87. Jahrgang.

Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw.

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Erscheinungsweise: Smal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts- bszirk Calw für die einspaltige BorgiSzeile 10 Vsg.. außerhalb desselben 12 Psg., Reklamen 25 Psg. Schluß sür Jnseraiannahme 10 Uhr vormittags. Teleson S.

Mittwoch, den 21. August 1912.

Bezugspreis: In der Stadl mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post­bezugspreis sür den Lrts- und Nachbarörtsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. '1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Psg.. in Bayern und Reich 42 Psg.

Kultur.

Durch die Zeitungen geht die Nachricht, in Eng­land erscheine auf Grund von Konsularberichten ein Blaubuch, worin die Schicksale der indianischen Be­völkerung geschildert sind. Die Gummiwaldungen sollen ausgebeutet werden, und auf diesem Wege hat man die einheimische Bevölkerung ausgerottet. Aber wie? Durch bestialische Verbrechen. Nicht auf dem Wege einer geschäftlichen Konkurrenz; nein, man knallte die Leute nieder; nein, man spießte Kinder auf und verbrannte die Weiber; nein, man folterte sie vorher mit unmenschlichen Qualen. Fassungs­los steht man vor solchen Berichten. Sie müssen wahr sein. Kein Volk hat ein Interesse daran, sich selbst zu beschmutzen. Was ist das für eine ent­setzliche Wahrheit? Sie wird zum schaurigen Ge­spenst in ihrer baren Sinnlosigkeit. Mußte, oder sagen wir, wollte man mit diesen Menschen fertig werden, so konnte man das doch wahrhaftig auf andere Weise. Es sind doch Menschen. Oder nicht? Noch nie ist mir die Entscheidung so leicht gewesen, wie in diesem Fall: wo standen die Menschen? Auf Seiten der roten Indianer oder auf Seiten der weißen Gummihändler? Da gibt es auch keinen einzigen Augenblick des Achselzuckens. Nein, keinen halben Augenblick! Und wären jene noch so roh und verschlagen gewesen der Kulturmensch hat hier Blut getrunken wie ein Tier.

Wie ist so etwas möglich! Das sind also Leute, die den andern Völkern Kultur bringen wollen. Sie sind noch stolz auf ihre gute europäische Kinder­stube. Sie bilden sich etwas ein auf das, was sie gelernt haben. Sobald sie aber da draußen sind, werden sie zu Bestien. Es ist so erschütternd, daß man seine Gedanken mühsam in Ordnung bringen muß, wenn man das überhaupt kann. Da höre ich einen sagen:Bei uns käme so etwas nicht vor." Recht so, mein Freund! Wir waschen natürlich die Hände in Unschuld und freuen uns, daß beim Nachbar eine Scheibe klirrte. Du weißt wohl aber ich will nicht daran erinnern; ich dachte nur das eine, daß sich der Bruder in einer Familie nicht schadenfroh an eines Bruders Sünde ergötzen soll. Da kommt der andere und spricht etwas vom Tropenkoller und von der Ohnmacht der kultivierten Nerven im andern Klima. Gut, dann soll Europa seine verwöhnten Muttersöhnchen nicht ins Ausland senden, wo sie als Verkörperungen unserer Kultur uns Schande machen. Schließlich meinen wir, daß das Klima eines Menschen Gewissen sicher verwirren, aber nicht dauernde Gewohnheiten erzeugen kann, wie sie hier in diesen Berichten vonKulturträgern" erzählt sind, wenn der Mensch überhaupt einmal etwas von Gewissen in sich getragen hat. Sollen wir endlich gar noch aus solche hören, welche meinen, wir seien sentimentale Leute und verständen nichts von den Eroberungen der Welt, wie sie nun einmal nicht ohne Blut abgehen? Diesen heimlichen und öffent­lichen Verdrehern des Rechts möge gesagt sein: wir kennen viele solche Eroberungen voll unnützen Blu­tes und ekelhaften Verbrechertums; aber wir haben aus derselben Geschichte auch gelernt, daß sie nie ungerächt geblieben sind. Die Geschichte hat ihre Gerechtigkeit, mögen wirs Wort haben oder nicht. Darum möchten wir unser Volk, das bereits der Ar­beiten und Kämpfe genug zu tragen hat, vor sol­chem Schuldkonto bewahren. Wir tragen an jeder europäischen Schuld in den Augen aller anderen Völker mit. Sie haben recht, uns gemeinsam ver­antwortlich zu machen. Noch nie ist Blut ungerecht vergossen worden, dessen Schrei nicht einmal erhört wurde. Und es schaudert uns, wenn wir den Boden unserer Kultur mit solchem Blut gedüngt sehen.

