Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.

Calw, 24. September 1912.

Vorträge im Vereinshaus. Der durch seine «geistvollen Vorträge und religionsphilosophischen Schriften auch in unserem Lande bekannte Pastor Bernstein, wird laut Inserat in der heutigen Nummer morgen Mittwoch und Donnerstag, je 8 Uhr abends, in dem Evangelischen Vereinshaus über folgende Themen sprechen: 1. Die Liebe im Lichte des Evangeliums, 2. Wunder und das größte Wunder in Natur und Geschichte. Dem Redner wird allgemein nachgerühmt, daß er zu den wenigen Menschen gehört, welche die tiefsten Menschheits­fragen in voller Klarheit dem Verständnis zu öffnen vermögen. (Eingesandt.)

b. Wegfall einer Prüfung. Nach der Einfüh­rung neuer Volksschuldienstprüfungen wird vom Jahr 1916 ab die im Jahr 1900 eingerichtete Dienstprüfung der Kandidaten für Präzeptoren- und Reallehrerstellen in Wegfall kommen. Es werden daher im Jahr 1914 zum letztenmal Kandidaten zur Erstehung des theoretischen Teils dieser Prüfung zugelassen werden, früher erstandene Teile der Prü­fung wären spätestens im Jahre 1915 zum Abschluß zu bringen.

Herbstanfang. Gestern vormittag 11 Uhr trat die Sonne in das Zeichen der Wage, gelangte wieder zum Aequator und macht zum zweiten Male im Jahr Tag und Nacht gleich, das heißt, es be­ginnt der Herbst! Des Sommers bunte Fülle ver­ringert sich nun zusehends, bis der letzte Zugvogel davongeeilt, die letzte Rose im Garten verblättert ist. Unheimlich rauscht's in den Wipfeln der Bäume, die nach letztem Aufleuchten den Reichtum ihrer Blätter ablegen, bis die Aeste und Zweige kahl zum grauen Himmel ragen. Das Sterbelied, zum mindesten das Schlummerlied ist's, das sich die Natur singt und ein Gleichnis bedeutet dieses Niedergleiten des Raschellaubes für den Menschen, wovon der Dichter singt:Gleich wie ein Blatt vom Baume fällt, so geht ein Leben aus der Welt." Die ernsten Feste für die Toten sind wohlweislich in die grauen, nebelumschleierten Herbsttage gelegt, in die Zeit des allgemeinen Niederganges und Schlafengehens der Natur. Ist endlich der erste Frost eingezogen, dann sind auch die Tage nicht mehr fern, an denen Frau Holles weiße Spreu niedersickert, um zuzudecken, was unschön geworden. Lernen wir bis dahin die hoffentlich noch vielen schönen Herbsttage recht schätzen, und wandern wir fleißig in Feld und Wald, um uns den Winter möglichst kurz werden zu lassen.

ss. Deckenpfronn, 24. Sept. Die hiesige Pfarrei wurde dem seitherigen Pfarrverweser Oehler über­tragen.

Württemberg.

Die zunehmende Industrialisierung Württembergs.

In dem soeben erschienenen Statistischen Hand­buch für das Königreich Württemberg, Jahrgang 1910 und 1911, finden sich statistische Angaben über die Berufsverschiebung in den einzelnen Kreisen. Sie zeigen durchweg eine erhebliche Zunahme der Industrie zumeist auf Kosten der Landwirtschaft, während Handel und Gewerbe sich wenig verändert haben. Während im Neckarkreise von 100 Personen der Eesamtbevölkerung im Jahre 1882 noch 41 der Landwirtschaft angehörten, schmolz diese Zahl 1895

