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Samt tag, de« 30. September.
Amtsblatt für Ps»ljir,fe»»eller.
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Letzte Nummer im 3. Quartal!
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Marokko.
Die deutsch-französische Einigung über Marokko ist gesichert — das ist das eine der großen Ereignisse, die die vergangene Woche gebracht hat. Am vorigen Samstag hat der französische Ministerrat unter dem Vorsitz des' Präsidenten Falljieres der vom. Minister des Aeußern verbreiteten Antwort auf die deutsche Note zugestimmt. Diese Antwort ist inzwischen in Berlin eingetroffen und von dort aus wird halbamtlich gemeldet: „Unseren Informationen nach trägt der vom Botschafter Cambon über- brachte französische Vertragsentwurf über Marokko im Wesentlichen den Wünschen der beiden Regierungen Rechnung, wenn auch in den Einzelheiten noch einige redaktionelle Aendernngen vorzunehmen sein werden." Diese Aendernngen werden sich jedenfalls rasch erledigen lassen und da auch über die Gebietsabtretungen am Kongo, die Deutschland für feinen Verzicht auf Marokko erhalten- soll, eine prinzipielle Verständigung schon erzielt ist, so daß auch hier nur noch minder wichtige Einzelheiten zu regeln sind, so darf man damit rechnen, daß bis znm Wiederzusammentritt des Reichstags, d. h. bis zum 17. Oktober, das ganze schwere Werk zum Abschluß kommt. Schon am vorigen Samstag hat in Berlin ein „Einigungsdiner" flattgefunden, d. h. ein Essen, das Staatssekretär v. Kiderlen-Wächier zu Ehren des Botschafters Cambon und seiner Gemahlin gab und wozu auch der württembergische Ministerpräsident v. Weizsäcker mit Gemahlin geladen war. Friedliche Klänge, wie man sie in Verletzten Zeit vom amtlichen Frankreich nicht zu hören gewohnt war, kommen nun wieder dorther: in Alencon hielt dieser Tage Ministerpräsident Cail- laix bei einer Feier eine bemerkenswerte Rede, worin er u. a. empfahl, die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Lage nicht zu überschätzen und dann sortfuhr: „Wir zweifeln nicht, daß die beiden gro ßen Nationen, deren Rolle als Kulturträger in der Welt so groß ist, und die beide den WjNen znm Frieden haben und die gleiche Sorge, -hu zu sichern, zu eurem dauernden Einvernehmen gelangen werden, das kern schmerzliches Gefühl hinterlassen wird, wenn jeder das Wort bedenkt: Geschäfte und es handelt sich uni ein Geschäft sind nur gut, wenn sie zum Vorteil beider Parteien sind." Welche von beiden Parteien den größeren Vorteil bei dem Ge schüft hatte oder wie man sich vielleicht richtiger ausdrückt, ob Deutschland für die Zugeständnisse, die es machte, wirklich entsprechende Gegenleistungen empfangen hat, das läßt sich erst beurteilen, wenn die Einzelheiten des Abkommens vorliegen. Die Meinung übrigens, als ob die Schwierigkeiten des Geldmarkts aus die/ entgegenkommende Stellungnahme der deutschen' Reichsregierung bei den Ma rotkoverhandlungen von Einfluß gewesen wären, wird von der Novdd. Allg. Ztg. mit Entschiedenheit zurückgewiesen und von einer Seite, die zum mindesten verdächtig ist, wird das durchaus bestätigt. Eine Londoner Zeitschrift, der Sunday Spezial, weist darauf hin, daß Berlin kürzlich sogar in der Lage war, einen Teil des Goldes, das in London am offenen Markt zu haben war, an sich zu bringen: mehr brauche man nicht zu sagen, um die Hin- fälligkeit der Geschichte von einer deutschen Finanzbedrängnis zu beleuchten. In Wahrheit sei der finanzielle Krieg, den Frankreich gegen Deutschland geführt habe, völlig gescheitert. Und wenn das zutrifft, was von verschiedenen Seiten versichert wird, daß nämlich der französische Geldmarkt unter der Ungewißheit der Lage noch mehr gelitten hat als der deutsche, daß infolge von Kursrückgängen dort noch größere Verluste erlitten worden sind als in Deutschland, so wird man jenseits der Vogesen aus
