Lebenswallsahrt.

Wir sind des Herrn am frühen Lebensmorgen,

Denn seine Hand ist's, die uns .ragt und hält. Vergehn am Mittag müßten wir vor Jorgen,

Wenn wir die Hoffnung auf uns selbst gestellt.

Wie trüb und öde war' es erst am Abend,

Im Dunkel wüßten wir nicht aus noch ein,

Wenn nicht den Trost wir hätten, licht und labend: Im Leben und im Sterben sind wir sein.

Fr. Hammer.

Gehetztes Wild.

Roman von E. von Winterfeld-Warnow.

(Nachdruck verboten.)

Der große Gerichtssaal war bis aus den letzten Platz gefüllt. Im Zuschauerraum drängten die Neugierigen sich Kops an Kopf; man lauschte in ständig wachsender Erregung.

Die schöne Frau Berg stand heute vor den Geschworenen. Sie war angeklagt, ihren Mann ermordet, erschossen zu haben. Ihr Mann war der reichste Hotelbesitzer der Stadt gewesen: die Ehe aber hatte nicht für glücklich gegolten. Man wußte, daß die Frau viel unter den Eisersuchtsan- ivandlungen ihres Gatten zu leiden hatte. Vielleicht nicht ganz mit Unrecht! Allerdings hatte ihm wohl die schöne und j seingedildete Frau keine direkte Veranlassung zur Eifersucht gegeben, umschwärmt freilich wurde sie genug.

Alle Offiziere verkehrten in dem Hotel, und es blieb fraglich, ob sie es nur der guten Weine des Herrn Berg wegen taten. Jedenfalls konnte niemand der Frau etwas nachsagen. Man wußte nur, daß sie ein sehr ruhiges, un­nahbares Wesen hatte. Es hieß deshalb immer, sie sei kalt wie Eis.

Und nun stand sie hier als Angeklagte! Neben ihr, mich auf dem Armsünderbänkchen, saß ihr alter Vater. Er war auf eigene Veranlassung hierher gekommen: er hatte sich selbst dem Gericht als Täter gestellt. Gerade dadurch war die hochgradige Erregung im Publikum hervorgerufen worden. Niemand wollte glauben, daß der alte Förster Erdmann, ein so braver, ruhiger, grnndguter Mensch, ein solches Verbrechen begangen haben sollte und konnte.

Diese Annahme schien auch durch die Verhandlung bestätigt zu werden. Sein Leumund war der allerbeste. Seine Zeugnisse waren tadellos. Weder der Oberförster noch der Forstrat und auch nicht ein einziger seiner Kame­raden wußte etwas Nachteiliges oder Ehrenrühriges gegen ihn auszusagen. Nicht einmal heftig oder jähzornig war er; es lag sonach auch kein Grund zu der Annahme vor, er habe vielleicht die Tat in einer momentanen Aufwallung, im Zorn begangen. Und doch blieb er mit ruhiger Bestimmt­heit bei seiner Aussage, daß er den Schwiegersohn erschossen habe. Er beschrieb den Vorgang mit einer Sicherheit, die nur auf Augenschein beruhen konnte. Sein Bericht lautete:Berg saß im Sofa, ein wenig zurückgelehnt; ich stand am Schrank. Ich wollte mir einen Schluck Korn­schnaps einschenken. Dabei deckte die halboffenstehende Tür des Schrankes meine Bewegungen.

Die Büchse, mit der ich hinausgehen wollte, hatte ich im Arm. Da fing mein Schwiegersohn wieder an, aus seine Frau zu schimpfen; ich verteidigte sie, ein Wort gab das andere, und in der Wut machte ich wohl eine heftige Bewe­gung. Der Schuß ging los, ob ich den Hahn abgedrückt habe, ob er durch einen unglücklichen Zufall losging, ich weiß es nicht ; ich sah nur noch, wie mein Schwiegersohn unmittelbar nach dem Knall nnt dem Kops voran vom Sosa sank. Er war tot."

Nach dieser Aussage hatte sich der ganze Gerichtshof aufgemacht zum Orte der Tat. Das Zimmer, in dem der verhängnisvolle Streit stattfand, wurde genau besichtigt, der Vorgang nach den Angaben des Försters nachgeprüft. Die Aerzte mußten feststellen, ob nach dem Befund der Leiche der Schuß aus jener Richtung gekommen sein konnte.

Es stimmte alles genau mit der Aussage des alten Mannes überein.

Und doch!

