A«s den Tanne«
:: Sonntagsblatt.
Nr. 81 (14.)
Altenfteig» 6. April.
Jahrgang 1912.
Ostern!
Durch die wintersmüden Lande tönt des Lenzes Heroldsruf, Sprengend überall die Fesseln, die des Winters Macht
einst schuf —
Wohl, es geht wie Zaubervdem kraftvoll jetzt durch die Natur, Ringsumher ein neues Lebe» quillt in Wald und Hain
und Flur;
Von den allertiefsten Klüften bis zu fernsten Bergeshöh n Mngt's so froh: Es gibt kein Sterben und kein bleibendes
Vergehn,
Denn es kündet sich uns wieder nun im Frühlingssturmgebraus, Daß das Licht jetzt siegt aufs neue über allen Todesgraus!
Hat den Tod doch auch gezwungen Christus einst als Siegesheld, Als aus Grabesnacht erstanden er zum Heit der ganzen
Welt.
Als in glaubensstarkem Ringen er in heißer Gottesschlacht, Auf dem Haupt die Dornenkrone, hat besiegt des Feindes
Macht —
Seitdem ist's noch stets erklungen, was aus Ostern zu uns
spricht,
Jenes Wort voll Trostesfülle: Immerdar durch Nacht
zum Licht —
Und es wird bis fernste Zeiten dieser hehre Trost besteh n, Künden wird ihn immer wieder jedes neue Ostenveh'n!
D'rum gegrüßt in deinem Rauschen, ewig-hehrer Ostertag, Der in hoffnungsreichem Lichte du beglänzt den jungen Haag — Sei uns wiederum willkommen, o, du froher Osterklang,
Der du lösest von den Herzen winterlichen Druck so bang — Leuchte uns, du Ostersonne, nun mit Hellem Gnadenschein, Senke deinen vollsten Segen tief in jede Brust hinein — Speiche ihn zum Wohle aller von dem Fels bis hin zum
Strand,
Laß' ein fröhlich' Ostern blühen nnserm deutschen Vaterland!
B. Neuendorf.
DMMWeiteii eines WiirnemSergers ms -M Feldzug men RntzlmL me i«« Jahren.
Mitj-eteilt von dessen Enkelin Fean Oberstleutn nt E. W.. Siutt art.
(Schluß.!
Die zweite Periode des Rückzugs fängt bei Kras noi an und geht bis zur Beresina, ein Raum von ungefähr 26 Merten. Es schienen t,n Anfang dieser Periode etwas günstigere Verhältnisse für die französische Armee eintreten zu wollen; denn einmal erwartete sie jenseits des Dnjeprs die Ver. einignng mit dem Viktor'schen und Dombrowsky- scheu und dem Rest des Oudinvt'schen Korps, die zusammen über 30 000 Mann stark waren, zweitens war die Verfolgung durch das Gefecht vorn 6. mit dem Ney'schen Korps etwas verzögert und dem gemäß weniger heftig geworden, drittens kam die Armee jetzt in ihre Magazinlinie hinein und in ein Land, Pas sie wie sich verbündet betrachten konnte, und viertens war das Wetter etwas milder gewor den. Doch alle diese Vorteile sanken vor dem Umstande zusammen, daß die Armee des' Generals Tschitschagow über Minsk vordrang, um an der Beresina die französische Armee in Empfang zu nehmen, nnd daß der Graf Wittgenstein mit seinen: durch den General Stein heil verstärkten Korps ebenfalls von Tschasnik herannahte, um sich mit der Moldauarmee in Verbindung zu fetzen. Durch die Bewegung dieser Armeen kamen die Franzosen in große Gefahr und zum mindesten stand ihnen eine Wiederholung jd es Tags von Krasnoi bevor. Napo leoii begriff vollkommen das Mißliche seiner Lage und eilte in Geschwindmärschen der Beresina zu. Als er durch Orscha kam, hakten sich die Deputierten vom Mvhitew'fchen Gouvernement eingesunden, um die Befehle des Kaisers zu vernehmen. Der Kaiser, sonst für Aufmerksamkeiten dieser Art sehr empfänglich, schickte sie auf der Stelle fort, ohne sie ge sehen zu haben; denn er wußte wohl, daß man der gleichen Leuten, stets imponieren müsse und daß ein so äußerst bescheidener Aufzug, wie der seinige diesmal war, keine rechte Wirkung machen würde; auch hatte er wohl seine besonderen Gründe, warum er seine Armee nicht gern zur Schau gab, die freilich durch den heftigen Flanken marsch gegen Petersburg ein wenig von ihrer Haltung verloren hatte und der Kälte wegen zum Teil sehr phantastisch in Priestergewänder und Frauenröcke gekleidet war.
