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214. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 87. Jahrgang.
Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis : Im Oberamts- bezirk Calw für die einspaltige Vorgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg., Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.
Donnerstag, den 12. September 1912
B ezugspreis : In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Postbezugspreis für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.
Die wirtschaftliche Lage im Jahre 1911.
Der von der Handelskammer Stuttgart herausgegebene Jahresbericht beginnt, wie üblich, mit einem Rückblick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und kommt im wesentlichen zu folgenden Ergebnissen: Das Wirtschaftsjahr 1911 bildete trotz vielfacher- Hemmungen und Beunruhigungen eine unzweifelhafte Fortsetzung der mit 1910 wiederbegonnenen Aufwärtsbewegung und Kräftigung des deutschen Wirtschaftslebens. Besonders seinem äußeren Erfolg nach, der in der ganz erheblichen quantitativen Steigerung von Produktion und Güterverkehr, sowie des Binnen- und Außenhandels zum Ausdruck kommt, stellt es einen unter intensivster Anspannung der Kräfte erzielten bedeutsamen Fortschritt dar, während sein wirtschaftlicher Ertrag allerdings den aufgewendeten Anstrengungen vielfach nicht entsprach. Wenn es dem unermüdlichen Vorwärtsdrängen von «Industrie und Handel gelungen ist, trotz aller entgegenstehenden Hemmungen und Gefahren sich nach außen nicht nur zu behaupten, sondern noch kräftig auszudehnen, so hat das deutsche Erwerbsleben damit den Beweis für seine innere Festigung, Gesundheit und weitere Entwicklungsfähigkeit erbracht. Selbst bei ruhiger Gestaltung der politischen Verhältnisse und bei der zu erwartenden Wiedererneuerung der großen Kartelle wird man sich gleichwohl, namentlich im Hinblick auf die starke, dem Konsum vielfach vorauseilende Ausdehnung der Produktion und auf den gegenüber der Kapitalneubildung noch immer übermäßigen Kapitalbedarf, übertriebenen Hoffnungen nicht hingeben dürfen, wohl aber konnten Industrie und Handel das Vertrauen auf eine Fortdauer der Aufwärtsbewegung in das neue Jahr mit hinübernehmen. Nach jahrelangen heißen Kämpfen ist es gelungen, auf dem Wege eines Zusammenschlusses der beteiligten Kreise in Zwecksverbände und der Erschließung der erforderlichen Einnahmequellen aus dem Wasserverkehr selbst den weiteren Ausbau der deutschen Wasserstraßen finanziell zu gewährleisten und planmäßig für die nächste Zukunft festzulegen. Mit Befriedigung kann dabei hervorgehoben werden, daß den auf Seite der Interessenten geltend gemachten und zum
Teil auch von den acht württembergischen Handelskammern gemeinschaftlich erhobenen wesentlichen Bedenken gegen die ursprüngliche Fassung des Gesetzes, in weitgehendem Maße Rechnung getragen und damit eine Basis gefunden wurde, auf der auch vordem scharfe Gegner der Vorlage heute bereit sind, mitzuarbeiten. Noch bedarf es umfangreicher Vorarbeiten zur Durchführung des großen wirtschaftlichen Werkes. An seinem Zustandekommen aber ist heute nicht mehr zu zweifeln, insonderheit wird auch für Württemberg die bestimmte Erwartung ausgesprochen werden können, daß es dem Zusammenwirken der Regierung, Ständen und Interessenten aelingen wird, die so dringend wünschenswerte Kanalisierung des Neckars tunlichst bald durchzuführen und damit der Industrie und dem Handel des Landes neue Entwicklungsmöglichkeiten zu verschaffen.
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.
Calw, 12. Sept. 1912.
