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1877.
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Ausgabe in Altensteig-Stadt.
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(Schluß)
Wir fahren aus der alten Straße zurück nach Paimar und kommen dann zu Fuß von Norden her in den Ort. Paimar ist die Unglücksstätte, wo am 29. Mai die Not am größten wurde, wo zwei Familien in ihren stürzenden Häusern erschlagen und ertränkt wurden. Die Wassermassen brachen dort von zwei Seiten herein, vom Gerchsheimer Bach und vom Grünbach, der zwischen Jlmspan- Schönfeld und Krensheim-Zimmern entspringt. In allen diesen Höhenorten hagelte es in Mengen und goß es in Strömen. Die vereinigten Wasser waren zuviel für den Grünbach, der nur ein Wässerlein ist, das daherrinnt, als könnte es kein Wässerlein trüben. Und nun ging es zu, als käme der Weltuntergang. Oben am Dürfende liegt ein Acker, zwei Hektar groß, frisch aufgeworfen: das Massengrab für das Vieh. Gänsemädchen hüten jetzt dort ein Paar spärliche Geslügelherdenreste. Die Flut kam aus dieser Nord ostecke, setzte wie mit einer Sturzwelle die Gehöfte des Ratschreibers und des Bürgermeisters unter Wasser, ersäufte Rinder und Schweine, drang ins Rathaus und bemächtigte sich der geheiligten Grundbücher, stieß auf den geschwollenen Grünbach, drängte ihn noch einen Ruck weiter gegen das User, das mit einer Häuserreihe unter dem Kirchberg herzieht, und riß die Häuser ein, die in der Drnckrichtung standen. Die Familie des Schusters Hemm ertrank, Eltern und sechs Kinder. Der Mann schnitt gerade tapfer sein Leder zurecht, sein Sohn rief ihm aus einem Nachbarhaus zu: Rettet Euch! Der Vater traute aus sein gutes, festes, neues Sandsteinhaus, und mit einem Schlag war alles vorüber, keine Rettnng mehr, weder für den stillen Mann, noch für die jammernden Kinder. Aehnlich gings der Familie Häusler. Die Toten wurden eine halbe Wegstunde, fast bis Grünsfeldhausen weitergeschwemmt, zwischen strudelnden Steinen und entwurzelten, entrindeten Baumstämmen, samt ihrem Hausgerät und etlichen Fetzen Kleidung. Der Bürgermeister, der von seinem schönen Viehbestand wenigstens ein paar Tiere rettete (für 5000 Mark Großvieh ging ihm zu Grunde, arbeitete bis an den Hals im Wasser; einer seiner Ochsen kletterte mit den Vorderbeinen in die Krippe und hielt die Schnauze über Wasser, bis die Flut wieder sank. Ein Soldat, der auf Urlaub daheim war, rettete seine Eltern, die Schustersleute Baumann, mit eigener höchster Lebensgefahr über eine Leiter, die er von einem Haus zum anderen legte. Der alte Baumann übrigens hat außerdem noch etwas „erlebt"; er ist Vertrauensmann der Landwirtschaftsgenossenschaft, nun schwammen ihm die Akten weg, und da legte er sein Amt nieder, mit einem ernst-heiteren Gottseidank, daß ihm das Wasser nicht bloß seinen Wohlstand genommen habe, sondern auch seinen Uebelstand, eben das Schreibwerk. Aber die „Behörde" läßt ihrer nicht spotten, sie drohte dem Mann, da er grundlos (!) sein Amt niedergelegt habe, eine Geldstrafe bis zu 500 Mark an! Bon Rechts wegen.
Im übrigen ist nicht einmal Paimar verzweifelt. Es sind alles altfränkische, widerstandsfähige Leute. Die Pioniere haben die ganze Häuserreihe am Bach, die einsturzverdächtig geworden war, niedergesprengt; es sieht aus wie im dreißigjährigen Krieg; aber die Paimarer rühren sich schon wieder. Sie verkauften Ansichtskarten und „Hilfsbier" an die Fremden, die zu Pfingsten tausendweise hinkamen; sie haben ihre Obdachlosen im Rathaus und sonstwo gut untergebracht; sie haben bei dem großen Viehsterben kaltes Blut behalten, kaum noch Felle und Hörner geborgen und sonst die Tiere rasch verscharrt, um nicht etwa gar noch in eine Seuchengefahr zu verfallen. Einer von ihnen, der die noch nicht gefundene Leiche der kleinen Monika Hemm suchen sollte und von Amtswegen au den Rhein geschickt wurde, wo ein totes Kind geländet war, aber nicht die vermißte Kleine, kam zurück und sagte: „Das Deutschland ist so groß, und überall dort siebt die Ernte so reich am Main, am Neckar und
Donnerstag, de« 15. Jnni.
am Rhein, soll man da nicht glauben, daß die deutschen Landsleute auch uns hier in unserem kleinen Nest Paimar beispringen werden, wo wir uns doch nicht helfen können?" Mancher Leser wird herzhaft sagen: „Ja, Manu, dein Glaube soll dir helfen. Deutschland verläßt keinen guten Deutschen. Es klappert jetzt schon in die Sammelbüchsen. Aber noch zu dünn. Es muß einen Wolkenbruch freiwilliger Spenden geben.
