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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

87. Jahrgang.

Erscheinungsweise: Smal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts- bezirk Calw für die einspaltige Borgiszeiie 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg.. Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Freitag, den 20. September 1912.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- bezugSpreiS für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Den Festbesuchern zum Willkomm!

Noch wenige Stunden und in der Oberamts­stadt unseres Bezirks soll vor Hunderten staunen­den Augen ein Fest sich abwickeln, wie in seiner Art Calw es noch nie gesehen hat. Sie kommen zusammengeströmt, die Bauern unseres Bezirks, um das, was sie ihrer Scholle mit heißer Mühe an Frucht abrangen, zusammengestellt zu sehen, zur Schau zu stellen, um mit den Erzeugnissen ihrer Viehwirtschaft die Augen auf ein Tätigkeitsfeld des Landmanns zu lenken, das gerade in der Jetztzeit so brennend umstritten und behandelt wird. Und mit den Besitzern von Land und Vieh will die Bevölkerung, die sich durch Handel und Gewerbe und Industrie er­nährt, einen und die Eeschwisterschaft dieser Erwerbs­zweige mit der Landwirtschaft dartun in der aner­kennenswerten Einsicht, daß die Brücken herüber und hinüber und die beiderseitigen Berührungs­punkte so selbstverständlich und so enge sind, daß sie nie und nimmer ignoriert werden können! Das Viergespann, Landwirtschaft, Gewerbe, Handel, In­dustrie, jeder Teil in seiner besonderen Weise, in seiner eigenen, charakteristischen Art das hat sich zum Fest der Landwirte in schöner Treue zusammen­gefunden. Bei uns im Calwer Oberamt mit seiner 48"/» der Eesamtbevölkerung umfassenden Land­wirtschaft treibenden Bewohnerschaft, findet solch eine rein auf die Landwirtschaft und ihre Bedeu­tung abgestimmte grotzangelegte Veranstaltung gu­ten und aufnahmebereiten Boden bei allen Schichten. Gerade in der Oberamtsstadt selbst, mit ihrer Mischung von Landwirtschaft, Gewerbe, Han­del und Industrie treibenden Bewohnern zeigt sich zu allen Zeiten und unter allen Umständen und Verhältnissen, in wie vielfacher Beziehung diese vier Faktoren zu einander stehen, wie so sehr einer auf den andern angewiesen ist und wie sehr einer mit dem andern zu rechnen hat, um seiner Bedeu­tung entsprechend fort- und vorwärtszukommen. Es ist heute die Zeit, da auch der Landwirt immer mehr von der Notwendigkeit seiner Arbeit, die eine für unser ganzes Volk ungemein wichtige, die eine nationale, volkserhaltende ist, sich überzeugt hat und ihm zum Bewußtsein gekommen ist, daß

gerade auch sein Schaffen Blühen und Sterben eines Volkes bedingt. Nicht allein seines. So ein Glied leidet, leiden alle mit. Aber der Landwirt ist der Träger alter, bodenständiger Kultur, und wie tief die im Volkstum wurzelt, daran haben wir Schwaben gerade Beispiele aus unserem Geistes­leben. Das ist wohl zu bewerten als ein Vorzug gegenüber Gewerbe, Handel und Industrie, die ihre Rolle in der deutschen und in der Geschichte der Welt erst zu spielen im Begriffe sind, wenngleich jetzt schon in ihrer Entwicklung beispiellos. Die Landwirte deuten die Zeichen der Zeit richtig und allüberall haben sie sich in Vereinigungen zusammen­gefunden, die in ihrer Geschlossenheit, fördernden Kraft und Stärke dem einzelnen Kleinen Halt und Schutz geben. Wir denken da in erster Linie an die Landwirtschaftlichen Bezirksvereine. Und deren Be­strebungen zum Nutzen der gesamten Landwirtschaft, der ihnen angeschlossenen Mitglieder, sie sind so augenfällig nützlich und erfolgreich, daß wir davon gar nicht erst reden müssen. Und an der unter den Landleuten und für die Landwirtschaft unseres Be­zirks geleisteten Arbeit hat unser Calwer Land­wirtschaftliche Vezirksverein sein vollge- rütteltMatz teil. Der bald Dreiundsiebzigjährige kann heute auf ein Fest blicken, wie er es in seiner Jugend, in seinen Mitteljahren, nie erlebt hat und wohl kaum auch in seinen späteren alten Tagen nie erleben wird: so schön, so großartig, so mit Liebe zum Berufe unternommen. Ein Schatten liegt auf unserem Feste trotzalledem: das schlechte Jahr, der schlechte Sommer, die schlechte Ernte. Der Frühling so verheißungsvoll: die Reifezeit, die Erntezeit aber so furchtbar niederschmetternd in dem, wie sie für all die harte Arbeit den Bauers­mann lohnte! In einer Zeit, wo ohnehin bei normalen Verhältnissen jeder Abhängige sich tüchtig ins Zeug legen muß, um rechtschaffen durchzu­kommen! Mit dem Bedauern aber dieser Tatsache ist es nun einmal nicht getan. Und gerade der Landwirt weiß es, daß, wenn die Natur heute wie in blindem Eigenwillen seine Hoffnungen zer­trümmert, doch wieder Zeiten kommen, da sie mit Fülle seine Arbeit segnet, und er weiß auch, daß er sich selbst, seinen inneren Menschen aufgibt, wenn

