Aus den Tanne« :: Sonntagsblatt.
Nr. 4K. (8.)
Altensteig, 24. Februar
Jahrgang 1912.
Freude.
Laß dich nicht vom Leid ersticken,
Nur wer anfsitt'l, machr sich frei;
Keiner sieg:, in -essen Blicken Nicht schon Siegerhccheir sei.
Laß das blasse, feige Denken,
Wie es morgen rvcrden »rag.
Wollest du mir Zügeln lenken.
Wie ein Roß, den Sonnentag?
Was hast du aus deinem Lachen,
Ilmnuttrüber Mensch, gern acht?
Haben deine Siebensachen Dich um alles' Glück gebracht?
In die Sterne stell' die Leiter,
Und dann rasch - sieh dich nicht um!
Eine Sprosse — weiter! weiter! —
Gott stößt nicht die Leiter um!
Gustav Schüler.
Der stotte Prinz.
Von M. Reinhol d.
(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
In acht Tagen sollte der Austritt Georg Fried rich's ans der Fabrik erfolgen, der Chef hatte sich dann! einverstanden erklärt; eS sollte dann auch sein Nachfolger, ein Ingenieur aus den rheinisch westfälischen Industriebezirken, der trotz seiner jungen Jahre sich schon weit in der Welt nmgesehen und reiche Erfahrungen gesammelt hatte, seinen Posten einnehmen. Die Wochen bis zu diesem Ter min hatte Georg in alter, harmloser Weise in Schönau verbracht, er tat, als merke er die ihm jetzt entgegengebrachte größere Ehrfurcht gar nicht und gab sich frisch und munter, wie stets. So wußten denn scyließlich doch die meisten nicht, woran sie waren.
Da kam eines Tages das „Fräulein Chef" wieder nach Schönau gefahren, uno fi^ erbat diesmal für Georg einen freien Nachmittag vom alten Weiß. Der machte etwas verwunderte Äugen. Fräulein Hartman» wußte doch ganz genau, wer der Herr Stark war, was hatte es da für Wert, wenn sie ihn einen ganzen Nachmittag für sich allein haben wollte? Auch Georg war von diesem Wunsche überrascht. Er freute sich, der jungen Dame, die so energisch in sein Leben eingegriffen hatte, seinen Dank aussprechen zu können, aber dazu war nicht gerade ein Nachmittag erforderlich. Immerhin, ihn freute der Gedanke an ihre Gesellschaft.
Liesbet Hartmann führte den jungen Alaun zu ihrem Lieblingsplatz im nahen Gebirge, zu jener Waldwirtschaft, in der Georg zum letzten Male seine alte Freundin Wanda Reinhardt getroffen hatte. Wenige Minuten davon stand über dein rauschenden Bach ein kleiner Tisch mit: zwei Sitzen, hier ließ sich gut plaudern, aber auch ebenso gut träumen. Diensteifrig brachte die Waldwirtin Kaffee und frischgebackenen .Kuchen, und Liesbet Hartman» füllte ihrem Begleiter in graziöser Weise die Tassen. Und dann kam sie zu dem wahren Zweck ihres Beisammenseins.
„Durchlaucht haben mir vorhin gesagt," begann sie, als ihr Georg auch schon inS Wort fiel. „Wollen wir es nicht wenigstens in dieser Stunde noch beim schlickten Georg Stark lassen? Das Leben wird uns schon noch oft genug in feierlichen Posen ein ander gegenüberstellen, retten wir uns für diese Stunde wenigstens die Natürlichkeit. Ist die Bitte zu groß, Fräulein Liesbet?"
„Nein, lieber Herr Stark," antwortete sie herzlich und schlug in seine dargebvtene Hand ein: „es soll gelten. Also Sie sprachen mir vorhin von Dankbarkeit für meine zufälligen Worte zu Ihrem Herrn Vater auf Schloß Grünfelde. Da müssen Sie vor allem dem Fürsten danken, denn ohne dessen Gute wären aucy meine Worte umsonst gewesen. Aber von Ihnen erbitte ich mir doch att Dankesvoll einen Rat. Bitte, und damit reichte sie ihm eine Photographie, „das ist Ihr Nachfolger,, und mein Vater wünscht, daß er auch einmal mein Gatte werde. Ich weiß, daß er ein anßerordent lich tüchtiger Mann und für unsere Fabrik wie ge schaffen ist. Dazu sind auch die materiellen Verhältnisse. nicht verschieden. Da Ernst Berg der jün
gere Sohn des großen rheiuisct-en Hauses ist, könnte er einmal der Chef der Firma Hartmann und Sohn werden."