Sobald Napoleon die obengenannten Verstär kungstruppen an sich gezogen hatte, sandte er die
Polen links gegen Bvrisow, welche Stadt der General Tschitschagow besetzt hatte, und warf das Vit tvr'sche Korps rechts dem Grafen Wittgenstein entgegen. Unter den: Schutz dieser Detachements erreichte er mit der übrigen Armee am 13. die Be resina, schlug 13 Werst oberhalb Borisow bei Sem- bin eine Brücke und passierte, sie, ohne. Zeit zu verlieren. Dieser Uebergang über die Beresina wird wegen seiner Schrecknisse lange in dem Gedächtnisse der Soldaten leben. Zwei Tage dauerte der Neber- gang. Gleich von Anfangian drängten sich die Truppen in Unordnung hinüber; denn mit Ordnung geschah 'schon längst nichls mehr bei der französischen Armee; und schon damals fanden viele im Wasser ihr Grab. Doch als die russischen Heere die Korps von Viktor und Dombrowsky znrückwarsen und alles in wilder Flucht der Brücke znstürzte, da erreichten Verwirrung und Schrecken bald den höchsten Gipfel. Artillerie nnd Bagage nnd Kavallerie und Jnfan terie, alles wollte zuerst hinüber - der Stärkere' warf de» Schwächeren, der seine Flucht anfhiett, ins Wasser oder schlug ihn zu Boden, gleichviel ob Offizier oder nicht, biete Hunderte wurden von den Kanonen gerädert, viele suchten das Wasser zu durchschwimmen und erstarrten, viele versuchten über die hin und her schwankende Eisdecke zu gehen nnd versanken - überall Geschrei nach Hilfe und nirgends Rettung. Als endlich die russischen Batterie» die Brücke, und beide Ufer.zu beschießen ansingen, hatte der Uebergang ein Ende. Eine ganze Division von 7500 Mann vom Viktor scheu Korps nebst fünf Generalen ergab sich mit Kapitulation; mehrere Tausend waren ertrunken; ebensoviel erschlagen nnd eine Menge Kanonen und Bagage blieben verlassen auf dem linken Ufer zu rück. Dies war das Ende der zweiten Periode. Die Resultate derselben waren über 20 000 Gefangene, gegen 200 Kanonen und eine unermeßliche Beute.
