^46 241. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 87. Jahrgang.

Erscheinungsweise: 6 mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts- bezirr Calw für die einspaltige Borgiszetle 10 Pfg.. außerhalb desselben 12 Pfg.. Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Montag, den 14. Oktober 1912.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post­bezugspreis für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., m Bayern und Reich 42 Pfg.

Amtliche Bekanntm«chu«gen.

Bekanntmachung,

betr. Schwarzwald-Friseur-Zwangsinnung.

Nach einer Mitteilung der k. Negierung des Schwarzwaldkreises in Reutlingen scheidet vom 1. Januar 1913 ab der Oberamtsbezirk Freudenstadt aus dem Jnnungsbezirk aus.

Calw, den 12. Oktober 1912. -

K. Oberamt: Amtmann Rippmann.

Der Balkankrieg.

Wichtiger, als die mehr oder weniger glaubwür­digen Nachrichten vom Balkankriegsschauplatz, ist die Tatsache, daß die Friedensverhandlungen zwischen Italien und der Türkei einen gewaltigen Stoß erhal­ten haben, der den endgültigen Friedensschluß zwi­schen beiden Staaten ernsthaft in Frage stellt. Un­mittelbar vor dem Unterzeichnen des Friedensver­trags stellte die Türkei neue Forderungen, auf die die italienischen Delegierten nicht eingingen. Diese letzte Schwierigkeit, die sich in diesen Unterhandlungen erhebt, besteht darin, daß die Türkei wünscht, daß alle Artikel des abzuschlietzenden Friedensvertrages, die zu ihren Gunsten lauten, sofort in Kraft treten, daß aber die zugunsten Italiens lautenden Artikel erst nach ihrer Ratifikation durch das türkische Parlament wirksam werden sollen. So will die Türkei z. B., daß die italienischen Truppen sofort von den azoi­schen Inseln zurückgezogen werden, während die Zu­rückziehung der türkischen Truppen aus Tripolis erst der türkischen Kammer zur Genehmigung unterbrei­tet werden solle. Diese türkischen Forderungen erschei­nen Italien unerfüllbar. Die Verhandlungen sind zwar nicht abgebrochen, das Beharren der Türkei auf ihrem Verlangen aber würde ohne Zweifel dazu führen, was die energische Fortsetzung des Krieges durch die Italiener bedeuten müßte. Die italienische Regierung hat die Frist, die sie für den Friedensab­schluß festgesetzt hat und die am 12. Oktober abends ablaufen sollte, auf Dienstag abend verlängert. Ein angesehenes italienisches Blatt, dieTribuna", redet eine ganz ernsthafte Sprache mit der Türkei. Sie sagt: Man dürfe hoffen, daß die türkische Regierung

die italienische Depesche mit der Ablehnung der türki­schen Forderung ihrem Inhalt nach verstehe, und be­greifen werde, daß dieses die letzte Mitteilung sei, die sie in dieser Sprache erhalte. Sollte sich zeigen, daß sie diese Sprache nicht verstehe, so würden die Kanonen sprechen. Die Stimmung im Unterhand­lungsort, dem schweizerischen Grenzort Ouchy, ist auf türkischer Seite mehr zuversichtlich als auf ita­lienischer.

Vom Kriegsschauplatz in Tripolis kommt derweil die Meldung über einen angeblichen großen Erfolg der italienischen Waffen: Der italienische General Briccola telegraphiert über dieses Gefecht aus Benghasi unter dem 11. Oktober:Ich bin glücklich, melden zu können, daß gestern unsere Truppen in Derna einen neuen Erfolg hatten. Die Brigade Salza, die links des Bumsaufers unter Mitwirkung der Artillerie der Brigade Lapello operiert, griff den aus regulären türkischen und arabischen Truppen nebst Artillerie bestehenden Feind an und schlug ihn in die Flucht. Die Verluste des Feindes sind noch nicht genau festgestellt, aber sie sind zweifellos be­trächtlich. Wir hatten 12 Tote und 83 Verwundete."

