Deutscher Reichstag.

Berlin, lO. Februar?.

Die zweite Lesung -er Justiznovelle wird fortge­setzt. Der sozialdemokratische Antrag Albrecht und Genossen wird abgelehnt. In namentlicher Abstim­mung wird sodann der Antrag Müller-Meiningen (Fr. Vpt.), in erster und zweiter Instanz die Straf kammern mit zwei Richtern einschließlich des Vor sitzenden und drei Schöffen zu besetzen (ein Antrag Gröber (Ztr.) deckt sich mit diesem Antrag), an­genommen. Es werden einige Paragraphen teils ohne teils mit Aenderungen angenommen. Para­graph litt Abs. 4 bestimmt in der Kommissions­fassung, daß Volks schullehrer nur zum Amt eines Schöffen bei Jugendgerichten berufen werden können. Anträge der Konservativen, der Wirtschi, Vereinigung und der Nationalliberalen wollen diese Bestimmung streichen. Hahn (kons.i begründet den Antrag seiner Partei und bemerkt: Wir haben zur Vertretung der Lehrerinteressen ein eigenes Blatt gegründet. Zuruf: Was zahlt der Bund der Land­wirte dafürDiese unerhörte Jnvektion weise ich zurück. Lärm.' Wir protestieren dagegen, daß man den Antrag parteipolitisch ausschlachtet (Bravo rechts.^ Abg. Kopfsch lFortschritts. Vpt.): Inter­essant ist, daß Dr. Hahn sich identifiziert mit dem deutschen Lehrerverein. Das wird draußen gehört werden. Die Unabkömmlichkeit der Lehrer ist nicht stichhaltig, wenn bei Paraden, Volks- und Viehzäh­lungen usw. ohne Bedenken die Schule ausfällig Wetzet (natl.): Die Lehrer müssen allgemein als Schöffen und Geschworene zugelassen werden. Ein Vertreter der preußischen Unterrichtsverwaltung stellt fest, daß die Lehrer oft mindestens fünf Tage oder noch länger von den Schulen fern gehalten würden. Das sei nicht angängig. Froh me (Soz.): Die Konservativen haben ihren Antrag nur aus parteipolitischer Spekulation gestellt. Fleischer (Ztr.>: Es handelt sich keineswegs um eine hoch­politische Angelegenheit, sondern lediglich um nüch­terne Erwägung der Zweckdienlichkeit. Es liegt kein Grund vor, die Lehrer als Schöffen auszuschlie­ßen. Linz (Reichst). : Wir stimmen den Anträgen ebenfalls zu. Stychel (Pole: spricht sich gegen die Zulassung der Lehrer zum Schöffenamt aus. Kölb wirtsch. Bgg.) stimmt den vorliegenden An­trägen zu. Hierauf wird ein Schlußantrag angenom ­men und die Anträge gegen die Stimmen der Polen angenommen. Die Zulassung der Lehrer als Schöf­fen und Geschworene überhaupt ist damit beschlossen. Darauf vertagt sich das Haus auf morgen l 1 Uhr. Interpellation betr. Ueberschwemmnng des deutschen Geldmarktes mit fremdem Geld. Fortsetzung der heutigen Beratung. Schluß deinviertel Uhr.

Landesnachrichten,

- Nagold, l<>. Febr'. Die bürgerlichen Kol­legien haben den Neubau eines Schulhauses definitiv beschlossen. Der Bauaufwand beträgt 195 000 Mark. Bezüglich der Aufbringung des Bau­aufwands, wofür verfügbare Mittel nicht vorhan­den sind, wurde beschlossen, eine Schuld bis zum Be­trag von 195 000 Mark zu möglichst niederem Zins­fuß aufzuuehmen und die Rückzahlung auf 50 Jahre zu verteilen. Gemeindeoberförster Weint and hat

um seine Versetzung in den Ruhestand infolge Alters­beschwerden auf l. April nachgesucht. Da dieselbe jedenfalls auszusprechen ist, hatte sich das Ge­meindekollegium mit der Frage zu beschäftigen, ob die bisherige G e m e i n d e b e r st e ru n g beibe­halten werden, oder Staatsbesörsterung eintreten soll. Die Gemeindekollegien beschlossen einstimmig, die Gemeindebeförsterung beizubehalten. Die Waldfläche der Stadt beträgt 1l38 Hektar.

