Tchwarzwälder Sonntagsblati.

Der neue Botschafter in Paris.

Der neue deutsche Botschafter in Paris, Frtzr. v. Schön, hat am Samstag dem Präsidenten der französischen Repccbtik sein Beglaubigungsschreiben überreicht, und das ist nicht ohn^ schöne Anspra cyen vorübergegangen. Frhr. v. L>chön bezeichnete es als seine Ausgabe, die guten Beziehungen, die in so glücklicher Weise zwischen Deutschland und Frankreich beständen, zu erhalten und zu befestigen und die schon so zahlreichen gemeinsamen Interessen zu fördern. Auch sprach er im Austrage des Kai­sers dessen Achtung und Sympathie für die Person des Präsidenten und die Wünsche für die Wohl­fahrt Frankreichs aus. Präsident Fallieres erwiderte ebenso freundlich und versicherte, daß, das, was der Botschafter sagte, auch den Absichten der franzö­sischen Regierung und der Republik entspräche. Nun wünscht gewiß in Deutschland alle Welt ein gutes Verhältnis zu Frankreich, aber es scheint, daß man in Berlin noch mehr wünscht, daß man dort trotz aller schlimmen Enttäuschungen immer noch glaubt, Frankreich durch Liebenswürdigkeitenversöhnen" zu können. Wir werden ja sehen, wohin das führt. Bisher haben alle Liebenswürdigkeiten die fran­zösische Politik nicht abgehalten, ihre Wege zu gehen, die vielfach ganz anders waren als unsere Wege.

Berliner Ausschreitungen.

In Berlin ist seit den Moabiter Unruhen fort­während eine Spannung vorhanden, die sich bei jeder Gelegenheit in Zusammenstößen zwischen dem Pöbel und der Polizei entladet. So ist es am Sams­tag und Sonntag im Berliner Norden, am Wed­ding, im Zusammenhang mit einem Fleischergesel­lenstreik bei einem Meister (ein Geselle hatte näm­lich an drei Montagenblau" gemacht und war in­folgedessengemaßregelt" worden« zu ernsten Un­ruhen gekommen, wobei die Polizei, die in großer Zahl aufgeboten werden mußte, von ihren Waffen Gebrauch machte. Unterdessen hat man im sozial­demokratischen Lager eingesehen, daß diese Vorgänge den sogenannten Scharfmachern das Wasser auf die Mühle treiben, nnd so ist denn, was schon viek früher hätte geschehen müssen, an die sozialdemo­kratischen Arbeiter in Berlin die Aufforderung er­gangen, sich von alten Ansammlungen aus den Straßen fernzühalten und Ausschreitungen ent­gegenzuwirken.

Stürmische Tage in Frankreich.

In Frankreich hat es in dieser Berichtswoche politisch bewegte Tage gegeoen, und es hätte wenig gefehlt, so wäre das Ministerium Briand gestürzt worben. Die Deputiectenkammer hat nämlich so­gleich nach ihrem Zusammentritt eine Debatte über den Eisenbahnerausstand begonnen, und dabei ist die Regierung hart angegriffen worden, namentlich auch der Kabinettschef Briand, der ehedem ein ganz roter Sozialist war und für Generalstreik und andere ^evolutionäre Dinge eintrat, nun aber, da er an der Spritze der Regierung steht, außerordentlich staatserhaltend" ist und gefährlichen revolutionä­ren Unternehmungen, wie es der Eisenbahneraus­stand war, mit der ganzen Energie, deren er fähig ist, entgegentritt. Nun setzten dem Ministerium seine offenen und verkappten Gegner scharf zu, zumal Gerüchte umgingen, daß in der Regierung selbst in Bezug aus die Haltung gegenüber dem Eisenbahner­streik keine volle Uebereinstimmung geherrscht habe und herrsche. Ministerpräsident Briand verteidigte indessen die Haltung der Regierung mit der größ­ten Entschiedenheit und nahm für sie in Anspruch, daß sie das Land aus einer großen Gefahr ge­rettet habe, der größten, die es seit 30 Jahren für die Republik gegeben habe. Er erklärte, daß dabei mit völlig gesetzmäßigen Mitteln vorgegan- gen worden sei, fügte aber hinzu, daß unter Um­ständen die Regierung auch zu ungesetzlichen Mit­teln hätte ihre Zuflucht nehmen müssen. Diese Aeußerung aber entfesselte einen beispiellosen Lärm, und batte man nicht die Sitzung abgebrochen, so wäre das Ministerium unfehlbar gestürzt worden. Bis zum nächsten Tage aber hatte sich die Situation geänt ri. Manche waren doch bedenklich geworden, ob sie aus diesem Anlaß gegen die Regierung stimmen sollten. So erhielt die Regierung schließ­lich mit großer Mehrheit das verlangte bündige Bertkmensvotum. Briand ist also auch diesmal Herr der Situation geblieben, aber man muß abwarten, ob nick« seine Stellung doch einen Stoß bekom­men hat.

