geblieben, aber zwei Sozialisten außer Briand, die

ihm vordem angehörten, Millerand und Biviani, sind ausgeschieden und auch sonst sind einige Män­ner von politischem Gewicht abgetreten; an ihre Stelle hat Briand Leute berufen, die bisher weniger start yervorgetreten und überhaupt mehr mittel­mäßige Politiker sind. Auf diese Weise ist Briand der allein maßgebende Leiter, und allem, was ge­schieht oder nicht geschieht, wird er das Gepräge geben. Es fragt sich nun aber sehr, ob ein derart zusammengesetztes Ministerium die Macht und die Autorität aufbringen kann, die zur Durchführung der Aufgabe, die es sich gestellt hat, erforderlich ist. Diese Aufgabe besteht, und das ist der kri­tische Punkt, darin, das Streikrecht zwar formell unangetastet zu lassen, aber doch den Staatsange­stellten Unternehmungen, wie den letzten Eisenbah­nerstreik unmöglich zu machen. Briand will, wie aus dem in der Kammer verlesenen Regierungspro gramm hervorgeht, in dieser Beziehung gesetz­geberisch Vorgehen. Das wird heftige Kämpfe ge­ben, und es ist noch sehr die Frage, ob darüber nicht das neue Kabinett Briand aus den Fugen gehen wird.

Tie türkische Anleihe.

Die deutsch-türkischen Anteiheverhandlungen ha­ben sehr schnell zu einem Einvernehmen geführt. Die Türkei bekommt von der deutsch-österreichischen Finanzgruppe zunächst einen Vorschuß, und später soll dann daraus eine feste Anleihe gemacht wer den, deren Höhe auf 1 l Will. türk. Pfund (ein Pfund gleich ca. l d! Mark festgesetzt ist. Diese Form ist für das Finanzgeschäft einmal mit Rück licht auf den Geldmarkt gewählt'worden, sodann aber auch deshalb, weil man den Franzosen immer noch die Möglichkeit offen lassen will, später sich an der Anleihe zu beteiligen. Deutschland hat sich eben keineswegs um die Anleihegerissen", son­dern nt der Türkei nur beigesprungen, weil sich Frankreich anschickte, ihr das Fell über die Ohren zu ziehen, eine Prodezur, der sich die Türken eben widersetzen. Diese sind außerordentlich befriedigt davon, daß Deutschland in dieser Weise einen Be­weis ieiner guten Beziehungen für die Türkei ge geben hat. Höckst unbefriedigt ist man dagegen in Paris, wo man Heu Mißerfolg, den man sich selbst zuzuschreiben hat, gar nicht verwinden kann.

ZUM Erntedankfest.

Wieder einmal sind die Fluren abgeerntet. Same und Ernte, das ist ein bekanntes Bild, lind Loch ist's nicht jedes Jahr dasselbe. Eine gujte, eine mittlere, eine schlechte Ernte, das bedeutet recht tiefgreifende Unterschiede. Diesmal hatte man ob des langanhaltenden Regens recht schlimme Be­fürchtungen, und es ist doch vielfach besser gegan­gen, als man dachte. Auch sind wir glücklicherweise im Gegensatz zu manch anderen Gegenden des deut­schen Vaterlandes vor Gewitter- und Ueberschwem- mungsschäden bewahrt geblieben. Wenn irgend je­mand, so weiß es der Landmann, daß über den Barometern und Wetterkarten eine höhere Wacht waltet, und darum hat gerade auf dem Lande die kirchliche Erntedankfeier ihren besonderen Platz in der Reihe der sonntäglichen Erbauungen. So tlingt's denn an jedem kirchlichen Erntefeste mit, das demütige Bekenntnis: Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währst ewiglich! Die Natur mit ihren wundersamen Kräften und Gaben wird in das Licht einer höchsten göttlichen Gnadenweisheil gerückt. Alle menschliche Arbeit tritt da auck wie von ungefähr in einen höheren, lichteren Gesichtskreis. Daß wir himmelan wan­dern sollen, und daß wir nur Gäste aus dieser armen Erde sind: daß wir dereinst einmal zur Rechenschaft für alles Tun und Denken bereit sein möchten, und daß Gott sich nicht spotten läßt durch einen hochmütigen Kulturtaumel, es sind schließ lich auch Erntetest-Gedanken. Denn: Was wir wir­ken und vollenden, sei ein Same für dein Reich: wenn du wirst die Sichel senden, sei die Ernte groß und reich'.

