Bilder ihrer leidvolleu Jugendzeit so lebendig vor ihr auf, als ziehe eine Feenhand den von der Zeit gewebten Schleier fort. Der Wein hatte ihren Blick erwärmt, ihre Gedanken in Bewegung gebracht und ihre Phantasie vcflngelt.Sie lehnte sich in den Sessel zurück und starrte nach der rauchgeschwärzten Decke. Ganz in ihre Erinnerungen verloren, begann sie zögernd und oft stockend ihre Bekenntnisse, allmählich aber k<v» ihre Sprache in Fluß, ihr Ton belebte sich nnd ein rüthlicher Schimmer des rascher pulsirenden Blutes durchdrang die faltige Haut ihres Gesichtes.
UndOthmar erfuhr, daß Liese au der Wende des Jahrhunderts als Tochter des Schulmeisters von Rabweiler zur Welt gekommen war. Trotz aller KricgSstürme floß ihre Kindheit friedlich und glücklich dahin. Als die Reste der großen 'rnnzösstchen Armee von de» Eisfeldern Rußlands ihrer Heimath gistrebren. hatte sie die Mutter dadurch verloren, daß diese ws Erbarmen Soldaten pflegte, die am Typhus erkrankt waren. Der Vater konnte diesen Verlust nur schwer verwinden. Im herbst des Jahres 181.', aber traf ihn ein Schlag, der ihn .'vllends zu Boden warf. Von den russischen Truppen, die rach der Schlacht von Waterloo und der Einnahme van Paris nieder m's weite Zarenreich zurückkehrten, waren marodierend« .bourken in's Schnlhans eingebrochen und hatten der kaum zum Weib erblühten Liese Gewalt angethan. Dies brach ihrem Barer ms Herz. Als das Mädchen nun allein in der Welt stand, arid es statt Trost den Spott brutaler Nachbarn, und es mußte stiren, daß diese sie das Kosakenschntzchen nannten. Dadurch Air Verzweiflung getrieben, stürzte sie sich in den Mühiteich.
Othmars Urgroßvater, der, als dies geschah, zufällig am Teich vvrüberschritt, zog die Besinnungslose ans dem Wasser. Als Liese wieder zu sich kam, rief sie klagend: „Warum habe Sie mich mck! ertrinken lassen? Run bin ich allein und schutzlos ans der Welt und die Schande lastet auf mir!" Der gütige Mann aber erfaßte ihre Hand, sah ihr gütig in's Gesicht und erwiderte: «Ich stehe hier au Deines Vaters Statt und will Dich an einen Ort führen, wo Dil gesundest. Sieh, ich bin ein alter, einsam gewordener Mann. Meine Frau, mit der ich ein Vierteljahrhundert in glücklichster Ehe gelebt habe, ist todt. Von meinen fünf Söhnen lebl nur noch der jüngste, fern von mir, die andern hat der schreckliche Krieg verschlungen. Ans dem Thurin des Hrmneukastells habe ich mir nun ei» Observatorium eingerichtet, um wissenschaftliche Beobachtungen des Himmels und des Waldes anstellen zu können. Sei Du armes Ding, auf dessen junge Schulter» soviel Unglück, aber keine Schmach gefallen ist. fortan die Hüterin des Huimenkastells. Ich brauche in dem einsamen Gemäuer weibliche Hände, die ein wenig aufräumen, die mir — wenn ich dort die Nächte zubringe — eine Abendmahlzeit oder eine Tasse Kaffee bereiten, und brauche ein ehrliches Menschenkind Deines Schlags, das mir zuweile» bei meinen Arbeiteil eine Handreichung thut und mit dem ich auch ein Stündchen verplaudern kann. Versuch' es einmal eiu Jahr, oder gar bis zu meinem Tode, in der Einsamkeit zu lebe», das wird beruhigend aus dein zerstörtes Gemüth wirke»".
Liese folgte dem Freiherrn Othmar von Sonneck in daS Hiinuenkastcll. Sie sah fortan in dem alten Herrn ihre West und kam Jahre lang mit anderen Menschen kaum in Berührung. Den Waldhütern und umwohnenden Landleuten war in jenen Tagen das gehrimnißvolle Treiben des Freiherrn unheimlich und es brachte ihn wie Liese in den Verdacht, als übten sie in dem uralten Kastell allerlei Tenselsknnste aus. lieber ein Jahrzehntlaug blieb sie in innigem Verkehr mit dem Manne, in dem sie etwas wie den Genius ihres Leben? sah, dann, bei der Rückkehr von einem botanischen Streiszug, stürzte der Freiherr von einer Kelsstaffel so unglücklich herab, daß er eure Wirbelsäule brach mid in den Armen Liese? starb.
Sein Sohn, der Oberst von Sonneck, achtete die im letzten Willen des Vaters erhaltene Verfügung, daß Liese Hüterin des HnnnenkastellS bleiben solle. So hauste sie denn in dem einsamen Gemäuer und die Leute von Rabweiler begegneten ihr mit Scheu und Furcht. Sie aber verspürte nie wieder Lust, den Wald zu verlassen und urrter die Menschen zurückzukehren, denn das Hunnenkastell war ihr zur Heimath geworden und im Rauschen der Eichen, im Sausen der Tannen glaubte sie die Stimme des Mannes zu vernehmen, der sie vor Verzweiflung gerettet und ihr so viel Güte erwiesen hatte.