Wir verweisen unsere Leser auf die heute beginnende hochinteressante Erzählung:

Gehetztes Wild.

VE" Bestellungen auf unsere Zeitung werden fortgesetzt entgegengenommen.

Znrn Reforrnationsfeft.

Freudigen Herzens und erhobenen Hauptes steht das evangelische Volk in Deutschland zu den Männern, denen es seine geistige Befreiung im 16. Jahrhundert verdankt. Der Papst hat versucht, ihr Andenken zu beschimpfen, was hat er erreicht ? Daß es bei allen, die sich irgendwie zum Protestantis­mus rechnen, erneuert wurde. Kundgebungen von einer Einmütigkeit und Wucht, wie sie aus evange­lischem Boden selten sind, haben Freund und Feind gezeigt, daß die Protestanten nicht bloß zu dis­kutieren und zu streiten, sondern auch zu beken­nen und zu handeln wissen. War es uns, die wir durch so viele und große innere Gegensätze geschie­den sind, nickt rvie eine freudige Entdeckung, als wir merkten: Wenn der Feind uns bedroht, sind wir einig?

Diese Einigkeit zu pflegen, auch dann, wenn kein gellender Kriegsruf über die Alpen tönt, scheint uns die vornehmste Aufgabe der Gegenwart zu sein. Der ausgesprochene kirchliche und bewußt kulturelle Protestantismus müssen sich näher treten. Bisher kam von dort die Klage über Abfall, von hier der Borwurf der Rückständigkeit. Jener vergaß, daß mit der Reformation selbst das Recht gegeben ist, alle religiösen Indizien, auch die protestantischen, selbst, aus ihre Haltbarkeit zu prüfen; dieser über­sah, daß der Fluß der protestantischen Kultur ver­sandet, wenn die Quellen evangelischen Glaubens verstopft werden. Wie können aber zwei Geistes- ricbtnngen, die nun schon über ein Jahrhundert mit­einander im Kampfe liegen, einander näher treten, ohne daß die eine sich der andern unterwirft? Auch hier muß der gemeinsame Feind uns den wichtigsten Dienst leisten. Die Einbuße, die durch ein gestei­gertes Erwerbs- und Genußleben unser Volk er­leidet an sittlicher nnd körperlicher Kraft, ist wahr­haftig groß genug, um alle Ernstgesinnten ans den Plan zu rufen. An Gelegenheit, die Volks; chäden zu bekämpfen, fehlt es nicht. Die Innere Mission hat den Feldzug begonnen: eine reich entwickelte humanitäre Wohlfahrtspflege ist ihr nachgefolgt, und kräftig ertönt in unseren Tagen der Ruf zur nn mittelbaren Arbeit in der Gemeinde. Im gemein­samen Ringen um die Gesundung der Volksseele könnten sich noch viele finden, die heule einander nickt verstehen; mancher Freisinnige wäre erstaunt über die Unbefangenheit und Wsitherzigkeit, wie der freie orthodoxe Gegner den realen Verhältnissen gegenübersteht, und mancher Altgläubige würde sich wundern über den selbstlosen Idealismus von Män­nern, denen er keinen Glauben zugerrant hat. Ist es nicht beschämend, daß der Kirche des römischen Papsttums heute die Arbeitskräfte ans der gebildeten Männerwelt leichter zur Verfügung stehen als der Kirche des allgemeinen Priestertums! Dis Refor­mation hat uns noch große Aufgaben hinterlajsen: es ist Zeit, sie kräftig an- znfossen!

