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Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.

87. Zahrgang.

Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts- bezirk Calw für die einspalrige Borgiszeile 10 Pfg-, außerhalb desselben 12 Pfg., Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Freitag, den 30. August 1912.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post­bezugspreis für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 50 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Amtliche Bekanntmachungen.

Die Herren Ortsvorsteher

werden beauftragt, spätestens bis 5. September d. I. hieher zu berichten, in welchem Umfang Kriegsteil­nehmer und deren Hinterbliebene in ihren Gemein­den mit Zuwendungen wie Ehrensold, Veteranen­unterstützungen u. dergl. neben den vom Reich und Einzelstaat gewährten Versorgungsgebührnissen, Un­terstützungen und Veteranenbeihilfen bisher bedacht worden sind und noch bedacht werden, und welches die Voraussetzungen für die Gewährung solcher Zu­wendungen sind.

Lalw, den 29. August 1912.

K. Oberamt.

Binder.

Iungdeutschland. II.

Aber dies ist nicht das Größte. Etwas Anderes. Unsre Jugend ist von selbst erwacht, aufgestanden und will sich nun ein Siegfriedsschwert schmieden. Es gibt kein größeres, freudigeres Er­lebnis der neuesten deutschen Ge­schichte, als dieses Erwachen unserer Jugend aus eigener Kraft. Ideale hat sie wieder auf den Leuchtern gestellt, die zu den Hei­ligtümern deutscher Art gehören, bewiesen, daß noch Kraft und Mut, Reinheit und Ehrfurcht, Kindessinn und Ursprünglichkeit, Selbstzucht und Pflichtgefühl, Frohsinn und Glaube in ihr wohnen. Davon kann man sich staunend und freudig überzeugen, wenn man die noch junge Geschichte desWandervogel" über­schaut. Vor kaum anderthalb Jahrzehnten an einem Gymnasium in Steglitz entstanden, vor wenigen Jahren eine Handvoll unbekannter Schwärmer, sind die Wandervogelverbände heute Organisationen, deren Mitglieder nach Zehntausenden zählen, die das ganze Reich mit Gauverbänden und Ortsgruppen überzogen haben, die dieses Jahr in Marburg einen Bundestag halten konnten. Wie selbständig und wur­zelstark ist das alles geworden, unbekümmert umEunst und Ungunst der Verhältnisse und Personen. Der Wandervogel kennt die keusche Schönheit der heimat­lichen Berge und Täler; Frühlingsblüte, Sommer­glut, den Reichtum des Herbstes und die glitzernde, schneeige Pracht des Winters, der Wandervogel kennt sie und behält unvergeßliche Bilder in seiner Seele. Noch mehr, die Sorge des Bauern, er lernt sie ver­stehen und teilen; seine verschlossene und herbe, oft so edle und kraftvolle Art, er lernt sie begreifen und achten. Er lauscht den Liedern des Dorfes, den Melodien des Volkes; das gediegene Gold alten Volkstums in Wort und Spruch, in Sang und Klang, in Bild und Brauch zieht ihn mächtig an. Uner­setzliches Vätererbe will hier zugrunde gehen; der Wandervogel hilft es bergen. Die wanderndeHorde" lernt Geduld, Ausdauer, Selbstverleugnung, Opfer­sinn, Hilfsbereitschaft: eine feine Arbeitsschule für sittliche Erziehung. Der Führer wacht mit scharfem Auge und gütigem Herzen über seine Jungen. Die Jungen lernen spielend von der gereisteren Erfah­rung und Weisheit des älteren Freundes. Und wenn der junge Wandervogel daheim leuchtenden Auges den Fahrtenbericht schreibt, so entstehen oft kleine Meisterstücke der Darstellung, die der Lehrer der deutschen Sprache ihm nie zugetraut hätte. Er hat eben nun etwas zu sagen, weil er etwas erlebt hat."

Es gebe, fährt Pöhlmann fort, dann neben den genannten noch andere Verbände: Wehrkraft­vereine diese vorzüglich in Bayern und Pfad­finder. Die Wehrkraftvereine unterscheiden sich nach des Verfassers Ansicht zum Vorteil von der Ju­gendwehr außerhalb Bayerns dadurch, daß jede mili­tärische Vorerziehung bewußt abgelehnt und nur auf körperliche Ertüchtigung und Volksgesundung im all­gemeinen hingearbeitet wird. Er definiert dann: Der Wandervogel hat protestantische Art an sich, er

hat feinen Sinn für Ursprünglichkeit, persönliche Freiheit, Schonung jeder Eigenart, Wirkuna allein durch persönliche und geistige Ueberlegenheit. Der Wehrkraftverein folgt eher dem Erziehungsideale des katholischen Christentums; er stellt in den Vorder­grund die Autorität, Disziplin, den Gehorsam. Beides hat sein Recht und seine Bedeutung; man kann sagen, sie müssen sich ergänzen. Es soll also kein Vorwurf für die Art der Wehrkraftvereine sein."

