GegrLrrbet
1877.
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Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Mderamtsbezirken Nagold, Keudenstadt, Calw u. Neuenbürg.
Schwarzwälder Sonntagsblatt. ^.
Rr. 17.
Verlag u. Druck der W. Rieker'schen Buchdruckerei (L. Lauk), Altensteig.
Samstag, de« St. Januar.
Das „Schwarzwälder Sonntagsblatt" ist durch die Post separat zu beziehen.
1911.
Wochen-Rundjchau.
Thronrede und Gehaltsvorlage.
Am I 8. Januar ist der württembergische Land tag, der zweite und letzte der laufenden Wahlperiode, vom König unmittelbar vor seiner Abreise nach Cap Martin, wo er sich erholen will mit einer Thronrede an die „lieben Getreuen" eröffnet worden. Was man von Thronreden meist sagen kann, gilt auch hier: sie bringt keine Ueberraschun gen. Aber sie enthält doch verschiedene wichtige Dinge und weist dein Landtage einen sehr bedeu tenden Arbeitsstosf zu, der ihn bis lies in den Sommer beisammen halten wird. Da ist zunächst der Etat, der viel Zeit in Anspruch nehmen und auch allerhand Kopfzerbrechen machen wird. Zwar hat, wie die Thronrede hervorhebt, die fortdauernde Bes scrung der wirtschaftlichen Verhältnisse den Etat vorteilhaft beeinflußt. Die Erträge der Eisenbah neu, der Forsten und der Landesstenern, besonders der Einkommensteuer, weisen erhebliche Steigern!! gen auf. Dagegen stehen größere Ausfälle bei der Post infolge der veränderten Verhältnisse bei dein Markenubereinkommen mit der Reichspost und bei dem Anteil an der Reichserbschaftssteuer in Aussicht. Indessen würde sich im Etat ein namhafter Ueber schuß ergeben, wenn eben nicht die Neuregelung der Gehälter der Staatsbeamten und der Kircbeu und Schuldiener starke Anforderungen an die Staatsfinanzen stellte. Es handelt sich nni eine für wnrttembergische Verhältnisse gewaltige Summe. Sie beträgt für das erste Jahr der kommenden Finanzperiode 8, l und für das zweite Jahr sogar !>,! Millionen Mark. Die Sparsamkeit, die inan hier die „altwürttembergische" nennt, tut es natürlich bei weitem nicht allein. Die Vereinfachung der Staatsverwaltung, die ja ernstlich angestrebl wird, steh! noch in weitem Felde: einstweilen wird die Regierung dem Landtage eine Denkschrift darüber vorlegen, um einmal zu sehen, wie sich der Land tag die Sache vorstellt. Die einzig gesetzgeberische Maßregel, die zur Zeit ans diesem Gebiete von der Thronrede angekündigt wird, ist die Ansbebnng des Geheimen Rats. Dieser „Rai der Alten" wird für entbehrlich erklärt, und er ist es in der Tat. Um die Kosten der Gehaltsverbessernng anfzubrin gen, bleibt nichts weiter übrig, als eine Steuer erhöhnng. So soll ein Zuschlag zur Reichserb schaftsstcuer in der Höhe von 25 Prozent eintre ten, woraus 500 00 «) Mk. erwartet werden. Höhere Einnahmey werden aus der Bewirtschaftung der Körperschaftswaldungen, aus einer Erhöhnng der Umsatzsteuern und einer Erhöhung der Sporteln und der jGerichtsgebühren erwartet. Was dann noch fehlt, soll durch eine Erhöhnng der Einkommensteuer und durch eine Staatslotterie aufgebracht werden. Die Anziehung der Steuerschraube in einer Zeit, wo dem Volke vom Reiche empfindliche neue Lasten anfgebürdet worden sind, ist natürlich nicht leicht Ln nehmen. Und ivas die Staatslotterie anlangt, so gehen ja die Meinungen auseinander. Man kann sagen: gespielt wird ja doch, und da ist es schon besser, daß das Geld im Lande bleibt. Aber es gibt doch auch schwerwiegende Bedenken. Jedenfalls kann man die Einführung einer Staatslotterie nicht anders denn als eine Notstandsmaßnahme betrachten: ob sie im Landtage Annahme finden wird, erscheint ziemlich zweifelhaft. Die Gehaltserhöhung der Beamten ist indessen unter allen Umständen geboten, zumal sie schon im Jahre 1908 von der Regierung versprochen worden ist. Die Thronrede äußert sich denn auch mit einer gewissen Wärme darüber. Sie weist auf die ungünstiger gewordenen Lebensverhälknisse infolge der unausgesetzten Ver teuerung der Lebensbedürfnisse hin, sie hebt ferner bervor, daß die württ. Gehaltsverhältnisse zun« Teil
