Tchwarzwälder Sonntagsblatt.
Seine Litewka hatte er aufgerissen, als sei ihm selbst dies bequeme Kleidungsstück zu eng. Seine Hände rissen und zerrten nervös an dem schönen, blonden Schnurrbart, und seine Augen wunderten immer wieder zu einem kleinen Bilde auf dem Schreibtisch, das eine wunderschöne Frau in Gesellschaftstoilette zeigte.
Er halte auch hingehen wollen in die Sitzung. Er halte sie sehen wollen auf der Anklagebank. Er hatte sich selbst ein Urteil bilden wollen, ob es möglich sei, daß sie eine Mörderin war!
Und wenn sie's war, weshalb war sie es dann geworden?
Ein Gefühl des Entsetzens glitt ihm kalt den Rücken hinunter. Aber nein, es war nicht möglich! Es war nicht Lenkbar!
Mein Gott, sie war ja an dem Abend gar nicht zu Hause! Sie war ja in ihrer Angst zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, daß ihr Mann den Brief gesunden, den unseligen Brief, um ihn anzuflehen, ihr niemals wieder zu schreiben. Sie könne und wolle ihren Mann nicht hintergehen. Er habe getobt wie ein Rasender.
Ob sie das sagen würde? Ob sie ihn zum Zeugen an- rufen würde, daß er ihr Alibi beweise? Und was wurde dann aus ihm? Dann war seine Karriere vorbei! Und er hatte doch nichts, nichts sonst auf der Welt! Ein armer Leutnant! Mein Gott, was sollte aus ihm werden!
Aber mußte er sie nicht entlasten?
War's nicht seine Pflicht, offen hinzutreten und zu sagen: „Ich weiß, wo sie in der Zeit war! Sie kann die Mörderin nicht sein!" Aber dann kam der Zweifel, der häßliche Zweifel, und der sagte: „Tat sie's nicht doch? Vielleicht irren sich die Aerzte, welche die Zeit des Todes auf 10 Uhr angaben. Vielleicht starb er erst später. Sie ist ja gleich wieder sortgestürmt von mir. Und wird dann nicht sein Dazwischentreten, sein Name sie doppelt belasten? Jetzt weiß niemand, daß sie wirklich einen Grund hatte, den Mann aus dem Wege zu räumen!
Dann aber?
Und der Zweifel schwieg.
Und wieder kam der brennende Wunsch, sie zu sehen, selbst zu sehen, wie sie aussah, ob sie schuldg war.
Er Halle jedoch-nicht zum Entschluß Hammen können, er hätte ja nicht ruhig dasitzen können unter all den gleichgültigen Menschen, die nur die Lust an Sensation, an Aufregung Hintrieb. —
Und nun rannte er seit Stunden hier auf und ab. — Und die Zeit rückte vor. Er ahnte nicht, ob die Sitzung schon zu Ende war. „Ist sie verurteilt?" Das fragte er sich immerfort. Da wurde unten an seiner Klingel gerissen. Stimmen erklangen.
Sein Bursche wollte den Besucher abweisen. Aber eine joviale, laute Männerstimme sagte lachend: „Nee, mein Sohn, das is nich ! Laß mich man rein! Zu Hause is er, und verleugnen brauchste ihn vor mir nicht."
Und dann tat sich die Tür aus, und ein großer, breitschultriger Mann trat ein, Offizier wie Tessow, aber etwas älter. Lachende, freundliche, blaue Augen, ein rötlicher martialischer Schnurrbart, ganz wenig Neigung zum Embon- point und die lustigste, liebenswürdigste Stimme, die man sich denken kann, das war Hauptmann von Reichenball), so sah Hauptmann von Reichenbach aus.
„Na, sag' mal, alter Junge, was ist denn mit dir? Hockst zu Hause und willst krank sein? Gestern abend nicht beim LiebeSmahl, heute nicht sichtbar, und dein Bursche hält wie ein Zerberus Wacht und will mich nicht mal rein lassen? Aber weißte, das gibt's nicht! Gerade wenn du krank bist, muß man doch sehen, was dir fehlt. Wirklich, siehst schlecht aus! — War denn Doktor Schreier schon bei Dir?"
„Gottbewahre, was soll ich mit dem? — Ein bißchen Kopfweh, nichts weiter!"
„Nichts weiter? Siehst doch höllisch flau aus!"
„Tu' mir den Gefallen und hole mir nur den Schreier nicht! Ich kann die Quacksalberei nicht ausstehen! Erzähle mir lieber ein bischen, dann kommt man auf andere Gedanken! Und warte, ich hole dir ein Glas Madeira und eine Zigarre."
Er stellte beides vor den Freund hin und drückte ihn in einen Sessel. Er selbst behielt sein Marschtempo bei, sprach aber dabei immerfort.
