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Ausgabe in Altensteig-Stadt.

Samstag, d<« 7. Oktober.

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Jeden Tag noch

kann man unsere ZeitungAus den Tannen" mit dem ,Schwarzwälder Sonntagsblatt" bei der Post oder bei unseren Austrägern für das vierte Quartal 1911 bestellen.

Wochen-Rundlchau.

Der türkisch-italienische Krieg,

der seit Ende voriger Woche Tatsache ist, drängt alles andere in den Hintergrund, was auf dem Ge­biet der äußeren und inneren Politik heute vorliegt. Denn die lange Frage, was aus diesem Krieg noch entstehen wird, liegt noch immer aus allen Lippen, wenn auch das Vertrauen da­raus, daß es gelingen werde, ein weiteres Umsich­greifen des Brandes zu verhindern, im Wachsen begriffen ist. Die Versuche freilich, die man noch in letzter Stunde unternahmen, eine Verständigung her- beizusühren und den Ausbruch des Kriegs zu verhin­dern, mußte erfolglos bleiben, weil eben Italien von vornherein zum Krieg entschlossen war. Denn daß die Türkei die Forderungen des Ultimatums be­willigen und ohne Schwertstreich Tripolis .preis­geben, ja sogar zur Beseitigung eines etwaigen Wi­derstands behilflich sein werde, das konnte die ita­lienische Regierung unmöglich erwarten. Aber das Ultimatum war eben so gefaßt, daß die Türkei es gar nicht erfüllen konnte. Und auch die euro­päischen Diplomaten, die eine Art Vermittlerrolle übernahmen, waren sich der Erfolglosigkeit ihrer Schritte im Voraus bewußt und haben sie wohl nur anstandshalber übernommen, damit man das Sei- nige getan hatte. Denn man konnte doch im Zeit­alter der Haager Friedenskonferenzen, der Schieds­gerichte und Schiedsgerichtsverträge eigentlich nicht so ganz untätig zusehen, wie eine der Konferenz­mächte mitten im Frieden und ohne jriftigen Grund einer andern, bildlich zu reden, an die. Gurgel sprang und ihr ihr Besitztum abforderte. Vielleicht aber empfinden unsere Diplomaten so etwas von dem Gefühl, das in den Worten liegt: Heiliger Florian, verschon' mein Haus, züud' andere an! England und Frankreich jedenfalls, die schon lange über die Absichten Italiens auf Tripolis in Kennt­nis gesetzt waren, wenn sie auch vielleicht ein so gewaltsames Vorgehen nicht erwarteten, mögen es nicht ungern sehen, daß das unruhige Volk sich in Tripolis festlegt und durch die Arbeit, die dort zu tun ist, jedenfalls aus lange Zeit verhindert wird, in andere Verwirklichungen, sei es in Afrika oder auf der Balkanhalbinsel, tätig einzugreisen. Was Frankreich anlangt, so wird sogar darauf hinge­wiesen, daß der französische Botschafter am Quiri- nal, Herr Barriere, wesentlich dazu beigetragen hat, die Kriegslust der Italiener zu 'wecken, Vom U Juli an, dem Tag der Entsendung desPanther" nach Agadir, bis zum 15. August, verhielt sich die ita­lienische Presse neutral und selbst unfreundlich Frank­reich gegenüber. Da kam Herr Barriere nach Paris und zwar gerade zur selben Zeit, als auch Bot­schafter Cambon daselbst weilte. Und unmittelbar nach dem Abschluß der dabei gepflogenen Konferenzen begann die italienische Presse aus Tripolis hinzu­weisen, zweifellos von dem Botschafter beeinflußt, der weitreichende Verbindungen mit der Presse und den ihr nahestehenden Abgeordneten hat. So viel steht fest, daß die beiden Westmächte, die einst Italien die Anwartschaft auf Tripolis zugestanden haben, in der Lage gewesen wären, den Krieg zu verhindern, wenn sie ernstlich gewollt hätten. Jetzt freilich ist das ganze Bestreben der Diplomaten da­raus gerichtet, zu verhüten, als ob Italien weiter­gehen wolle, als eigentlich imProgramm" lag. Denn statt sich, wie ursprünglich Wohl zngesagt war, auf Tripolis zu beschränken, entsandte es Kriegs­schiffe an die albanesische Küste, wo ihr Erscheinen natürlich ganz dazu angetan war, unter der ohnehin

