ihm das Mißverständnis erklärt, ist auch seine Heiterkeit groß.
So geht die Unterhaltung noch eine Weile hin.
Hetta« Befangenheit ist vollständig geschwunden; ste plaudert wie mit einem alten Bekannten. Er hat etwas unendlich Treuherziges in seinem Wesen, und es ist ihr unmöglich zu glauben, er könne kein gutes Herz besitzen.
Als sie dann auch von den lebenden Bildern — er sagt beharrlich „lebendige Bilder" — sprechen, die an dem Festabend gestellt werden sollen, erkundigt er sich sehr interessiert, in welchem Bilde Hetta mitwirke.
Sie sei noch nicht fest entschlossen, doch ganz ausschließen könne sie sich nicht, — Nanni Brandt plane die „Lorelei" für sie.
„Ah, ist das nicht — ? Ich habe gesehen das Bild, auch gehört das Lied singen," en tge gnet er lebhaft. Er
Ach, immer so weil,:- .
.Hrs suhlen als seine
ist serr schön, aberr die
Müde, — nur wette,-.
>s dorlbm. wo die
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Sonne soeben purpurn untertaucht — hin in ote goldene Unendlichkeit.
„O, wie ist so eine Wasserfahrt herrlich I" sagt sie unwillkürlich ihrem Empfinden Worte leihend.
„Ja, serr herrlich! Können Sie auch rudern?"
„Ein wenig-"
„O, Sie müssen serr gutt lernen. Wenn die Regatta vorüber ist, gebe ich Unterricht, jeden Tag eine Stunde "
„Wenn Sie nach der Regatta noch daran denken," lächelt Hetta.
„O Miß I Halten Sie, ich bitte, einmal die Ruder."
Sie erfüllt, etwas befremdet, seinen Wunsch.
„Sehen Sie, Miß Rackow." sagt er nun sehr ernsthaft. „Ich lege meine Hände auf dem Herz, Sie sollen wissen, daß ich nicht vergessen werde."
„Tb-wk you, slr. VVooä!" antwortet Hetta. ihre zitternde Erregung hinter einem neckischen Ton maskierend. „Es gilt, ich ernenne Sie zu meinem Lehrmeister."
Das Interesse, welches die Altenselder dem in Aussicht stehenden Sommerfest entgegen brachten, trat fast in de» Hintergrund vor dem Ereignis, das auf einmal alle Gemüter beschäftigte. Zu einem „Ereignis" war di« Tatsache der Zusammenkünfte zwischen Mr. Wood und Hetta Rackow nämlich aufgebauscht worden. Zuerst nur oer» stöhlen, einer dem andern zuraunend, sprach man etzt ganz laut und ungeniert davon; die männlichen Ko! yrit dem Zusatz: Es ist doch ein ganz verflixter Kerl, oer
r. Frank! Das weibliche Geschlecht war weniger nachsichtig. Alle — Fräulein Hilde an der Spitze — einten sich in dem mit unverhüllter Schadenfreude zuTage - elenden Musspiuch: „Da har sie sich immer stolz und unnahbar Zausgespielt und läßt sich nun ^auch von dem Allerwelts- eourmacher nasführen." An eine ernste Absicht von seiner Seite mochte man eben nicht recht glauben, wenn auch inige darauf aufmerksam vr achten, daß er sich durch eine Mbloße Liebelei mit Hetta Rackow Weicht die Gunst des Chefs
verscherzen könne. Es war doch allgemein bekannt, daß Herr Akten so eine Halbs Vormundschaft für Helm übernommen. Jedenfalls war man sehr gespannt auf den Ausgang der Sache. In der Monotonie der Alltäglichkeit wurde jede A dweichung von dem vorschriftsmäßigen Einerlei der Tageseinteilung nur zu gern als will-
Vorstehrnde Abbildung zeigt Saloniki, das, wie wir bereits gemeldet haben, von der g-iech- ischcn Armee genommen wurde und in dem der zriechische König samt den Minzen seinen Emm, gehalten hat, Salonikis Bedeutung in strategischer und handelspolitischer Beziehung ist in seiner Lage begründet. Durch die strahlenförmig nach Saloniki, im Hintergründe des gleichnamigen Meerbusen«, zusammenlaufenden Flvßtäler ist von hier aus Mazcdo ien nach allen Seiten zugänglich, so daß Mazedonien der Mittelpunkt für Land- :nd Ceercükohr geworden ist, dessen Hasen von den größeren Mittemicerlinirn oller Länder berührt wird. Saloniki soll nach >- Wünschen der Großmächte als Freihafen ertlä t werde--.
rommene- " yalmngsirosi ausgevemer uns das kleinste
summt die Melodie vor sich hin. ,HVo 1 I, Miß Rackow, ich habe auch nicht gern wollen, setzt aber will ich. Wenn Sie find Lurley, will ich sein der Schiffer im Boot."
Hetta erglüht. Sie erwidert nichts, nur ihre leuchtenden Augen verraten, wie gern ihm sein Wunsch gewährt wird.
In diesem Augenblick hebt die Fabrikuhr zu weithin vernehmbaren Schlägen an.
Hetta springt erschrocken auf. „Schon sieben Uhr, ich mutz nach Hause."
