Fernsprecher Nr. 11.

1877.

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Schwarzwälder Sonntagsblatt.

»r. 860.

Verlag u. Druck der W. Rieker'schen Buchdruckerei (L. Lauk), Altensteig.

Samstag, ds« 5. November

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Wochen-Runvschau.

Aus dem Parteileben.

Die Konservativen in Württemberg haben am letzten Freitag, dem Apostelfeiertag Simon und Judä, in Stuttgart wieder einmal eine Landesver- jammlung abgehatten, und man ist so daran er­innert worden, daß es in Württemberg noch eine besondere konser. Parteiorganisation gib:. Das war allmählich etwas in Vergessenheit geraten, da die Konservativen durchweg mit dem Bunde der Land­wirte Zusammengehen und diesem die Führung in allen Stücken überlassen. Jetzt legt man allerdings, wie es scheint, Wert daraus, die Selbständigkeit der konservativen Partei, die allerdings mehr eine formelle, als eine tatsächliche Selbständigkeit ist, zu betonen. Hauptredner ans der Srnttgarter Lan- desbersammlnng war kein geringerer als der Abg. v. Heydebrand und der Lasa, der oberste Partei ches, derungekrönte König von Preußen". Er war eine starke Zugkraft und bewirkte, daß eine statt­liche Versammlung zusammenkam. Man muß es Herrn v. Heydebrand lassen, daß er sich in seinen: Auftreten den besonderen Verhältnissen geschickt an znpassen verstand. Da war nichts Junkerliches, Ostelbisches, nichts von einen: reaktionären Macht Politiker zu sehen. Er wies es weit von der Hand, daß die Konservativen in Preußen und Deutschland herrschen und herrschen wollen, sondern stellte es als Ziel aus, daß in Deutschland nicht ohne Rück­sicht auf die Konservativen und nicbt gegen sie le­giert werden könne. Die konservative Partei müsse eine wahre Votkspartei werden und dürfe keine einseitige Politik im Dienste von Interessen trei­ben. Es wäre eine Borniertheit, zu glauben, daß wir einen reinen Agrarstaat haben könnte«:, das wäre geradezu ein Unglück für Deutschland. Wenn die Industrie im Reichstage nicht jo vertreten sei, wie sie verlangen könne, so liege das eben daran, daß die großen Städte im Besitze der Sozialdemo­kratie sind. Wenn es der Landwirtschaft in den letzten tt 10 Jahren besser gehe, so gehe es doch auch den: Handel und der Industrie nicht schlecht. Dagegen sei der Mittelstand übel daran. Die So­zialdemokratie sei, so setzte Herr v. Heydebrand aus­einander, in Süddeutschland besonders gefährlich, weil sie durch ihre Mitarbeit das Gefühl für die wahre Gefahr abstnmpfe. Von: Liberalismus sagte der Redner, daß er es an und für sich bedauern würde, wenn der Liberalismus aus den: politi­schen Leben ausgeschaltet werden sollte, denn er sei der Meinung, daß es auch noch andere Meinun­gen als konservative geben könne. Aber mit den: Liberalismus sei nichts zu machen, besonders nicht mit dem süddeutschen. Es sei unter Umständen schwer, einen Volksparteiler von einen: Sozial­demokraten zu unterscheiden, und man werde kon­servative Wähler schwer dazu bringen, einen sol­chen in der Stichwahl zu unterstützen. Was die Ra tionalliberalen betrifft, so bedauerte Abg. b. Heyde- brand, daß die .Konservativen nicht in einem besseren Verhältnis zu ihnen stehen, aber das sei nicht die Schuld der konservativen. Der konservative Führer spottete über die Nationalliberalen, indem er ans- sührte, es sei schwer, zu sagen, was die National- liberale Partei eigentlich wolle. Man könne nicht rechts und dann wieder links und dann weder rechts noch links gehen; das möge ja mit dem Wesen der Nationalliberalen Partei eng verbunden sein, aber es sei nicht geeignet, das Vertrauen eines Dritten zu erwerben. Es scheine ja den Nationalliberalen nicht angenehm zu sein, die Unterstützung der Konser bcitiven zu finden, dagegen würden sie sich die Frei­heit nehmen, wo es ihnen passe, die Konservativen