auf 35,6 und 1907 auf 26,9. Die in der Industrie beschäftigte Zahl stieg in derselben Zeit in der Skala: 36,8, 39,4, 45,7, die im Handel von 9,6 auf 13,4. Die Zunahme des Handels ist im Neckar­kreise am stärksten. Im Schwarzwaldkreise be­trieben 1882 von 100 Leuten nur 6,1 Handel oder waren im Verkehrswesen beschäftigt, 1907 waren es 7,4 Personen. Die Industrie nahm, wenn auch nicht so stark wie im Neckarkreis, zu: von 35,5°/° auf 41,8°/°. Die landwirtschaftliche Bevölkerung hin­gegen wurde auch hier stark zurückgedrängt. Es waren 1907 40,9 von hundert Bewohnern in ihr tätig, während es 1882 noch über 50 waren. Im Jagstkreis sind die Zahlen für die Landwirtschaft günstiger: 54,7 (1882) und 49 (1907), die indu­strielle Bevölkerung stieg nur wenig, von 31 °/ auf 32,3 °/°, die im Handel und Verkehr tätige von 5,9 auf 6,5. Der Donaukreis weist für die Landwirt­schaft die Zahlen 49,542,4, für die Industrie 33,236,3, für den Handel 6,78,4 auf. Also auch hier ein langsames Vordringen von Industrie und Handel, sowie ein Zurückgehen der Landwirtschaft. Es ergibt sich demnach für das Königreich Württem­berg ein Zurückgehen der landwirtschaft­lichen Bevölkerung von 48,2 vom Hundert der Eesamtbevölkerung im Jahre 1882 auf 37,7 im Jahre 1907, sowie ein Steigen der industriellen Be­völkerung in der gleichen Zeit von 34,4 °/° auf 40"/» der Eesamtbevölkerung; die im Handel tätige Be­völkerung stieg von 6,7 auf 8,4"/°. Im Vergleiche mit dem Deutschen Reiche sehen wir, daß die Ziffern für die landwirtschaftliche Bevölkerung noch un­günstiger sind, 1907 waren hier nur noch 28,6°/° der Bevölkerung in ihr tätig, dagegen 42,7 in der Industrie und 13,6 im Handel.

Vaihingen a. E., 21. Sept. DemEnzboten" wird aus Eroßglattbach' geschrieben: Wie wir in letzter Zeit in den Zeitungen gelesen haben, wurde viel von einer zur Zeit herrschenden Fleischnot ge­schrieben. Dazu können wir doch den Mund nicht ganz halten, denn es können gegenwärtig in unserem Orte 810 Stück Schlachtvieh, Stiere und Rinder, gekauft werden. Es ist aber eine Kunst, sie zu verkaufen. Wir sehen keinen Metzger, noch jemand anders, der etwas kaufen will. Um den Notschrei zu lindern, so laden wir die Herren Metzger in der Umgebung ein, unser Vieh zu kaufen. Mehrere Bürger.

Kupferzell OA. Oehringen, 23. September. In vergangener Nacht gegen ^12 Uhr brach in einer Scheuer hinter dem Gasthaus zurTraube" Feuer aus, das sich rasch verbreitete, daß in wenigen Stunden 9 Gebäude bis auf den Grund nieder­brannten. Zur Hilfeleistung waren 10 Feuerwehren aus den Nachbarorten erschienen. Die Hausbewohner mußten teilweise aus dem Schlaf geweckt werden und konnten nur das nackte Leben retten. Mehrere Schweine, viel Geflügel und große Erntevorräte sind dem Feuer zum Opfer gefallen, Menschen kamen nicht zu Schaden. 9 Familien sind obdachlos. Die Entstehung des Feuers wird zurückgeführt auf schlecht eingebrachtes Oehmd.

Heidenheim, 22. Sept. Der Verein für Frauen­interessen hat eine Wöchnerinnenhauspflege gegrün­det mit dem Zweck, Arbeiterfrauen in der Zeit ihres Wochenbetts durch Hauspflegerinnen den Haushalt besorgen zu lassen und ihnen eine mindestens sieben­tägige Bettruhe zu ermöglichen. Die Kosten dieser segensreichen Einrichtung hat die Stadt mit dem

Wohltätigkeitsverein übernommen. Je nach Bedarf werden auch kleine Beträge erhoben.