Aus dem Balkan treffen die Nachrichten massenhaft, aber so wirr durcheinander und sich widersprechend ein, daß es schwer ist zu sagen, welche Partei die Lage beherrscht, die türkische oder die montenegrinische. Einstweilen seien die Meldungen, die wesentliches besagen, hierhergesetzt:

Podgoritza, 12. Oktober. Die Stadt Tust ist von den Montenegrinern heute nachmittag vollständig eingeschlossen worden. Jede Verbindung der Stadt mit Skutari ist unterbrochen. Bisher haben die Montenegriner über 300 Kriegsgefangene gemacht, die nach Kiksic geschafft wurden. Unter den Verletz­ten befinden sich viele Malissoren und türkische Sol­daten. Die Tochter des Königs, Tenia, leitet den Samariterdienst selbst.

Konstantinopel, 12. Oktober. Das Kriegs­ministerium gibt amtlich bekannt, daß die türkischen Truppen nach erbittertem Kampfe den Hügel Zag- zele, der von den Montenegrinern besetzt worden war, wieder erobert haben.

Saloniki, 13. Oktober. Nach hier vorliegen­den Meldungen gestalteten sich die Kämpfe um Be- rane sehr heftig. Die Montenegriner erzielten trotz

wiederholter Angriffe angesichts der Todesverach­tung, mit der die türkischen Truppen und die albani­schen Freiwilligen kämpfen, keine Erfolge und muß­ten unter schweren Verlusten wieder zurückgehen. Die Kampfzone erstreckt sich bis Bjelopolje, wo den ganzen Tag heftige Gefechte stattfanden.

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.

Calw. 14. Oktober 1912.

Dem Ausflug des Schwarzwaldvereins nach Wildberg am gestrigen Nachmittag war prachtvolles Herbstwetter beschieden. Die Vereinsmitglieder, so gegen vierzig, traten den gelungenen Marsch nach­mittags 2 Uhr 03 an, um zunächst mit der Bahn nach Station Teinach sich fahren zu lassen und von dort über die Ruine Waldeck, Geigerles Lotterbett, die beiden Bulach und Schönbronn den romantischen Nachbarort zu besuchen. Alle Altersstufen waren vertreten: vom losen Backfisch bis zur gesetzten Frau Mama und alles, alles gab sich in Freude dem sonni­gen Herbsttagzauber hin. Bergan, bergab, durch grüne, mit leuchtendem Rotgold durchsetzte Wälder, durch lachende Ebenen und liebliche Dörfer, die einen zum Verweilen gereizt hätten, wenn nicht neben und mit einem allerlei andere reizende Sachen gezogen wären, führte der Weg, und erschloß dem Auge immer neue, prachtvolle Bilder der Landschaft, die rings in Nähe und Weite, in schimmerndem Dufte schwamm. Maler müßte man sein, oder Eduard Mörike heißen, um diese Schönheiten dort würdig preisen zu können! Aber, etwas von ihnen, von der leuchtenden Herbstsonne, den sterbenden, brennenden Wäldern, den verträumten Dörfern und lieblichen Auen mag in aller Herzen zurückgeblie­ben sein. Daß natürlich sich nicht nur manche Eva kräftig über die Früchte auf den Bäumen her­machte, sondern auch die verschiedenen Adams sich ordentlich amSchütteln" beteiligten, sei nur neben­bei erwähnt und gar manche kämen mit brav ge­ladenem Magen insSchwarzwaldhotel" in Wild­berg. Ein gemütliches Trüpplein saß da beisam­men und vergnügte sich mit Essen und Trinken und Spiel und Tanz solange, bis der unbarmherzige Zug wieder so ziemlich alles dorthin mitnahm, wo es hergekommen war. Die Führung der Wanderung hatte Herr O. Eeorgii.

kichtenstein.

58) Romantische Sage von Wilhelm Hauff.

Der alte Diener entfernte sich. Eine bange Mi­nute folgte dieser Meldung. Alle schwiegen, der Ritter von Lichtenstein schien mit seinen feurigen Augen die Türe durchbohren, der Geächtete seine Un­ruhe verbergen zu wollen, aber die schnelle Röte und Blässe, die aus seinen ausdrucksvollen Zügen wech­selte, zeigten, wie die Erwartung dessen, was er hören werde, sein ganzes Wesen in Aufruhr brachte. Endlich vernahm man Schritte auf der Treppe, sie näherten sich dem Gemach. Der gewaltige Mann zitterte, daß er sich am Tisch halten mußte, seine Brust war vorgebeugt, sein Auge hing starr an der Tür, als wolle er in den Mienen der Kommenden sogleich Glück oder Unglück lesen, jetzt ging die Türe auf.

