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Gegründet

1877.

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Unparteiische Tageszeitung und Anzeigeblatt, verbreitet in dm Gberamtsbezirken Nagold, Freudenstadt, Lalw u. Neuenbürg

Schwarzwälder Sonntagsblatt.

Rr. 206.

Verlag u. Druck der W. Rieker'schen Buchdruckerei (L. Laut), Altensteig.

SamStag, de« 3. September.

Wochen-Rundschau.

- Kaiserrcdcn.

Kaiser Wilhelm II. hat ehedem die Welt durcy Reden, Gespräche, Telegramme und allerhand an­dere Aeußerungen und Kundgebungen säst unabläs­sig beschäftigt, bis es schließlich dahin kam, daß sich im deutschen Volke ein Sturm des Unmuts! und des Einspruchs dagegen erhob. Das war vor zwei Jahren" im Herbst. Die Erinnerung an diese geradezu historischen Tage sind noch bei Jedermann lebendig. Wir wissen noch wie heute, daß die Ver-? össentlichung des sogenannten Kaiserinterviews im Londoner Daily Telegraph die Bewegung auslöste, die dann mit elementarer Gewalt die gesamte Presse ohne Unterschied der Partei, den Reichstag und so­gar den Bundesrat erfaßte, mit der Wirkung, daß der damalige Reichskanzler Fürst Bülow beim Kai ser Porstellig wurde und von ihm das Verspre­chen erwirkte, sich künftig in den persönlichen Kund­gebungen Zurückhaltung aufzuerlegen. Durch eine feierliche Erklärung im Reichsanzeiger wurde kund getan, der Kaiser erblicke unbeirrt durch die von ihm als ungerecht empfundenen Uebertreibungen der öf­fentlichen Kritik seine vornehmste kaiserliche Aufgabe darin, die Stetigkeit der Politik des Reichs unter Wahrung der verfassungsmäßigen Verantwortlich­keiten zu sichern. Dieses Versprechen hat der Kai­ser bisher treulich gehalten, nnd inan kann sagen, daß das nicht nur den politischen Geschäften dien­lich gewesen ist, sondern ihm auch persönlich in den Augen des Volkes einen größeren Erfolg ge­bracht hat, als alles andere. Eine Zeit der Ruhe nnd des Vertrauens in dem Verhältnis zwischen dem Monarchen nnd dem deutschen Volke schien endlich gekommen zu sein. Allein das erweist 'ich jetzt als eine Täuschung. Es scheint fast, als ob der Kaiser das Versprechen, das er in schweren Tagen gegeben, wie eine Last empfände und daß er es für zweckmäßig halte, sich davon freizumachen und wieder mit persönlichen Kundgebungen, unge­deckt durch dieministeriellen Bekleidungsstücke" an die Oeffentlichkeit zu treten. Die .Kaisertage im Osten haben eine wahre Hochflut von kaiserliche«!? Ansprachen und Reden gebracht, größtenteils aller­dings solche konventioneller Art oder aber, wie bei der Einweihung der Kaiserpfalz in Posen, wohl vor bereitete und durch den Reichskanzler approbierte Staatsreden. In Königsberg i. P. trat der Kaiser Plötzlich aus diesem Rahmen hinaus. Er hielt dort im Moskowitersaal ein anzüglicher Name! beim Festmahl zu Ehren der ostpreußischen Pro­vinzialvertreter eine lange Rede, die ganz an die frühere Art kaiserlicher Kundgebungen erinnert, nach Form sowohl wie Inhalt, und dann auch als bald im deutschen Blatterwalde einen wahren Sturm entfachte. Er bekannte sich darin, anknüpfend an die Geschichte Königsbergs als Krönungsstätte der Hohenzollern, wieder einmal zum Gottesgnadentum, indem er sich eine Erklärung seines Großvaters bei dessen Krönung zum König im Jahre 1861 zn eigen machte, daß er und die Hohenzollern die .Krone von Gottes Gnaden und nicht von Parlamenten, Volksversammlungen und Volksbeschlüssen erhalten haben. Dann pries der Kaiser die Königin Luise, als diejenige, die in der Zeit des Zusammenbruchs Preußens unter der napoleonischen Herrschaft das Volk wieder aufgerichtet habe, und zog daran? drc Lehre, daß wir stets bereit sein sollen, um vor allem unsere Rüstung lückenlos zu erhalten, im Hin­blick darauf, daß unsere Nachbarmächte so gewaltige Fortschritte gemacht haben. Für die Frauen aber zog der Kaiser aus dem Beispiel der Königin Luise die. Nutzanwendung, daß die Hauptaufgabe der deutschen Frau nicht auf dem Gebiete des Versammlungs- u.