Landesnachrichlen.

Neuenbürg, ll, Nov. Nach Vorüberfahrl des ersten Zuges talaufwärts wurde vom kontrol­lierenden Bahnwärter in der Nähe des Birkenfel der Wasferhauses ein etwa 55jähriger Mann schwer verletzt aus dem Gleise gefunden. Der herbeigerufene Arzt legte einen Notverband an, und veranlaßte die Ueberführung in das hiesige Bezirkskrankenhaus. Von welchem Zug der Mann überfahren wurde, ist noch nicht festgestellt, der Augenschein ergab aber

Tchwarzwälder To n nt ags bla tt.

unzweifelhaft Selbstmord, der sich dann auch ,-

ter, nachdem die Persönlichkeit durch Vorgefundene Papiere festgestellt werden konnte, bestätigte. Es handelt sich um deu Milchhändler Gustav Katz von Pforzheim, der tags zuvor schon die Absicht, sich das Leben zu nehmen, ausgesprochen haben soll. Die Verletzungen sind so schwer, daß Katz kaum mit dem Leben davon kommen wird.

st Schömberg, OA. Neuenbürg, l l. Nov. In dem Bureau der hiesigen Heilanstalt wurde schon mehrfach eingebrochen und die Tageskasse bestoh­len. Der Täter ist bis jetzt nicht bekannt geworden.

st Horb, ll. Nov. Ans der Staatsdomäne Buch Hof, Gemeinde Nordstetten, OA. Horb, brach gestern nacht l st Uhr Feuer aus, dem ein Futterschnppen zum Opfer fiel. Auch das Dach eineß Nebenge­bäudes wurde angebrannt. Dank der gut funk­tionierenden Wasserleitung war die Gefahr nicht übermäßig groß. Trotzdem wurde heute morgen -1 Uhr die Nvrdstetter Feuerwehr alarmiert.

st Sulz, l l. Nov. In dem au der Horber L-traße gelegenen großen O e k o n o m i e g e b ä n d e (früher Zehntschenem des Hermann Zaißer ist Feuer ausgebrochen, das, genährt durch die in dem Ge­bäude geborgenen großen Futtervorräte, rasend lchnell um sich griff, so daß in wenigen Minuten oas ganze große Gebäude ein einziges Flammen- mecr bildete. Wohl ist das Wohnhaus gerettet, aber es hat durch die eindringenden Wassermassen großen Schaden erlitten und wird für diesen Winter fast unbewohnbar sein. Bein» Einsturz einer Sei­tenwand wären bereits einige Feuerwehrleute unter ihr begraben worden, wenn sie nicbt noch durch einen Seitensprnng sich gerettet Hütten. Das ganze große Gebäude wurde in einen Aschenhanfen ver­wandelt.

h Böblingen, > !. Nov. Als eine Lokomoüve in den neuerstellten Lokomotivschuppen ans dem Bahnhof Weil i. Sch. fahren wollte, erwies sich der schuppen als zu klein. Die Lokomotive wurde am Kamin beschädigt.

st Leonberg, ll. Nov. Die Eltern des aus dem untergegangenen DampferValeria" bedisnstet gewesenen 22 Jahre alten Eugen Albrecbt von Ge- bersheim hatten, wie seiner Zeit gemeldet wurde, gehofft, daß ihr Sohn bei der Katastrophe gerettet wurde. Jetzt ist beim Oberamt die Nachricht eingo- laufen, daß ihr <rohn doch ertrunken ist.