Als ihre Erzählung beendet war, hatte Othmar das Gefühl, als klinge ihre Stimme weiter, wie das Murmeln des Bachs unter der Eisdecke. Den Kopf auf die Hand gestützt, blickte er verwundert und seltsam erregt in da? Gesicht der Alten. Wann lag der Schein der Lampe auf ihrem faltigen Gesicht und zauberte feuchten Glanz in ihre Allgen. Sie strahlten — vielleicht zum letzten Male — Jiiaenüsrifche aus. Othmars erregte Phantasie zeigte ihm die junge Liesbeth, die einst seinen Ahn beglückt hatte. Einer dankbaren Wallung nachgebend, erfaßte er ihre welke Hand, drückte einen Kuß daraus und sagte mit bebender Stimme: ..Ich danke Dir für Deine Treue!"
Gleich darauf schämte er sich seiner weichen Regung und wandte sich hastig gegen Knarre: ,„Kommt, Alter", sagte er hastig, „ich begleite Euch bis zur Halde! Ihr werdet schläfrig sein!"
Er trat mit dem alten J-orstwart hinaus in den mond- in den mondhellen Abend. Als sein Begleiter ihn aber nach kurzem Gang ansprach, schrak er auf, fuhr sich mit der Hand über'? Gesicht, als wolle er einen Traum verscheuchen, und bemerkte in zerstreutem Ton: «Ich komme noch zu Euch, lieber Knorre morgen — am Abend — —
Für heute — gute Nacht! Ich muß allein sein.'
Er bot dem Alten die Hand und lief über die Waldblöße zu einer uralten bemoosten Eiche hm, die sich über den Bau erhob, wie ein einsamer Barde über das Schlachtfeld. Eine morsche Bank stand davor. Er stellte seinen Fuß darauf, lehnte sich gegen den mächtigen Baun: stamm und ließ die Bilder, welche die Erzählung der Waldkiese in ihm heraufbeschworen, nochmals an seinem geistigen Auge vorübergleiten. .Ach", flüsterte er, .welche Erinnerungen verschließt diese Einsiedlerin in ihrem Innern! Wie anders mag ihr dieser Wald erscheinen als mir! Unter dieser Eiche hat sie vielleicht oft mit meinem Ahn gerastet und seinen Worten gelauscht. Und jetzt stehe ich unter vem rauschenden Wipfel als eiu Ausgestoßener, Geächteter. Ach, könnte der alle Baum doch sagen, was wir dis Zukunst bringt!"
Er hielt den Odem an und lauschte. In der Ferne ließ eine Drossel ihren Lockruf hören und Ottmar sagte leise: .Lieb' und Treue wolmen noch immer in: Walde." Fortsetzung folgt.
Allerlei.
8 „Wir wisse» stier „lies, Herr General!" In
der RvichtstcigssitzunA vom ! c. ds. erzählte Prof, vo» Gatter ei» komisches Erlebnis mit einem Gen barmen in Deutsch-Äorironrl, der in ih-m. dem deutschen Landioehroffizier, einen französischen Of sicher wittern wollte Das erinnert einen Leser der „Straßburger Post" an eine andere Episode vom selben Schattplatz, die vor einer Reihe von Jahren der dortige Grenzpolizeilvinmissar aus sei ner Praxis mitgeteilt hat. Als dieser Beamte einen soeben in Aprieonrt eingelanfeiien Pariser Schnell Zug inspizierte, richtete an ihn ein Reisender der ersten Klasse in tadellosem Deutsch eine Anfrage gkeichztiltigen Inhalts. Der Kommissar, der den Herrn schon vorher ins Auge gefaßt hatte, gach hös.ich, die gewünschte Auskunft und begleitete sie mit der Anrede „Herr General". Hieraus großes Erstaunen des Ankömmlings. „Kennen Sie mich denn '?" „Allerdings", erwiderte der Beamte. „Sie sind Herr General P., chef de la maisvn militnire des Präsidenten der französischen Republik". Der
P«i«z Georg Wilhelm vor» Gnmberland
General fand kaum Worte. „Das ist ja nnglaub lich Seit Jahrzehnten war ich nicht mehr in Deutschland. In Paris weiß kein Mensch von mei ner Reise, und hier kennt man mich !" Der Kommissar lächelte diskret und sagte: „Wir wissen hier alle?, Herr General". Worauf der General ihm unaufgefordert Ziel und Zweck seiner Reise angab und sich ertnndiAe, wie er sich ans deut scheu, Boden zu verhalten habe. Selbstverständlich gab der Beamte ihm bereitwilligst Bescheid. Was er ihm aber nicht sagte, war, woher er seine Wis senschaft von der Reite des Generals hatte. Das hing nämlich sso zusammen. Der General P. stammte aus einer deutschen Familie. Sein Vater war aus dem pfälzischen Städtchen B., wo noch heute Glieder derselben Familie wohnen, nach Frankreich auSgewandert. Dasselbe Städtchen war aber auch die Heimat des wackeren PolizeitommissarS: dieser kannte natürlich die dortige Familie P. und war auch über die glänzende militärische Laufbahn ihres französischen Bctters wohl unterrichtet. Als nun der. vornehme Herr, in dein er auf den ersten Blick den hohen französischen Offizier erkannt hatte, ihn anredete, siel ihm dessen große Aehn lichtest mit der pfälzischen Familie P. ans: blitz schnell kombinierte er, daß er wohl den General P„
von dein er schon so viel geholt, vor sich haben müsse, nnd der Erfolg belohnte seine kühne Kombination. Das Drolligste war, daß der ahnungslose General dem Kommissar mitteilte, er wolle nach B. reisen, um seine dortigen Verwandten zu besuchen.