„Weißt du, ist eigentlich nett, daß du gekommen bist! Langweilte mich schon sterblich und wäre wohl noch heute abend ins Kasino gekommen! Na, und nun erzähle! War's lustig gestern abend? Ihr habt den kleinen Rieger fortgefeiert, was?"
Die klugen Augen des Hauptmanns von Reichenbach blickten ihn ernst an. Da war etwas nicht richtig. Diese forcier!r Lustigkeit war Unnatur bei einem Menschen wie Tessow.
Na, er würde es schon herausbekommen!
Und so erzähte er denn umständlich von gestern Abend, von dem Liebesmahl, gab kleine Witze zum besten, sprach von den Vorgesetzten, vom Kommandeur. Dabei hatte er aber die felsenfeste Ueberzeugung, daß der Freund kein Wort verstand von allem, was er redete.
Endlich sagte er: „Hör' mal, mein Junge, könntest du deinen Dauerlauf nicht ein bischen einstellen? Man wird ja ganz dösig von dem ewigen Hin und Her!"
„Ja, gewiß, ja, ich setze mich schon."
Er warf sich in den zweiten verfügbaren Polsterstuhl feiner Wirtin und starrte vor sich hin. Er grübelte immerfort über eine Einkleidung seiner Frage, der Frage, die er stellen mußte, von der, wie er jetzt fühlte, Wohl und Wehe, Leben und Sterben abhing.
Fortsetzung folgt.
Allerlei.
8 Trinket Milch! Ein Merkblatt wirst die Frage aus: Was ist Milch? und beantwortet sie wie folgt: Milch ist flüssiges Fleisch. Denn l. ein Liter Vollmilch ist gleich 200 Gramm Kalbfleisch und zwei Brote mit Butter bestrichen. 2. Gut gewonnene und behandelte Milch verhält sich zur schlecht behandelten wie Fleisch erster Güte zu Freibank- fleifch. 3. Gute Milch ist immer vorteilhafter als geringe Milch, auch wenn sie etwas teurer ist. 1. Milch hat zehnmal soviel Nährwert wie Bier und enthält keinerlei schädliche Stoffe. 5. Milch ist erfrischend. 0. Buttermilch ist ebenso nahrhaft wie Vollmilch, nur fehlt ihr das Fett; sie fördert den Stoffwechsel, ist besonders heilsam bei sitzender Lebensweise. Wie hält sich Milch? 7. Kühl anfbe- wahrt, geschützt vor Ofen- und Sonnenwärme und vor Staub. Wie genießt man Milch? 3. Nie, ohne etwas dazu zu essen. Ein Glas Milch auf einmal in den leeren Magen gebracht, bildet dort einen schwer verdaulichen Käseklumpen. — Ihr lieben Leute, verkaufet doch nicht so viel von eurer Milch oder gar alle! Nähret euch selbst davon, nähret eure Kinder davon! Machet nicht den schlechten Täusch, daß ihr eure köstliche Milch weggebet und etwa das unnütze Bier dafür eintut und gar euren Kindern gebet. Milch gibt gesunde Muskeln und Nerven und feste Knochen!
* Ein „Mädchen für alles" der Pflanzenwelt. Wie mitgeteilt wird, ist nach dem Berichte, den der landwirtschaftliche Sachverständige bei dem deut-
tzrstattel hat, die Erdnuß, die den Vereinigten Staaten jährlich 50 Millionen Mark einbringt, vielleicht die am vielseitigsten verwendbare Pflanze der Welt. Man pflanzt sie nach der Ernte anderer Früchte oder zwischen Mais und erzielt zunächst, daß sie den Boden verbessert. Dis F r ü ch t e werden gegessen, roh oder vom Konditor zuberei- tet, oder es wird aus ihnen eine Butter bereitet. Auch Oel wird aus ihnen gepreßt. Die Abfälle und stehengebliebenen Pflanzen geben ein vortreffliches Biehfutter, die harten Schalen der Frucht Heizen gut, und die zurückgebliebene Asche wird als ausgezeichnetes Düngemittel verwendet. Mehr kann man von einer Pflanze nicht gut verlangen. - '
8 Schutz der Heimat! Zum Schutz von Naturdenkmälern hat ein sächsischer Landrat eine Verfügung erlassen, die Nachahmung in den weitesten Kreisen finden sollte.
Sie lautet: „In den letzten Jahren sind auffallend zahlreiche Fälle bekannt geworden, aus denen geschloffen werden muß, daß der Sinn und die Liebe für die Eigenart und Schönheit alter und-schmückender Bäume weiten Kreisen abhanden gekommen ist.