Landrsnachrichten.

* Im

Akt«rM«ig, 8. November.

Unterhaltungsteil unserer jeweiligen Sonntagsausgabe bringen wir von heute ab wieder eine größere Erzählung unter dem TitelGehetz tcs Wild", Roman, von E. v. Winterseld-War- now, zum Abdruck. Getreu unserem Grundsatz, fin­den Unterhaltungsteil unserer Zeitung nur in jsder Bezichuug einwandfreie Arbeiten aus der Feder be­ster deutscher Autoren zu erwerben, bieten wir auch mit diesem Roman unseren verehrt. Lesern etwas wirklich Gediegenes, eine Handlung voll fesselnder Spannung vom Anfang bis zum Schluß, die wir deshalb nur bestens empfehlen können.

Pfalzgrafenweiler, 5. Nov. (Korr.: Am Don­nerstag ist endlich nach lang vorhergegangenen Ver­handlungen di? hiesige Straßenbeleuchtung beschlossen und mit dem hiesigen Elektrizitätswerk vereinbart worden. Es wird hier einem lange ge­hegten Wunsch der Gemeinde Rechnung getragen, zumal viele Teile des Orts unbeleuchtet waren und

di? Interessenten immer wieder auf elektr. Beleuch­tung vertröstet wurden. Die Anlage soll las 1. Mai im Betrieb sein. , '

st Tübingen, 4. Nov. Ein orkanartiger Sturm wütete auch hier die ganze Nacht und richtete an Tackern und Bäumen verschiedentlich Schaden an. Neckar und Steinlach führen wieder mehr Wasser. Hoffentlich steigt das Wasser nicht wieder w, daß die Korrektions- und Stauwehrarbeiten noch ein­mal geschädigt n. aufgehalten werden. - Der Han- detsverein hat sich an die Stadt gewandt, ob nicb! durch eine Verlängerung der Automobilverbindung von Eckterdingen-Weil bis Tübingen der Verkehr, der durch di? Böblinger Bahn, die ja leider 1-2 Kilo­meter vor Tübingen endet, von hier abgezogen wird, wenigstens znm Teil hierher gelenkt werden

l könnte. An eine Verlängerung der Bahn bis Tüb­ingen ist ja nicht zu denken.

ss Reutlingen, 4. Nov. Der Gasarbeiter Barch von Ealmbach, der aus der Haltestelle Unterhau- jen die Katharina Reinhardt, als sie im Begriff war, in den Zug einzusteigen, 'zu erschießen suchte nnd auch ins Gesicht getroffen hat, wurde hier verhaftet. Barth wollte ein Liebesverhältnis beginnen, sah sich aber zurückgewiesen und handelte im Aerger hierüber.

st Ehningen, OA. Böblingen, 4. Nov, Der Far- renwärter Brommer wurde durch ein wild geworde­nes Exemplar feiner Pfleglinge mit den Hörnern so zugerichtet, daß er bald darauf seinen inneren und äußeren Verletzungen erlag.

st Ulm, 4. Nov. Morgen trifft der König zur Einweihung der neuen evangelischen Ga rnis onski. rche um 9.50 Uhr vormittags hier ein. Die Rückreise nach Stuttgart erfolgt 1.2.05 Uhr nachmittags. Empfang nnd Begrüßung er­folgt vor dein Hauptpvrtal der Kirche.

ss Friedrichshafen, 4. Nov. Der 17 Jahre alte Buchhalter Georg Geiger von Riedlingen, dem im Kurgartenhvtel hier die Führung der Kasse anver­trant war, ist spurlos verschwunden nnd mit ihm der Kassenbestand von etwa 950 Mark. Wohin sich der jugendliche Defraudant gewendet hat, ist noch nicht bekannt.

ss Hannover, 4. Nov. Die Verhandlungen zwi­schen den Hannoverschen Zementwerken nnd der mit­teldeutschen Gruppe der Z e m e n ti n d n stri e, die gestern hier stattsanden, führten in der späten Nacht noch zu einer Verständigung auf der Basis der Preisko n v e nt i o n.

