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EamStag, de« 9 Eeptember.

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Wochen-Rundjchau.

Ter Krach in der württ. Sozial-rnrotratie.

In der württ. Sozialdemokratie hat cs einen großen Krach (in Stuttgart und um Stuttgart he­rum sagt manSaukrach" gegeben. Daß man auf der Landesversammlung nicht eilt Herz und eine Seele sein werde, konnte man allerdings schon vor­her wissen; aber es ist doch weit ärger geworden, als irgend jemand erwarten konnte. Und um es gleich zu sagen: die Radikalen Stuttgarts unter Führung Westmeyers sind dabei erheblich unter das Fußvolk geraten. Der Verlauf der unterschied­lichen sozialdemokratischen Kreisversammlungen im Lande hatte schon gezeigt, daß man dort mit dem Treiben der Stuttgarter in hohem Matze unzufrieden ist und daß man insonderheit von den Anschlägen Westmeyers und seiner Gefolgschaft gegen Len Leiter der Schwäbischen Tagwacht, Abg. Keil, lind gegen die Landesparteileitung und voll den Versuchen, die Tagwacht unter die Botmäßigkeit der Stuttgarter Radikalen zu bringen, nichts wissen will. Die länd­lichen Delegierten kamen denn auch mächtig ^gela­den" zur Stuttgarter Versammlung, um nun end­lich einmal reinen Tisch zu machen. Denn die Agi tation im Lande wird naturgemäß ungemein er­schwert durch die Streitigkeit in Stuttgart, die einen Hohn bilden auf die sogenannte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in der Sozialdemokratie. Außer­dem haben die Organisationen im Lande keine Lust, sich die Versuche der Stuttgarter, durch Abände­rung des Parteistatuts das Gewicht der kleineren Mitgliedschaften zu Gunsten der Stuttgarter zu ver­mindern, ruhig gefallen zu lassen. Und endlich lehnt man sich dagegen auf, daß alten verdienten Partei­führern der Boden unter den Füßen weggezogen werden soll von Leuten, die sozusagen hereingeschneit sind und größer an Mundwerk und an Rücksichts­losigkeit, als an Verdiensten sind. So sielen dl? radikalen Stuttgarter auf der Landcsversamml'nrg mit ihren Anträgen vollkommen durch. Da der größte Teil der Verhandlungen unter Ausschluß der Oefsent- lichleit geführt wurde, erfährt man nicht genau und nicht vollständig, wie schlimm man aneinanderge- rateu ist und was,alles mau sich gegenseitig nicht nur sachlich, sondern mehr noch persönlich vorzu werfen gehabt hat. Aber man kann sich ungefähr einen Begriff machen, wenn man den doch gewiß sorgfältig gesiebten Bericht der Schwüb. Tagwacht liest. Danach hat der Abg. Keil, der Chefredakteur der Tagwacht, mit seinem Redaktiouskvllegen West­meyer in einer Weise abgerechnet, die jede Rücksicht beiseite setzte. Er hat geschildert, wie seit dem Ein tritt Westmeyers in die Redaktion die Verhältnisse mehr und mehr vergiftet wurden, wie Westmeyer gegen Keil mit allen Mitteln wühlte und hetzte, um ihn zu verdrängen. Der schwerste Schlag gegen Westmeyer war aber die Feststellung, daß er ins­geheim in Würzburg eine Angriffs- und Schmähbro­schüre gegen Keil und auch gegen die Landespariei­leitung hat drucken und knapp vor dem Parteitag unter der Hand hat verteilen lassen. Das schlug dem Faße den Boden aus, und als Genosse West­meyer zuletzt noch einmal in einer persönlichen Be­merkung gegen Keil Vorgehen wollte, wurde er ein­fach niedergeschrieeu, was zwar nicht in der Ord nung, aber schließlich begreiflich war. Und nun ereignete sich etwas, was in der Sozialdemokratie noch nie dagewesen ist: die Stuttgarter radikalen Delegierten, verstärkt durch etliche Radikale ans dem Lande, insgesamt 57, verließen unter Protest das Lokal. Sie ließen nachher durch einen Abgesandten dem Parteitage eine Erklärung zngehen, worin sie behaupteten, ihre Anträge auf Einsetzung einer Preß­kommission seien ohne sachliche Würdigung nieder­gestimmt und Westmeyer sei brutal niedergeschrieen worden. Eine andere Erklärung spricht von einer Rechtsberaubnng der Stuttgarter Genossen durch die gefaßten Beschlüsse der Landesversammlung nsw. Nurr ist allerdings der Stuttgarter Antrag wegen der Einsetzung einet Preßkommission gefallen, aber