Außer den Alleen sind es einzeln stehende beachtenswerte Bäume, gegen die neuerdings unter dem Vorwand aller möglichen nichtigen Gründe aus Unverstand oder Geldgier vorgegangen wird. Ganz besonders oft beseitigt man die für das Landfchaftsbild so charakteristischen Pappeln, sowohl die in den Alleen als auch die einzelsiehenden. An manchen Orten hat man sogar die alten Dorflinden nicht verschont. Die Anpflanzung von Obstbäumen an den Wegen ist an sich gewiß sehr erfreulich, aber daneben sollte man
doch die Anpflanzung von anderen Bäumen nicht ganz vernachlässigen. Vor allem aber ist es bedauerlich, wenn bestehende schöne Alleen von Pappeln, Birken usw. den Ohst- bänmen weichen müssen. Es ist oft genug darauf hinge, wiesen worden, welche Schäden unserem Volkstum drohen ivenn die nur materiellen Gesichtspunkte alle anderen in den Hintergrund drängen. Die Gemeindebehörden des Kreises ersuche ich, sich den Schutz der Dorflinden, Alleen und der einzeln stehenden, beachtenswerten Bäume und den Schutzvoy schönem alten Strauchwerk angelegen sein zu kaffen."
Humoristisches.
Sprachgewandt. „Warum wollt ihr denn euren bisherigen Bürgermeister nicht mehr wählen ?" — „Wir möchten halt einen, der mit den Sommerfrischlern hochdeutsch reden kann!"
Zart umschrieben. Frau Kohn (vvr einem großen Gesellschaftsabend zu ihrem Gatten, der stark mit den Händen redet): „Jsidorchen, nur eine Bitte Hab ich au dich — gewöhn dir ab beim Reden die Dirigentenposen!"
Eine Patriotin. „Sie sind wvhl recht patriotisch, Fräulein Rosa?" — „Und wie! Ich werde nur einen Mann heiraten, der dem S:aate viele Steuern zahlt!"
Triftiger Grund. „Warum schimpft denn der Metzger da drüben so auf die Polizei?" — „Ein Polizeihund hat ihm 'ne Wurst gestohlen!
Unverfroren. Weinhänvler: „Wenn Sie den Wein nicht bezahlen können, dann geben Sie wenigstens die leeren Flaschen zurück!" — Schuldner: „Die können Sie haben, was zahlen Sie pro Stück?"
ZU unseren Bildern.
Zum 100. Geburtstage Fritz Reuters.
Am 7. November jäbrt sich zum hundertsten Male der Tag, andern zur Freude seiner Landsleute und aller Deutschen der große plattdeursche Humorist Fritz Reuter zu Stavenhagen in Mecklenburg-Schwerin zur Welt kam. Alle Leser Reuters kennen die wechselvollen Leüens- schicksale des Dichters aus seinen Werken, die fast alle autobiographische Elemente enthalten. Sein Jugendleben in Stavenhagen hat er in „Meine Vaterstadt Stavenhagen" und „Ut de Franzosentid" köstlich geschildert. Die vier schrecklichen Jahre, die er als verurteilter Hochverräter in verschiedenen preußischen Festungen verbrachte, haben in seiner „Fest- ungstid" ein Denkmal erhalten. Die darauf folgende Periode schildert der große Roman „Ut meine Stromtid". Die köstlichsten Episoden dieser und der anderen Werke sind aus Reuters eigenem Leben
entnommen. Auf der Fritz-Reuter-Ausstellung, die anläßlich des Jubiläums in Berlin veranstaltet wurde, sahen die zahllosen Verehrer des Dichters mit Rührung die vielen Erinnernugen, dis uns aus Reuters Leben erhalten geblieben sind. Unsere Bilder stellen einige der Stätten dar, an denen dieser lachende Dulder gelebt und die er in seinen Werken beschrieben hat.
Der Sieger im Gordon-Bennet-Fliegen
ist in diesem wie im vorigen Jahre ein Amerikaner. Der amerikanische Aeronaut Hawley ist mit dem Ballon „America" erst am Penboncalluffe nördlich vom Chilongasee in Kanada gelandet und hat dadurch die Leistungen seiner deutschen Konkurrenten überholt. Außer Hawley befand sich noch der schon oft erprobte Luftschiffer Post in der Gondel des siegreichen Ballons.
Auflösung des Rätsels aus letzter Nummer:
Schimmel.
Verantwortlicher Redakteur: L Lauk, Mensteig.
Eine einfache, aber eindringliche Wiesenbetrachtung.
Zur Erzeugung von 80 ä? Heu pro da benötigt die Wiese unter anderen Nährstoffen etwa 60 üZ Phosphorsäure. Daraus ergibt sich folgende Tatsache: Fehlt auch nur 1 KZ Phosphorsäure an den erforderlichen 60, so sinkt der Ertrag gleich um är Heu. Man ersieht hieraus die große Verwertungskcaft der Wiesen und wie man sich schädigt, wenn man die Phosphorsäure bei der Düngung vernachlässigt. Man gebe daher den Wiesen im Herbst — in Verbindung mit Kaimt — als Anfangsdünzung 6—8 är Thomasmehl pro Im, eine Gabe, die man später auf 4 bis 6 äs ermäßigen kann.
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scheu Konsulate in Chicago an das Auswärtige Ar