Es ist gewiß der Triumph polizeilicher Wachsamkeit, daß überall, wo französische Truppen waren, man auch nicht das Geringste von dem Unglück der französischen Armee bis dahin erfahren hatte. Wilna als Mitteivunkt der neukonsöderierten Pro vinzen und als Sitz aller französischen Behörden genoß einer vorzüglichen Aussicht und ward am längsten in Unwissenheit erhalten; das Publikum glaubte ganz treuherzig an die Wahrhaftigkeit des 25. Bulletins. Man erschrack zwar, als man vernahm, daß die moldauische Armee Minsk genom men habe und gegen Bvrisow zöge, jedoch beruhigten sich die Gemüter wieder so ziemlich, als die Wil- nasche Zeitung erzählte, daß der Marsch jener rni fischen Armee ganz in dem Plan Napoleons liege und nichts als eine Falle wäre, in die sie zu ihrem Verderben ginge. Als gleich daraus alle Kuriere von der Armee ansblieben, so fingen die Bewegun gen im Publikum von neuein an. Nach l 2 Tagen gänzlichen Mangels aller Nachrichten schickte der Herzog von Bassano einen jungen Polen, wie man sagt als Frau verkleidet, der Armee entgegen. Dieser kehrte nach 5 Tagen zurück und brachte zur allgemeinen Fremde aller Franzosen die Nachricht mit, die sogleich die Zeitungen verbreiteten, daß er den Kaiser an der Beresina gesunden habe in der besten Laune Vvn der Welt und im Begriff aus General Tschitschagow lvszmgehen, der voll kommen in die ihm gelegte Fakte gegangen wäre, der Kaiser hätte übrigens nur die Hälfte der Armee bei sich, die andere Hälfte habe er, weil er ihrer nicht bedürfe, bei Smolensk znrückgelassen. Einige Tage später kam Napoleon selbst, nnd seine heim liche Reise um die Stadt lieferte den Kommentar zu allen jenen Nachrichten.
Die dritte Periode des Rückzugs geht vvn der Beresina bis zum Riemen und vvn da weiter ins Preußische. Obgleich sie für die Franzosen der Steigerung aller Nebel wegen die schrecklichste war, so hat sie doch unter allen das wenigste militärische Jnteresse; denn sie zeigt nichts als eine Jagd längs der großen Straße. Ungefähr 40 000 Mann mit einer noch ziemlich bedeutenden Artillerie waren über die Beresina gekommen; aber in welch trau rigem Zustand waren diese Truppen! Ein neuer heftiger Frost gab ihnen völlig den Rest. - Alles ivars jetzt beinahe die Waffen weg, die meisten hatten weder Schuhe noch Stiefel, sondern Decken, Tornister oder alte Hüte um die Füße gebunden. Jeder hatte das erste beste, was er gefunden, sich um Kopf und Schulter gehangen, um eine Hülle mehr gegen die Kälte zu haben; alte Säcke, zerrissene Strohmatten, frisch abgezogene Häute usw. Glücklich, wer irgendwo ein Stückchen Pelz erobert hatte. Mit nntergeschlagenen Armen und tief ver hüllten Gesichtern zogen Offiziere und Soldaten in dumpfer Betäubung neben einander her; die Gar den unterschieden sich in nichts mehr von den übri gen, sie waren wie diese zeriumvi, verhungert und
ohne Waffe,:; alle Gegenwehr hatte ausgehört, der bloße Ruf: Kosat! brachle ganze Kolonnen in kurzen Trab und mehrere Hunderl wurden oft von wenigen Kofaten zu Gefangenen gemacht. Der Weg, den die Armee zog, füllte sich mit Leichen und jedes Biwak glich am andern Morgen einem Schlachtfeld. So wie einer vor Ermattung hinsank, fielen die nächsten über ihn her und zogen ihn, noch ehe er tot war, nackt aus, um sich mit seinen Lunchen zu behängen: alle Häuser und Scheuern wurden verbrannt, und auf jeder Brandstätte lagen ganze Hansen von Toten, die, um sich zu märmenl, genaht waren und aus Kraftlosigkeit dein Feuer nicht- mehr halten 'entfliehen können. Die ganze Laild- straße wimmelte von Gefangenen, die niemand mehr beobachtete und hier sah man Szenen des Greuels, wie sie noch nie erlebt worden sind. Von Rauch uiid Schmutz ganz schwarz schlichen sie wie Gespenster aus den Brandstätten unter ihren toter, Kameraden herum, bis sie hinsieien nnd starben. Mit abgesrorenen oft bloßen Füßen, in denen der Brand schon war, hinkten manche noch aus dem Wege bewußtlos fort; andere hatten Sprache nnd Gesicht verloren und viele waren vor Hunger und Kälte in eine Art von wahnsinniger Betäubung gefallen, in welcher sie Leichname rösteten und verzehrten oder sich selbst Arme und Beine benagten. Manch« waren schon so schwach, daß sie nicht einmal mehr Holz herantragen konnten: diese saßen auf ihren toten Gefährten, dicht gedrängt um irgend ein kleines Feuer, das sie gefunden, herum nnd starben^ sowie dieses erlosch. In, Zustand der Bewußtlosigkeit sah lila» sie freiwillig ins Feuer hineinkrie-' chen und wimmernd sich verbrennen in der Meinung, sich zu wärmen, und andere ihnen nachkriechen und den nämlichen Tod finden.