Waldsee» 22. Sept. Der städtische Torfaufseher Mancher in Wurzach hat einen ausgestochenen Ried­teil mit Kartoffeln bebaut und aus dem dazu her­gerichteten und gedüngten Boden Kartoffeln in großer Menge und guter Qualität erhalten. Ein­zelne Kartoffeln wogen über ein Pfund.

Landwirtschaft und Märkte.

Stuttgart, 21. Sept. Schlachtviehmarkt. Zuge­trieben: 156 Stück Großvieh, 126 Kälber, 439 Schweine. Preise: Ochsen 1. Qual. 102105 Mk., Bullen 1. Qual. 9093 Mk.; Bullen 2. Qual. 8990 Mk.; Stiere 1. Qual. 102107 Mk.; Jung­rinder 3. Qual. 9598 Mk.; Kälber 1. Qual. 110 bis 114 Mk.; Kälber 2. Qual. 105109 Mk.; Schweine 1. Qual. 90 bis 91 Mk.; Schweine 2. Qual. 8789 Mk. Verlauf des Marktes: mäßig belebt.

Gotha, 22. Sept. In der Stadtverordneten­versammlung teilte Oberbürgermeister Liebetrau mit, daß das Staatsministerium sich bereit erklärt habe, den Einfuhrzoll und die Fracht auf die Staats­kasse zu übernehmen, falls die städtische Verwaltung ausländisches Fleisch oder Gefrierfleisch zur Abgabe an die minderbemittelten Kreise beziehen wolle. Der Stadtrat ist darauf mit der Fleischerinnung wegen Einführung oon Gefrierfleisch in Unterhand­lungen getreten.

Letzte Nachrichten und Telegramme.

Neuenbürg, 24. Sept. (Teleph.) Als die Pforz- heimer Staatsanwaltschaft gestern nachm, in Dill­weißenstein durch 2 Taucher die Nagold nach der Waffe absuchen ließ, mit der vor 8 Tagen der Maschinenführer Krauß von einem Unbekannten erschossen wurde, fiel ein Zuschauer, der 16jährige Väckerssohn Maier in den Kanal und ertrank vor Aller Augen ,ehe das Wasser abgelassen war. Die Waffe konnte nicht gefunden werden.

Eislingen, OA. Göppingen, 14. Sept. (Teleph.) Auf dem hiesigen Bahnhof ist der Rangierleiter Harsch, Vater von fünf unmündigen Kindern, bei dem Ueberleiten eines Güterwagens in das Privat­gleis der Kochschen Fabrik infolge falscher Weichen­stellung tödlich verunglückt. Der Wagen fiel auf die Seite, begrub Harsch unter sich und zerdrückte ihn, so daß der Tod sofort eintrat. Das Hauptgleis StuttgartUlm war gesperrt und der Zugverkehr durch den Unfall 40 Minuten unterbrochen. Unter­suchung ist eingeleitet. Der Materialschaden ist un­bedeutend.

Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner. Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei.

Reklameteil.

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imponierenden Aeußern auf ein jugendliches Gemüt ist, so wird man sich über die Veränderung nicht zu sehr wundern, welche in diesen kurzen Augenblicken mit der Gesinnung des Jünglings vorging.

Wer ist dieser Mann?" fragte Georg den Pfeifer, der noch immer neben ihm stand.

Ihr hörtet ja, daß er keinen Namen hat, und auch ich weiß ihn nicht zu nennen."

Du wüßtest nicht, wer er ist?" entgegnete Ge­org;und doch hast Du ihm beigestanden, als er mit mir focht? Geh! Du willst mich belügen!"

Gewiß nicht, Junker," antwortete der Pfeifer; es ist, Gott weiß es, wahr, daß jener Mann derzeit keinen Namen hat; wenn Ihr übrigens durchaus erfahren wollet, was er ist, so wisset, er ist ein Ge­ächteter, den der Bund aus seinem Schloß vertrieb; einst aber war er ein mächtiger Ritter im Schwa­benland."