ss Zuffenhausen, 10. Febr. Gestern abend zwi schen halb 9 und 9 Uhr ließ der Schreiner und Verkäufer Schönster von hier sein Pritschenwägel chen, auf dem sich ein Schrank, eine Kommode, zwei Sessel und ein Spiegel befanden, vor der Wirtschaft zum Stern stehen, um ein Glas Bier zu trinken. Als er nach einer Viertelstunde wieder heraus­kam, war das Wägelchen samt Ladung verschwurt den. Heute früh fand man es zwischen hier und Feuerbach bei der Friedrichswahl im Straßengra­ben, die Möbel fehlten.

H Eßlingen, l 0. Febr. Rechtsanwalt List in Reut lingen hat sich bereit erklärt, die Kandidatur für den 5. württ. Wahlkreis anzunehmen.

ss Heilbronn, lO. Febr. Heute vormittag ist in der Nähe der Badgasse die längst vermißte und gesuchte Lokomotivführersehefrau Sch luchter von hier im Neckar tot aufgefunden worden. Dis Persönlichkeit der Leiche konnte nur durch den Ehe­ring festgestellt werden. Da der Leichnam voll mit Schmutz und Schlamm überzogen ist, findet heute nachmittag unter gerichtlicher Aufsicht eine Reini­gung statt. Morgen folgt die gerichtliche Sektion, wobei festgestellt werden soll, ob ein Verbrechen des Schluchter'schen Ehemanns vorliegt, oder ob die Frau, die im fünften Monat schwanger war und der ein Zufall ein an ihren Manu gerichtetes Einla­dungsschreiben zu einein Stelldichein in die Hände gespielt hatte, etwa aus Gram selbst in den Tod gegangen ist.

-Die moderne Luftfchiffirhrt und ihre Entwicklungs- Möglichkeiten.

ss Stuttgart, 10. Febr. Auf Veranlassung des Württembergischen Landesverbands des deutschen Luftflottenvereins hielt heute abend im kleinen Saal des Oberen Museums Oberleutnant Hunk aus Mannheim einen Vornag überDie moderne Luft­schiffahrt und ihre Entwicktnngsmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands/' In gro­ßen Zügen entwarf der Redner einen kurzen Rück­blick auf die Geschichte der Militärluftschiffahrt und knüpfte daran theoretische Betrachtungen über die Gebrauchsfähigkeit der einzelnen Ballons. Es sei aber nicht richtig, immer nur die Waffe zu betrach­ten, sondern auch die Person des Führers und Fliegers. Das WortLuftverkehr" habe zu vielen Mißdeutungen Anlaß gegeben und die großen Er folge der Luftschiffahrt haben die Menschen irre gemacht. Die Folge davon war, daß man übergroße Hoffnungen auf die Entwickelung der Luftschiffahrt gesetzt hat. lieber den heutigen Stand derselben wur­den wir am besten durch die letzten schweren Unglücks­fälle aufgeklärt. Wohl würden diese Unfälle in der Presse übertrieben dargestellt, während über Fälle, bei denen etwa 97 Menschenleben vernichtet werden, nicht viel Aufhebens gemacht werde. Eine berech­tigte und schonungslose Kritik aber würde zur Be­

lehrung und Aufklärung dienen. Besondere Bedeu tung komme der tüchtigen Ausbildung des Perso­nals zu, notwendig sei die Schaffung von Stationen für den Luftverkehr, sei es durch Errichtung von Hallen oder offenen Ankerplätzen sowie die Schaf­fung von Wetterstationen und Herstellung von zuver­lässigen Wetterkarten. Auch der große Wert der Luftschiffahrt als wichtiges Hilfsinittel zur wissen­schaftlichen Forschung wurde vom Redner besonders betont. Zahlreiche Lichtbilder veranschaulichten in trefflicher Weise die verschiedenen Luftschiff- und Flugsysteme.