weit zurückbleiben hinter den anderen Bundesstaaten, und sie erklärt es für eine unabweisbare Pflicht des Staates, den Beamten ein genügendes Einkommen zu verschaffen. Von den sonstigen Ankündigungen der Thronrede ist zu ermähnen eine Verfassungsvorlage, wodurch die Erste Kammer ermächtigt werden soll, einen zweiten Vizepräsidenten zu wählen. Ferner kündigt die Thronrede eine staatliche Hilfsaktion für die notleidenden Weingärtner an. Sodann soll der Jugendfürsorge besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Gehalisvorlage, die bis dahin mit dem Schleier tiefsten Geheimnisses umgeben wurde, ist am Tage der Landtagserösfnnng vom Staatsanzeiger mit den wesentlichen Teilen der Be gründnug in ungezählten Spalten veröffentlicht worden. Das Ziel der Regierung geht dahin, nicht etwa einfach die Württemberg. Beamten mit denen anderer Staaten oder des Reichs gleichzustellen, svn dern sämtlichen Staatsdienern im weitesten Sinne ein z» den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen im Einklang stehendes Diensteinkommen zu gewähren, das ihm und seiner Familie das seiner Stellung entsprechende Fortkommen bei maßvollen Ansprüchen sicherstell' und ihn zugleich hinsichtlich seines Dienst einkommens, soweit es die Finanzen des Landes gestatten, den Beamten des Reichs und der anderen Bundesstaaten nahebringt. Von Anfang an ging die Regierung davon ans, daß die vorzuschlagende Bes serstellung der Beamten nicqr etwa nur eine nach dein gleichen Verhältnis zu berechnende Aufbesse rnng, sondern eine durchgreifende Neuordnung der Gehalte zum Zwecke einer einheitlicheren und über sichtlicheren Gestaltung des Besvldnngsweseus, ins besondere tunlichste Gleichstellung der Beamtenklai sen, an die nach ihrer Vorbildung und nach der Wichtigkeit ihres Dienstes etwa die gleichen An fordernngen gestellt werden, zum Ziele haben niüise. Dementsprechend faßt der Entwurf die Beamten mit Vorrückung nach Dienstallerstufen in 50 Klassen zusammen. während bisher eine einzige Abteilung nicht weniger als 52 mit verschiedenen Gehalten ans gestattete Beamtenklnssen enthielt. Man kann schon daraus entnehmen, daß tatsächlich eine bedeutende Vereinfachung einlritt. Ungleichheiten waren unter diesen Umständen bei der Verteilung natürlich nicht zu vea meiden: die Regierung ist aber bestrebt gewesen, sie ans das Mindestmaß zu beschränken. Ge gliedert ist der Entwurf in sechs Hauptabteilungen. Der durchschnittliche Ansbesserungsbetrag berechnet sich für einen Beamten ans 278 Mark. Äm gering sten ist er in der ersten Abteilung, der untersten mit 216, am höchsten in der vierten «Landrichter. Oberamrmänner »sw.. mit 740 Mark und in öer sechsten Landgerichtsdirektoren. Ministerialräte usw. mit 798 Mark. In Prozenten beträgt Pie Erhöhung aufs Ganze 14,65. In der Abteilung der niedersten Beamtenklasse beträgt sie l 7,45 Prozent, in der höchsten Beamtenklasse 11,87 Prozent. Der geringste Prozentsatz einer Abteilung ist 9,18 Prozent, der höchste I 9,78 Prozent. Uebrigens weiden auch die Altpensionäre und Alnvitwen eine Erhöhung ihrer Bezüge erhalten und ebenso eihalten die staatlichen Arbeiter eine Lohnerhöhung.
Präsidentenwahl.