er verzweifelnd Mut und Vertrauen verliert.-

Die Tore stehen auf, weit, weit. Herein, alle, die ihr unser Calw im schmucken Gewand, das es sich zu Ehren der Großmacht Landwirtschaft angelegt, schauen wollt, herein ihr, die ihr die Scholle baut und das Volk mit Brot und Fleisch versorgt, herein ihr, die ihr am Amboß und in der Werkstatt euch täglich müht, dem sausenden Webstuhl der Zeit in Handel und Industrie euren Tribut zollt kommt alle, solch ein Fest der Heimat mitzufeiern! Ein von Herzen kommendes, aufrichtiges Grüß Gott

euch zuvor im Namen der Oberamtsstadt Calw und ihrer Bewohner!

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.

Calw, 20. September 1912.

Vom Rathaus.

Oeffentliche Sitzung des Gemeinderats unter dem Vorsitz von Stadtschultheitz Conz am Donnerstag von nachmittags 5 Uhr ab. Anwesend find 11 Ge­meinderäte.

Die drei Gesuche um Genehmigung von Staats­beiträgen für Neubeschaffung von Feuerwehrgerät­schaften finden in der vorgelegten Weise Zustimmung. Es handelt sich um Zuschüsse für die seit 1908 neu- beschaften kleineren Gerätschaften (2821,59 -^), die kleinere Leiter und die 30000^« großen Kosten für Errichtung des Reservoirs beim Waldkaffee. Der Firma Pfannkuch u. Co. gegenüber wurde am 16. August vom Gemeinderat die Bedürfnis­frage nach dem Verkauf von Spirituosen in kleineren Mengen verneint. Das Oberamt will eine nähere Begründung der Ablehnung bezw. der Verneinung der Bedürfnisfrage. Diese wird vom Eemeinderat mit dem Hinweis auf die in unmittelbarer Nähe befindlichen Ausschank- bezw. Verkaufsstellen (Cafe Rein und Drogerie Lotthammer) gegeben. Mit dem 1. Oktober wird als Ersatz für den pensionierten Förster Rüdinger Forstwart Winterle aus Ebingen aufziehen. Als Wohnung für ihn bestimmt der Gemeinderat das untere Stockwerk von Frau Adrions Wohnhaus (hinter dem Bezirkskommando).

kichtenstein.

39) Romantische Sage von Wilhelm Hauff.

Georg traute seinen Ohren nicht. Was konnte die Wirtin gerade von Marien so Arges denken, daß sie den Vater glücklich pries, wenn er dieses Kind nicht hätte?Was ist es denn mit diesem Fräulein," fragte er, indem er sich vergebens abmühte, recht scherzhaft auszusehen)Ihr macht mich neugierig, Frau Wirtin. Oder ist es ein Geheimnis, das Ihr nicht sagen dürft?"

Die Frau zumGoldenen Hirsch" schaute aus dem Erker heraus nach allen Seiten, ob niemand lausche. Aber die Bürger waren ruhig in ihrem Ge­spräch begriffen und achteten nicht auf sie, und sonst war niemand in der Nähe, der sie hören konnte. »Ihr seid ein Fremder," Hub sie nach diesen For­schungen an,Ihr reiset weiter und habt nichts mit dieser Gegend zu schaffen, darum kann ich Euch wohl sagen, was ich nicht jedem vertrauen möchte. Das Fräulein dort oben auf dem Lichtenstein ist ein ein ja bei uns Bürgersleuten würde man sagen, sie ist ein schlechtes Ding, eine lose Dirne"

Frau Wirtin!" rief Georg.