g Zuffenhausen, l l. Nov. Als heute früh kurz vor sieben Uhr die IN Jahre alte Tochter Frida des Werkführers Bitzer von hier, die in Stuttgart in Ltellung war, sich dorthin begeben wollte, er­litt sie in der Ludwigsbnrgerstraße einen Blntstnrz und starb auf dem Transport in die elterliche Woh­nung.

st Stuttgart, l 1. Nvv. Sir Arthur Paget und seine Begleiter wurden heute mittag um 12 Uhr im Residenzfchloß in Gegenwart des Ministerpräsi­denten Dr. v. Weizsäcker in seiner Eigenschaft als Minister der Auswärtigen Angelegenheiten in feier­licher Audienz empfangen.

st Stuttgart, ll. Nov. Der Staatsanzeiger ver­öffentlicht folgende Bekanntmachung des Kabinetts- cheis v. Soden: Nachdem von verschiedenen Seiten die Absicht kund gegeben worden ist, Ihren Majestä­ten dem König und der Königin zu der im kom­men Frühjahr stattfindenden Feier der silber­nen Hochzeit Geschenke zu überreichen und auch an einzelne Hofstetten bereits hierauf bezügliche An­fragen gerichtet worden sind, haben Ihre Maje­stäten. hievon unterrichtet, den Wunsch ausgespro­chen, es möchte bei diesem Anlasse nicht nur von der Darbringung persönlicher Geschenke, sondern überhaupt von allen größeren festlichen Veranstal­tungen und Huldigungen abgesehen werden, was hiermit zu öffentlicher Kenntnis gebracht wird.

st Untcrtürkheim, ll. Nov. Der KollegeSher- loks", genanntHolmes", der dem ,,Sherlok"-Dres- senr Schutzmann Schiller-Untertürkheim zur Aus­bildung übergeben ist, macht dank der unermüdlichen Anstrengungen feines Dresseurs sehr gute Fort­schritte. Bei der in Anwesenheit der Behörden im Schlacht- und Viehhof stattgefundenen Vorführung sämtlicher Polizeihunde der Stadt Stuttgart hat Holmes" seine Aufgabe glänzend gelöst, so daß seine Leistungen trotz seiner erst vierteljährigen Dres­surzeit volle Anerkennung fanden. Bezüglich der Aufnahmen fremder. Spuren, sowie wegen seines ansgebildeten Geruchsinnes, versprichtHolmes" ein würdiger KollegeSherloks" zu werden. Trotz star­ken Regenwetters verfolgteHolmes" unbeirrt dis ihm aufgegebene ältere Spur.

st Eßlingen, ll. Nov. Sicherem Vernehmen nach ist der Reichstagsabgeordnete Professor Wetzet nicht gesonnen, die ihm von dem national- liberalen Wahlkreisausschuß einstimmig angebotene Kandidatur für die nächsten Reichstagswahlen wie­

derum anznnehmen. Diese Nachricht wird nicht nur

un fünfsten Wahlkreise, sondern darüber hinaus n,i Lande und Reiche das größte Aufsehen und Bedauern Hervorrufen. Professor Wetzet ist noch der einzige nationalliberale. Reichstagsabgeordnete Württem­bergs.

st Biberach, l l. Nov. In dem Konditorei- und Spezereigejchäft von Karl Reichte war der Inhalt eines Erdöibehälters ausgelaufen, ein gläserner Spi­ritusbehälter durch die Hitze explodiert und aus einem bis jetzt noch nicht aufgeklärten Grunde in Brand geraten. Als die Frau des Gastwirts zum Schwanen sich zur Ruhe begeben wollte, bemerkte , sie, daß aus dem Laden des benachbarten Gebäudes Flammen herausschlnge'n. Das Feuer, das schon eine ziemliche Ausdehnung angenommen und be­deutenden Schaden verursacht hatte, konnte dann mit Hilfe herbeigeeilter Nachbarn gelöscht werden.

st Waldburg, OA. Ravensburg, l l. Nov. Der Besitzer einer hiesigen Gastwirtschaft, der das An­wesen samt lebendem und totem Inventar erst vor einigen Wochen mit geringer Anzahlung übernom­men und inzwischen von einer Brauerei mit Rück­sicht auf die eingegangene Geschäftsverbindung auf zweite Nachhypothek ein größeres Darlehen erhal­ten hatte, hat in voriger Woche den wertvolleren Teil der Fahrnis versilbert und mit dem Geld in der Tasche das Anwesen wieder verlassen Die Sache soll ein strafrechtliches Nachspiel erhalten.

