Steriei>hi««el.

Ich sehe oft um Mitternacht,

Wenn ich mein Werk getan

Und niemand mehr im Hause wacht,

Die Stern' am Himmel an.

Sie gehn da hin und her zerstreut. Als Lämmer auf der Flur,

In Rudeln auch und aufgereiht Wie Perlen an der Schnur.

Und funkeln alle weit und breit, Und funkeln rein und schön;

Ich seh' die große Herrlichkeit,

Und kann nicht satt mich seh'n.

Tann saget unterm Himmelszelt Mein Herz mir in der Brust:

Es gibt was Bessres in der Welt, Als all ihr Schmerz und Lust!"

Ich werf' mich auf mein Lager hin Und liege lange wach,

Und freue mich in meinem Sinn Uud sehne mich darnach.

M. Claudius.

Gehetztes Wild.

Roman von E. von W i n terfe l d - W a r n o w.

(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)

Tagelang war Leutnant von Tessow mit einem Gefühl von Angst herumgegangen. Er schrak zusammen bei jedem Geräusch.

Doch endlich beruhigte er sich.

Es konnte nicht anders sein: seine erregten Sinne hatten ihm eine Spukgeftalt vorgetäuscht.

Oder vielleicht hatte ihn auch nur eine Aehnlichkeit ge­narrt. Eins jedenfalls war ihm zweifellos klar geworden: seine Liebe zu der schönen Frau war nur ein Rausch ge­wesen, ein Strohfeuer der Leidenschaft, und beides verflog, st länger er in Bremen lebte.

Er hatte im Lüningschen Hause Besuch gemacht.

Der Herr Senator trat ihni entgegen als ein würde­voller, älterer Herr, mit leuchtend frischen Farben, ausrasierlem Kinn und einer sehr stattlichen Haltung. Ruhig und ge­messen wie seine Bewegungen war auch seine Art zu sprechen. Neben ihm erschien Frau Senator Lüning als eine kleine, außerordentlich frische, rundlich-rosige Blondine.

Als er sie erblickte, schoß es Tessow durch den Kopf: So wird Lolo später auch einmal aussehen! Es schien ihm nicht unsympathisch. Sicher war diese Frau Senator ein Frauentypus, mit dem sich leben ließ. Freundlich, tätig, geschickt, nicht gerade hervorragend, im Gegenteil, ein bißchen unbedeutend eher, aber die geborene Hausfrau, ganz auf­gehend in der Fürsorge für Gatte und Kind und außerdem bcauem in ihren Durchschnittsansprüchen, in ihrer Lenkbarkeit.

Vorläufig freilich war Lolo Lüning noch ein unbe­schriebenes Blatt. Es blieb jedenfalls ganz ihrem zukünftigen Gatten überlassen, in ihr die Lebensgefährtin ganz nach seinem Geschmack zu bilden. Sie war weich wie Wachs, ein Kind mit ihren siebzehn Jahren.

Diesen Winter sollte übrigens ihr Debüt in der Gesell­schaft stattfinden ; sie freute sich kindlich auf ihren ersten wirk lichen Ball.

Da es damit aber noch geraume Zeit dauerte, genoß sie ein vorerst anderes, nach ihrer Meinung auch köstliches Ver­gnügen: das Schlittschuhlaufen. Kaum ist wohl noch eine andere deutsche Stadt so begeistert, ihrer Lage nach so ge­eignet für diesen Sport als Bremen.

Rund um die innere Stadt zieht sich ein Ring von breiten Gräben, den ehemaligen Festungsgräben, umrahmt von Wallanlagen, Rasenflächen und Blumenparterres. Diese ehemaligen Festungsgräben tragen im Winter meist eine starke Eisdecke und bilden dann eine stundenweit ausgedehnte, herrliche Eisbahn, vom Stefani-Tor bis zum Osterdeich. Da auch Tessow leidenschaftlicher Schlittschuhläufer war, traf er hier bald mit Lolo Lüning zusammen. Er sprach sie sofort an und bat, sie begleiten zu dürfen. Sie gab mit ihrem strahlenden Lächeln die Einwilligung, und dann sausten sie dahin über die spiegelnde Fläche.