Die Abgeordnetenkammer hat am Samstag den voltsparteilicheil Abgeordneten v. Payer zum sech sten Male was in der Geschichte des württ- Landtags ohne Beispiel ist znm Präsidenten ge wählt, und zwar mit, 59 von 86 Stimmen. Das Zentrum schloß sich von dieser Vertranenskundge bung ans, aber nicht etwa, weil es an der Geschäfts sührung oder an der Person Payers irgendetwas anszüsetzen hatte daß er in jeder Beziehung ein untadeliger Präsident ist, darüber ist alles einig , sondern weil es selbst Anspruch auf die erste
Präsidentenstelle macht. Die stärkste Fraktion ist es ja; aber in dem Streit der MeinunZen neigt inan doch jetzt überwiegend zu der Auffassung, daß nicht die Kopfzahl der Fraktionen allein, sondern die parteipolitische Gesamtlage den Ausschlag gibt. Auch die Konservativen und Bauernbündler im würtsi Landtage haben in der Präsidentensrage das Zentrum im Stich gelassen. Eine Menge Arbeitsstosf liegt dem Landtage schon vor, und ein Berg von Drucksachen hat sich auf die Abgeordneten entladen. Nach dem vom Seniorentvnvent ansgestellten Geschäftsplan werden auch einige kleinere Vorlagen, zunächst die allgemeine Beratung des Etats, erledigt werden, worauf anfangs Februar Verta gung erfolgt und zwar für längere Zeit, nämlich solange, bis die Finanzkommission den Etat und die Vorlage über die BesoldunWreform durchberaten hat.
Aus dem Reichstage.
Der Reichstag hat in dieser Berichtsmoche die zweite Lesung der sogenannten kleinen Strafpvozeß-- resorm erledigt. Es ist dabei ziemlich rasch von statten gegangen, wenngleich man sich mit einem nicht unerheblichen Eifer über Kindermißhandlung, Tierquälerei, Schächlverbot, Noldiebstahl, Bettelei und Landstreicherei und dergleichen unterhielt und dabei den Wunsch offenbarte, hier möglichst human zu verfahren. Am Montag hat der Reichstag die zweite Lesung der heißumstrittenen Reichswertzu- wachssteuer begonnen. Ohne sie kann der Etat nicht ins Gleichgewicht gebracht werden, und ohne sie können die Veteranen nach der Erklärung der Re-, gierung die Beihilfen nicht bekommen, deren sie dringend bedürfen. Der Reichstag har zwar seinerzeit von der Regierung die Einbringung einer Vorlage über die Wertznwachssteuer geradezu verlangt, aber unterdessen ist man von allerhand Bedenken erfüllt worden. Man muß ja zugestehen, daß die Lösung der Frage außerordentliche Schwierigkeiten bietet, aber das ist es nicht allein. Schlimmer ist, daß sich die Interessen und die Interessenten in den Vordergrund geschoben haben. Die Kommission hat nackt langem Hin und Her die Regierungsvorlage in einer Weise vwänderl, daß. der Reichsschatz sekretär eines Gefübls starker Wehmnr nicht Herr werden kann. Zustande kommen wird ja die Zu wachsstener, aber wie sie beschaffen sein und ob sie einigermaßen das werden wird, was sie sein soll und muß, ist fraglich.
Die Versicherung der Privatangesteilten.
Ter lange erwartete Gesetzentwurf über die Pen sions und Hinterbliebenenversicherung der Priva-t- angestellten ist am Montag veröffentlicht worden. Danach werden alle Personen der in Frage kommenden Kategorien versichert, sofern sie das sech zehnte Lebensjahr Vollender und das 60. nicht überschritten haben. Die Gehaltsgrenze, bis zu der die Versicherung Platz greift, ist 5000 Mark. Der Mo natsbeitrag ist in neun Klassen eingeteilt und beträgt: 1.60, 8.20, 4..00, 4.80, 6.80. 9.60, 13.20, 16.60, 20 uud 26 Mark. So erfreulich es ist, daß die Angelegenheit mm endlich bis zu einem Gesetz- enlwurf gediehen ist, jo wenig entspricht der Entwurf den berechtigten Wünschen der Privaiangestell- ten. Insbesondere fällt auf, daß keinerlei Reichszuschuß vorgesehen ist. Es wird starker Verbesse rangen bedürfen, wenn die Privatbeamienversiche- rnng das werden soll, was sie werden muß.
Preuße Landtag.
Der preußische Landtag, der letzthin mit einer ungemein farblosen Thronrede eröffnet worden ist, beschäftigt sich zunächst mit der Etatberakung, und dabei zeigt sich, daß die politischen Fragen, die