Gegründet

1877.

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»r. S17

Ausgabe in Alteustetg-Stadt.

Samstag, de« 16 . Geptembw

Amtsblatt fLr Pfnlr>r«fen»etlrr.

1911.

Wochen-Rundschau.

Marokko.

Wieder haben wir in der Marotkn-Frage eine Woche der Ungewißheit hinter uns, nnd wer weiß: vielleicht wird es noch länger dauern, obgleich nach­gerade der Wunsch nach Klarheit dringend und immer dringender wird. Denn die Ungewißheit und die Beunruhigung, die damit verbunden ist, zerrt heftig an den Nerven und führt zu ganz bedenklichen Ew fcheinungen. Zwar hat der Kaiser letzthin in einer Rede gesagt, unsere Nerven seien immer noch die besten, aber man hat sich doch gerade in der letz ten Zeit manchmal zu der Frage gedrängt gefühlt, ob denn das wirklich so ist. Wir müssen leider sagen, daß die Befürchtungen wegen des Ausgangs der Marokko-Angelegenheit nirgends, auch nicht in Frankreich, jo stark an die Oesientlichteit getreten sind als bei uns in Deutschland. In einer ganzen Neihe von Städten haben die Kriegsbefürchtungen einen Ansturm aus die Sparkassen zur Folge ge­habt, der so stark war, daß die Sparkassen kaum in der Lage waren, den Sparern, die ihr tGeld znrückverlangten, sogleich gerecht zu werden. Und dabei hätte sich eigentlich ein Jeder sagen können, daß es über alte Maßen töricht ist, in Sorge um die Sparkassengelder zu sein. Selbst wenn es wirk­lich zum Kriege käme, wären diese Gelder den Ein­legern so sicher wie nur irgend möglich. Heutzutage werden im Kriege keine Banken geplündert und kein? harmlosen Bewohner gebrandschatzt und ausgeraubt. Man braucht also sein Geld nicht mehr in den Strumpf zu tun, in dem Keller zu verstecken, in der Erde zu vergraben. Aber diesen doch sehr nahe­liegenden Erwägungen haben sich die kleinen Spa­rer vielfach nicht zugänglich gezeigt, da sie eben die Angst um ihre Groschen erfaßt hatte. Freilich, man darf sie nicht allzu sehr schelten, wenn man sich vergegenwärtigt, was sich in der letzten Zeit an den deutschen Börsen, namentlich an der Ber­liner, zugetragcn hat. Hier hat man den Kopf noch in viel ärgerer Weise verloren. ^ Hals über Kopf wurden Papiere aus den Markt geworfen, nnd die Kurse stürzten furchtbar. Die Berliner Börse hatte am letzten Samstag eine regelrechte Panik, wie sie in dieser Weise schon lange nicht mehr da war. Die Kursrückgänge waren beispiellos, 20, 30,,> 40 Prozent, und niemand wollte das angebotene Material anf- nehmen. Die Tausende der Börsenbesucher geber­deten sich wie hysterische Weiber. Ein Vertreter der Großfinanz suchte in dieser Not den Staatssekretär b. Kiderlen-Wächter auf, und dieser erklärte, er ver­stehe die Beunruhigung nicht, zu der absolut kein Grund vorhanden sei. Das wirkte dann ein wenig beruhigend, nnd am Montag hatte die Börse ihr Gleichgewicht wieder gesunden. Aber gewaltige Sum­men, die an demschwarzen Tage" verloren gingen, sind unwiederbringlich dahin. Und der üble Eindruck dieser Vorgänge im Auslande läßt sich nicht ver­wischen. In Frankreich und in England, auch an­derswo, tut man so, als sei die finanzielle Verfas­sung des Deutschen Reiches so schlecht, daß es schon aus diesem Grund genötigt sei, sich bescheiden zu zeigen. Ja, man geht noch weiter: man behauptet, Frankreich habe durch die Zurückziehung seiner Gut­haben aus Deutschland und mit Hilfe seiner Freunde einen finanziellen Druck ausgeübt, dem Deutschland nicht gewachsen sei. Man braucht sich sozusagen erst gar nicht zu bemühen, Deutschland mit Kanonen zu bekriegen, weil man es ganz einfach und leicht schon durch finanzielle Zwangsmatzregeln kirre ma­chen könne. Das ist natürlich eine Täuschung. Auch der Zusammenbruch der Börsen beruht nicht allein daraus, daß die politische Lage Befürchtungen er- iueckt, der eigentliche Grund ist vielmehr der, daß eben eine starke Ueberspekulativn platzgegriffen hat, die die Papiere über ihren wahren Wert Hinausge­trieben hat. Da hat es dann nur eines Anstoßes bedürft, um das ganze Gebäude ins Wanken zu brin­gen. Dennoch bleiben die Vorgänge an den Börsen beschämend genug, namentlich auch deshalb, weil