Wer ihn ansah, wer das schöne Mannesantlitz mit dem langen, grauen Bart sah, das so unbewegt in die Menge schaute, der hatte nur den Eindruck des festen, treuen, ehr­lichen Beamten, der unter der äußeren Festigkeit die Ruhe eines guten Gewissens verriet. Die Tochter sah ihm ähn­lich; sie hatte die edlen Züge, die schönen, klaren Augen von ihm ; nur war alles weicher, milder, ins Frauenhafte übertragen.

Jedem in der ganzen Stadt war ja die schöne Frau Berg bekannt. Und schon deshalb hatte sich alle Welt zu den Sitzungen gedrängt, so daß Hunderte, die keinen Platz fanden, wieder fortgehen mußten.

Und wie benahm sie sich auf der Anklagebank? Ließ ihr Benehmen ihren Anteil an der Schuld erkennen?

Ihr Gesicht leuchtete weiß aus dem tieffchwarzen Witwenschleier hervor.

Lchwarzwälder Sonn tagsblatt.

Schön wie bei einer Madonna war das Antlitz. Die glatt gescheitelten, schwarzen Haare umrahmten Züge von so holdem Liebreiz, so süßem Zauber, daß jeder versucht war, zu lagen: Tie Frau kann keine Mörderin sein.

Aber ihre Blicke suchten den Boden.

Keine Träne kam in ihre Augen, wenn von dem Toten die Rede war, und sie gab sich auch gar nicht die Mühe, die Geschworenen zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Desto mehr hatte es ihr Verteidiger getan.

Der große, stattliche Mann, der mit solcher Wucht zu reden verstand, dessen Schwung und Begeisterung alle sort- riß, zeichnete ein Bild von dieser unglücklichen, gequälten Frau, das alle Herzen rührte. Uud doch konnte auch er nicht hindern, daß man wobt den Eindruck einer Unglück liehen halte, der alle Herzen zuflogen, nicht aber den Glauben an eine Unschuimge gewann, deren Reinheit sonnenklar vor aller Augen leuchtete.

Glaubte er selbst nicht recht an ihre Unschuld?

Es Land anfangs schlimm für die Angeklagte. Aber da- war ihr Vater gekommen und hatte sich selbst gestellt, hatte jene Aussagen gemacht, die die Tochter völlig entlasteten.

Nun war ja alles klar. Alle Fragen schienen mit einem Male gelüst.

- ----II-----

Die Rede des Staatsanwalts, des öffentlichen Anklägers, war vorbei, auch die Verteiüger hatten gesprochen.

Warum fragte denn der Präsident noch einmal so eindringlich und mit einein Ton von fast väterlichem Ernst in der Stimme:Angeklagte, Sie haben gehört, was Ihr Vater gesagt hat, haben Sie uns nichts mehr mitzuteilen, gar nichts? Besinnen Sie sich! Noch ist es Zeit."

Eine lange Pause folgte.

Atemlose Stille herrschte im ganzen großen Raum. Eine Stecknadel hätte man fallen hören können. Es ivar, als ob jeder den Atem anhielte, um zu lauschen, um auch nicht den leisesten Hauch zu verlieren.

Die schöne Frau stand ebenso regungslos und blickte vor sich nieder. Nur ihre Hände zitterten leise.

Der alte Mann neben ihr sah sie an.

Lag etwas wie Angst in seinen Blicken? Oder war es Hoffnung, die leise aufglimmte ? Das wüßte keiner zu sagen.

Die Panse wurde immer länger, die Spannung drückender.

Da endlich sah sie auf.

Es war der Blick des gehetzten Wildes, des zusammen­brechenden Rehes, mit dem sie aufschautc. Er blieb hängen an dem Kruzifix auf dem Richtertisch und glitt dann lang­sam zu den ernst-gütigen Augen des Präsidenten hinauf.

Dann klang es leise, aber deutlich von ihren blassen Lippen:Ich habe nichts zu sagen."

War es da nicht, als ob der alte Mann zusammen­zuckte, als ob die markige Gestalt, der man das Leben in Wald und Feld, die Kernnatur des Jägers ansah, völlig in sich zusammensiel?

Es war nur ein Augenblick; vielleicht trog auch der Schein; jetzt stand er wieder aufrecht und fest.

Dann ertönte wieder die Stimme des Präsidenten:So bitte ich die Herren Geschworenen, sich zurückzuziehen."

I

Alle erhoben sich und schritten zum Nebenraum, um über die Abstimmung zu beraten.

Es wurde eine lange Debatte. !

Endlos schien sie den Wartenden, den beiden Angeklag-i ten und dem harrenden Publikum.