1912 — ein teures Jahr? Angesichts der fortwährenden Preiserhöhungen unserer wichtigsten Lebensmittel ist die Tatsache nicht abzuleugnen, daß 1912 ein ziemlich teures Jahr ist. In verschiedenen Gegenden Deutschlands sind nicht nur die Fleischpreise rapid gestiegen, sondern auch die Preise für viele andere wichtige Nahrungsmittel. Wo soll das hin? fragt da mancher mit Recht. Soll etwa dieses Teuerwerden unserer notwendigsten Nahrungsmittel in diesem Tempo fortgehen? Warum tritt nicht einmal eine anhaltende Verbilligung ein? Und wie wäre diesem Notstände abzuhelfen? Jedenfalls sollte man sich nicht so viel Mühe geben, auszutüfteln, wie es komme, daß die Bevölkerungszunahme ganz plötzlich stark zurückgeht; die Hauptursache dieser Erscheinung ist doch wirklich nicht schwer zu finden! Der Staat, der gern viel Soldaten haben möchte, möge die bedauerliche Tatsache dadurch verbessern, daß er in so teurer Zeit die Zölle für unsere wichtigsten Nahrungsmittel ermäßigt, um die Lebensbedingungen zu erleichtern. Allerdings wird es dann heißen: Woher die Deckung nehmen? Antwort : durch Besteuerung alles möglichen Luxus! Denn der ist in so teurer Zeit noch
am ehesten zu entbehren,' und wer ihn nicht entbehren will, der muß zahlen. Man kann durchaus noch „gemäßigt" sein, um in dieser Zeit diesen Ausweg als geeignet zu bezeichnen. Uebrigens scheint jene eigentümlicheProphezeihung einzutreffen, in der 1911 als heißes, 1912 als teures und 1913 als blutiges Jahr bezeichnet wurde. Die seltsame Voraussage, die 1910 in einem Fest der „Suggestion" veröffentlicht wurde, bezieht sich auf folgenden Vorgang: Im Neckartal gesellte sich ein Herr auf der Landstraße zu einer Zigeunerin. Als die Rede auf das Wetter kam, behauptete die Zigeunerin, 1911 werde trocken, 1912 hungrig, 1913 blutig. Der betr. Herr — was man ihm nicht verübeln kann — lachte darüber. Da meinte die Frau ernst: das Gesagte sei so wahr, wie die Angabe, daß er 152 36 ^ in seiner Tasche habe. Nun stutzte der Herr, zählte seine Kaffe nach — und mußte zugeben, daß es mit dem Gelde bis auf den Pfennig stimmte. Allerdings ist kaum anzunehmen, daß die nächsten Jahre weit billiger sein werden wie dieses, so daß bald wohl noch mehr „hungrige" Jahre eintreten dürften. Immerhin ist die Prophezeihung, die sich doch halb erfüllt hat, interessant, und man kann gespannt sein, ob 1913 für uns wirklich blutig verlaufen wird. Denken wir zunächst tapfer: bange machen gilt nicht!
b. Theaterzug Stuttgart—Weilderstadt. Zur
Erleichterung des Besuchs der Neuen Hoftheater in Stuttgart bezw. späterer Vorstellungen wird der letzte Zug 880 Stuttgart—Weilderstadt, der gegenwärtig 10.43 Uhr nachmittags in Stuttgart abgeht und 11.49 Uhr nachmittags in Weilderstadt endigt, vom 1. Oktober an wie folgt verkehren: Stuttgart ab 11.10 Uhr nachmittags, Weilderstadt an 12.23 Uhr nachmittags. (Wir meinen, man sollte sich in Calw bemühen, daß bei dieser Neuregelung auch die Oberamtsstadt Calw berücksichtigt wird, indem der Zug künftig bis Calw durchgeführt wird, was auch im Interesse anderer Reisender läge. D. Red.)
Von der Buhn. Bei ganzem oder teilweisem Verlust von Milchsendungen, die der Bahn zur Beförderung übergeben wurden, werden von jetzt an mit Genehmigung des Ministeriums des Aeußern,
Ächtenstein.
33) Romantische Sage von Wilhelm Hauff.
2 .
— Was kümmert's dich? Du fragst
Nach Dingen, Mädchen, die dir nicht geziemen.
Schiller.
Als die runde Frau und Bärbels von der Bodenkammer Herabstiegen, war ihr erster Gang nicht in das Gemach, wo ihr Gast war, sondern nach der Küche, und zwar aus zweierlei Gründen: einmal, weil jetzt dem Gast ein kräftiges Habermuß gekocht werden mußte, und dann — von der Küche ging ein kleines Fenster in die Stube, dorthin stellte sich die Mutter, um die Mienen des Junkers zu rekognoszieren.