anzugreisen und sie nur ihre L-itze zu bringen. Das sei ein Zeichen' von Gemüt, ermutige aber einen Dritten nicht. Im klebrigen versicherte der Red­ner, daß ein festes Bündnis zwischen den Konser­vativen und dem Zentrum nicht bestehe, sondern daß man nur da, wo die beiderseitigen Interessen zu- jammensallen, znsammengehe. Dem evangelischen Standpunkt werde dadurch nichts vergeben; diesen würden die Konservativen, so versicherte Herr v. Heydebrand, vertretenbis zun: letzten Atemzuge." Schließlich bekam die Regierung auch noch ihr Teil. Der konservative Führer tadelte ihre Untätigkeit, na­mentlich auch in der Verteidigung der Steuerreform gegen dieHetze". Die Regierenden müßten wissen, was sie wollen, und sie müß'en herauStreten, dann würden sie auch die Parteien hinter sich haben. Abg. Heydebrand sieht der Zukunst mit Sorge ent­gegen und meint, die Stunde werde kommen, wo wirum unseren Herd, um unser Eigentum, um unsere Familie, um die Kultur, um unser eigenstes deutsches Selbst zu kämpfen haben werden". So schlimm ist es ja nun freilich doch nicht. Die parteipolitische Tendenz der konservativen Landes­versammlung war, auf die Nationalliberalen zu wirken. Der württ. Parteivorsitzende Abg. Kraut, der den Landtagsbericht erstartete, streckte den Na tionalliberalen mit einer gewissen Wärme die Hand entgegen und bemühte sich in: übrigen, die Verbin­dung der württ. Konservativen mit dem Zentrum und ihre Abhängigkeit von diesen' in Abrede zu stel­len. Aus die Nativnalliberalen hat nun, wie sich zeigt, die Aufforderung zur Wiederannäherung an die Konservativen keinen Eindruck gemacht. Der Par teinorsitzende der württ. Nationalliberalen. Abg. Kü­bel, hak die Reden des Landtagsabg. Kraut und des Abg. b. Heydebrand und der Lasa ans der Landes- versammlnng der württ. Konservativen prompt mit einer deutlichen Absage beantwortet. Man habe ja den Na tionalliberalen manches Angenehme gesagt, und aus den Worten des Abg. Kraut sei geradezu ein Unterron von Heimweh nach den Nationallibe­ralen zu hören gewesen. Aber die Konservativen sollten nur erst aus ihren Worten Taten machen; entsprächen ihre Taten einmal ihren Worten, so werde sich auch wieder einmal ein freundlicheres Verhältnis anbahnen lassen. Für den Augenblick sm ein solches Verhältnis ausgeschlossen. Aber die Not der Zeit, der Kampf gegen die Sozialdemo­kratie werde wohl dazu führen müssen, daß die bürgerlichen Parteien wieder Zusammengehen. Vor­aussetzung dafür sei, daß die Konservativen den Liberalen den Platz an der Sonne gönnen, ans den sie Anspruch zu erheben haben, llnd der Führer der Württemberg. Jnngliberalen, Rechts­anwalt Dr. Wölz-Stuttgart, erklärte dieser Tage in einer Rede zu Rottweil, die jetzige Lage verlange, daß man nicht bald nach rechts, bald nach links laviere, bald gegen die Rechte alle Kräfte ein­schließlich der Sozialdemokratie ans den Plan rufe, bald aus Angst vor der Sozialdemokratie zur Samm- lnngsparole greife. Vielmehr müsse die national- liberal? Pgrtei, was namentlich die Jnngliberalen verlangten, durch bestimmte Opposition gegen den schwarzblanen Block eine Besserung der politischen Verhältnisse herbeizuführen suchen. Diese Aufgabe sei nur zu lösen beim engsten Zusammenschlüsse der beiden liberalen Parteien. In Württemberg scheint dieser Zusammenschluß nun gesichert zu sein. Wenigstens ist berichtet worden, daß die Verhand lungen der beiderseitigen Parteileitungen, der na­tionalliberalen und der volksparteilichen, über ein gemeinsames Vorgehen bei den Wahlen in allen Hauptpunkten zu einer Verständigung geführt haben. Eine offizielle Bestätigung liegt nocb nicht vor, da inan es für zweckmäßig hält, möglichst wenig über

diese Dinge zu reden. In diesem Zusammenhänge mag noch erwähnt werden, daß im Wahlkreise Ba­lingen Konrad Haußmann und im Wahlkreise Heik- bronn Friedrich Naumann wieder als Reichstags- kandidaten aufgestellt worden sind. Ebenso wird Herr v. Payer in Reutlingen-Tübingen wieder kan­didieren. Auch in anderen Wahlkreisen beschäftigt man sich mit den Kandidatenfragen.