„O, warum müssen Sie?" fragt er ganz traurig. „Aber Sie werden wiederkommen hier an die söne Stelle morgen und alle Tage? Sprecken Sie 50s — o. ich bitte serr."
Und Hetta will nein sagen, neigt aber, wie unter einem unwiderstehlichen Zwange stehend, bejahend den Kops.
„Tbuok ^oa!" Er erfaßt ihre Hand und führt sie ehrfurchtsvoll an seine Lippen. Als er das leise Beben der schlanken Finger spürt, blitzt es für die Dauer einer Sekunde triumphierend in seinen Augen auf.
Also auch sie, die ihm bisher so kalt und zurückhaltend erschienen. Doch sie ist gar reizend und lieblich!
„Miß Rackow, ich möchte macken eine Bitte: Ich hole ein Boot und rudere Ihnen heim."
Hetta sieht ihn ganz erschrocken an und schüttelt dsn Kopf. „Unmöglich l"
Aber er kann so treuherzig bitten, seine Stimme klingt so schmeichelnd, und das Verlangen, noch länger seine Gesellschaft zu genießen, kämpft mit dem Ueberlegen, „was man zu solch einer Bootsfahrt sagen könne."
„Sie wollten doch zu einer Tennispartie." weicht sie aus.
„No — nicht mehr!" sagt er mit einer wegwerfenden Handbewegung.
„HaltenSie immer so wenig auf Ihre Versprechungen?"
Er schaut sie ernsthaft an. „Da kommt es erst aus an, wem man etwas zugesagt hat," entgegnete er mit starker Betonung.
„Ah, so wenig gilt ihm also Hilde Dallwitz!" jubelte sie in ihrem Innern.
Und zehn Minuten später sitzt sie ihm gegenüber in einem Boot, das wie ein Pfeil durch die, wie flüssiges Gold im Abendschein leuchtende Flut schießt.
Sie schweigen jetzt beide. Er hat seine Aufmerkse 'eil auf den Kurs gerichtet, und sie schaut unter halbgc: n
Lidern unverwandt zu ihm hinüber. Sie studier: ir
Zug des edelgeschnittenen, sonnengebräunten Gesichn ie leuchtend dunklen Augen und den kleinen schwarzen Sä, r- bart über fast frauenhaft roten Lippen, und sie glaub, ns ein schöneres Männerantlitz gesehen »u k allen- , ..
Vorkommnis ois ins Ungeheuerlichste vergrößert. Und daß die beiden „Schuldigen" so gar keine Notiz nahmen von den teils harmlosen Neckereien, teils mit Bosheit durchsetzten Stichelreden, wurde ihnen erst recht übel vermerkt.
Und doch war gerade dies ganz natürlich, da wedör Wood, noch Hetta das Gefühl hatten, etwas Tadelnswert« zu tun.
Sie hatten sich wohl noch einige Male an jenem lauschigen Platz unter der Weide zusammengefunden, ab« ohne direkte Verabredung; auch war ihre Unterhaltung ebenso harmlos gewesen, wie am ersten Taae. ia fast noch mehr hatte sie den Charakter achtungsvoller Freundschaft getragen.
Und hatte Hetta einem abermaligen Wiedersehen mit einem gewissen bänglichen Gefühl entgegengesehen, so war ste fast erstaunt, daß Wood, dem doch ein ganz anderer Ruf zur Seite ging, ihr seine Huldigung in so zarter uud rücksichtsvoller Art darbrachte.
Doch Hetta war schon beglückt durch seine bloße Nähe, um weiter über seine etwaigen Gründe dieser Zurückhaltung nachzudenken. Und geschah dies doch, so sagte sie sich mit Genugtuung, er schätze sie eben höher, wie seine bisherigen Bekanntschaften, und sie gab sich rückhaltlos dem besttickenden Zauber hin, den seine Gegenwart auf sie ausübte.
Ranni Brandt ging ganz geknickt einher. Da ihre Abmahnungen bei Hetta so gar nichts gefruchtet hatten, steckte sie sich hinter Frau Rackow. In beweglichen Worten suchte sie derselben klarzumachen, daß Hetta, das unerfahrene Kind, ganz sicher in ihr Unglück renne. So eine Don-Juan-Natur, wie sie Wood besitze, mache niemals eine Frau glücklich, selbst wenn er es jetzt ehrlich meine und Hetta zu heiraten beabsichtige. Würde die Mutter nun der verliebten und verblendeten Tochter ins Gewissen reden, so müßte diese doch gehorsam fein und den Verckehr mit dem jungen Mann einschränken.
Frau Rackow jedoch, die seit dem jähen Tode ihres Mannes nur noch den einen Lebenszweck kannte, ihr einziges Kind — ihr Iettchen — zu verhätscheln, dachte in dieser Sache anders, als wie es Nanni erwartet hatte. Alle die Namen, die bisher in Verbindung mit Mr. Wood gebracht worden waren, standen in ihren Augen tief unter dem ihrer Tochter. Sie vermochte es wirklich nicht einzusehen, warum ein durch körperliche, wie geistige Vorzüge ausgezeichnetes Mädchen nicht imstande sein sollte, einen Mann dauernd zu fesseln, noch dazu, wenn sie sich liebten,
wie es hier doch der Fall zu sein scheine. _
Fortsetzung solA. . i