eine Preßkommission wird immerhin eingesetzt wer­den, bestehend aus Vertretern des ersten, des zwei­ten und des vierten Wahlkreises. Dieser Beschluß sollte ein Kompromiß sein, allein er befriedigt die Stuttgarter nicht, weil sie eben das Heft /allein in der Hand bekommen wollten, nicht aber die Macht, mit anderen Wahlkreisen und außerdem noch mit dem Landesvorstand zu teilen wünschten. Sodann ist ein Antrag angenommen worden, die gesamte Tachwacht? redaktion neu zu besetzen, und ein anderer Antrag, dem Genossen Westmeyer wegen seines Verhaltens die schärfste Mßbilligung ausznsvrechen. Der Chefredak­teur Keil hatte schon vorher freiwillig erklärt, von seinem Posten znrncktreten und als freier Schrift­steller leben zu wollen (was ihm durch sein Reichs­tags- und Landtagsmandat sehr erleichtert wird.) Freilich scheidet auch der Redakteur Roßmann ans, der ans Seiten Keils stand; er geht an das nenge- gründete Parteiblatt nach Ulm. Herr Westmeyer aber und auch dem zu ihm haltenden Redakteur Krille ist gekündigt worden. Einzig und allein der Re­dakteur Sauerbeck bleibt zurück, der bisher sich in der Hauptsache darauf beschränkt hat, Prozesse aus sich zu nehmerr. In üie Schwäbische Tachwacht wer­den also neue Männer einziehen. Ob aber auch ein neuer Geist? Bislang ist es immer so gewesen, daß dort der eine den anderen zu verdrängen gesucht hat. Man nennt das den Kampf um die Futterplätze.

Marokko.

Am Monlag dieser Woche Hai der französische Botschafter in Berlin, Eambon, dem Staatssekretär v. Kiderlen Wächter seine Aufwartung gemacht, um die französischen Vorschläge mitzuteilen. Die Ma­rokko Veryandlungen sind also nach etwa vierzehn- tägiger Unterbrechung wieder eröffnet. Das heißt, zunächst ist noch nicht weiter verhandelt worden, sondern der Staatssekretär har sich zunächst eine gründliche Prüfung der französischen Vorschläge Vor­behalten, die ihm a llerdings wohl schon im Großen und Ganzen durch Mitteilungen des deutschen Böl­lers in Paris bekannt geworden waren. Die Nordd. Atlg. Zig. hat am Dienstag eine offiziöse Auslas­sung veröffentlicht, daßden Umständen nach mit einem glatteren Fortgang der Verhandlungen gerech­net werden kann als vvr der Panse." Das ist noch immer reichlich vorsichtig ausgcdrückt, aber es ent­hält- doeb mehr als die Mitteilung von ne ulsich, daß eine grundsätzliche Annäherung erzielt worden sei. Was es mit diesergrundsätzlichen Annäherung" für eine Bewandtnis hatte, ist bald durch die ein- gelretene Stockung der Verhandlungen offenbar ge­worden. Unterdessen ist ja nun allerdings die Sache anders geworden, und man darf vielleicht ans einen glatteren Fortgang", ja sogar aut ein gutes Ende rechnen. Eine gewisse Vorsicht in der Beurteilung ist ja im übrigen angebracht, weil man nach wie vor mangels genauer offizieller Angaben keinen nähe­ren Einblick in die Verhandlungen hat. Das deutsche Volk erwartet von seiner Regierung entschieden Fe­stigkeit. Es darf urrter keinen Umständen sein, daß wir uns mit etlichen Fetzen Land von zweifelhaftem Wert» abspeisen lassen für unseren politischen Ver­zicht in Marokko. Daß Deutschland politisch in Marokko den Franzosen das Feld freigeben wird, muß wohl oder Uebel als Tatsache gelten. In der letzten Zeit namentlich wird von den offiziösen Fe­dern mit großem Eifer auseinandergesetzt, daß die deutsche Regierung niemals die Erwerbung eines Teils von Marokko geplant gehabt habe. Es "sei eben ein Mißverständnis gewesen, wenn man die Ent­sendung desPanther" nach Agadir in diesem Sinne aufgesaßl habe. Da eben eine Gebietserwerbung in Marokko nicht beabsichtigt gewesen sei, könne auch keine Rede davon sein, daß Deutschland vor englischen Drohungen zurückgewichen sei. Deutschland wünsche lediglich die volle Sicherung seiner wirtschaftlichen Interessen in Marokko. Es sieht einstweilen sehr danach aus, daß, Deutschland bei dem Geschäft schlecht wcgkommen wird, und es ist nur zu begreiflich, wenn sich weithin in Deutschland eine mißvergnügte, ja erbitterte Stimmung zeigt. Indessen muß man doch