s; Wie tief ist der Atlantische Ozeane Die Katastrophe der „Titanic" hat auch das Interesse für die Tiese des Atlantischen Ozeans wieder lebhaft werden lassen, zumal die seemännischen Bezeichnungen wie Faden, Knoten usw. dem Laien oft nicht ohne weiteres verständlich sind. Vielfach bestehen über die Taeseuverhältnisse der drei Hanptozeane der Erde überhaupt falsche Vorstellungen. Am besten bekannt sind indes die Tiesenperhältnisse des Atlantischen Ozeans. Dies bestätigt auch Dr. I. Wiese in einem Aufsatz über den Meeresboden und die Tiefen der See, der in dem Heft 10 der „Arena"
!Stuttgart, Deutsche Verlags Anstalt, erschienen ist. Nach den dort niedergelegten Angaben durchzieht den Atlantischen Ozean in Per Mitte, wie ein Rückgrat eine nicht unbedeutende Bodenerhebung, die bei Island beginnt und eine Länge von 15 000 Kilometer besitzt. Zu beiden 'Seiten"'dieses Rückens liegen je zwei tiefe Becken oder Mulden mit. 4000 bis 0000 Meter Wassertiese. In diesen Becken gibt es aber auch ausfallend flache Stellen oder Bänke, wo das Wasser kaum 100 Meter tief ist. Die vulkanische. Natur dieser Banke scheint sicher, manche von ihnen beherbergen große Fischreichtümer. "Die Meeresgegenv bei Neufundland 7wo die Titanic sa,rk) weist ebenfalls eine solche Bant ans, die ihre Entstehung erratischen AiihänfunKen zu verdanken hat. Im übrige:! sind die größten bis jetzt im Atlantischen Ozean gefundenen Tiefen nördlich von Por- lorico gelotet worden, nämlich 054 l Meter in 19 Grad 59 Minuten nördlicher Breite und 00 Grad 20 Minuten westlicher Länge und 7752 Meter in !9 Grad 50 Minuten nördlicher Breite und 06 Grad !2 Minuten westlicher Länge.
ZU unseren Bildern.
Zum Thronwechsel in Dänemark
bringen wir die Bilder des verstorbenen Königs und seiner Gemahlin. König Friedrich V!N. hm als Kronprinz am 28. Juli 1869 der Prinzessin Louisa von Schweden und Norwegen die Hand gereich!.
Tödlicher Automobilunfall des Prinzen Georg Wilhelm vo» Cumberlaud.
Prinz Georg Wilhelm von Cumberland, Herzog zu Braunschwelg unv Lüneburg, war am 28. Oktober 1880 zu Gmunden als Sohn des Herzogs Ernst August und seiner Gemahlin, ged. Prinzessin Thyra von Dänemark, Schwester des verstorbenen Königs Friedrich VIII., geboren. Er ist bei einer Ausfahrt tödlich verunglückt.
Der neue Riesendampfer „Imperator"
ist am 23. Mai in Hamburg vom Stapel gelaufen. Schon die Tatsache, daß Kaiser Wilhelm nach Hamburg kam, um deni Stapellauf eines Passagierdampfers beizuwohnen, beweist die große Bedeutung dieses Ereignisses. Ist doch der .Imperator" das grüßte Schiff, das den Ozean unter deutscher Flagge befahren wird. Es saßt volle 5000 Tonnen, ist 268 Meter lang und birgt in elf Stockwerken allen Komfort, den verwöhnte Menschen sonst auf dem Lande zu finden gewohnt sind 4000 Reisende und 1100 Mann Besatzung haben auf dem Schiffe Platz, für das Wohlbefinden aller ist ausgezeichnet gesorgt, aber vor allem den Passagieren erster Klasse wird auf dehi .Imperator" unerhörte Behaglichkeit geboten. Ter Speisesaal erster Klasse faßt 600 Personen. Rauchsalons, Damensalons, ein Wintergarten, ein Schwimmbad, eine Turnhalle, ja selbst Aufzüge und Kaufläden sind vorhanden. Es versteht sich von selbst, daß man mit deutscher Gründlichkeit die Lehren der „Tita- nlc"-Karaftrophe beachtet hat, und daß die Reisenden auf dem „Imperator" nicht nur Prunk, sondern auch Sicherheit erwarten dürfen.
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