Bethmamr HollwegsProgramm".

Die Regierung des Herrn v. Bethrnann Hollweg hat nun endlich ein Verlangen des schwarz-blauen Blocks erfüllt, das immer wieder und immer hef­tiger laut geworden ist. Sie hat sich nämlich zu einer Verteidigung der Reichsfinanzreform aufge­schwungen, die allerdings zunächst nicht besonders kraftvoll ausgefallen ist und darum den Anforde­rungen der Rechten nicht ganz genügt. Die Nordd. Allg. Ztg. hat nämlich in ihren: letzten Wochen­rückblick zu wissen getan, daß es gelungen ist, den Rkichshaushaltetat ins Gleichgewicht zu bringen. Einmal liegt das an der geübten Sparsamkeit, so­dann aber auchrechtfertigt das Ergebnis zugleich die Annahme der Reichssinanzreform trotz ihrer Mängel durch die Regierung". Man sei dem Ziele, der Gesundung der Reichssinanzreform, die nach wie vor eine der dringendsten politischen Aufgaben sei. um ein gutes Stück näher gekommen. Das ist, wie man sieht, allerdings ein Lob für die Reichssinanzreform, aber doch nur ein recht begrenztes. Wenn die liberale Hetze" gegen die Steuerreform zum Schweigen ge­bracht werden soll, wie es die Rechte .verlangt, wird die Regierung schon ganz andere Töne an­schlagen und ganz andere Nachweise bringen müssen. Im Uebrigen ist Herr b. Bethmann Hvllweg or­dentlich stolz, daß es gelungen ist, den Etat mit Ach und Krach zu balanzieren. Er läßt sagen, das sei auch ein Stück Programm und lein schlech­tes. Aber es ist eben nur ein Stück, und es ge­nügt nicht.

Tie Vorlage über Schiffahrtsabgaben.

Der Gesetzentwurf über die Schiffahrtsabgaben ist letzthin dem Reichstage zugegangen und wird von diesem so rasch wie möglich erledigt werden. An seiner Annahme ist nicht zu zweifeln, wenn­gleich es noch recht lebhafte Anseinanderstetzungen geben wird. Es fehlt nicht an grundsätzlicher Geg­nerschaft gegen die Aufhebung der Freiheit der Was­serstraßen und dann hängt der Vorlage auch ihr Ursprung noch an, der auf einen Beschluß der kon­servativ-agrarischen Mehrheit des preußischen Abge­ordnetenhauses znrückgeht. Unterdessen ist die po­litische Seite der Einführung der Schiffahrtsabga­ben, und die verkehrsfeindliche Tendenz, die jener Bestimmung des preußischen Kanalgesetzes inne- wohnte, in den Hintergrund getreten u. es Nudelt sich mehr nm Fragen der Zweckmäßigkeit. Im Bnndesrate ist die Vorlage, nachdem einige Staa­ten anfangs entschieden Widerstand geleistet hatten, schließlick: einstimmig angenommen worden. Würt­temberg hat sich bekanntste!: schon in einem frühe­ren Stadium mit dem Plane einverstanden erklärt, da er unseren: Lande zu der Neckarkanalisation bis Heilbronn verhilst, die wir unbedingt brauchen, aber sonst, dank der wenig entgegenkommenden Hal­tung unseres badischchu Nachbarn, noch lange nicht bekommen würden. Mil der Annahme der Vorlage im Reichstage wird übrigens das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, da erst noch die Verhandlun­gen mit Oesterreich und Holland über deren völker­rechtlich notwendige Zustimmung zur Abänderung internationaler Verträge zu führen sind, und bis­her zeigen sich diese beiden Staaten gänzlich ab­lehnend