War das köstlich!

War das herrlich! So frisch! So frei! Die Wangen röteten sich, und die Augen glänzten.

Sie plauderten von allem möglichen und lachten oft hell und ungezwungen auf. Tessow war ja auch erst vier­undzwanzig Jahre alt.

Jugend um Jugend!

Schien heute die Sonne besonders hell? Lachte der Himmel besonders blau? Wie köstlich die Landschaft war! Raureif auf Bäumen und Sträuchern; alles sah aus wie mit Zuckerkant bestreut. Goldige Lichter zitterten darüber. Dazwischen tummelten und trieben sich fröhliche und lachende Menschen umher. Jungen, die eine lange Kette bildeten und mit Hurra und Gejohle die einzelnen Schlittschuhläufer

Tchwarzwälder So nntagsblatt.

umzurennen suchten, eleganle Damen, die mit viel Geschmack und Grazie ihre Kreise zogen, Kunstläufer, die Zahlen und Buchstaben in das Eis ritzten und eine Menge Zuschauer um sich versammelten.

Endlich wurde es einsam. Auf dem kleinen Feensee, dem letzten, ganz von Bäumen eingeschlosfenen Teil der Stadtgräben, waren nur wenige Läufer, meist Anfänger, die hier in der Einsamkeit den schönen Sport erlernen wollten Bis hierher war Tessow mit seiner Begleiterin gekommen. Unwillkürlich blieb er stehen und warf einen prüfenden Blick auf sie. Ihre Blicke fielen ineinander. Sie erröteten beide. Tessow erschrak plötzlich bis ins Herz hinein. Was war das, was ihm aus den kindlich offenen Zügen des jungen Mädchens entgegenblickte? Das war mehr als ungeheuchelte Zuneigung das mar Leidenschaft, Liebe.

Das durste nimmer geschehen!

Er konnte doch nicht so rasch vergessen, was hinter ihm lag, was ihn bis in die jüngsten Tage verfolgte.

Mit einem Ruck riß er sich innerlich zusammen.

Mein gnädiges Fräulein/ sagte er plötzlich sehr förm­lich,das Eis ist hier eigentlich sehr schlecht. Ich glaube, wir kehren aus den anderen Teil zurück. Auch dürfte es Ihnen vielleicht zu anstrengend werden, wenn wir so ohne Unterbrechung weiterfahren. Wie wäre es, wenn ich Sie zu ihrer Frau Mutter zurückbrächte, und sie ruhten sich auf den Bänken dort erst ein wenig aus?"

Sie blickte erstaunt und betrübt zu ihm auf. Er wich diesem Blick aus und fügte hinzu, in dem offenkundigen Be­mühen, die schroffe Abweisung zu mildern:Ich habe doch gewissermaßen die Verantwortung für Sie übernommen und trage die Schuld, wenn Ihnen die Anstrengung zuviel wird."

Sie liefen nun eine Strecke zurück.

NclchstagsaLgeordnetrr Schultz,

Luudgerichtsra! i» Brombsrg, wurde zum zweiten Vizepräsidenten de? Deutschen Reichstag? gewählt.

Es lag wie ein Bann auf ihnen, der ihnen die Zungen lähmte. Lolo mochte nun auch nicht länger Schlittschuh lai fen; sie bog ab auf die Nächstliegende Bank. Dort schnallte er ihr die Schlittschuhe ab und hing sie sich über den Arm.

Am Rande des Grabens ging Frau Senator mit einer bekannten Dame spazieren. Sie sah schon ein wenig un­ruhig nach dem Töchterchen aus.

Endlich! Kind, Du bist aber zu eifrig gewesen! So weit darfst du nicht wieder fortlaufen. Ich war schon ganz unruhig geworden."

Aber Mamachen, weshalb denn? Einbrechen kann man nicht mehr, und was sollte mir sonst passieren? Nicht wahr, Herr von Tessow?"