Kraftvoll klingt der Schluß aus:Jungdeutsch­land hat sich in den Sattel gesetzt; es wird auch reiten können. Vor hundert Jahren hat Deutschlands Ju­gend aus schlimmen Zeiten harter Not eine vielver­heißende Wiedergeburt unseres Volkstums erstrebt. Viele Hoffnungen haben sich erfüllt, manche sind wieder zu Grabe getragen worden. Wieder erhebt sich heute die Jugend, ein stolzer, mannhafter, edler Geist schreitet durch unser Jungvolk. Vielleicht müs­sen sie einst in harten Kämpfen erproben, was sie jetzt üben in juoendlichem Spiel. Nach hohen Idealen steht ihr Sinn. Mit einer solchen Jugend kann ein Volk getrost in die Zukunft schauen. Deutschland hat noch eine Jugend, an die es glauben darf. Möge sie halten, was sie verspricht!"

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.

Calw, 30. August 1912.

Vom Rathaus.

Oeffentliche Sitzung des Gemeinderats unter dem Vorsitz von Stadtschultheiß Conz am Donnerstag, 29. August, von nachmittags 4 Uhr ab. Anwesend sind 8 Gemeinderäte.

Der Vorsitzende perltest einen Erlaß der K. Mini- sterialabteilung für höhere Schulen betr. Ernennung von Rektor Prof. Dr. Knödel in Kirchheim u. T. zum Rektor auf das hiesige Realprogymnasium mit Realschule. Prof. Knödel wird am 1. September hier aufziehen und in die bisher von Rektor Weizsäcker innegehabte Wohnung kommen. Die Schaffung einer Realschule soll in den nachbarlichen Amtsblät­tern und einigen Landeszeitungen bekannt gemacht werden. Das Wirtschastskonzessions- gesuchfür die Wirtschaft zum Rebstock wird wieder mit der im März gegebenen Begründung befürwor­tet; gleichfalls befürwortet wird die Konzession auf die Kopfsche Wirtschaft. In die Wohnung von Förster Rüdinger wird ein neuer Ofen beschafft werden. Die Ausstellungsleitung für das Land­wirtschaftliche Bezirksfest bittet um Ueberlassung der städt. Turnhalle vom 19. bis 23. September zu Ausstellungszwecken, desgleichen um Ueberlassung von Dekorationsreisig und Flaggen­masten. Die Bitten werden genehmigt. Nicht so glatt ging die Behandlung des weiteren Gesuchs der Ausstellungsleitung vor sich, zum Zweck der Kon­trolle des Festplatzes die untere Brücke am 21. und 22. September abzusperren. Energisch wendet sich E.R. Schlatterer gegen das Gesuch. Die Ab­schrankung bedeute eine Ungerechtigkeit gegen die ganze untere Stadt und eine Schädigung der dort wohnenden Geschäftsleute. Das Gesuch wird schließ­lich aber genehmigt; man will die Leinenbrücke leich­teren Fuhrwerken offen halten. Bei dem mit dem Fest verbundenen Festzug wird die Stadt einen Fest- wagen, die Eberhardsgruppe vorstellend, stellen. Eine Beteiligung der Stadt auf diese Weise wird im Gemeinderat ziemlich einmütig als selbstverständ­lich angesehen. Die Kosten für die öffentliche Feier des Sedantages übernimmt die Stadt. Zap­fenstreich, Wecken, Böllerschießen usw. Dr. Aulenrieth ersucht um Zuleitung von Gas und Wasser zu seinem Neubau beim Grundstück von Kauf­mann Knecht. Die Leitung wird bis zu Dr. Auten- rieths Grundstück in der Ärt mit genügend weiten Rohren ausgeführt werden, daß spätere Neubauten auch angeschlossen werden können. Die Kosten, die auf 442,80 Mk. vorangeschlagen sind, tragen je hälf­

tig Stadt und Dr. Autenrieth gemeinsam. Stadt­schultheiß Conz macht nachdrücklich auf W. Mönchs Heimatkunde vom Oberamt Calw" aufmerk­sam und empfiehlt sie zur Anschaffung. Der Vor­sitzende teilt mit, daß der Ob st er trag des Ge­meindeobstes mit 60 Ztr. 243,70 Mk. ergeben hat. In den vergangenen Jahren wurden der Reihen­folge nach 263, 312, 28, 60 und 564,40 Mk. er­löst. Vom Gemeinderat war bei der Versteigerung anwesend Herr Schönlen. Rechnungssachen bil­deten den Schluß der Sitzung.