Bärbel stellte sich auf die Zehen und schaute ihrer Mutter über die Schulter durchs Fensterlein. Sie staunte und ihr Herz pochte seit siebzehn Jahren zum erstenmal recht ungestüm; denn so hübsch hatte sie sich doch den Junker nicht gedacht. Sie war zwar oft von seinem Anblick bis zu Tränen gerührt gewesen, wenn er mit starren Augen, ohne Bewußtsein, beinahe ohne Leben dalag. Seine bleichen, noch im Kampf mit dem Tode so schönen Züge hatten sie oft angezogen, wie ein rührendes, erhabenes Bild den frommen Sinn einer Betenden anzieht. Aber jetzt, sie fühlte es, jetzt war es was ganz anderes. Die Augen waren wieder gefüllt von schönen, mutigem Feuer; es wollte dem Bärbels auf den Zehen bedünken, als habe sie, so
alt sie geworden, noch gar keine solchen gesehen. Das Haar lag nicht mehr in unordentlichen Strängen um die schöne Stirne. Es fiel geordnet und reich auf den Nacken hinab.
Seine Wangen hatten sich wieder gerötet, seine Lippen waren so frisch wie die Kirschen an Petri und Paul. Und wie ihn das seidengesticke Wams gut kleidete, und der breite weiße Halskraqen, den er über das Kleid herausgelegt hatte! Aber das konnte das Mädchen nicht ergründen, warum er wohl immer auf eine aus weiß und blauer Seide geflochtene Schärpe niedersah. So fest, so eifrig, als wären geheimnisvolle Zeichen eingeschoben, die er zu entziffern bemüht sei. Ja, es kam ihr sogar vor, als drücke er die Feldbinde an das Herz, als führe er sie an die Lippen voll Andacht und Inbrunst, wie man Reliquien zu verehren pflegt.
Die runde Frau hatte indessen ihre Forschungen durch das Fensterlein vollendet, „'s ist a Herr wie na Prinz," sagte sie, indem sie das Habermus umrührte. „Was er a Wams ahot! Dia Herra z' Stuagert kennets et schöner Han. Was duet er no mit dem Fetza, won er in der Hand Hot? Er gukt a jo schier ausenander! Es ist, ka sei, a bisle Äluat na komm«, daß ens verzirnt."
„Noi, sell isch et," entgegnete Bärbels, die jetzt bequemer das Zimmer übersehen konnte. „Aber wisset Er, Muater, wia mers fürkommt? Er macht so gar fuiriga Auga druf na. Sell is gewiß ebbes von seim Schatz."
Die runde Frau konnte sich nicht enthalten, über
die richtige Vermutung ihres Kindes etwas Weniges zu lächeln, doch schnell nahm sie ihre mütterliche Würde wieder zusammen, indem sie entgegnete: „A, was woist Du von Schätz! So na Kind wie Du muaß gar a nix so denka. Gang jetzt weg vom Fensterle dort, lang mir sell Häfele her. Der Herr wird a fürnehmes Fressa gewohnt sei, i muaß am a bisle viel Schmalz in de Brei dauh."
Bärbele verließ etwas empfindlich das Fenster. Sie wußte, daß sie ihrer Mutter nicht widersprechen dürfe, aber diesmal hatte diese offenbar unrecht. Ging nicht das Mädchen schon seit einem Jahr in den Lichtkarz, wo von den Mädchen des Dorfes über Schätzchen und Liebe viel gesprochen und gesungen wurde? Hatten nicht einige ihrer Gespielinnen, die wenige Wochen älter waren als sie, schon jede einen erklärten Schatz, und sie allein sollte nicht davon sprechen, nicht einmal etwas davon wissen dürfen? Nein, es war recht unbillig von der runden Frau, ihrem Töchterlein, das, wenn sie sich auf die Zehen stellte, der Mutter über die Schultern sehen konnte, solche Wissenschaft geradehin zu verbieten. Aber wie es zu geschehen pflegt, das Verbot reizt gewöhnlich zur Uebertretung, und Bärbele nahm sich vor, nicht eher zu ruhen, als bis sie wisse, warum der junge Ritter mit so gar „fuirigen Augen" auf seine Feldbinde hinschaue.
Das Frühstück des Junkers war indessen fertig geworden, es fehlte nichts mehr als ein Becher guten alten Weines. Auch dieser war bald herbeigebracht, denn der Pfeifer von Hardt war zwar ein geringer Mann, aber nicht so arm, daß er nicht für feierliche