Gegründet

1877.

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Tageszeitung für die MimirWrke Nagold, Fmdeustadi und Law. :: Mit der Wochen-Mg»Zchn>arzu>älder Snnntngsblall.'

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««Sgade in Altensteig-Stadt.

Dieuttag, de« 1V. Oktober.

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Amtliches.

Uebertragen wurden dieim Hauptamt zu versehenden Bezirks­schulämter : Nagold dem Pfarrer und Bez-rksschulinspektor Schott in Altensteig-Dorf, Oderamts Nagold, Neuen­bürg dem Hauptlehrer Baumann an der Mittelschule in Eßlingen, Reutlingen dem Seminaroberlehrer Mapgler in Nürtingen, Tübingen dem Rektor Dr. Paret in Mark­gröningen, Heid e n heim dem Seminaroberlehrer Schleh in Eßlingen.

Wer Tripolis und Marokko

machten in zwei verschiedenen Versammlungen in Stuttgart und Heilbronn Reichstagsabgeordneter Storz und Reichs- und Landtagsabg. v. Payer bemerkenswerte Ausführungen.

Reichstagsabgeordneter Storz, ein hervorra gender Kenner der Kolonien, schiloerte in einer gut­besuchten Versammlung in Stuttgart, ausgehend von einer Verurteilung der rechtswidrigen Machtpolitik Italiens, der gegenüber alles Völkerrecht als Farce erscheint, das Land Tripolis in sehr anschaulicher Weise. Der größte Teil des Landes ist Steppe und Wüste: nur ein Zehntel ist Oase mit starken Quel­len und üppiger Vegetation. Früher, unter Grie­chen und Römern, war das Land sehr fruchtbar und bevölkert; heute ist die Bevölkerung sehr dünn: in einem Gebiet von der Größe Deutschlands wohnt nur eine Million Menschen. Das Land war nach einander griechisch, römisch, arabisch, spanisch, Johan­niterland; seit dem 16. Jahrhundert ist es tür­kisch. Die italienische Politik scheint von Eng­land gestützt zu sein: Italien soll die Kastaiüpn für England aus dem Feuer holen. Dagegen ist Deutschland durch diese italienische Politik in eine sehr schwierige Lage geraten, nachdem es ohne­hin durch den M ar o k k o h an d e l beschäftigt ist. Das Vorgehen von Agadir mißbilligte Storz. Wenn man etwas nicht durchführen könne, daun solle man die Hände davon lassen. Um ein bloßes Handels­geschäft einzuleiten, entsende mau keine Kriegs­schiffe. Die größten Fehler der deutschen .Kolo­nialpolitik liegen freilich tveiter zurück. Ein Ver­gleich der französischen Kolonialpolitik mit der deut­schen seit 1871 muß uns mit Beschämung erfüllen. Frankreich hat systematisch gearbeitet. Heute herrscht es von Algier bis zur Kongomündung. All die Kolonien an 8er afrikanischen Westküste, die andern Staaten gehören, sind bloße Exklaven, so auch Togo/ das dazu noch durch ein Gebirge sehr ungeschickt in zwei Teile gespalten ist. Die Rechnung Bismarcks, die Franzosen in Afrika zubeschäftigen", > war falsch; Frankreich ist nun gestärkt, Deutschland geschwächt. - Dabei betreibt Frankreich leider nicht dieselbe Politik wie England. Dieses gewährt, wenig­stens bisher, in seinen Kolonien dem Handel aller Nationen die offene Tür. Frankreich dagegen schließt die Türe zu, wo es die Macht hat; so mußte z. B. der frühere, große Export Deutschlands nach Tu­nis infolge der hohen französischen Zollgrenzen einfach aufhören. Auch in der übrigen Welt wird für uns die Situation immer kritischer; auch mit der englischen Politik der offenen Tür geht es bergab; vgl. Canada. Und dabei ist zu allem hin die Frage der Beschaffung von Rohstoffen für uns sehr drin­gend. Das alles ist für uns ein Grund, selbst in­tensiv Kolonialpolitik zu treiben. Wir haben zu spät angefangen. Aber doch dürfen wir den Mut nicht verlieren. Wenn wir nur das Vertrauen haben kön­nen, daß unsere maßgebenden Persönlichkeiten endlich die erforderliche Festigkeit finden! Wir haben allen Anlaß, uns mehr als bisher für auswärtige Po­litik zu interessieren. Wir wollen hoffen, daß die deutsche Nation aus der derzeitigen Krisis mit Ehren und im Frieden herauskommt. Wenn es aber nicht sein kann, dann hoffen wir, daß wir unfern Mann stellen werden.