Von Wilna war die aus Königsberg angelangte Division Loison, ungefähr lOOOO'Mann stark, meistens deutsche Truppen, junge Lenke von den De Pots, der Armee bis Osmiana, 7 Meilen von Wilna,; entgegen.geschickt worden, um von dort ans den Rück zug zu decken. In vier Tagen war diese Division, ohne sich geschlagen zu haben, durch Märsche und Biwaks bis ans 3000 Mann geschmolzen, nnd von diesen wurden die meisten vor Wilna teils ge fange» teils zerstreut. Napoleon, der Wiederher steller Polens, dessen Bulletins noch vor wenigen Wochen gesagt hatten, daß der Donner der französischen Geschütze bereits in Asien gehört werde, ging den 24. heimlich und in geringer Bekleidung durch Wilna. Die Armee defilierte vom 26. 23. trüb
in der fürchterlichsten Unordnung durch die Stadt, alle Straßen mit Leichen füllend und von den Ein wvhnern bejammert und verspottet zugleich; ja, als der bekannte Schrecke,isrnf „Kosak"! den 23. mor gens erscholl und die Soldateil ans den Häusern liefen nnd nach dem Tor flüchteten, fielen die Juden, alt und jung, über sie her und namentlich über die Garden, von denen sie früher so viele Mißhandlungen erduldet hatte», und erschlugen eine große Anzahl. In der Eile des Durchzugs blieb die Stadt von Brand und Plünderung verschont: sie war die erste seit Moskau, die der Verwüstung entging. Von Wilna zogen die Franzosen nach Kowno. Kaum 25 000 Mann kamen über den Riemen. Der größte Teil der noch übrigen Artillerie und Bagage war schon aus gänzlichein Mangel an Pferden vor Wilna stehen geblieben; der Rest ging, bis Kowno verloren.
Das Resultat des Rückzugs durch alle drei Perioden mag weit über l00000 Gefangene, worunter allein 50 Generale und gegen 900 Kanonen, betragen.
Seit Kowno geht die Verfolgung der Franzosen ihren gewöhnlichen Gang. Wenige nur erreichen die Weichsel und diejenigen, welche sie erreichter^ werden ihre Rettung nicht lange überleben. 'Die Kräfte ser Soldaten sind zu sehr erschöpft, um nicht selbst der Erholung und der Ruhe zu erliegen, wie man es täglich an den Gefangenen sicht, die oft sogleich nach der ersten, guten. Mahlzeit sterben. Was die Kosaken wegen großer Eile nicht erreichen konnten, wurde von den polnischen Bauern ans tzJe unmenschliche Art mißhandelt und geplündert wozu sie die wenigen Stunden der nächtlichen Ruhe der Soldaten benutzten. Kein Russe nahm seinein Gefangenen irgend ein Kleidungsstück, vielleicht einen Mantel, den er ebenfalls brauchte, ausgenommen. Doch die polnischen Bauern glaubten .sich über diesen Mriegsgebrauch wegseyen zu dürfen denn iie plünderten die Unglücklichen nicht nur bis anfs Hemd ans, sondern warfen sie sodann auch noch in diesem Zustande auf die Straße hinaus, wo jeden Morgen viele, auf diese Art Erfrorene, gefunden wurden, andere aber im Hemd weiterzuziehen sich genötigt sahen, bis ihnen ir-