11 .

Wie du nun so ganz Verlassen dastehst und so ganz entblößt.

Und wie nun ich, dein einz'ger Lchensmann Der einz'ge bin, der dich noch Herzog nennt. Und wie nun mir allein die Ehre bleibt,

Dir Dienst zu leisten bis zum letzten Hauch.

Uhland.

Auch Georg hatte erwartungsvoll hingesehen. Er musterte mit schnellem Blick die Eintretenden; in dem einen erkannte er sogleich den Pfeifer von

Hardt, der andre war jener Krämer, den er in der Herberge von Pfullingen gesehen hatte. Der letz­tere warf einen Pack, den er auf dem Rücken getra­gen, ab, riß das Pflaster weg, womit er ein Auge bedeckt hatte, richtete sich aus seiner gebückten Stel­lung auf und stand nun als ein untersetzter, stark ge­bauter Mann, mit offenen, kräftigen Zügen vor ihnen.

Marx Stumpf!" rief der Geächtete mit dumpfer Stimme.Wozu die finstere Stirne? Du bringst uns gute Botschaft, nicht wahr, sie wollen uns das Pförtchen öffnen, sie wollen mit uns aushalten bis auf den letzten Mann?"

Marx Stumpf von Schweinsberg warf einen be­kümmerten Blick auf ihn.Machet Euch auf Schlim­mes gefaßt, Herr!" sagte er.Die Botschaft ist nicht gut, die ich bringe."

Wie," entgegnete jener, indem die Nöte des Zornes über seine Wangen flog, und die Ader auf seiner Stirne sich zu heben begann.Wie, du sagst, sie zaudern, sie schwanken? Es ist nicht möglich, sie dich wohl vor, daß du nichts Uebereiltes sagst, es ist der Adel des Landes, von dem du sprichst."

Und dennoch sage ich es," antwortete Schweins­berg, indem er einen Schritt weiter vortrat;int Angesichte vor Kaiser und Reich will ich es sagen, sie sind Verräter."

Du lügst!" schrie der Vertriebene mit schreck­licher Stimme.Verräter, sagst du? Du lügst. Wie

wagst du es, vierzig Ritter ihrer Ehre zu berauben? Ha! gestehe, du lügst."

Wollte Gott, ich allein wäre ein Ritter ohne Ehre, ein Hund, der seinen Herrn verläßt. Aber alle Vierzig haben ihren Eid gebrochen, Ihr habt Euer Land verloren. Herr Herzog! Tübingen ist über."

Der Mann, dem diese Rede galt, sank auf einen Stuhl am Fenster; er bedeckte sein Gesicht mit den Händen, seine Brust hob und senkte sich, als suche sie vergeblich nach Atem, und seine Arme zitterten.

Die Blicke aller hingen gerührt und schmerzlich an ihm, vor allen Georgs; denn wie ein Blitz hatte der Name des Herzogs das Dunkel erhellt, in wel­chem ihm bisher dieser Mann erschienen war. Er war es selbst, es war Ulerich von Württemberg! In einem schnellen Fluge zog es an seiner Seele vor­über, wie er diesen Gewaltigen zuerst getroffen, wie er ihn tief in der Erde Schoß besucht, welche Worte jener zu ihm gesprochen, wie sein ganzes We­sen ihn schon damals überrascht und angezogen hatte, es war ihm unbegreiflich, daß er nicht längst schon von selbst auf diese Entdeckung gekommen war.

Eine geraume Weile wagte niemand das Schweigen zu brechen. Man hörte nur die tiefen Atemzüge des Herzogs und das Winseln seines treuen Hundes, der sein Unglück zu kennen und zu teilen schien. Endlich winkte Lichtenstein dem Ritter von Schweinsberg, sie traten zu Ulerich, sie faßten