So schreiet doch nicht so, verehrter Herr East, die Leute schauen sich ja um. Meinet Ihr denn, ich sage, was ich nicht ganz gewiß weiß? Denkt Euch, alle Nacht Schlag elf Uhr läßt sie ihren Liebsten in die Burg. Ist das nicht schrecklich genug für ein sittsames Fräulein?"

Bedenket, was Ihr sprechet! Ihren Liebsten?"

Ja leider, nachts um 11 Uhr ihren Liebsten. Es ist eine Schande und ein Spott! Es ist ein ziem­lich großer Mann, der kommt, in einen grauen Man­tel gehüllt, ans Tor. Sie hat es zu machen gewußt, daß zu dieser Zeit alle Knechte vom Tore entfernt sind, und nur der alte Burgwart, der ihr auch in ihrer Kindheit zu allen losen Streichen half, um den Weg ist. Da kommt sie nun allemal, wenn es drü­ben in Holzelfingen elf Uhr schlägt, selbst herunter in den Hof, die Nacht mag so kalt sein als sie will, und bringt den Schlüssel zur Zugbrücke, den sie zuvor ihrem alten Vater vom Bette stiehlt. Dann schließt der alte Sünder, der Burgwart, auf, die Brücke fällt nieder, und der Mann im grauen Mantel eilt in die Arme des Fräuleins."

Und dann?" fragte Georg, der beinahe keinen Atem mehr in der Brust, kein Blut mehr in den Wangen hatte,und dann?"

Ja, dann wird Braten, Brot und Wein geholt. So viel ist gewiß, daß der nächtliche Liebste einen un­geheuren Hunger haben muß, denn er hat in mancher Nacht einen halben Rehziemer rein aufgezehrt und zwei, drei Nösel Wein dazu getrunken. Was weiter geschieht, weiß ich nicht. Ich will nichts vermuten, nichts sagen, aber das weiß ich," setzte sie mit einem christlichen Blick gen Himmel hinzu,beten werden sie nicht."

Georg schalt sich nach kurzem Nachdenken selbst aus, daß er nur einen Augenblick gezweifelt babe, daß diese Erzähluna eine Lüge, von irgend einem müßigen Kopf ersonnen sei. Oder wenn auch etwas

Wahres daran wäre, so konnte es doch nichts sein, das Marien zur Unehre gereicht hätte.

Wenn es wahr ist, daß die Liebe eines Jüng­lings in den guten alten Zeiten zwar nicht weniger leidenschaftlich war als in unseren Tagen, aber mehr den Charakter reiner anbetender Ehrfurcht trug, daß nach der Sitte der Zeit die Geliebte nicht auf gleicher Stufe mit ihrem Verehrer, sondern um eine höher stand, wenn wir den romantischen Erzählungen alter Chroniken und Minnebllcher trauen dürfen, die so viele Beispiele auffllhren, daß sich edle Männer, wenn sie in Liebe sind, für die Treue und Reinheit ihrer Dame auf der Stelle totschlagen lassen, so es nicht zu verwundern, daß Georg von Sturmfeder, wenigstens auf diese Indizien hin, von Marien nichts Schlechtes denken konnte. So rätselhaft ihm selbst jene nächtlichen Besuche Vorkommen mochten, so sah er doch klar, es sei weder bewiesen, daß der Vater nichts darum wisse, noch daß der geheimnisvolle Mann grade ein Liebhaber sein müsse. Er trug diese Zweifel auch seiner Wirtin vor.

So? Meint Ihr, der Vater wisse um diese Ge­schichte?" sprach sie.Dem ist nicht so. Sehet, ich weiß das gewiß, denn die alte Rosel, die Amme des Fräuleins"

Die alte Rosel hat es gesagt?" rief Georg unwillkürlich. Ihm war ja diese Amme, die Schwester des Pfeifers von Hardt, so wohlbekannt. Freilich, wenn diese es gesagt hatte, war die Sache nicht mehr so zweifelhaft. Denn er wußte, daß sie eine fromme Frau und dem Fräulein sehr zu­getan war.