schon von Serbien und Montenegro aus immer wie­der ausgehetzten Bevölkerung Unruhen hervorzubrin­gen. Hier hat aber nun Oesterreich-Ungarn, das dem Vorgehen Italiens, soweit es sich aus Tripolis be­schränkte, freundlich gegenübergestanden war, deut­lich und scharf abgewinkt und in offiziösen Aus­lassungen ein Einschränken ««gekündigt, wenn Ita­lien mit dieser Aktion fortsahre und sich etwa ungüw stige Rückwirkungen auf Albanien oder sonst aus der Balkanhalbinsel ergeben sollten. Zwar hat Ita­lien wiederholt erklären lassen, daß es um jeden Preis eine Störung der Ruhe am Balkan vermei­den wolle und den Schauplatz der Feindseligkeiten auf Tripolis beschränken werde, aber die weitere Mitteilung der italienischen Regierung, daß sie sich gegen ihren Willen gezwungen sehe, militärische Ope­rationen in den europäischen Gewässern vorzuneh­men, weil sie erfahren habe, daß die Türkei kriege­rische Operationen gegen die Küste und die Han­delsschiffe Italiens vorbereite, erscheint nicht be­sonders glaubhaft und zeugt mindestens von einer übertriebenen Vorsicht und einer starken Ueberschät- zung der türkischen Seewehr. Denn die türkische Regierung war recht froh, als ihre Flotte, um de­ren Schicksal man schon schwere Sorge gehabt hatte, von Beirut her unversehrt den Nachstellungen ita­lienischer Kriegsschiffe entkommen und in den Dar­danellen eingelaufen war, und sie wird sich hüten, ihre nicht sehr tüchtigen Kriegsschiffe die stärk­sten darunter sind die beiden alten, aus der deutschen Marine ausrangierten Panzer, die neulich an die Pforte verkauft worden sind den Italienern als willkommene Beute entgegenzusenden. Die Zu­sammenstöße, die bis jetzt stattgefunden haben und bei denen bereits einige türkische Schiffe, darunter eines mit einem General und mehreren hundert Mann Besatzung verloren gegangen bezw. den Ita­lienern in die Hände gefallen sind, haben ja zur Genüge gezeigt, daß Italien seinen Gegner zur See nicht zu fürchten braucht. So nimmt nun der Krieg einen sonderbaren Verlaus. Die Türkei kann weder zu Land noch zur See Truppen nach Tri­polis schicken, das doch allein den Kriegsschauplatz bilden soll. Denn zur See ist sie dafür zu schwach, zu Land aber sperrt ihr England den Weg durch Aegypten. Auch das gehört zu den Sonderbarkeiten dieses Kriegs, daß die Türkei durch ein Land, das dem Namen nach immer noch zu ihr gehört, nicht einmal Truppen schicken kann, um eine andere ihrer Provinzen gegen einen räuberischen Ueberfall zu schützen. So bleibt also Tripolis auf sich selbst und seine schwache Besatzung angewiesen und die Italiener 'haben nicht einmal Gelegenheit, durch glänzende Heldentaten den Makel einigermaßen aus­zutilgen, mit dem die ganze Geschichte nun doch für sie behaftet ist. Denn die Beschießung einer nahezu wehrlosen Stadt -- die italienischen Mel­dungen geben selbst zu, daß das Feuer der tür­kischen Batterie wirkungslos war - wird man als Heldentat kaum anjehen können, Uebrigens wandte sich das Feuer der italienischen Kanonen nur gegen die Batterien von Tripolis und man hat Beschä­digungen der Stadt selbst möglichst vermieden, was sich schon darum von selbst versteht, weil man die Stadt schon als italienisches Eigentum betrachtete. Ganz ohne Kampf wird es aber vielleicht doch nicht abgehen. Die Pforte hat sich an die den Islam angehörigen Stämme im Innern des Landes ge­wandt, und wenn diese, in ihrem religiösen Fa­natismus aufgestachelt, dem Rufe folgen, so kann es zu einem langwierigen und aufreibenden Klein­krieg kommen, der den Italienern noch viele und schwere Opfer auferlegen könnte. Auch am Bal­kan werden übrigens voraussichtlich keine Heldentaten verübt werden, von denen einzelne unruhige Köpfe dort wohl schon geträumt haben. Die leitenden Per­sönlichkeiten sind doch zur Erkenntnis gekommen, daß die europäischen Mächte Unruhen mit aller Ent­schiedenheit entgegentreten werden. So hat sich bei­spielsweise Griechenland beeilt, friedliche Versiche­rungen abzugeben, und auch daran, daß die Türkei selbst, wie es neulich einmal hieß, sich für das, was ihr die Italiener zufügen, an Griechenland