Tie Kaiferbegegnung in Wolssgarten.

' Egelsbach (Hessen), 11. November. Der Hofson- verzug des Kaisers traf Punkt 10 Nhr ein. Zum Empfang waren der Zar, der Großherzog und Prinz Heinrich erschienen. Nach der üblichen Begrüßung begaben sicb die Fürstlichkeiten nach Schloß Wolfs­garten. Bei der Ankunft im Schlosse wurde der Kaiser von der Zarin, der Großherzogin von Hes­sen und der Prinzessin Heinrich von Preußen emp­fangen. Um ! Nhr fand im Schlosse Hoftafel statt. Um 2 Uhr 57 erfolgte die Weiterfahrt nach Badens Baden.

Die Kronprinzen-Reise.

An Bord des Reichspostdampfers Prinz Lud­wig vom Norddeutschen Lloyd, 11. Nov. (Durch Fnnkenspruch über Suez.» Ans dem Roten Meer ist es verhältnismäßig kühl. Heute abend gab eine holländische Theatergrnppe vor dem Kronprinzen und der Kronprinzessin sowie 200 Passagieren auf dem zur Bühne umgewandelten Promenadendeck eine Wohltätigkeitsvorstellung, die sehr beifällig ausge­nommen wurde. :

Unwetter und Hochwasser.

st Berlin, lt. Nov. (Amtlich.) Durch Schnee- sturm sind im Laufe des heutigen Tages umfang­reiche Störungen im oberirdischen Tele'graphennetz herbeigeführt worden, die erhebliche Telegramm- Verzögerungen im inländischen und internationalen Telegraphenverkehr zur Folge haben werden.

st Berlin, >1. Nov. Der Schneesturm, von dem die Reichshanptstadt und ihre Umgebung heute heimgesucht worden ist, hat besonders große Ver­heerungen in den Waldungen an ge rich­tet, in decken Hunderte von starken Bäumen ent­wurzelt sein sollen. Ans den Wegen und Chaus­seen der Umgegend nxar wegen des Unwetters fast jeder Verkehr unmöglich. Infolge der Störungen im Telegraphen und Tetephonvertehr fehlen nähere Nachrichten. ' l '

st Berlin, l l. Nov. Von den Störungen im Telegraphen und Telephonbetrieb ist am mei­sten in Mitleidenschaft gezogen der Verkehr mit Eng­land, Amerika über Emden, Holland, Belgien, Rheinland und Westfalen.

ss Luxemburg, ll. Nov. In Remich steht, wie ein Blatt meldet, das Wasser der Mosel bis zum ersten Stock der Häuser. Das Postamt steht etwa 40 Zentimeter unter Wasser. Die Mosel steigt noch weiter. Der Generaldirektor der öffentlichen Bauten begibt sich nachmittags nach Remich.

st Bonlogne-snr-Mer, l l. Nov. Während des heftigen Sturmes wurde hier das Schiffe rboot Jnffran beim Hafeneingang von einem Dampfer angerannt und an die Küste geworfen. Die Mann­schaften wurden von einem Rettungsboot ausgenom­men. Das Rettungsboot scheiterte aber und drei Mann ertranken, während elf Mann vermißt wer­den. Ferner sind noch drei andere Fischer­boote u n t e r g e g an g e n. Beim Untergang des einen Und 7 Mann ertrunken u. man befürchtet, daß auch die Besatzungen der beiden anderen Boote ver­loren sind. Auch vier Zollbeamte, die eine Fahrt in See unternommen hatten, werden vermißt.