Aber das Schlimmste ist: Man liest diese Dinge nach dem Mittagessen, legt die Zeitung weg und geht ins Geschäft. Hat man ganz die Fähigkeit ver­loren, sich sittlich zu empören und ohne Deklamation

und Phrase in solcher Empörung einmal zu handeln? Solche Gesellschaften müßten da getroffen werden, wo man ihnen allein weh tun kann: an dem, was sie haben. Nicht ein paar Sündenböcke herausholen. Man belege von Staatswegen ihr ganzes Eigentum und alle ihre Rechte mit Pfändung und lasse sie arm in die Welt ziehen. Man muß sie um ihren eige­nen Betrug betrügen. Aber auch das genügt nicht. Wir müssen uns demütigen inunserer Kultur". Das ist kein kirchlicher Bußtag, der vor­geschrieben ist. Als Weltbürger laßt uns einmal Buße tun. Traub imKunstwart".

Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.

Ealw, 21. August 1912.

Die Abonnentenversicherung, die den Versicherten schon manche Enttäuschung gebracht hat, wird von vielen Zeitungen, die auch ohne diesen Lockvogel ihre Abonnenten zu halten vermögen, abgeschafft. So haben laut einer Bekanntmachung allein vier Freiburger Zeitungen beschlossen, die Abonnenten­versicherung am 1. Oktober abzuschaffen; auch eine Zeitung in Emmendingen schließt sich diesem Bei­spiel an. 2n der' Bekanntmachung wird betont, daß der Beschluß gefaßt wurde, um den wiederholten Anregungen des deutschen Reichstages, sowie einem Beschluß des Vereins der Zeitungsverleger zu folgen. Das Verdienst, den ersten erfolgreichen Schritt zur Beseitigung der dem Zeitungsgewerbe unwürdigen Abonnentenversicherung gemacht zu haben, darf den Freiburger Verlegern nicht versagt werden. Hoffent­lich findet dieses lobenswerte Beispiel allseitige Nachahmung.

seb. Mutmaßliches Wetter. Der atlantische Luft­wirbel vertieft sich. Andererseits hat auch der Hoch­druck über dem Kontinent wieder zugenommen. Für Donnerstag und Freitag ist daher unbeständiges und zu Gewittern geneigtes Wetter zu erwarten.

Obsternte. Die Zeit der Obsternte naht. Die Frühsorten in Aepfeln und Birnen sind reif, einige Sorten, wie die Jakobi- und Virginische Rosenäpfel sind schon vorbei. Da und dort aber ladet ein Char- lomowski oder ein Gaishirtlesbaum zum Pflücken ein. Bei anhaltendem Regenwetter hat man recht aufzupassen bei der Ernte. Entweder soll man die Früchte mit einem weichen Lappen abreiben oder sie an einem trockenen zugigen Ort ausbreiten, daß sie schnell abtrocknen können. Noch besser ist es na­türlich, wenn das Obst bei trockenem Wetter ge­erntet werden kann, wobei man aber heiße Mittags­stunden vorübergehen lassen und mehr gegen den späteren Nachmittag zu ernten soll. Die Spätreifer werden nun runder und schwerer, die Bäume brau­chen Stützen. Da hat man jetzt schon einzugreifen, damit die Aeste nicht zu tief herunterkommen, nicht abbrechen oder ausschlitzen. Die Stützen bringt man auf verschiedene Weise und in verschiedener Form an. Entweder nimmt man Stangen mit Gabeln und stützt damit die frllchtebeladenen Aeste, oder man legt auf zwei Gabelstützen eine Querstange, so daß dadurch mehrere Aeste zugleich gestützt werden kön­nen. Diese Stützen stößt man tief in den Boden, damit sie sturmfest werden. Empfehlenswert ist es auch, die Stützen geschält zu verwenden, denn unter der Stangenrinde haust gerne schädliches Ungeziefer, das auch auf den gestützten Ast und Baum über­greift. Eine dankbare und recht gute Art zu stützen ist das Anbinden der Aeste an den Stamm oder an eine an den Stamm angebundene Stange. Doch hat man beim Binden recht acht zu geben, daß nicht zu viel Obst abgedrückt wird.