Sie schwieg. Georg sagte lächelnd: „Ver- zeiyung, Fräulein Liesbet, wenn ich einig;? Zweifel in Ihre Worte fetze. Auch wenn Sie vermählt sind, werden doch Sie die wahre Seele der Firma bleiben, niemals kann Ihr Gemäht so- in diese ans- gehen, wie Sie, die Sie keinen arideren Gedanken in: Leben gelhibt haben. Dazu habe ich Sie im letzLeu Jahre zu genau iermeu gelernt."
„Nick: wahr?" rief sie eifrig. ,.Pava denkt darin anders. Er meint, wen» ich allein, ohne männlichen Beistand die Firma regieren sollte, dann inirrde ich bald genug; merken, wie meine Kräfte und meine Autorität schließlich nicht genügen würden. Darum soll ich heiraten. Wenn nicht sofort, dann später. Sehen Sie sich die Photographie an, und dann geben Tie mir, bitte, Ihren Rat."
Georg betrachtete das Bild, das einen Herrn mit einem Nällenskräftigcn und entschlossenen, bartlosen G.-sichl oarstellte.
Bevthvld Auerbach.
Zur Feier seines 100. Geburtstages.
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Sein ganzes Aeußere bewies schon, daß er viel in England oder in Amerika Wlebt hatte. Er war ein Gentleman von größter Vollkommenheit, der mit seinem kühlen Wesen ganz zu Liesbet. .Hartmann paßte. Bon deutscher Jovialität war freilich in seiner Erscheinung wenig, oder nichts zu entdecken. Es dauerte einige Zeit, bis sich der Befragte besonnen hatte, Liesbet wartete ruhig und streute inzwischen den kleinen Waldvögeln, die zutraulich her angehüpft waren, Knchenkrümel hin.
„Liebes Fräulein Liesbet," hob er endlich an,, „ich glaube, Sie haben sich bereits entschieden und bedürfen meines Rates also gar nicht mehr."
Regungslos, ohne mit den Wimpern zu zucken, hörte sie seinen Bescheid. „Und in welchem Sinne sollte ich mich entschieden haben?"
„Sie wollen dem Herrn Ihre Hand reichen, sobald Sie erkannt haben, daß er einst im Stande sein wird, die Firma im heurigen Sinne weiter zu führen. Und dann werden Sie ihm auch Ihre Neigung entgegen bringen. Eine solche Ehe könnte, ich wage das anszusprechen, leicht einen gefährlichen Charätter anneymen, aber in Ihrem Falle befürchte ich das nicht. Wenigstens soweit meine junge Erfahrung sich erlauben darf, da mitzure den."
Wieder schaute ne ihn so ruhig an, als handele es sich um die Besprechung eines trockener Fabrikgeschäftes. „Sie stellen große Behauptungen ans und verlieren sich weit, mehr in Lebensbetrach tungen, als ich von Ihnen erwartet hatte. Nehmen wir das eine nach dem anderen. Woher nässen Sie, daß ich unter bestimmten Boraussetzungeli entschlossen wäre, diesen Herrn Ernst Berg zu heiraten?"
„Also Sie sind es. doch, Fräulein Liesbet!," ries er triumphierend, „und ich habe, recht behalten. Nun, es war nicht gar schwer, zu diesem Schlüsse zu komme». Ich habe noch kein weibliches Wesen kennen gekernt, welches so scharf und folgerichtig denkt, wie Sie. Da ist es wohl kaum schwer, her- ausznsinden, daß Sie sich damit befreunden, zu tun, was Sie nach Ihrer Ueberzengnng doch einmal werden tun müssen. Und ich will gleich hinzu- fügen, weshalb ich für Sie keine. Enttäuschung aus dieser Ehe befürchte. Sie sind so willensstark, daß Sie auch einen Mann, der nicht auf Ihrer geistigen Höhe steht, mit Erfolg meistern, leiten und führen könnren."
Sie nickte statt aller Antwort nur ein vaar Male gedankenvoll vor sich hin und schaute dann
nach ein vaar Kindern hinüber, die vor dem Waldwirtshanse spielten. Sie warfen sich mit einem Balle, der jetzt ins Wasser des Baches flog und unterhalb des Sitzes der jungen Dame hängen blieb.- Die Kinder schauten sehnsüchtig nach dem Spielzeug, trauten sich aber nicht heran. Da gewahrte es Äesbel, sprang aAs, wiulte den Kleinen und gab ihnen den Ball zurück. Als das älteste, ein' Mädchen von etwa vier Jahren, ein echtes Ge- tärgsmädet mit flachsblonden Haaren und roten Wangen, ihr zum Dant die Hand reichte, faßte es Lie-ve: und hob das jauchzende Kind hoch in die Lust: dann stellte sie es behnt''am auf die kleinen Beine zurück und wandte sich wieder ihrem Begleiter zu.