Reichs- und Landtagsabgeordneter Payer kam zunächst auf den Krieg Italiens mit der Türkei zu sprechen. Bei Betrachtung der Gründe für Italiens Vorgehen falle einem unwillkürlich die

Fabel von dem Wolf und dem Lamm ein. Die Italiener haben geglaubt, jetzt die Gelegenheit wahr­nehmen zu sollen, einen Fetzen Landes einzustek- ken, vielleicht haben sie auch geglaubt, jetzt die frühe­ren Scharten in ihrer Kolonialpolitik auswetzen zu können. Auch gewisse Interessenten mögen mitge- wirkt haben, kurz es war möglich, daß es zu einem Gewaltstreich kam, der mit der menschlichen Moral sehr in Widerspruch steht. Demütigend ist es für unsere vielgepriesene Zivilisation, daß die an­deren Staaten dazu stillschweigen müssen, wollen sie nicht noch größeres .Unglück heraufbeschwören. Vielleicht kommt doch noch eine Verständigung zu­stande. Mag auch im Krieg vieles gelogen wer­den, so ist das stärkste Stück der Fälschung die ita­lienische Behauptung, daß Deutschland das Vorgehen Italiens billige. Das ist nicht wahr. Wir sind einig, daß wir den brutalen Angriff nicht billigen, unsere Sympathien sind auf Seiten der Angegrif­fenen (Beifall! - und das macht dem deutschen Cha­rakter geiriß Ehre. Das dürfen wir bekennen, auch wenn wir zugeben müssen, daß unsere Lage zwi­schen beiden Völkern eine unerfreuliche ist. Die letz­ten Monate haben bewiesen, wie leicht es ist, mit den fadenscheinigsten Vorwänden ein Volk in den Krieg zu Hetzen. Was hatte Italien für einen Grund dazu? Die wirtschaftliche Lage in Italien ist im Aufschwung begriffen; dazu braucht man aber nicht nur Kapital, Intelligenz und Menschen, sondern vor allem auch Ruhe. Hier liegt für Italien noch ein weites Feld der Betätigung. Was tut es dagegen? Um ein Stückchen Ruhm, um einen Fetzen Land fallen die Italiener ein Land an, das soeben von tausendjähriger Tradition den Uebergang zur ueu.n politischen Entwicklung zu machen im Begriff steht. Erinnern wir uns an die klugen, weitblickenden Män­ner, die mit der türkischen Studienkommission auch in Heilbronn weilten und die kennen zu lernen hier Gelegenheit war, Männer, die aus dem bisher ver­lotterten Staat gewiß noch etwas herausarbeiten können. Nun soll durch den Krieg Stillstand, ja vielleicht Rückschritt in der Türkei hervorgerufeu wer­den. Dieser Krieg ist ein trauriges Blatt in der Geschichte nicht nur Italiens, sondern der ganzen europäischen Kultur. Run zur marokkanischen Frage, dieserGlaube ohne Ende". Gegen eine dilatorische Behandlung der Sache habe er nichts einzuwendeu; aber man dürfe nicht verkennen, daß große Gefahren in einer zu langen Hinausschiebung des Abschlusses liegen. Ein Seufzer der Erleichte­rung würde die Beendigung auslösen; gerade jetzt, wo neue Komplikationen in der Weltlage eingetreten sind, wäre der Abschluß zu begrüßen. Was verhandelt wurde, wisse niemand: der Lärm in einem Teil der Presse fei unnötig und ein Glück, daß Kiderch n- Wächter eine gute Portion schwäbischer Ruhe in seine Wiege gelegt bekommen habe. Was war das ein Lärm wegen der Entsendung eines Kriegsschiffes nach Agadir! Besonders die Sozialdemokratie glaubte das Vaterland gerettet zu haben mit ihrem Geschrei, das nichts war als ein agitatorisches Mittel. Diese Art der Agitation hat Bebel denn auch selbst auf dem Parteitag in Jena zurückgewiesen, indem er das Recht und die Pflicht Deutschlands betonte, sich um die Vorgänge in Marokko zu kümmern und unsere Interessen dort zu wahren. Wir teilen die Auf­fassung, sich nicht wegen Marokko in die Fähp nisfe eines Völkerkrieges zu stürzen, aber die Er­fahrung des täglichen Lebens zeigt, daß bei lang­wierigen Verhandlungen einer mal ordentlich auf den Tisch haut; in der Diplomatie sendet mau in diesem Fall ein Kriegsschiff. War es damals nötig mit der Faust auf den Tisch zu hauen, d. h>. ein Kriegsschiff zu entsenden? Die Blau-, Weiß- und Grünbücher werden einst die Antwort geben, die wir heute nicht haben. Wir wissen aber, ein Völkerkrieg ist nicht entstanden durch die Entsendung des Schif­fes, ja wir dürfen sagen, daß wir einer Verständi­gung zwischen Deutschland und Frankreich seit 187071 heute näher sind als je. Ich kann also aus diesem Vorkommnis keinen Stein auf unsere äußere Politik werfen. Es find aber auch Angriffe von anderer Seite erfolgt, von den Alldeutschen und

