Gegründet

1877.

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Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in den Gberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Calw u. Neuenbürg.

«r. 233.

! Verlag u. Druck der W. Rieker'schen j s Buchdruckerei (L. Laut), Altensteig, j

Mittwoch, dr« 5. Oktober.

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Amtliches.

Bekanntmachung der Z e n t r a l l e: t u n g des Wohltätigkeitsvercins, betreffend die Be­werbung um das Ehrenzeichen für weibliche Die nst boten.

Das im Jahr 1883 gestiftete Ehrenzeichen für weibliche Dienstboten wird von Ihrer Majestät der Königin auf das bevorstehende Weihnachtsfesi wieder verliehen werden. Ta­bei können solche Dienstboten berücksichtigt werden, welche innerhalb des Königreichs Württemberg in einer Familie oder aus einem und demselben Anwesen nach zurückgelegtem 14. Lebensjahr ununterbrochen mindestens volle L5 (für das silberne), beziehungsweise 50 (für das vergoldete Ehrenzeichen) Jahre lang treu und in Ehren gedient haben. Ist das Dienstverhältnis ohne das Verschulden des Dienstboten durch äußere Verhältnisse, wie eigene Krankheit oder Krankheit von Angehörigen, unterbrochen worden, so kann die vor der Unterbrechung zurückgelegte Dienstzeit zu der nachfolgenden hinzugerechnet werden. Die Bewerbung um das Ehren­zeichen sind spätestens bis zum 1. Dezember ds. Js. durch das Pfarramt und Schultheißenamt des Dienstorts bei der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins einzureichen.

Die «ngeputzte Maschine.

(Nachdruck verboten.)

Große Ereignisse haben oft die geringsten Ur suchen, in der Politik, im wirtschaftlichen Leben ganzer Völker, wie im Leben des Einzelnen. Mehr als ein Krieg ist aus einer Laune entstanden, eiii Zollstreit wegen der Spekulation von ein paar Mil­lionären, manches Ehepaar hat sich wegen eines ungebrannten Bratens oder eines nicht gekauften Hutes dauernd verfeindet. Die Krawalle in Moabit Berlin entstanden aus dem Streit um eine Pfen­nig-Zulage, die große, geradezu gewaltige Aussper­rung von englischen Spinnerei-Arbeitern erfolgte, weil die Leute für einem von ihren Kollegen ein-? getreten waren, der sich geweigert hatte, eine Ma­schine zu schmieren, da diese Tätigkeit nicht zu sei­nen Obliegenheiten gehöre. Erst der Ausstand, dann die Aussperrung, die Zeyntausende von Arbeitern lahm gelegt hat! Und nicht nur in England, auch in anderen Staaten besteht eine Kampfesstimmung, die unliebsame Früchte tragen kann. Ob es wohl meinendem Rat gelingt, den in allen Richtungen der Windrose drohenden Sturm zu beschwören, bleibt abzuwarten; denn so, wie in Rußland, wo, und zwar in Warschau, mehrere Hundert Streikende kur­zer Hand eingesperrt wurden, kann man es doch nicht überall machen. Die schnelle Beruhigung der Berliner Tumultanten beweist, daß in Deutschland doch immer noch die Stimme der Besonnenheit ver­hältnismäßig am schnellsten spricht, wenn natür­lich auch der Ernst, der in solchen Erscheinungen liegt, in keinem Falle unterschätzt werden darf.

Der Engländer John Howe, der das Maschinen putzen verweigerte, kann eine historische Person werden. Weil ihm das Hantieren mit dem Putz­lappen nicht behagte, können Tausende von Fa mitten die Folgen der Arbeitslosigkeit tragen. Und das in England, dessen Bevölkerung unter allen! europäischen Nationen als die nüchternste und prak­tischste galt. Es gibt einen bekannten Scherz von einem halbwüchsigen Jungen, dem seine Mutter eine Hand voll Pflaumen verweigerte. Der Ben­gel klettert auf einen Pflaumenbaum, purzelt da­bei herunter und sagt.-Das geschieht meiner Mut­ter ganz recht: warum hat sie mir keine Pflaumen gegeben!" Auf den britischen Fall übertragen, heißt das:Es geschieht den Fabrikanten ganz recht, daß wir nichts zu brechen und zu beißen haben. Warum' sollte John Howe die Maschinen putzen?" Drastisch; aber gehandelt wird darnach!