den Ereignissen der letzten Zeit doch vielleicht eine Lehre für die Zukunft entnehmen. Und die allerletzten Tage haben gerade denen, die am liebsten das Scheitern der Marotkoverhandlungen gesehen und aus einen Krieg mit Deutschland Hingetrieben hätten, eine weitere furchtbare Lehre erteilt. Das entsetzliche Unglück, das die stolze französische Kriegsmarine betroffen hat, das größte, von dem sie jemals .heimgesucht worden ist, hat mit niederschmetternder Wucht unserm Nachbarvolk vor Augen geführt, welcher Wert den hohlen Phrasen des säbel- rasjelndcn Delcassee über die Kriegsbereitschaft der französischen Seewehr beizumessen ist. Daß nicht der Zufall allein an diesen aufs neue sich wiederholenden Katastrophen die Schuld trägt, daß etwas faul ist am ganzen System, das ist die allgemeine Ansicht und die leitenden französischen Staatsmänner werden herzlich froh sein, daß das Marokkoabkommen gesichert ist. Herr Delcassee aber wird noch tüchtig zu arbeiten haben, bis er die französische Marine aus die Höhe wirklich bringt, die er erträumt und in seinen bramarbasierenden Reden schon erklommen hatte wenn man ihm überhanvt Zeit dazu läßt und er nicht etwa das große Werk einem andern Marineminister überlassen muß. Denn wenn es sich bestätigt, daß der Untergang der „Kiberte" ebenso wie einst die Katastrovhe aus der „Jena" auf die Zersetzung von Schießpulver zurückzuführen ist, jo wird man den Marineminister mit Recht dafür verantwortlich machen, daß man nicht längst schon für die Herstellung eines minder gefährlichen Pulvers gesorgt hät.
Tripolis.
Während die Gefahr, die von Marokko her dem europäischen Frieden drohte, glücklich beseitigt ist. steigt schon wieder eine neue dunkle Wolke am politischen Horizont ans. Italien rüstet zu einer Ex- vediiion nach Tripolis, um sich gleichfalls einen Besitz in Afrika zu sichern, nachdem es sich vor Jahren in Abessinien eine so blutige Niederlage geholt hat und vielleicht sind, bis diese Zeilen in die Hände der Leser gelangen, italienische Truppen schon aus afrikanischem Boden gelandet. Italien hat von England nnd Frankreich seinerzeit die Anwartschaft auf den Besitz von Tripolis zugestanden erhalten, falls dieses Land, das bis jetzt zur Türkei gehört, von der Pforte aufgegeben werden oder sonst wie aus deren Besitz ausjcheiden sollte. Aber Italien fühlt sich durch diese Zusage nicht beruhigt, sondern befürchtet allem Anschein nach, daß, wenn die Franzosen sich einmal in Marokko häuslich eingerichtet haben, sie von neuem ihr Augenmerk auf Tripolis richten werden, um, wenn auch nicht politisch^ so doch wirtjchaftl. sich dort einzuverleiben. Den unmittelbaren Anlaß zu Italiens jetzigem Vorgehen haben Ausschreitungen gegeben, die in Tripolis vor- gtlommen sind oder sein sollen und durch welche angeblich die italienische Kolonie daselbst gefährdet ist. Die Türkei stellt das in einer halbamtlichen Note in Abrede, aber eine Meldung der römischen Tribuna spricht von starker, stets wachsender Beunruhigung infolge des Fanatismus, von dem die einheimische Bevölkerung ergriffen sei. Viele Italiener, heißt es, hätten die Stadt schon verlassen, wodurch sich jedoch die Lage der Zurückgebliebenen nur um so drohender gestalte. Die türkische Regie rnng legt dem Vorgehen Italiens gegenüber einstweilen eine außerordentliche Mäßigung an den Tag nnd will alles vermeiden, was eine friedliche Lösung des Konflikts erschweren oder unmöglich machen würde. In einer Unterredung zwischen dem türkischen Geschäftsträger in Rom und dem italienischen Minister des Auswärtigen, Marchese di San Giutiano, soll der letztere die Unmöglichkeit für Italien darge stellt haben, wohlbegründete „Anwartschaften" preiszugeben, er habe -aber gleichzeitig den Wunsch ansgedrückt, gute Beziehungen zur Türkei zu bewahren.. Wie sich beides vereinigen läßt, ist allerdings schwer abznjehen, denn die ganze Aktion Italiens läuft darauf hinaus, daß es nicht mehr bei der „Anwartschaft", bei der Vertröstung auf die Zukunft bleiben soll. Es ist davon die Rede, Italien wolle Tripolis nicht politisch sich aneignen, sondern nur eine Art