In Grünsfeldhausen, bachabwärts von Paimar, steht die romanische Kirche im Sumpf. Die uralte Kirche steckt vier, fünf Meter tief im Boden. Sie war ganz neu hergerichtet, „entwässert von der großherzoglichen Regierung," wie eine stolze Inschrift in der riesigen Stützmauer sagt, die das Kirchlein umgibt, wie eine Waschschüssel die Wasserkanne. Jetzt steht ein zerbrochener Heiliger an der Tür, das Gestühl ist verschlammt, das Harmonium verstummt und verrostet, das Glockenseil feucht, der Fußboden hochgedrückt, die ewige Lampe erloschen. Allerdings mau sollte keine Kirchen unterirdisch bauen, in eine Grube hinein, und wenn sie noch so kurios sind.
Bis Grünsfeld hin und bis zur Tauber zieht der Grünbach durch einen Wald von Baumleichen, die mit Heu und Buschwerk, mit Stosflappen und Möbeltrümmern behängt sind. Einen brückenheiligen Nepomuk hats abgehoben, ein Kruzifix entwurzelt. In Grünsfeld brausten zwei Ströme gegen die Brücke, schmissen die Mauer um und vernichteten die beiden Mühlen, die Eisnersche und die Volkertsche. Der Müller Volkert büßte das Leben ein, als er in der Müblkammer einen Sack Mehl sichern wollte. „Der Natter blieb in den Fluten, betet für Ihn", steht handschriftlich unter einem Familienbild der Volkertschen Wohnung, von der noch ein paar Zimmer das Unheil überdauert haben; man sieht hinein wie in Theaterstuben, wie in einen senkrechten Querschnitt beim Anschauungsunterricht: ländliches Wohnhaus. Auch hier ist das Grause» womöglich noch verstärkt durch den Trümmerhaufen, zu dem die Pioniere den Rest der Mühle zusammengesprengt haben. Da liegt im Schutt ein Lieferantenbrief für den Müller und da ein Mitgliedsdiplom der Marianischen Kongregation für die Müllerin. Das Kanapee hat die Lehne verloren, ein Kinderschlit- teu steckt im Großmutterstuht, eine Wärmflasche noch im Bettzeug. Daneben große Mehltrommeln. Wo der Müller Volkert ertränk, hängt eine Jacke auf dem Bäumchen, an dem er vergebens Halt suchte. Der Bach hat ein neues Bett gewühlt, fünfmal so breit und tief wie sein altes, quer durch die Gärten, und was noch von alten Stadtmauern in dem alten Städtchen stand, hat er wieder einmal bestürmt wie der böse Feind.
Ein Schlachtfeld des Unheils- war auch die Riedmühle der Gebrüder Konrad bei Grünsfetd, unterhalb des Orts, jenseits der Bahn. Das war ein gar stattliches Anwesen, auf dem jeder Bau und jedes Gehege von Unternehmungslust und Fortschritt Zeugnis gab. Der Müller hat ein Gestüt. Seine Prachthengste wären ums Haar ertrunken, sie bäumten sich im Stall auf, griffen mit den Vorder Hufen in die Wand, schlugen Steine los in ihrer Todesangst, und stemmten sich in die Raufe. Sie kamen glücklich über den Schwall hinweg: nur ein Fohlen ertrank. Uebel erging es dagegen den Schweinen, den Hühnern - von 130 ertranken 90 und den Bienen. Die Hunde wurden rechtzeitig losgekettet; einer lief alsbald aus den Speicher und blieb zwei Tage lang droben vor Schreck, heulte nur leise und zitterte. Die Wagenhalle eingestürzt: ein Mühlstein von fünfunddreißig Zentnern Gewicht, den sonst sechs starke Männer mit Hebezeug kaum bewältigen, einhergespült wie ein Ball; im Garten Lochkessel gegraben, sechs Meter tief. Alle Obstbäume niedergebrochen; die Mühle unbrauchbar: das Elektrizitätswerk beschädigt; eine derbe Backsteinhalle eingedrückt, in der eine riesige Lokomobile von Lanz in Mannheim steht, die aber weiter nicht zerstört ist. (Dies in seinem Sockel hinein
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gemauerte Ungetüm war selbst der Flut zu gewichtig.)' Die Hausfrau war am Unglückstag verreist. Da kam das Töchtercheu des Müllers gelaufen: „Vater, eH brennt in Grünsfeld!" Richtig, eine Scheuer war vom Blitz getroffen, aber da rauschte auch schon Hagel und Regen wie mit lauter Dampfspritzen hernieder, und der Feuerschein erlosch. Und nun, rasender als der Brand, rennt eine Wasserwoge daher, überflutet glatt den Bahndamm und kommt wie eine Meeresbrandung in die Niederung, auf die Riedmühle her, kaum daß der Vater und die Kinder noch in das zweite Stockwerk des großen, starken Wohnhauses flüchten können. Von da starren sie auf den Zusammenbruch der Außenhallen und auf das greuliche Verderben, das sie rundum bedrohte. Heute noch mögen die Kinder keine Wolke sehen ohne Furcht, es könnte ein Wetter geben.