Vom Schwarzwald. Eine Frau, die auch nicht zu den Temperenzlern zählt, kochte neulich einmal für ihre drei kleine Buben auf die neue Mode zu Mittag, d. h. sie kochte gar nicht, sondern speiste sie mit Wurst und tränkte sie mit Vier. Nach ein­genommener Mahlzeit gingen alle miteinander zum

Beerensammeln in den Wald. Auf einmal tat einer von den Kleinen einen gewaltigen Sprung in die Luft und rief:Muata, warum kinnet au miar a so springa?"-

" Stammheim, 20. Aug. Nach dreiwöchentlichem Aufenthalt verließen letzten Samstag 25 Mädchen der Stuttgarter Ferienkolonie mit ihrer Führerin, Frl. Hartmann, unseren Ort. Fröhlich und sichtlich erholt zog die kleine Schar nach ihrer Heimat zu­rück, und die Kinder werden noch lange an die schönen Tage in Stammheim zurückdenken. Nicht nur, daß sie sich der guten Verpflegung und Verköstigung der Frau Bärenwirtin erfreuten, sondern ihnen wurden auch von verschiedenen Freunden der Sache mannig­fache Vergnügungen bereitet. So z. B. durften die Kinder einer Einladung der Frau Fahrion nach Hof Dicke Folge leisten, wo sie in bekannter gastfreundlichster Weise bewirtet wurden und ihnen zugleich der landwirtschaftliche Betrieb des schönen Hofgutes gezeigt wurde, was für Eroßstadtkinder be­sonders interessant war. Außer der Ferienkolonie befinden sich in unserem Ort noch 6070 Kurgäste zur Erholung.

- Weilderstadt, 20. Aug. Der 14jährige Sohn der Witwe Heinkle in Dätzingen wollte einen leeren Garbenwagen mit Hilfe seiner Mutter zur Dresch­maschine führen. Durch Ileberfahren eines Steines schlug die Deichsel zur Seite und drückte den Kops des Jungen zwischen Leiterbaum und die Schloß­mauer, was seinen sofortigen Tod zur Folge hatte.

Nagold, 20. Aug. Ein junger Mann von hier, der in der Fabrik arbeitet, aber schon manche Zeit im Krankenhaus zugebracht hat, wagte es, an den König mit der Bitte um eine Geige sich zu wenden. Das war des Jünglings Lieblingswunsch, da er an der Musik eine große Freude hat und auch gute Begabung besitzt. Unser König erkundigte sich bei dem zuständigen Pfarramt nach den Verhältnissen und der musikalischen Begabung des Knaben. Bald nach 14 Tagen kam eine prächtige Geige aus Friedrichshafen als Geschenk des Königs hier an. Der Dank und die Freude des Beschenkten war groß. Und er hat dem König für die huldvolle Erfüllung seines Lieblingswunsches einen Dankesbrief ge­schrieben wie sich's gebührt. (Eesellsch.)

Altensteig, 21. Aug. Letzten Sonntag wurde ein vierjähriger Knabe von dem Auto eines Stuttgar­ter Fabrikanten auf der Heselbronnersteige angefah­ren. Im Auto wurde das Kind zum Arzt und dann in die elterliche Wohnung verbracht.

Neuenbürg, 20. Aug. Unsere behäbige Amts­stadt, durch die die rauschende Enz in einem herr­lichen Flußbogen fließt, konnte am Sonntag bei prächtigem Sonnenwetter die blumen- und fahnen­geschmückten Häuserreihen in den Fluten der Enz spiegeln. Zum 75jährigen Jubiläum des Lieder­kranzes das einen Markstein in der Geschichte der Stadt bildet haben Vereine, die Stadt und die Einwohner alles aufgeboten und den nach Tausenden erschienenen Festgästen einen Tag seltenen Genusses geboten. Glanzvolle Leistungen wurden von den erschienenen Gesangvereinen geboten und schwer wurde es dem Preisrichteramt, die wert­vollen Ehrengeschenke den Leistungen entsprechend gerecht zu verteilen. Ein großartig zusammen­gestellter Festzug, der durch Festwagen von aus­gesuchter Schönheit in Zusammenstellung und Aus­führung belebt war, bewegte sich durch die Straßen der Stadt zum Festplatz, auf dem ein froh bewegtes Treiben weit in den Abend hinein herrschte. Gestern wurde die Feier durch ein Kinderfest unter großer Beteiligung von hier und auswärts abgeschlossen. Die Preisverteilung hatte folgendes Ergebnis: 1. Abteilung: Volksgesang: In Liederkranz Eroß- sachsenheim 96'/- Punkte, Ib Liederkranz Beihingen 91 Pkt., 11a Eintracht Pfinzweiler 84'/» Pkt., Hb