Sedan-Gedenkmedaille. In zahlreichen Orten Deutschlands wird am Sedantage, dem 2. September, eine nach künstlerischen Entwürfen hergestellte Me­daille vertrieben werden, deren Reingewinn der National-Flugspende zufließt. Der Vertrieb der Medaille soll jedoch nicht an den Tag gebunden sein, sondern kann auch zu jedem anderen späteren Zeit­punkt erfolgen. Die Medaille eignet sich namentlich auch zur Verleihung bei sportlichen Veranstaltungen der Schulen und Jugend-Turnabteilungen.

s. Das Einjährige. Die diesjährige Herbst­prüfung über die wissenschaftliche Befähigung für den einjährig-freiwilligen Dienst findet für die­jenigen Kandidaten, die sich zur Ablegung dieser Prüfung bei der K. württembergischen Prüfungs­kommission für Einjährig-Freiwillige gemeldet haben, in der Zeit vom 3. Sept. bis 1. Okt. d. I. im Eberhardt-Ludwigsgymnafium zu Stuttgart statt. Zu dieser Prüfung haben sich 262 Kandidaten an­gemeldet.

-ü- Der kälteste Augusttag seit 1775. Der dies jährige August hat inbezug auf das niedrigste Tages­mittel bereits eine erste Stellung errungen, indem das Wärmemittel am 5. d. M. mit 15,8 Grad das niedrigste in der seit 1775 geführten Temperatur­chronik ist. Das zweitniedrigste 24stündige Wärme­mittel wurde im August 1896 mit 16,4 Grad, das drittniedrigste am Sonntag, den 11. August mit 16,5 Grad verzeichnet, sodaß der August 1912 mit zwei ungewöhnlich tiefen Tagesmitteln kaum so bald wieder übertroffen werden dürfte. Ein 24stün- diges Wärmemittel unter 17 Grad findet sich nur noch im August 1882 mit 16,6 Grad.

«ob. Mutmaßliches Wetter, lieber Großbritan­nien ist ein neuer Lustwirbel aufgetaucht, der nach Osten vorrückt und den Hochdruck vom Kontinent be­reits wieder zurückdrängt. Für Samstag und Sonn­tag ist daher teilweise zu Gewitterstörungen geneig­tes, sonst meist trübes und abermals kühleres Wetter zu erwarten.

Bad Liebenzell, 29. Aug. Trotz des ungünstigen Sommers hat sich die Frequenz unseres Kur- und Badeortes gegen voriges Jahr gehoben. Die Kur­verwaltung ist aber auch bemüht, durch Veranstal­tungen aller Art für Unterhaltung und Abwechslung zu sorgen und den Aufenthalt möglichst angenehm zu machen. Infolgedessen halten die Kurgäste auch recht lange aus und lassen sich durch das schlechte Wet­ter nicht verdrießen. Die Kurverwaltung sah sich daher veranlaßt, die Hauptsaison bis 10. September zu verlängern und die Kurmusik bis dahin konzertieren zu lassen. Das Lesezimmer, das von den Kurgästen gerne benützt wird, bleibt bis Ok­tober geöffnet. Gestern war Bunter Abend unter Mitwirkung hervorragender Kräfte. Zur Feier des Sedanstages findet nächsten Sonntag bengalische Be­leuchtung der König-Wilhelm-Anlagen mit Konzert statt. Die außerordentlichen Veranstaltungen waren von auswärts immer sehr stark besucht, sodaß sich die Späterlegung des letzten Zuges nach Pforzheim und die Einstellung eines Sonderzuges nach Calw, was in entgegenkommendster Weise von der K. Eisenbabn- Verwaltung genehmigt wurde, gut lohnte.

! Bad Liebenzell, 29. Aug. Gestern veranstal­tete die Kurverwaltung einenbunten Abend" unter