Man sprach erregt durcheinander. Ter Alte hatte es nicht getan, bestimmt nicht! Aber sie, war sie denn schuldig? Tie meisten behaupteten ebenso bestimmt: Nein, sie konnte) eine so furchtbare Tat nicht begangen haben, sie war unschuldig.!

Andere sagten:Dennoch, sie tat's! Nur ihre Schönheit besticht das Publikum. In ihrer Seele aber sieht's anders aus. Sie ist ein Teufel in Engelsgestalt, die äußerlich Sanften und Frommen sind die schlimmsten." -

Endlich, endlich tat sich die Türe auf. Der Zug der Geschworenen erschien. Die Angeklagten wurden herernge-! führt. Die schöne Frau befiel ein nervöses Zittern. Sie mußte sich setzen Die Füße trugen sie nicht mehr.

Der Vater stand aufrecht die ganze Zeit. Unbewegt ruhten seine Augen auf den Gegenständen direkt vor ihm. Zu sehen schienen sie nichts.

Die Angeklagte riß erregt an ihrem Taschentuch, und aus ihrer Lippe stand ein schwerer Blutstropfen

Ihr Verteidiger trat besorgt einen Schritt näher. Würde sie ohnmächtig zusammensinken?

__ Aber nein! Sie hielt sich

Z aufrecht.

Dieselbe atemlose Stille trat ein wie zuvor. Alle die er­regten Stimmen verstummten. Der Obmann der Geschworenen ergriff das Wort und ver­kündete das Urteil, das aus Freispruch der Angeklagten, Frau Berg, lautete, den Förster Erdmcnzn aber der Tat schuldig sprach, doch nur schuldig des Totschlags unter mildernden Umständen, nicht des Mordes.

Man nahm fahrlässige Tötung an und verurteilte ihn zu dem mildesten Strafmaß, zu vier Jahren Gefängnis.

Der Verurteilte zuckte zu- ; sammen.

Eingesperrt! Er, im engen Gefängnis! Er, der gewohnt war, frei in seinen Wäldern zu streifen, der gewohnt war. Tag und Nacht dem Leben der Natur nachzugehen! Würde er das ertragen ? Würde er nicht zusammenbrechen unter der Qual, der Entbehrung?

Aber als der Präsident ihn fragte:Angeklagter, er­klären Sie sich einverstanden mit dem Strafmaß, oder legen Sie Berufung ein?" da klang seine Stimme wieder laut und fest:

Ich nehme die Strafe an!" Ein Schrei ertönte, ein wahn­sinniger, markerschütternder Schrei von den Lippen der Tochter, in der nächsten Minute lag sie schluchzend und bebend in den Armen des Vaters.

Der Verteidiger trat zu ihr und sagte leise:Frau Berg, kommen Sie. Ich führe Sie hinaus. Geben Sie kein Schauspiel. Fassen Sie sich."

Der Förster löste sanft ihre Hände von seinem Halse und legte ihren Arm in den des Rechtsanwalts.

Auch in seinem wetterharten Gesicht zuckte es, und seine Augen glänzten feucht.

Der Verteidiger, Doktor Sturmvogel, ergriff mit fester Hand ihren Arm, drückte ihn in den seinen und führte die schöne Klientin nicht ohne Anwendung eines sanften Zwanges hinaus zu der draußen haltenden Droschke.

Dann strömte auch das Publikum aus den Türen, um sich allmählich zu verlaufen.

Die Tränen der schönen Frau waren versiegt. Erschöpft, apathisch lehnte sie in der Ecke des Wagens und starrte vor sich hin. Draußen goß der Regen mit einförmigem Geräusch. Sie sao es kaum. Auch ihr Begleiter saß schweigend neben ihr.

Was sollte er eigentlich denken? Weshalb war sie so außer sich? Weil der Vater verurteilt, weil er eiu Mörder war ? Oder weil sie selbst doch die Schuldige war?

Vor ihrem Hause hielt die Droschke. Er half ihr aus­steigen. Sie reichte ihm ihre eiskalte Hand, die matt in der seinen lug, und schüttelte den Kopf zu seiner Frage, ob er ihr noch irgendwie dienen könne. Dann schritt sie langsam, wie schwankend, die Treppe hinan und trat in ihr Schlaf­zimmer ein.

Sie hatte noch so viel Kraft, die Tür zu schließen, dann brach sie vor ihrem Bett in die Knie und lag dort lange bewußtlos, regungslos, wie tot.

Zu derselben Zeit, als die Gerichtsverhandlung stattfand, schritt in seinem Zimmer der Leutnant Alexander von Teffom ruhelos 'auf und ab.

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