erst das Ergebnis abwarten, ehe inan mit der Regie­rung ins Gericht geht. Die Regierung in Berlin hat ja gewiß aus der Bewegung, die in der letzten Zeit durch Deutschland geht, die geeigneten Lehren gezogen, und hoffentlich hat man es auch in Frank­reich und im Auslände überhaupt. Jedenfalls schlägt man dort in neuester Zeit erheblich andere Töne an, als neulich. Die französische Presse, von geringer Ausnahme, ist auffällig sanft geworden u. betont stark die Hoffnung auf Verständigung. Was England be­trifft, so scheint die allgemeine Entrüstung, die be­sonders nach der Veröffentlichung der Auslassungen des englischen Botschafters irr Wien durch Deutsch­land ging, drüben Eindruck gemacht zu haben. Wir haben alte Ursache, die Erlebnisse der letzten Zeit gut im Gedächtnis zu behalten. Alles in allem: die Aussichten auf eine Verständigung zwischen Deutsch« land und Frankreich sind entschieden günstiger ge­worden. Das ist sehr nötig, denn die allgemeine Nervosität hat tu der letzten Zeit auch in Deutschland, wo man lange eine bewunderungswürdige Ruhe be­wahrt hatte, ganz bedenklich um sich gegriffen. Al­lerhand Gerüchte flattern aus, und so unsinnig sie auch sein mögen, sie finden vielfach Glauben. Bis in die entlegensten Winkel hinein redet man davon, daß es baldlosgehen" werde, und man richtet sich wohl gar schon auf die Mobilmachnngsorder ein. Die Börsen sind aus Rand und Band (wobei allerdings spekulative Manöver Mitwirken), und das Geschäfts­ieben beginnt unter hem Gefühl der Unsicherheit nachgerade empfindlich zu leiden. In Stettin hat es in den letzten Tagen sogar einen Ansturm auf die Sparkasse gegeben, wie man ihn dort noch nie erlebt hat. Jede an und für sich harmlose, selbst­verständliche Maßregel wird in Zusammenhang mit Kriegsbefürchtungen gebracht. Das alles ist sehr be­denklich, und man kann nur immer wieder raten: Ruhig Blut! Freilich: die Lage ist ernst und man kann nicht mit aller Bestimmtheit sagen, was daraus hervvrgehen wird. Aber wenn wir sehen, wie das deutsche Volk (abgesehen von der Sozialdemokratie) einmütig entschlossen ist, nötigenfalls für seine Ehre und seine Machtstellung das äußerste einzusetzen, so sollte man meinen, durch unsinnige Gerüchte dürfte man sich nicht ans dem Gleiclrgewicht bringen lassen.

Kiel und Toulon.

In Kiel war am Dienstag eine große Flotten­parade als Einleitung der Flottenmanöver. Es nahi- men daran mit dem Kaiser eine Reihe von Fürst­lichkeiten, namentlich auch der österreichische Thron­folger Erzherzog Franz Ferdinand teil. Eben durch die Teilnahme des österreichischen Thronfolgers hat die Flottenparade eine gewisse politische Bedeutung gewonnen als eine Kundgebung der Solidarität der verbündeten Mächte Deutschland und Oesterreich. Es wird in Kiel auch, zumal Reichskanzler v. Bethmann Hollweg dort anwesend war, eine Besprechung über die politische Lage stattgefunden haben, namentlich nach der Richtung, daß dem österreichischen Thronfol­ger Gelegenheit gegeben würde, die Auffassung der deutschen Regierung näher kennen zu lernen. Zwei Tage vor der Kieler Parade ist auch in Frankreich eine große Flottenschau gewesen, in dem Mittelmeer-- hascu von Toulon, wo sich mit dem Präsidenten der Republik die sämtlichen französischen Minister ein­gesunken hatten. Der Zweck war, dem sranzöiischen Volke zu zeigen, daß nicht nur die Arme? sondern auch die französische Flotte auf der Höhe ihrer Auf­gabe sei. In den offiziellen Reden ist diese Bereit­schaft noch besonders unterstrichen worden. Immer­hin war die Form, in der dies geschah, einwand­frei. Der Marineminister Delcassee hat aber nach her ein Uebriges getan und in einer Unterredung sich recht kriegerischer Töne bedient. Er sprach davon, daß die Flotte nicht nur stark, sondern auch voll­kommen bereit sei, jeden'Augenblick in See zu gehen. Die Munitiouskammern seien gefüllt, und überhaupt sei altes fix und fertig. Die Franzosen hören das gerne und Delcasjee ist wieder ihr Mann. Man braucht derartiges nicht zu überschätzen, aber beach­ten muß man es.