schadlos halten wolle, ist es wieder ganz still gewor­den. Inzwischen werden die Friedensbemühungen fortgesetzt. Herr v. Marschall namentlich, der deutsche Botschafter in Konstantinopel, gibt sich in dieser Hinsicht große Mühe und es ist auch von feiner europäischen Intervention die Rede, die erfolgen soll, sobald Tripolis definitiv besetzt sei. Da nun die Einnahme von Tripolis in der Tat schon erfolgt zu sein scheint, so könnte danach die eigentliche Vermittlung bald ihren Anfang nehmen. Daß diH Türkei sich schließlich, mag sie sich auch noch so sehr sträuben, ins Unvermeidliche fügen und Tri­polis abtreten oder so gut wie ckbtreten muß, das steht im Voraus wohl fest. Aber man will in Ita­lien, nachdem die Beute einmal gesichert ist, sogar den Großmütigen spielen und spricht von morali­schen und materiellen Kompensationen, mit denen man nicht geizen werde. Vielleicht wird der Kon­flikt, wie schon in unserem letzten Bericht angedeutet wurde und wovon jetzt wieder die Rede ist, dahin gelöst, daß Italien sich in Tripolis ebenso .einj- richtet, wie England in Aegypten, d. h. daß die! Türkei dem Namen nach Oberherrin bleibt, in der Tat aber nichts mehr zu s agen hat und die ganze Verwaltung an Italien überläßt. Das wäre ein Ausgleich, mit dem sich Italien begnügen könnte! und der doch einigermaßen noch auf die Rechte der Pforte Rücksicht nähme. Zum Schluß können wir eine Bemerkung, die sich beim Blick auf all diese Ereignisse unwillkürlich aufdrängt, nicht unterdrük- len. So verwerflich vom Standpunkt der reinen Moral das Vorgehen Italiens ist, so legt die kläg­liche Hilflosigkeit, mit der die Türkei dem Ueber- sall aus eine seiner Provinzen gegenübersteht, doch die Frage nahe, ob denn hier überhaupt noch von- einem lebendigen Zusammenhang die Rede sein kann. Zwar ist die Türkei gegenwärtig in einem Verjün­gungsprozeß begriffen, der das Nationalgefühl wek- ken und erziehen und darauf die Wiedergeburt des Reiches gründen will; aber ob sich dieser Prozeß kräftig genug erwiesen hätte, seine Wirkung von Stambul aus auch auf das entlegene Tripolis zu erstrecken, ist doch sehr zu bezweifeln, ja es ist frag­lich, ob er überhaupt im Stand ist, den Zersetzungs­prozeß aufzuhalten, welchem das osmanische Reich schon anheimgestellt ist. Afrikareijende und Kenner des Orients sprechen sich ja übereinstimmend da­hin aus, daß dem Islam eine die Völker erneuernde Kraft nicht innewohnt. Aber wenn man so die Los­lösung der Provinz Tripolis vom osmanischen Reich schließlich als eine geschichtliche Notwendigkeit be­trachten kann, die früher öder später doch hätte kommen müssen, als eine weitere Etappe in der gro­ßen unausbleiblichen Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam, so muß man allerdings doppelt bedauern, daß dieses Ereignis unter For­men sich vollzieht, die, man kann wohl sagen, allem Hohn sprechen, was unter christlichen Völkern als ungeschriebenes, aber um so höheres Recht bisher gegolten hat.

Marokko.

Trotz der schweren Sorge und schweren Arbeit, die der türkisch-italienische Konflikt unseren Staats­männern brachte, haben die Verhandlungen über Marokko nach kurzer Unterbrechung wieder einen weiteren günstigen Fortgang genommen. Nicht nur die gesamte deutsche Presse äußert sich sehr zuversicht­lich, sondern auch die französischen Blätter, selbst die ausgesprochen nationalistischen, die bisher noch Zweifel am Zustandekommen eines Abkommens heg­ten, oder doch äußerten, sind nunmehr der Ansicht- daß der Abschluß unmittelbar bevorsteht. Ueber den Teil des Abkommens, der Marokko selbst und die Zugeständnisse anlangt, ist die Einigung anscheinend schon vollständig erzielt, während die Entschädigung, die Deutschland erhalten soll, zwar in der Haupt­sache zugestanden, aber im Einzelnen noch zu regeln ist. Hier wird es nun allerdings Sache von Frank­reich sein, gleiches Entgegenkommen zu zeigen, wie Deutschland es im ersten Teil der Verhandlungen gezeigt hat.

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