Aus dem Reiche.

st Berlin, 10. Febr. Der freikonservative Land­tagsabgeordnete Schmidt-Nekel erlitt heute vormit­tag in seiner Wohnung, Wilhelmstraße 43, eine schwere Gasvergiftung und wurde in bewußtlosem Zustand aufgefunden.

st Kiel, 10. Febr. Der Matrose Windisch wurde heute vom Oberkriegsgericht zu vier Jahren Zucht­haus, Ausstoßung aus der Marine, fünf Jahren Ehrverlust und 3400 Mark Geldstrafe verurteilt. Windisch hatte hauptsächlich in Süddeutschland An­gehörige von Matrosen der Marine unter dem Vor­wand, daß er mit diesen befreundet sei, um grö­ßere Summen geprallt.

st Altona, 10. Febr. Als Folge der durch B acka m ar g ar in e verursachten Erkrankungen ist gegen den Geschäftsführer der Firma I. H. Mohr u. Co. vpn der Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung in Verbindung mit Ver­gehen gegen das Nahrungsmittelgesetz erhoben wor den. Die Verhandlung wird Ende März oder An­fangs April stattfinden.

Ausländisches.

st Haag, 10. Febr. Wie amtlich gemeldet wird, hat der Generalgouverneur von Niederländisch-Jn- dien den Sultan der Inselgruppe Lingga im Sunda- Archipel und den Thronfolger wegen wiederholter Verletzung der bestehenden Verträge und Wider­setzlichkeit gegen die niederländischen Behörden ab­gesetzt. st

st Helfin-gfors, 10. Febr. Die letzten hundert der auf einer Eisscholle in das Meer hin aus- getriebenen Fischer haben sich bei Hamburg an den Strand gerettet.

Tie Pest in China.

st Petersburg, IG Febr. Die russische Regierung hat auf Wunsch und Kosten der chinesischen Regie­rung zur Erforschung und Bekämpfung der Pest eine wissenschaftliche Expedition nach China ge­sandt, an deren Spitze Prof. Säbolow steht.

st Peking, 10. Febr. Die Pest breitet sich über die ganze Mandschurei aus. In Charbin läßt die Seuche nach, da die Bakterien eine geringere Gefähr- keit zeigen. Eine leichte Zunahme hat in Tientsin und Tschifu stattgesunden. In den anderen Städten ist die Lage unverändert. Die Regierung hat den Betrag von etwa 750 000 Taels für Maßregeln zur Bekämpfung der Pest ausgeworfen.

Verantwortlicher Redakteur: L. Lauk, Mtenlleia.

Druck u. Verlag der W. Rieker'schen Buchdruckerei, ?. Lauk, Altensteig.

Khaiber-Rifles, eine indische Truppe aus dem Stamme der Mridis, denen die Bewachung des wichtigen Khaiber-Passcs anvertraut ist, und die Gebügs-Artillerie gemacht, deren Ge­schütze auseinandergenommen auf Maulnere verladen sind.

Die Afridis sind große, schlanke und kräftige Leute, und obgleich die Bataillone nur wenige englische Offiziere haben, vertrauen ihnen die Engländer vollkommen. Sie wollen ihnen sogar als einzigem Eingeborenenregiment das derzeitige Jnsanteriegewehr geben, während die anderen Re­gimenter mit älteren Schwarzpulvergewehren ausgerüstet sind. Letzteres geschieht noch im Hinblick auf die Lehren, welche die Meuterei der eingeborenen Truppen und der anschließende große Aufstand im Jahre 1857 boten. Sicher' ist man der eingeborenen Regimenter nie, deshalb besteht die Feldartillerie ganz aus Engländern, und nur während des Exerzierens finden indische Fahrer Verwendung.

Der Khaiber-Paß, die Verbindung nach Afghanistan, nimmt ungefähr beim Fort Jamrud, 17 Kilometer von Peschawar, seinen Anfang, und führt auf einer Straße von 53 Kilometer Länge, an der höchsten Stelle bis zu tausend Meter aufsteigend, in Windungen über das Gebirge. Das Landschaftsbild ist äußerst wild und abwechslungsreich. Die Karawanen hochbeladener zottiger Kamele, Ochsen und Esel, die, geführt von wild dreinblickenden, in Pelze gehüllten Männern und gefolgt von Weibern und Kindern zweimal in der Woche den Paß durchziehen, erhöhen die Eigenartig­keit der rauhen Szenerie.