gar kein Versuch gemacht worden ist, ihnen Einhalt zu tun. Die deutsche Regierung, die überhaupt durch ihre mangelnde Fühlungnahme mit den Organen der öffentlichen Meinung die Nervosität unabsicht­lich gefördert und ihre Stellung erschwert hat, ist auch in Bezug auf die Börse nicht aus der Höhle gewesen, sonst hätte sie Mitcel und Wege gehabt, derartigen Paniken entgegenzuwirken. In Frank­reich hat mau das alles besser verstanden. Und wie steht es nun um die Marokko-Angelegenheit? Seil Donnerstag voriger Woche ruhen die Verhand­lungen zwischen dem Staatssekretär v. Kiderlen-Wäch­ter nnd dem französischen Botschasier. Die deutsche Regierung hat die französischen Vorschläge, die Bot­schafter Cambon überbrachte, mit eingehenden Gegen­vorschlägen beantwortet. Das heißt, es sollen eigent­lich mehr Glossen und Abänderungen der franzö fischen Vorschläge sein, indessen kommt es aus die Form schließlich weniger an. Am letzten Sams­tag ist die deutsche Antwort, nachdem sie der franzö­sische Botschafter schon ihrem hauptsächlichen In­halt nach telegraphisch gemeldet hatte, im Wortlaut in Paris eingetroffen. Nicht weniger als hundert Setten soll dieser füllen, und man kann 'schon dar­aus ohne weiteres eine Bestätigung entnehmen, daß in der Tat, wie der französische Außenminister sagte, beträchtliche Nnterscbiede vorhanden sind. Zwar ist Deutschland bereit, Frankreich in Marokko volitisch freie Hand zu lassen und sogar ein französisches Protektorat htnzuuchmen, aber dafür verlangt es abgesehen von Kompensationen im französischen Kongogebiet zweifelsfreie Bürgschaften für seine wirtschaftlichen Interessen in Marokko. Dieser Punkt ist es nun, wie sich immer mehr gezeigt hat, der die meisten Schwierigkeiten macht. Einmal deshalb, weil das, was Deutschland verlangt und verlangen muß, an und für sich sehr schwer in diplomatische Formeln zu fassen ist, sodann aber namentlich des­halb, weil die Franzosen auch trotz aller gegenteiligen Versicherungen Marokko wirtschaftlich in die Tasche stecken möchten. Mit allgemeinen Versicherungen wirt- schaf.-licher Gleichberechtigung, mit der Proklamie rnng der sogenannten offenen Tür ist aber Deutsch­land nicht mehr gedient, nachdem sich hcrausgestellt hat, daß das deutsch-französische Abkommen vom Jahre 1900, das eben jene Gleichberechtigung si­chern sollte, die Franzosen nicht ab ge hatten hat, die deutschen Unternehmungen in Marokko und den deutschen Handel systematisch aus das schwerste zu benachteiligen. Die Forderungen, die Deutschland nun in seiner Antwort aufgestellt hat, sind, obgleich man sie noch gar nicht näher tennt, flugs dahin ausgelegt worden, daß Deutschland in Marokko nicht Gleichberechtigung, sondern Vorrechte fordere. Die Absicht war ilar: man wollte Deutschland ins Un­recht setzen, es den anderen Mächten verdächtig machen und namentlich England anreizen, sich ins Mittel zu legen. In der französischen und englischen Presse hat es denn auch einen erheblichen Lärm ge­geben, bis endlich wieder viel zu spät aus

Berlin ossiziös erklärt wurde, daß Deutschland gar nicht daran denke, für sich einesExtrawurst" zu fordern, daß es nur etwas wünsche, was allen Na­tionen in der gleichen Weise zu Gute kommen würde. Unterdessen hat sich die Regierung in Paris sehr ein­gehend mit der Stellungnahme zu der deutschen Ant­wort beschäftigt, und es heißt, daß man in einem am Dienstag abgehaltenen Ministerrat über die Ge­genäußerung ins Klare gekommen sei. Diese wird dahin charakterisiert: Vollständige nnd unzweideutige politische Freiheit für Frankreich in Marokko, voll­ständige wirtschaftliche Gleichheit für alle Mächte mit Einschluß Frankreichs ohne Begünstigung oder Vorteile für irgend ein Land, die ernstesten und um­fassendsten Bürgschaften, um diese Wirtschaft!. Gleich­heit in Zukunft zu sichern. Wenn man das so lieft, möchte es leidlich scheinen: aber es steht vielleicht doch schief darum. Es kommt eben immer wieder darauf an, wie das im einzelnen festgelegt werden soll, und wenn man fortwährend aus Paris und auch ans London vernimmt, daß die deutschen Forderungen zum großen Teil abgelehnt werden, so muß man