. „So!" sagte sie. „Das war wieder etwas menschliches nach all' der Zuknnstsphilosophie. Sie haben es gewiß gut gemeint, bester Herr Stark, als Sie mir die bittere Pille von meinem fischblütigen nüchtern-kaufmännischen Wesen verzuckert überreichten, aber schlucken habe ich sie müssen. Nun, ich schätze Sie deshalb um so mehr. Aber dies Iteine Menschenkind stak mir soeben mit seinem freudigen Jauchzen viel mehr gesagt, wie Sie es habe» tun können. Nämlich, das Leben ist so. schön und bietet so viele Wunder, daß Ihr es ruhig an Euch herankommen lassen könnt. Und das will ich getrost tun. Sie lpiben es mir ja in gewissem Sinne mit Ihrer Laufbahn hier in Schönau schon vvrgemacht. Also schließe ich denn die Sitzung. Und wenn es Ihnen recht ist, wollen wir ans einem schönen Waldwege nach Schönau heinikehren."
4 - 4 - 4 -
Eine halbe Stunde waren Liesbet Harrmann und Georg Friedrich von Starkenburg bereits unter heiterem Geplauder tapfer ansgeschritten, als die junge Dame betroffen nach allen Seiten sich Umsatz. „Wirklich, ich glaube, ich habe bei unserem Schwatzen den Seitenweg übersehen, der uns in das Tal hinabführen mußte. Wir gehen statt dessen bergauf und kommen hier, wenn ich nicht irre, nach Kaltenrod, einem durch seine wilddiebende Bevölkerung nicht gut beleumundeten Ort. Wenn »vir nicht durch das Dorf zu gehen brauchten, würde es mir recht lieb sein. Eher möcht ich noch den ganzen Weg wieder zurückgehen."
Georg prüfte aufmerksam den Stand der Sonne, horchte gespannt nach der Tiefe, ob er nicht Geräusch von der Fahrstraße vernehmen könne, und' wies dann auf einen schmalen Fußpfad. „Hier müssen wir wü'der ins Tal Hinabkommen, nur weiß' ich nicht, ob der Weg für Damen vas'ierbar sein wird. Immerhin können wir es ja doch versuchen."
Liesbet lachte und zeigte ans die festen Ge- birgsschuhe, welche sie trugt „Ich bin keine Salon-Tirolerin: wenn ich nach Schönau komme, richte ich mich in meinem Aeußeren stets so ein, daß ich nicht in der Stube zu sitzen brauche. Also versuchen wir es, es-wird schon gehen. Und wenn Sie an abschüssigen Stellen mich ein wenig stützen wollten, erst recht. Avanti, amico!"
Der Weg, eigentlich war es nur eine Regenrinne, die jetzt trocken da lag, zog sich recht steil bergab; aber das war noch zu ertragen. Schlimmer war das Geröll, welches dem Fuße nirgendwo einen festen Halt gewährte, so daß die beiden abwärts klimmenden Wanderer beinahe von Baum zu Baum rutschten. Als bei einem solchen heftigen Schritt nach vorwärts die junge Dame in ihres Begleiters Arme mehr fiel, als sank, hatten beide große Mühe, sich aus den Füßen zn halten. Aber die gute Laune wich nicht, und so kamen sie doch vorwärts. Bis mit einem Make ein Hemmnis anf- tanchle.
Gerade über den Weg war ein roher Skein- damm aufgeworfen, der zlvei Felswände mit einander verband. Da war die Wett mit Steinen „zu- genazelt". Sie standen betroffen still. Für einen jungen, kräftigen und gewandten Mann war es ja kaum mühsam, darüber hinwegzuklimmen, aber für eine junge Dame war es nur schwer denkbar, diese Kletterei zu wagen. Aber den ganzen steilen Weg zurück und nach oben zn steigen, das war auch keine verlockende Aussicht, und so machte Georg sich an die Arbeit, nach oben zu klettern, um zn sehen, wie dies Hindernis am besten überwunden werden könnte. Es gelang ihm besser, als er dachte.
Jetzt war er oben. Eben wollte er seiner Dame triumphierend zurusen, es werde ihm wohl gelingen, die höchste Steinschicht fortzuwälzen, und dann könne sie ihm folgen, als er überrascht zurückwich. Er flüsterte Liesbet zu: „Pst! Bitte einen Augenblick um absolutes Schweigen!" Dann suchte er sich langsam über die Steine hin fort zu schwül gen, als beide eine rauhe Stimme vernahmen.