Vereinswesens, nicht in dem Erreichen von vermeint­lichen Rechten, in denen sie es den Männern gleich­tun können, sondern in d er stillen Arbeit in Haus und Familie beruht. Einzig und allein das Vater­land müsse im Auge gehalten, und die Kräfte und Sinne müßten einzig und allein für das Vaterland eingesetzt werden.Als Instrument des Herrn mich betrachtend so schloß der Kaiser ohne Rücksicht auf Tagcsansichten und Meinungen, gehe ich mei­nen Weg, der einzig und allein der Wohlfahrt und der friedlichen Entwicklung des Vaterlands ge widmet ist. Aber ich bedarf dabei der Mitarbeit eines Jeden in, Lande." Die Königsberger Kaiserrede ist als rhetorische Leistung glänzend, und auch der ideale Schwung und der sittliche Ernst gehen zu Herzen. Aber im klebrigen ist sie sehr bedenklich und for­dert zum Widerspruch heraus. Man mag das, was der Kaiser über das Gottesgnadentnm sagt, schließ­lich hingehen lassen, zumal er derartiges schon oft gesagt hat. Etwas anderes aber ist es mit dem' absolutistischen Tone, den der Kaiser anschlägt. Den verträgt das deutsche Volk nicht mehr. Es ist da her begreiflich, wenn die Königsberger Rede in der Oeffentlichkeit ein stürmisches Echo geweckt hat, um somehr, als sie den Eindruck erweckte, daß der Kai­ser zu seiner alten Praxis, in den Tageskampf hinab- znsteigen, zurückzukehreu im Begriff sei. Der Sturm war so stark, daß Reichskanzler v. Bethmann Holl­weg nicht umhin konnte, schleunigst eine offiziöse Erläuterung in der Königsberger Rede veröffent­lichen zu lassen. Sie hat freilich die Sache nicht besser, sondern eher noch schlimmer gemacht. Es wird da getagt, die Rede sei kein Regierungsakt, sondern ein persönliches Bekenntnis, und der Kaiser habe sich mit 'einer Bemerkung von den Tages- meinnngen keineswegs in einen Gegensatz zu der Verfassung gestellt. Diese wisse nichts von einer vors schwankenden Meinungen abhängigen Parlaments herrschast oder gar von einem Absolutismus der Maise. Der Kaiser habe viele Beweise gegeben, daß er fest auf dem Boden der Verfassung stehe, und es habe ihm fern gelegen, sieh mit seiner Rede in den aktuellen Streit der Parteien zu stellen. In die Rede werde zu Agitationszwecken ein absoluti­stischer Sinn hineingelegt. Der Reichskanzler werde aber den Kaiser gegen willkürliche Auslegungen und bösartige Verdrehungen verteidigen und die Ge­schäfte wie bisher in voller Uebereinstimmung mit der Krone unter Wahrung aller verfassungsmäßigen Rechte führen. Herr v. Bethmann Hotlwcg redet hier etwas stark von oben herab, u. das ist nicht gut; er redet auch um den Kern der Sache herum. Ganz abge­sehen von allem anderen bleibt es schon mißlich genug, daß eine Rede des Kaisers wieder einmal eine nachträglich offiziöse Auslegung erforderlich macht, daß der Reichskanzler in die Lage kommt, nachträglich die Verantwortung für eine Kaiser- rede zu übernehmen und sie zu vertreten, von der er vorher nichts gewußt hat. Und dann: Sind der­artige persönliche Kundgebungen des Kaisers über­haupt vom Nebel, so sind sie es erst recht in dew jetzigen Zeitläuften, wo eine gewaltige Mißstimmung durch das Land geht, die der Sozialdemokratie Mitläufer in Massen zuführt. Da sind abso lutistisch-mystisch gehaltene Bekenntnisreden des Kai­sers, die 'ich zu dem Volksempfinden in schroffen Gegensatz stellen, Oel ins Feuer. Der Kaiser ist auf feinem guten Wege, wenn er in dieser Weise zu seinen früheren Gewohnheiten zurückkehrt. Wenn im Herbst der Reichstag wieder zusammenkommt, wird darüber auch an jener Stelle das Nötige noch gesagt werden. Allerdings, die Einmütigkeit, die sich in jenen Novembertagen des Jahres 1908 zeigte, wird nicht vorhanden sein. Die Organe des schwärz­blauen Blocks finden an der Kaiserrede nichts aus­zusetzen. treten wohl gar lebhaft für sie ein. Das tun nicht nur die Konservativen, sondern, was nock