wirtschaftlichen Protektorats. Ob nnd wie das ohne Verletzung der Eigentumsrechte der Türkei möglich ist und wie sich letztere in eine solche Schädigung fügen würde, muß sich erst zeigen. Für Deutschland ist die Sache darum besonders mißlich, weil es der Verbündete Italiens nnd ebenso der Freund der Türkei ist und es ist gerade darum nicht unwahrscheinlich, daß die englische Politik uns diese Suppe eingedruckt hat, nachdem sie den Versuch, den deutschfranzösischen Konflikt wegen Marokko zu verschärfen, als gescheitert betrachten mußte. So viel steht jedenfalls fest, daß man in England und Frankreich die Verlegenheit, die uns Italiens Vorgehen bereitet, nicht ungern sieht. Hätte England abgewindet,- sv würde Italien wohl die Hand vom Spiel gelas-, sen haben. So wie die Dinge jetzt liegen, wirdj die deutsche Regierung alles daran setzen müssen^ um eine friedliche Verständigung herbeizuführen. Wir haben keinen Grund, uns für Italien besonders zu engagieren, nachdem Italien seinerzeit in der marokkanischen Frage es vorgezogen hat, mit Frankreich eine „Extratour" zu tanzen. Oder wollte die italienische Regierung dadurch, daß sie neulich, wie wenigstens gemeldet wurde, nach Paris die Mitteilung gelangen ließ, sie würde im Fall eines Kriegs ihren Pflichten als Mitglied des Dreibundes genügen, im Voraus die Unterstützung Deutschlands für den von ihr heraufbeschworenen neuen Konflikt sichern? Aber bei allem Wohlwollen für Italien dürfen wir nicht vergessen, daß es unsere wichtigste Aufgabe ist, einen Krieg überhaupt zu verhindern und, wenn cs jetzt zu einem solchen zwischen Italien und der Türkei kommen sollte, zu verhüten, daß. der Krieg nicht etwa weitere Kreise zieht. In diesem Bestreben wird Deutschland jedenfalls von Oesterreich-Ungarn unterstützt werden, wobei wir allerdings damit rechnen müssen, daß die habsburgische Monarchie den Anlaß benützt, Italien sich besonders zu verpflichten, vielleicht um desto kräftiger den Kriegsgelüsten entgegentreten zu können, die sich schon wieder bei den kleineren Balkanvölkern regen, wo man auch den Augenblick gekommen erachtet, aus der Haut der Türkei Riemen zu schneiden. Die Wiener N. Fr. Presse schreibt u. as. in einem Leitartikel: Oesterreich-Ungarn und Deutschland sind Verbündete des italienischen Königreiches, und trotz der Freiheit, die ihnen nach den Verträgen geblieben ist, wird ihre Bündnistreue über das geschriebene Wort hinausgehen und das italienische Volk von der Zuverlässigkeit und von der Opserwilligkeit seiner Alliierten überzeugen. Aber diese Politik wird den inneren Vorbehalt der Sorge über die möglichen Folgen der von Italien heraufbeschworenen Krise haben. Sie wird zugleich von dem dringenden Wunsche geleitet sein, alles zu tun, was den bedenklichen Streit mildert und den Ausbruch der Kämpfe vielleicht noch im letzten Augenblick verhütet. Dazu ist jedoch nötig, daß die Türkei den Freunden, welche sie in Wien und Berlin hat, vertraue und nicht vergesse, wo die Lunte, die jetzt in Brand gesetzt wird, bereits vor langer Zeit gelegt wurde. Tripolis war ein Stück der Ententepolitik, (d. h. als die Westmächte sich über die Aufteilung von Nvrdafrika verständigten, verfügten sie, um den Unmut Italiens zu beschwichtigen, zu dessen Gunsten über ein Gebiet, über das ihnen gar kein Verfügungsrecht zustand allerdings eine beaueme Art, über eine Schwierigkeit hinwegzukommen., Oesterreich-Ungarn und Deutschland, fährt das Wiener Blatt fort, werden Italien nicht hindern, aber der Pforte eine Stütze sein, damit die Extratour, die bei der Musik von Kanonen getanzt werden soll, nicht zu einem drückenden Kummer für ganz Europa werde. Nach neueren Nachrichten soll übrigens Italien Vorschläge gemacht haben, nach deren Zugeständnis es auf eine Landung in Tri polis verzichten wolle. Unter diesen Bedingungen soll die Anstellung von italienischen Beigeordneten nnd Kontrolleuren für die Finanzen von Tripolis sowie von italienischen Beigeordneten zur Verwaltung der Provinz sein. Italien würde sich danach in Tripolis ungefähr ebenso einrichten wollen w:e England in Aegypten.
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