Zar Nikolaus am Kaiserhofe.

si Berlin, 4. Nov. Mit Rücksicht auf den Cha­rakter des Besuches des Kaisers am kaiserlichen Hofe werden nach Vereinbarung der beiden Souveräne feierliche Anreden bei der heutigen Galatafel nicht prsolgen.

st Neues Palais bei Potsdam, 4. Nov. Kai­ser Nikolaus von Rußland besichtigte nach dem Frühstück noch mit dem Kaiser den kaiserlichen Automobilpark. Den Tee nahm Kaiser Nikolaus bei Ihren Majestäten.

st Neues Palais bei Potsdam, 4. Nov. Heute abend 6 Uhr fand in der Jaspisgalerie des Neuen Palais Galatafel beim Kaiser und der Kai­serin statt. Zur Taset führte der Kaiser von Rußland die Kaiserin, Kaiser Wilhelm die Prinzessin Eitel Friedrich. Bei der Tafel saß Kaiser Nikolaus zwischen der Kaiserin und dem Kaiser. Rechts von der Kaiserin folgten Prinz Eitel Friedrich, Prin­zessin Viktoria Luise, Prinz Adalbert und links vom Kaiser die Prinzessin Eitel Friedrich, Prinz August Wilhelm sowie Prinz Oskar. Dem Kaiser von Ruß­land gegenüber saß der Reichskanzler zwischen dem russischen Botschafter Graf v. d. Osten-Sacken und Baron Fredericksz. Geladen waren ferner die Staatssekretäre von Kiderlen-Wächter und v. Tir- pitz, sowie der Vertreter des russischen Ministeriums des Aeußern v. Sasonow. Prinz Karl von Hoheu- zollern und Prinz Georg von Griechenland wären ebenfalls zugegen.

Ausländisches.

st Brüssel, st. Nov. Der deutsche Kaiser hat ans Anlaß seines Brüsseler Besuchs dem Bürger­meister von Brüssel, Max, dreitausend Francs für die Armen der Stadt übermittelt.

st Madrid, 4. Nov. Die Regierung ist ent­schlossen, die große Kundgebung, die für mor­gen im Anschluß an den Zug der Ausständigen von Sabadell nack Barcelona geplant ist, selbst mit Ge­walt zu verhindern.

Die Eröffnung des Parlaments der südafrika­nischen Union.

st Kapstadt, 4. Nov. Im Beisein des Herzogs und der Herzogin von Connought, der Prinzessin Patricia, des Lords Gladstone und Gemahlin fand die feierliche Eröffnung des Parlaments der süd­afrikanischen Union statt. In seiner Eröffnungs­rede. gab der Herzog von Connaught dem lebhaften Bedauern des Königs Ansdruck, daß ihm nicht das Vergnügen vergönnt fei, Südafrika zu besuchen. Der König wisse sehr wohl, daß das Land schmerzliche Prüfungen durchgemacht habe und daß Mißverständ­nisse und Streitigkeiten Unglück über das Land ge­bracht haben. Aber das altes sei in der Vergan­genheit begraben und friedlich beigelegt. Der Kö­nig sei überzeugt, daß alle Südafrikaner ehrlich an der Wohlfahrt dieses großen und schönen Landes mit arbeiten wollen und rufe die Gnade Gottes an, daß die Union für alle eine dauernde Wohltat fei nnd zur Wohlfahrt und zum Gedeihen Südafrikas und des britischen Reiches beitragen möge.