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weit bemerkenswerter ist, auch das Zentrum. Der Grund ist leicht zu erkennen: es ist ein vorwiegend parteipolitischer. Der Kaiser soll in den Glauben/ versetzt werden, daß Monarchie und Thron nur bei diesen Parteien entschiedene und überzeugte Vertei­diger finden, daß seine Person und sein Wifrken nur hier gerechte Würdigung und Anerkennung finde. Zu diesem Zwecke wird in den Organen des schwarzblauen Blocks neuerdings auseinandergesetzt, daß dem Kaiser vor zwei Jahren bitteres Unrecht geschehen sei und daß namentlich Fürst Bülow schmählich an ihm gehandelt habe. Die Berechnung, die in dieser Haltung der konservativen u. klerikalen: Organe liegt, ist nicht eben erbaulich, aber sie mag! wohl klug sein, und sie hat ein sehr bestimmtes Ziel im Auge, nämlich den Kaiser für den schwarz- blauen Block und seine Politik zu gewinnen. Ueb- rigens hat der Kaiser der Königsberger Rede in Westpreußen bei dem Mahl für die Provizialver- treter in der Marienburg am Montag noch ein Sei­tenstück gegeben. Auch diese Rede ist auf einen et­was religiös-mystischen Ton gestimmt, unterscheidet sich aber im klebrigen vorteilhaft von der Königs­berger. Der Kaiser, ausgehend von der Geschichte des deutschen Ritterordens, führte aus, daß Deutsch­tum und Christentum untrennbar von einander seien. Von einem jeden ehrlichen Christen nehme er an, daß er unter der höchsten Obhut Gottes arbeite, so wie er es in Königsberg für die Hohenzollern dar­gestellt habe. Wir sollen in brüderlicher Liebe Zu­sammenhalten, die Konfessionen und die Stämme. Wir sollen einem jeden Stamm seine Eigenart und Eigenheit lassen. Es sollen die Stände und die Berufsgenvssenschaften die Hände ineinanderschla- gen zu gemeinsamer Arbeit, zur Erfüllung der staat­lichen Notwendigkeit. Der Landwirt schlage in die Hand des Kaufmanns ein, dieser in die Hand des Industriellen. Der Zugehörige einer Partei ergreife die Hand des Andersgesinnten, wenn es darauf an- kvmmt, Großes für unser Vaterland zu leisten und eine Konfession trage die andere mit Liebe. Dann werden wir dem Vorbilde der großen deutschen Män­ner, die hier einst gestanden und gearbeitet haben, Nachkommen, dann werden wir die Schwierigkeiten, die sich uns entgegenstellen und wo werden sich die nicht finden überwinden. Das find ernste und ideale Worte, und es sind Worte, deren Sinn beilzustimmen nicht schwer ist, ja es sind Worte, die mit dem Inhalt der Königsberger Rede einiger­maßen versöhnen könnten, wenn sie nicht eben ihrer ganzen Art und Anlage nach so sehr abwichen von dem, was wir in Deutschland seit zwei Jahren ge­radezu als einen Segen empfunden haben.

Russischer Besuch.

Wir haben russischen Besuch in Deutschland. Am Dienstag ist die russische Kaiserfamilie in dem ober- hessischen Städtchen Friedberg eingetroffen, wo sie. in dem dortigen Schlosse Wohnung genoknmen hat. Es ist ein Ort, der der Zarin aus ihren! glücklichen Jugendtagen vertraut ist: jetzt kehrt sie dorthin zurück, als eine schwergeprüfte, leidende Frau, als eine Märtyrerin gewissermaßen, ungeach­tet allen Glanzes und aller Herrlichkeit äußerlicher Art, worin sie lebt. Sie will ihren Aufenthalt in der hessischen Heimat zu einer Kur in Nauheim be­nutzen, wo schon so manches kranke Herz Heilung oder Linderung gesunden hat. Und der Zar selbst wird sich fern von seinem Laude und seinen Ge fahren gern auch ein wenig Erholung gönnen, die er brauchen kann. Denn schön hat er es daheim; wahrhaftig nicht. Freilich wird das Mitleid mit seinem persönlichen Ergehen stark gedämpft durch den Eindruck, den die in Rußland wieder in vollem, Schwünge befindliche Reaktion macht. Im klebrigen ist der russische Besuch in Deutschland eine Sache, die alle Welt ziemlich gleichgültig läßt. Ehedem!

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