Sie blickte schon wieder harmlos vertrauend zu ihm auf. Die Enttäuschung hatte sie anscheinend bereits ver­gessen. Er war und blieb doch eigentlich noch immer ein riesig netter Mensch!"

Tessow machte eine förmliche Verbeugung.

Gnädiges Fräulein haben ganz recht. Uns konnte wirklich nichts passieren."

Dann klappte er die Hacken zusammen und wollte sich empfehlen.

Er gab ihr nicht die Hand. Eine Verbeugung vor der Frau Senator und Lolo, eine vor der fremden Dame, dann drehte er sich ein Viertel auf der rechten Hacke.

Weiter kam er nicht. Lolo wurde plötzlich von einer- furchtbaren Angst gepackt.

Weiter sagte er nichts ? Nichts von morgen?

Und wann" fing sie an. -

Lolo!" mahnte die Mutter.Adieu, Herr Leutnant! Komm, Kind."

Lolo folgte widerstrebend. Einen langen, sprechenden Blick warf sie zurück. Wie, er sagte wirtlich nichts mehr? Zwei große Tropfen perlten ihr plötzlich aus den Augen.

Das war doch gar nicht nett von ihm, gar nicht! Zornig zerdrückte sie die Tränen hinter dem Schleier und warf den Kopf zurück. Nun würde sie ihn auch morgen dafür gar nicht ansehen. wenn er auf dem Stadtgraben sein sollte. Ganz gewiß nicht!

Er aber wanderte in Gedanken heimwärts. Ihm tat das arme Ding leid, das er hatte betrüben müssen; aber er konnte, durfte doch nicht anders!

Gewiß, er hatte sich ausgezeichnet mit ihr unterhalten. Er hatte sie sogar entzückend gefunden. Aber mehr nein! So wetterwendisch konnte er doch nicht sein! So Hals über Kopf konnte er doch nicht seine Liebe zu der schönen Leonie vergessen. Er ärgerte sich, daß er sich hatte Hinreißen läsien, der kleinen Senatorentochter die Cour zu schneiden und schwor sich, es sollte nie wieder geschehe»

Und doch gaukelte ihr Gesichtchen vor seinen Augen, suchten ihn ihre betrübten Blicke, indes um den kleinen Mund das Weinen zuckte.

Und er murmelte;Eine süße Krabbe ist sie doch!"

So ist das nun mit den Leutnants", sagte Frau Amalie Lüning unzufrieden zu ihrer Begleiterin, Frau Konsul Grabenhorsl.Sind sie auch nur einmal mit den Töchtern länger als fünf Minuten zusammen, gleich ist die Liebelei fertig. Sah das Mädel nicht geradezu verhimmelnd zu ihm auf? Das sollte Papa wissen! Niemals gäbe er seine Tochter einem Leutnant!"

Man soll aber auch nicht gleich überall Gespenster sehen, liebe Amalie", sagte die Frau Konsul.Deine Lolo ist ein so verständiges Mädchen. Die denkt noch gar nicht an Verlieben und Verloben."

Na, das möchte ich ihr auch geraten haben! Dazu zieht man doch sein Kind nicht groß, daß es mit siebzehn Jahren auf und davon geht, gerade wo man angefangen hat, eine Stütze und Hilfe in ihr zu sehen."

Nun, du bist ja noch rüstig genug, Amalchen. Du bedarfst noch keiner Hilfe", meinte Frau Konsul Grabenhorst lächelnd.

Na, aber Lolo"

Pst, sie kommt!"

Lolo war ihnen langsam gefolgt. Sie schlenkerte mit den Schlittschuhen und sah entsetzlich gelangweilt und gleich­gültig aus.