Die Riesen-Schwierigkeiten wirtschaftlicher Na­tur, die aus solchen Anlässen entstanden, haben einen viel ernsteren Charakter, als es früher der Fall war, erhalten. Bisher trug man sich haupt­sächlich mit der Erwägung, welchen Nutzen hat von solchen Arbeitsstockungen das Ausland? Bei geringerem Umfange der Zahl der geschloffenen Be­triebe kam auch die Konkurrenz in anderen Be­zirken des Staates in Betracht, die jetzt infolge der weitreichenden Arbeitgeber-Organisationen aller­dings abgeschwächt ist. Was aber jede große Stö­rung im Arbeitsleben heute zu einer nationalen Gefahr inacht, das ist der Umstand, daß alle Staa­ten von ihren Bürgern ganz andere Opfer im In­teresse der allgemeinen Wehrkraft fordern, wie früher. Eine Unterbrechung des Geldumlaufs hat mithin viel stärkere Wirkungen, und die Ausfälle sind doppelt schwer wieder gut zu machen.

Nach zweifelloser Selbstverständlichkeit fällt von solchem Schaden der Hauptteil aus die, welche den Stein ins Rollen gebracht haben, bis er in die Be­völkerung schließlich hineinschlug. Dann ist das Kla­gen groß, und darum sollte dasSoll und Ha­ben" in solchen Kraftversuchen weit mehr berechnet werden, als cs geschieht. Jeder Krieg kann nur so lauge dauern, bis er aufhört, das ist eine triviale Wahrheit, aber darum ist es doch eine Wahrheit. Und so viel Geld, wie in Kriegen, die bis aufA Messer ausgefochten werden, ausgegeben werden kann und muß, ist nirgendwo vorhanden, auch in England nicht. Viele Engländer wollen ausgeben zum Bau von neuen Panzerschiffen; diese Briten scheuen nicht vor dem Millionenverlust, weil ihr Kamerad John Howe seine Spinnmaschine nicht put­zen wollte. So geschehen im Oktober 1910.

Zum Glück ist in zwölfter Stunde die begrün­dete Aussicht ausgetaucht, daß der Riesenkampf durch ein .Kompromiß beseitigt wird. Was über die Ge­fahren, die aus solchen Kleinlichkeiten wachsen kön­nen, vorstehend gesagt, bleibt darum doch in un­geschminkter Wahrheit bestehen.

Tagespolitik.

Die ZN etallarbeiter Schwierigkeiten sind Gegenstand ausführlicher Beratungen in Bertin und jetzt wieder in Hamburg gewesen. Vertreter der größten Metallarbeiter-Gruppen waren zugegen. Ge­lingt keine Einigung, dann soll auf eine von den Arbeitgebern verhängte Aussperrung der Massen­streik folgen. Die definitiven Entscheidungen kön­nen von den einzelnen Zentralstellen erst in diesen Tagen ausgesprochen werden. 600 000 Arbeiter- Würden dabei in Betracht kommen, in Berlin al­lein 55 000. ,

Aus der großen Rede, die Bassermann auf dem ngli o na l li b e r al e n Parteitag in Kassel hielt, sei noch folgende Stelle nachgetragen. Man hat uns den Vorwurf der Steuerhetze gemacht, obwohl wir doch weiter nichts getan haben, als daß wir uns mit Recht gegen den Vorwurf ver­wahrten, die verfehlte Finanzreform verschuldet zu haben. Nun noch einiges zum Ausfall der letz­ten Wahlen. Wir waren ja dabei vom Unglück verfolgt. Zahlreiche Todesfälle hatten schmerzliche Lücken in unsere Reichstagsfraktiou gerissen. Aber wenn wir bei den Neuwahlen, nachdem die Reichs- finauzreform die unglückliche Wendung genommen hatte, etwa mit fliegenden Fahnen in das Lager des schwarzblauen Blocks übergegangen wären, wäre dann etwa der Ausfall der Nachwahlen ein anderer gewesen? (Sehr richtig!) Sie alle vollzogen sich vielmehr unter dem Signum des Abmarsches nach links, und die Partei, die auf der anderen Seite, ging, hätte ganz dieselben Verluste gehabt. Wir können bedauern, daß der Sturm des Vvlksunwil- lens auch über uns hinzieht, sind aber überzeugt, daß, wenn wir an unseren alten guten Grundsätzen