es immerhin nach wie vor für einigermaßen un­sicher halten, ob eine Einigung gelingen wird. Im merhin hat man doch keinen Grund, sich in dieser Beziehung allzu sehr zu beunruhigen. Denn daran ist doch festzuhalten, daß die französische Regierung sich darüber im Klaren sein wird, was aus dein Spiele steht. Der Gewinn, den Frankreich durch eine Verständigung erlangt, ist jo außerordentlich groß, daß man meinen sollte, die Pariser Regierung würde nicht so wagehalsig sein, ihn durch Unnachgiebigkeit aufs Spiel zu setzen. Vielleicht rechnet man äm- mer noch daraus, daß eben die Schwäche der deutschen Politik, die seit Jahren den Franzosen so sehr zu­statten gekommen ist, auch jetzt wieder trotz alledem schließlich auftreten werde. Hoffentlich wird dafür gesorgt, daß man in Paris das als Täuschung er­kennt. Wie die Dinge geworden sind, darf es für? Deutschland nur noch eines geben: entschlossen durch­halten.

Tierote Woche".

Wir haben wieder einmal dierote Woche" er­lebt, den sozialdemokratischen Parteitag. Am letzten Sonntag ist er in Jena, der thüringischen Musenstadt, von der die Studenten singen:In Jena lebt sichs bene", zusammengetreten. Auch die Herren Genos­sen haben in Jena nach bürgerlichem Musterbene" gelebt, aber doch nur außerhalb der Räume, in denen das Parteikonzil tagte. Dort ist man im Ge genteil derart aneinandergeraten, daß es schon gar nicht mehrbene" war. Dabei war sozusagen rech­ter Hand, linker Hand, beides vertauscht. Nicht die Revisionisten" wurden mit Skorpionen gezüchtigt, nein, es ging diesmal gegen einen hochwohllöblichen Parteivorstand, und der alte Generalfeldoberst Bebel kam in die Lage. Schulter an Schulter mit den Re­visionisten gegen die Ueberradikalen zu fechten, und er tat das in einer Weise, daß die Funken flogen. Besonders hatte er es mit der Genossin Rosa Lu^ xemburg zu tun, die in der letzten Zeit dem Partei^ Vorstand die Hölle heiß gemacht hat. Einmal wegen des geheimen Rundschreibens des Parteivorstandes an die Parteivresse wegen deren Behandlung ge­werkschaftlicher Fragen und jvdgnn wegen der Hal­tung des Parteworstandes zur Marokkofrage. Rosa Luxemburg ist es gewesen, die den geheimen Partei- vorstandsukas an die Oefsentlichkeit gebracht hat. Wegen dieser Indiskretion wurde sie nun hart an­gelassen, besonders auch deshalb, weil sie bei der Veröffentlichung etwas jagen wir einmal höflich frei zu Werke gegangen war. Aehnlich hatte sie es mit einem privaten Briefe des Partei- Vorsitzenden Molkenbuhr an das Internationale Bu­reau in Sachen Marokko gehalten. Und endlich war sie des Frevels schuldig, das Marokko-Flugblatt des Partetvorstandes in Grund und Boden herunterge­macht zu haben, obgleich es doch der Oiberpriester der reinen marxistischen Lehre, Karl Kautsky. ver­faßt hatte. Die Genossin aus polnisch-russischen Ge- fildern wiederholte ihre Angriffe gegen den Partei­vorstand auf dem roten Konzil mit leidenschaftlicher Geberde. Sie erhob die Beschuldigung, daß der Parteivorstand sich an die Marokkosache nicht recht herangetraut und dann, als es nicht anders ging, nicht gehauen und gestochen habe, obgleich das doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit nach den Grundsätzen der Internationale gewesen sei. Auch bemängelte sie, daß die Frage des politischen Mas­senstreiks im Kriegsfälle nicht entschlossen ausge­rollt und betrieben wurde. Etliche Rädikalissimi un­terstützten die Genossin Rosa heftig, darunter naiür sich auch Klara Zetkin aus Stuttgart und der Abg. Ledebour, die mit großen Worten sich in revolutio nären Ideen ergingen. Das brachte den alten Be bel gewaltig in Harnisch, und er deckte die Rosa nach allen Regeln der Kunst unbarmherzig zu, und ob sie auch gleichzeitig mit dem Munde und den Händen redete, Bebel gab keinen Pardon. Er zieh sie. der Indiskretion und erklärte, daß er sich in Zukunft bor ihr ganz besonders in Acht nehmen werde, und er spottete über ihre maßlosen Verstiegen heilen. Auch Ledebour bekam sein Teil ab und mußte