Bisweilen ist den Karawanen der Durchgang nicht ge­stattet, da jedesmal umfangreiche Schutzmaßnahmen der Khaiber Rifles zur Sicherung vor Ueberfällen getroffen werden müssen. Umfangreiche Wachttürme, zur Verteidigung eingerichtete Häuser und andere Befestigungen stehen einsam auf den Berggipfeln, die sich zu beiden Seiten des Passes

erheben. Als der Kronprinz im Automobil hier durchfuhr, war nicht eine Anhöhe oder Schlucht ohne Wachtposten. Da das erste Mal nebeliges Wetter war, wiederholte der Kronprinz seinen Besuch, und diesmal konnte er diesen stra­tegisch so wichtigen, an Naturschönheiten reichen, geschichtlich interessanten Platz bei Sonnenschein genießen und konnte am Ende desselben in der Nähe des Forts Landi Kotal, vom Rande eines 700 Meter tiefen Absturzes herab weit hinaus­schauen nach Afghanistan.

Jahrtausende streift an dieser Stelle der Geist zurück, er sieht die Völker der Ebene Heraufziehen mit Weib und Kind, mit Roß und Rind, mit Hab und Gut. Er sieht dann die Heere in gewaltigem Ringen, den Uebergang sich erzwingend. Er erwägt die Gegenwart und verliert sich in der Zukunft und wieder wollen dieselben Bilder wie in der Vergangenheit Heraufziehen.

Peschawar bildet zn allem, was wir bisher gesehen haben, einen vollständigen Gegensatz. Man hat nicht mehr den Eindruck, in Indien zu sein, sondern in einer Stadt Mittelasiens. Da der Durchfuhrhandel von Kabul, Buchara und Zentralasien an den Ort gebunden ist, kommen hier Vertreter der verschiedensten asiatischen Volksstämme zu­sammen. Die meist bärtigen wilden Gestalten der Männer, wegen der Kälte in dicke, wattierte Decken oder Pelze ein­gehüllt, dazwischen die Frauen mit bunten Kaschmirschals, Viehherden und Lastkamele bilden ein buntes Gewühl in den engen Straßen, wo sich Bazar an Bazar reiht. Von Zeit zu Zeit bildet sich ein Gedränge, wenn an einer Ecke ein Fakir fanatisch oder begeistert predigt. Dicht daneben liegen oder kauern andere heilige Männer fast völlig nackt auf dem Boden, von den Vorübergehenden Almosen heischend oder Medizinen verkaufend. Es fiel mir auf, daß auch die armen Frauen Tücher trugen, die den auch dock oben teuren

Kaschmirschals in Farbe und Stickerei ähnelten. Als ich mir in den Kaufläden diese Ware ansah, fand ich, daß sie .waäe in Olerman^" war und aus Sachsen stammte! Wem das Geld lose saß, der konnte es in Peschawar für prächtige Bucharateppiche, Stickereien, Marder und Persinclfelle schnell verausgaben. Aus dem Ueberzieher kam man im Freien während unseres Aufenthalts an der Grenzstadt nicht heraus und in den Häusern suchte man das flackernde Kamin­feuer auf. (Frks. Ztg.)

8 Der Meuschenbiß. Von allen Bissen ist wohl der Schlangenbiß am gesürchtetsten, obwohl er nur in denjenigen Fällen gefährlich wirkt, wenn die Schlange giftig ist. In zweiter Linie stehl der Hundebiß wegen der Tollwut. Aber obgleich der Mensch weder eine Giftdrüse noch den Toll­wuterreger in sich trägt, wirken die Bisse, die er seinem Gegner in der Hitze des Kampfes, zu rasender und meist ohnmächtiger Wut aufgepeitscht, beibringt, nicht ungefährlich. Jedenfalls scheinen sie nach dem Urteil'der Chirurgen viel bösartigere Folgen zu haben, als die Bisse von Tieren, soweit diese nicht direkt Träger von Krankheitserregern sind. Meistenteils vereitern die gebissenen Körperteile trotz fachge­mäßer Pflege. Finger müssen häufig deswegen amputiert werden, Nasenspitzen diese wie jene die Lieblingsorte für den Biß heilen nicht wieder an. Worauf gerade die Gefährlichkeit menschlicher Bisse beruht, ist nicht klar. Wahr­scheinlich ist, daß die Keime, die auch der wohlgepflegteste Mund jedes Menschen in Fülle enthält, von besonderer Kraft sind. Jedenfalls ergeht an jeden, der eine Bißwunde trägt, die Mahnung, diese nicht unbeachtet zu lassen, son­dern ärztliche Hilfe unverzüglich anzurufen.