Wir fahren heim. Die Grünbach hat bis zuletzt ihr Spalier von toten Bäumen. Obstbäume, alte und junge, Erlen und Weiden vom Ufer, geschält und poliert, Tannen aus dem Wald. Dieser Schaden schon allein ist ganz außergewöhnlich. Die Hochwasser vor zwei Jahren an der Lahn und an der Ahr, an der Wied und Sahn, waren nicht so wüst. Gerlachshausen an der Tauber hat schweren Abbruch in seiner Gemarkung, auch Dittigheim ist nicht ungeschoren geblieben. Hinter Distelhausen zeigt sich dann wieder der Einbruch des Wildwassers von Osten in die Tauberbischofsheimer Gemarkung. Und zum Schluß sehen wir dann noch, wie hier in Klein- bischossheim rechts der Tauber die Gärten reihenweise niedergeschmettert worden sind, vorab die Gärtnerei Horn, bei der die Glasdächer zertrümmert sind, als hätten tausend böse Buben ihr Spiel getrieben, und die Zierpflanzenbeete völlig zerstört, die Anzuchtkulturen und die Blumenstöcke. Und wie dem Berufsgärtner, so ist es den anderen Gartenbesitzern ergangen.
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Das Taubergebiet braucht Hilfe. Es wird jahrelang an den Folgen des Unwetterunglücks zu tragen und zu leiden haben, auch wenn man es nicht sich selbst überläßt in seiner Not. Wer seine milde Hand öffnet, der tut ein gutes Werk.
Württembergischer Landtag.
Stuttgart, l 4. Juni.
Die Zweite Kammer fetzte heute die Beratung der Gehaltsvorlage in einer allgemeinen Erörterung fort. Das Zentrum beantragt die Wiederherstellung der vom Finanzausschuß von der Gehaltserhöhung der Katholischen Geistlichen gestrichenen 20 000 Mark. Dr. v. Kiene (Z.) betonte, daß die Deckung der erforderlichen Mittel ohne Ueberspan- nung der Finanzkrast des Landes möglich sei. Die Vorlage müsse en bloc angenommen werden. Allen Wünschen gerecht zu werden, sei mit Rücksicht auf die Landesfinanzen nicht möglich gewesen. Bei der Vereinfachung der Verwaltung stimme seine Partei der Verminderung der Bezirksstellen nicht zu. Auch die Erwerbsstände draußen im Lande sollten von den Beamten beachtet werden; sie sollten bei Dek- kung ihres wirtschaftlichen Bedarfs nicht bloß bei den verschiedenen Tietz und Knopf kaufen, sondern auch bei der mittleren und kleinen Kaufmannschaft ihren Bedarf zu decken suchen. Möge die Vorlage den Beamten zum Nutzen und anderen Ständen nicht zum Schaden gereichen. Dr. Eisele (V.) erklärte die Zustimmung zur Vorlage für eine Ehrenpflicht. Ohne Maßhalten sei es nicht abgegangen. Wenn die Deckung nicht ausreiche, müsse an eine mäßige Erhöhung der Einkommensteuer gegangen werden. Mit der en bloc-Annahme sei seine Partei einverstanden. Eine ähnliche Erklärung gab Baumann (D. P.) ab. Keil (Soz.) erklärte die Vorlage für die niederen Abteilungen als noch verbesserungsfähig. Nach oben geht sie ihm zu weit. Eine Erhöhung der Einkommensteuer werde spätestens im nächsten Etat notwendig werden. Seine Partei stimme aber mit Rücksicht
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