festhalten, auch die Zeit wiederkommt, wo sich die Mitläufer besinnen und sich wieder den bürgerlichen Parteien zuwenden werden. Im übrigen haben wir bei diesen Wahlen versucht, uns mit dem Freisinn zu einigen. Das ist verschiedentlich gelungen. Anderer­seits haben wir in,Koburg Anschluß nach rechts gesucht. Auch das hat nichts genutzt. Alle Par­teien haben eben bei diesen Nachwahlen Verluste gehabt. Die Unzufriedenheit des Volkes geht über alle Parteien hinweg der Sozialdemokratie zu. Selbst das Zentrum hat bei den Knappschaftswahlen, obwohl es in der Maßlosigkeit seiner Forderungen mit der Sozialdemokratie konkurrierte, ungeheure Verluste erlitten. In einer solchen Zeit suchen wir nach Heilmitteln und es drängen sich ja manche Propheten auf, die die rechten Ringe haben wollen. Große Heiterkeit.) Worin sehen wir nun das Heil­mittel? Nachdem wir einig sind in der Erkennt­nis der Ursachen der heutigen Mißstimmung, müs­sen wir auch einig sein in der Erkenntnis, wie sie zu bessern find. Ich glaube nicht, daß man mit leicht hingeworfenen Schlagworten darüber hinweg stpmmt. Man muß den Ursachen nachgehen und nicht an äußeren Erscheinungen haften bleiben. Es ist ja ein kritischer Zustand für das Reich. Wie groß die Zahl der Sozialdemokraten im nächsten Reichstage sein wird, läßt sich heute noch nichslf sagen, aber über 100 wird ihre Ziffer sicher hinaus gehen, und wir können auch sicher sein, daß das Zentrum mit seinen polnischen und französischen Affilierten in der alten Stärke zurückkehren wird, während die Zahl der Konservativen und Liberalen wesentlich eingeschränkt fein wird. Die Abwande­rung nach links erfolgt ja nicht nur in den Städ­ten, sondern auch in den ländlichen Bezirken. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß mit der gegenwärtigen Politik unsere Zukunft nicht zu ge­stalten ist. Und wenn die Sozialdemokratie und das Zentrum im künftigen Reichstage das Ueber- gewicht erhalten sollten, so ist es keine Frage, daß wir bald wieder Veränderungen haben werden. Und damit komme ich wieder zu unserem .Herrn Reichs­kanzler. Ich stehe für meine Person nicht an, hier­zu sagen, daß ich den neuen Reichskanzler nach 'seinem ganzen Empfinden und Denken nicht für einen reaktionären Mann halte. Ich glaube, daß er vieles in s einem politischen Denken Hatz, was uns sympathisch sein kann. Die Zweifel liegen nach einer anderen Richtung. Ich weiß nicht, ob an den lei­tenden Stellen die Schwierigkeit der Lage in vol­lem Umfange erkannt wird und ob der feste Wille und die Energie au diesen leitenden Stellen vor­handen ist, die notwendig ist, um zu Taten zu kommen, zu entscheidenden Taten, die an den Grund­lagen der Unzufriedenheit rütteln. Wir müssen zu­rückgreifen auf die Periode des Fürsten Bülow und das damals aufgerichtete System, unter dem wir zufrieden waren und die Siege gegen die Sozial­demokratie errungen haben. Bülow wollte den Wün­schen des Liberalismus entgegen kommen. Der Er­folg der Politik war ein Zurückdrängen des Radi­kalismus. Auch die freisinnige Partei wurde vom Radikalismus hinweggezogen zu positiver Arbeit. Es wird ja versucht, eine Verständigung herbeizuführen zwischen den Nationalliberalen und den Freisin­nigen. Da strenge Scheidelinien zu ziehen, liegt nicht im Interesse einer gefunden Weiterentwickelung der politischen Verhältnisse. Sobald man gegen die Frei­sinnigen zu scharfe Scheidelinien zieht, schiebt man sie in das radikale Fahrwasser. Das ist eine kurz­sichtige Politik, die ich nicht empfehlen kann. .Leb hafte Zustimmung.. Wir müssen die Grundlagen der Unzufriedenheit beseitigen. Das kann nur ge­schehen durch positive Taten der Regierung und durch Nachgebeu der Konservativen auf diesem Ge­biete. Ich bin überzeugt, daß das Jahr l91l einen Zusammenbruch des schwarzblauen Regimes brin gen wird und einen Zusammenbruch der jetzigen Methode. Wer den Staat retten will vor schweren Krisen, wird dem Liberalismus die Stelle geben, müssen, die ihm gebührt.

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