von einem Teil der Nationalliberalen; unter letz­teren hat sich besonders Bassermann hervorgetan. Das Recht zur Kritik hat er; über die Form läßt sich aber reden: denn mehr weiß er in dieser Sache auch nicht als wir. Ganz unsachlich war aber der von Maximilian Harden betriebene Feldzug gegen unsere auswärtige Politik: hier standen andere Be­strebungen als fachliche im Hintergrund: die Sucht nach außen mit schönen Artikeln und Redewendun­gen zu glänzen. Wir dürfen froh sein, daß unsere auswärtige Politik die europäische Spielart des Tro­penkollers nicht hat aufkommen lassen. Sollen wir neidisch sein aus Italiens brutale Politik gegen die Türkei? Fanatiker für ein solches Draufgehen wa­ren auch bei uns «am Werk. Freuen wir uns, daß das deutsche Volk und die deutsche Regierung diesen Lockungen widerstanden.

Tagespolitik.

Der Reichsanzeiger veröffentlicht die kaiserliche Ermächtigung für den Reichskanzler und den Staatssekretär von Kiderlen-Wächt-er, die ihnen aus Anlaß des türkischen Throufolgerbesuches in Ber­lin verliehenen hohen osmanischen Oxden anlegen zu dürfen. Wäre damals bekannt gewesen, was in­zwischen eingetreten -ist, der Thronfolger wäre wohl zu Haus geblieben.

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In der Marokkofrage ist die N. A. Z. sehr wortkarg geworden. Sie begnügt sich in der letz­ten Sonntagsnummer mit der Wiedergabe der knap­pen Pariser Mitteilung, daß die Verhandlungen auch weiter einen günstigen Verlauf nehmen.

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Die Türkei hat nun Ernst mit den Maß­nahmen gegen die Italienerin ihrem Lande gemacht und diese binnen drei Tagen ausgewiesen. Die deutsche Botschaft in Konstantinopel dürfte aber vielleicht noch einen Aufschub dieser Maßnahme er­reichen: sie wird in diesen kritischen Tagen sich den übernommenen Schutz der Italiener eifrig an­gelegen sein lassen. Auch der Boykott gegen italie­nische Waren ist erklärt; sie sollen überdies mit einem hohen Zollzuschlag bedacht werden. Der ita­lienische Handel nach der Türkei betrug im letzten Jahre beinahe hundert Millionen, der Schaden ist also recht bedeutend. Die Erbitterung in Rom ist groß, die Zeitungen fordern zu den schärfsten Repres­salien auf. Die Regierung bewährt aber einstweilen ihre Ruhe, denn bei der Aufregung in der ganzen osmanischen Welt ist mit Gewalt in dieser An-, gelegenheit auch nichts anzufangen. Vielleicht wach­sen nun doch die Wünsche, daß eine Vermittlung von Seiten anderer Staaten Platz greifen möchte, die bisher noch energisch zurückgewiesen worden ist.

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Bekanntlich sind in China die großen Kultur­mächte wetteifernd bemüht, durch die Schaffung von Bildungsstätten der verschiedensten Art das Chinesen- tum unter ihren Einfluß zu bringen. Die Ver­einigten Staaten von Nordamerika sind dank ihrem klugen Entschluß, die gesamte ihnen zugefallene Ent­schädigung aus dem Boxeraufstand für solche Bil­dungszwecke in China zu verwenden, den anderen hierin voraus. Deutschland hat im verflossenen Jahre durch die Begründung der deutsch-chinesischen Hochschule in Tsingtau gleichfalls einen sehr be­deutsamen Schritt vorwärts getan. Daß anderer­seits das Chinesentum selbst in steigendem Maße die Bedeutung der deutschen Wissenschaft für seine kulturelle Entwicklung anerkennt, geht daraus her­vor, daß nach den Mitteilungen des Vereins für das Deutschtum im Ausland die Zahl der deutschen Pro­fessoren an der Universität in Peking durch Ueber- tragung der Fächer für Medizin und Rechtswissen­schaft an deutsche Dozenten vermehrt werden soll und daß auch an der chinesischen Universität in Shansi zwei deutsche Lehrstühle, je einer für Rechts­wissenschaft und Medizin, errichtet werden sollen.