Weißt du, Mama, ein Paar neue Schlittschuhe könntest du mir auch schenken. Man hat jetzt überall Schlittschuhe, die gleich an den Schuhen festgeschraubt sind. Man wechselt auf der Eisbahn einfach die Schuhe. Geht man nach Hause, bleiben die sestgeschraubten Schlittschuhe im Pavillon beim Wärter zurück das heißt natürlich nur", fügte sie etwas elegisch hinzu,wenn ich noch viel laufe! Ich weiß noch gar nicht. Uebrigens, Mama, beinahe hätte ich's ver­gessen, ich wollte noch zu Mimi Redleffen. Ach, da kommt sie ja gerade! Adieu, Mama, adieu, Tante Grabenhorst!"

Sie reichte den beiden Damen eiligst die Hand und ging rasch auf die Freundin zu. Sie hing sich gleich in ihren Arm und ging im Schritt mit ihr weiter. Mimi war LolosIntimste." Ein sehr großes, sehr schlankes, sehr blondes Mädchen. Eigentlich nicht hübsch, aberrassig." Es war ausgeprägt die Raffe der blonden Friesenmädchen, mit den Hellen Augen, die so klug in die Welt blicken, mit den gerade geschnittenen Zügen, in denen so viel Festigkeit liegt. Ihr Vater, ein echter und rechter Seebär, war Schiffskapitän und auch äußerlich ganz der Typus eines solchen. Die Mutter stammte aus dem Jnselort Wyk auf Für, war aber schon seit Jahren tot.

Du, Mimi, wollen wir noch etwas bummeln?" fragte Lolo.

Ja, gern! Die Läden jetzt vor Weihnachten sehen so verlockend und mächtig aus. Du ich darf mir auch als Weihnachtsgeschenk eine Blumengarnitur aussuchen. Da­mit könnten wir übrigens gleich den Anfang machen."

Ja, sein! Aber wofür brauchst du die Blumen ?"

Zur Schaffermahlzeit!"

Was?" Oh, du Glückliche! Freust du dich nicht unbändig daraus?"

Ja, ich freue mich schrecklich! Es war seit Jahren schon mein sehnlichster Wunsch, einmal ordentlich an der Schaffermahlzeit teilnehmen zu können."

Ach, wie ich dich beneide! Du, Mimi, ob-die Offi­ziere unserer Garnison auch eingeladen sind?"

Einige ja! Ich glaube, sie werden zum Tanzen ge­braucht, zum Diner aber nicht, das essen die Herren ganz allein. Uebrigens warum fragst du? Interessierst du dich plötzlich für Offiziere, Lolo? Sieh da, du wirft ja dunkelrot!" schloß sie lachend.

Lolo verspürte die größte Lust, ihr Gesicht am Arm der großen Freundin zu verstecken. Aber das ging wohl auf der Straße nicht gut. Und so sagte sie nur:Ach, bewahre, was du gleich denkst!"

Aber Mimi hatte scharfe Augen und konnle sich auf ihren Scharfblick verlassen. Sie sagte also vorerst nichts weiter, aber sie beschloß, aufzupassen. Sollte wirklich schon an eine ernsthafte Neigung bei ihrer kleinen Lolo zu denken sein? Ja gewiß, für eine Spielerei war die ihr zu schade.

Um das eingetretene Schweigen zu unterbrechen und um Minus Gedanken abzulenken, fragte schließlich Lolo: Was für einen Zweck hat eigentlich die Schaffermahlzeit, Mimi? Man hört so oft davon und weiß doch nicht mehr, als daß es ein ganz alter Brauch ist."

Mimi lächelte.

Für meine kleine Lolo hat das Fest wohl erst In­teresse bekommen, seit ich dort tanzen soll, und seit Offiziere dorthinkommen, wie?"

Ah, geh', du bist unausstehlich!" schmollte die Kleine.

Na, dann hör' zu, ich will dir's erklären. Mir hat's ja mein Vater oft genug erzählt. Also die Schaffermahl­zeit ist, wie du ganz richtig bemerktest, ein uralter Brauch. Früher war sie das Abschiedsessen, das die Reeder ihren Kapitänen gaben, wenn die Weser wieder eisfrei wurde und die Schiffe hinausziehen konnten aufs Meer. Es war das