Der Arme! Darum also ging er so verhüllt? Ja, ich erinnere mich, daß er sagte, er wolle sein Leben teuer genug verkaufen."

Nehmet mir nicht übel, werter Herr," sagte der Bauer,auch ich hielt Euch für einen, der dem Geächteten auf das Leben lauern wollte, darum kam ich ihm zu Hilfe, und hätte ich nicht Eure Stimme noch gehört, wer weiß, ob Ihr noch lange geatmet hättet. Wie kommt Ihr aber auch um Mitternacht hierher, und welches Unheil führt Euch gerade dem geächteten Mann in den Wurf! Wahrlich, Ihr dürft

von Glück sagen, daß er Euch nicht in zwei Stücke ge­hauen, es leben wenige, die vor seinem Schwert standgehalten hätten. Ich vermute, die Liebe hat Euch da einen argen Streich gespielt!"

Georg erzählte seinem ehemaligen Führer, welche Nachrichten ihm imHirsch" zu Pfullingen mitgeteilt worden seien. Namentlich berief er sich auf die Aussage der Amme, des Pfeifers Schwester, die ihm so höchst wahrscheinlich gelautet habe.

Dacht' ich's doch, daß es so was sein müsse"; antwortete der Pfeifer.Die Liebe hat manchem noch ärger mitgespielt, und ich weiß nicht, was ich in jungen Jahren in ähnlichem Fall getan hätte. Daran ist aber wieder niemand schuld als meine alte Rosel, die alte Schwätzerin; was hat sie nötig, der Wirtin imHirsch", die auch nichts bei sich behalten kann, zu beichten?"

Es muß aber doch etwas Wahres an der Sache sein," entgegnete Georg, in welchem das alte Mißtrauen hin und wieder aufblitzte.So ganz ohne Grund konnte doch Frau Rosel nichts er­sinnen!"

Wahr? Etwas Wahres müsse daran sein? Allerdings ist alles wahr nach der Reihe; die Knechte werden zu Bett geschickt und die alte Aufpasserin auch, um 11 Uhr kommt der Mann vor das Schloß, die Zugbrücke fällt herab, die Tore tun sich ihm auf, das Fräulein empfängt ihn und führt ihn in die Herrenstube".

Nun? Siehst Du?" rief Georg ungeduldig. Wenn dieses alles wahr ist, wie kann dann jener Mann schwören, daß er mit dem Fräulein"

Daß er mit dem Fräulein ganz und gar nichts wolle?" antwortete der Pfeifer.Allerdings kann er das schwören; denn es ist nur ein Unterschied bei der ganzen Sache, den die Gans, die Rosel, freilich nicht gewußt hat, nämlich, daß der Ritter von Lich­tenstein in der Herrenstube sitzt, das Fräulein aber sich entfernt, wenn sie ihre heimlich bereiteten Spei­sen aufgetragen hat. Der Alte bleibt bei dem ge­ächteten Mann bis um den ersten Hahnenschrei, und wenn er gegessen und getrunken und die erstarrten Glieder am Feuer wieder erwärmt hat, verläßt er das Schloß, wie er es betreten."

O, ich Tor! daß ich dies alles nicht früher ahnete. Wie nahe lag die Wahrheit, und wie weit ließ ich mich irre leiten! Aber verflucht sei die Neu­gierde u. Lästersucht dieser Weiber, die in allem noch etwas ganz Besonderes zu sehen glauben und denen das Unwahrscheinlichste und Grellste gerade das Liebste ist! Aber sprich," fuhr Georg nach eini­gem Nachsinnen fort;auffallend ist es mir doch, daß dieser geächtete Mann alle Nacht ins Schloß kommt; in welch unwirtlicher Gegend wohnt er denn, wo er keine warme Kost, keinen Becher Weins und keinen warmen Ofen findet? Höre, wenn Du mich dennoch belögest!"

(Fortsetzung folgt.)