Gegründet

1877.

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- Schwarzwälder Sonntagsblatt. .

Rr. 176 .

Verlag u. Druck der W. Rieker'schen Buchdruckerei (L. Laut), Altensteig.

Samstag, de« SO. J«li.

DasSchwarzwälder Sonntagsblatt" ist durch die Post separat zu beziehen.

IStO.

Wochen-Nundschau

Dir politische Lage.

! Durch die Entwicklung der innerpotitischen Ver­hältnisse ist keine Partei in eine so schwierige Lage gekommen, als die nationalliberale. Man kann so­gar sagen, daß sie eine ernste Krisis durchmacht, die ernsteste vielleicht, die sie jemals durchzumachen gehabt hat. Man braucht sich darüber nicht zu wun­dern, denn es hängt eng mit ihrem Charakter als ^ Mittelpartei und mit ihrer ganzen Zusammenset- ! znng zusammen. Bei der Reichsfinanzreform ist die nationalliberale Partei, als sich der schwarzblaue ^ Block bildete, entschlossen an der Seite des Links- Weralismus in die Opposition getreten, und sie ! ist bei dieser Haltung seither geblieben, was sich Namentlich bei der Präsidentenwahl im Reichstage und bei der preußischen Wahlreform gezeigt hat. Diese Linksschwenkung, wie man es mancherorts zu nennen beliebt, wenngleich es den Kern der Sache nicht trifft, war offenbar ein Gebot der ganzen politischen Situation und entsprach durchaus dem Willen der breiten Wählermassen. Allein sie fand nicht den Beifall einer gewissen Gruppe der na­tionalliberalen Partei, des sogenannten rechten Flü­gels, der vorwiegend von der Großindustrie des Westens repräsentiert wird. Dieser Flügel ist we- 1 Niger stark durch die Wählerzahley, die er hinter ^ sich hat, als durch persönlichen und geldlichen Ein­fluß. Der Liberalismus dieser Herren ist recht ! schwach entwickelt und es würde sie kaum ein Opfer ! an politischer Ueberzeugung kosten, wenn sie etwa ^ zu den Freikonservativen übergingen. Dieser Flü- ! gel nun macht alle möglichen Anstrengungen, die ! nativnalliberale Partei zu einer Aendernng ihrer Haltung, zu einem Anschluß nach rechts zu veran- « lassen. Das wäre natürlich gleichbedeutend mit einer ! Trennung von dem Linksliberalismus, und diese l wird mit der grundsätzlich verschiedenen Stellung ^ zur Sozialdemokratie zu motivieren versucht. In j der Fortschrittlichen Volkspartei ist man der Auf- l sassimg, daß der Kampf gegen den schwarzblanen ! Block so wichtig sei, daß unter Umständen auch ein I Zusammengehen mit der Sozialdemokratie nicht von der Hand gewiesen werden dürfe. Die national^ liberale Partei verwirft aber nach wie vor grund­sätzlich ein Zusammengehen mit der Sozialdemo­kratie. Die Großblockidee, die sich in Baden über­raschend gut bewährt hat, findet allerdings auch bei einem Teile der Nationalliberalen außerhalb Badens schon einen gewissen Anklang, aber man ist doch auch hier der Meinung, daß in der Reichs- ' Politik der Großblockgedanke unmöglich sei. Also zwischen den beiden Gruppen des Liberalismus be­stehen erhebliche Unterschiede in Beziehung ans die Stellung zur Sozialdemokratie, und obgleich diese keineswegs derart sind, daß sie einen Bruch nötig machen, suchen die Kreise des rechten Flügels der Nationalliberalen darauf hinznarbeiten, weil es eben zur Erreichung des Zweckes, des Wiederanschtusses an die Konservativen, dienlich wäre. Als sehr wich- ! tiges Moment kommt hinzu, daß die Regierung ^ des Herrn v. Bethmann Hollweg in der gleichen Richtung arbeitet. Herr v. Bethmann Hollweg kann nicht einzig und allein mit dem konservativ-kler»- kalen Block regieren, selbst wenn er es auch wollte.

^ In Deutschland ist ein ausgesprochen konservativ- klerikales Regiment nicht lange möglich. Das weiß Herr v. Bethmann Hollweg, und das weiß man auch im Block. Man versucht also, den anstößigen Parteicharakter zu verhüllen und den Schein zu erregen, daß die Regierung über den Parteien stehe. Dazu braucht man die Nationalliberalen, und sie j sucht Herr v. Bethmann Hollweg zu gewinnen. Es ^ ist vielleicht das einzige klare und positive Ziel, das

er hat. Das Schlagwort, unter dem die National- liberalen herübergezogen werden sollen, heißt: Sammlung der positiv schaffenden Kräfte". Und der rote Schrecken muß dazu dienen, dieses Schlag­wort zu unterstützen. Es ist ja wahr: die Sozial­demokratie hat gute Tage und wird bei den näch­sten Reichstagswahlen eine Menge Mandate gewin­nen. Aber man faßt die Sache doch am falschen Ende an, wenn man nun als die eigentliche poli­tische Kernfrage dieSammlung der positiv schaf­fenden Elemente" zur Bekämpfung der Sozialdemo­kratie hinstellt. Woher kommt es denn, daß die rote Flut wieder so stark steigt? Es kommt daher, weil man eine schlechte Reichssinanzreform, weil man überhaupt eine schlechte Politik gemacht hat. Wenn man der Sozialdemokratie Abtrag tun will, muß man die Ursachen ihres Wachsens beseitigen, indem man eine andere, eine bessere Politik macht. Man will aber davon nichts hören, daß die allgemeine Unzufriedenheit eben durch die Politik des schwarz­blauen Blocks und durch die Anpassung der Re­gierung an sie entstanden ist. Ans der Rechten for­dert man von den Nationalliberalen, ja man macht es ausdrücklich zur Bedingung für eine Wiederau-, Näherung, daß von der Reichssinanzreform nicht mehr gesprochen werde. Man fordert aber auch noch etwas anderes: nämlich den Kops des Parteiführers Bassermann. Er soll von der Führung der national- liberalen Partei entfernt werden. So will es die Kreuzztg., und so wollen es auch gewisse Elemente ans dem rechten Flügel der nationalliberalen Partei. Es ist in der letzten Zeit ein widerwärtiges Schau­spiel gewesen, wie gegen Bassermann gehetzt und gewühlt worden ist. Seine Feinde wurden um so kühner, als es den Anschein gewann, daß Basier- mann nicht nur auf die Führung der Partei verzich^- tcn, sondern überhaupt aus dem parlamentarischen Leben scheiden wolle. Ob er sich ernstlich mit dem Gedanken getragen hat, wissen wir nicht. Aber die Gefahr seines Ausscheidens hat dann eine kräftige Bewegung gegen die Wühlereien hervorgerufen und es dahin gebracht, daß von einer Bassermann nahe­stehenden Seite erklärt wurde, Bassermann werde auf dem Posten bleiben. Sein Ausscheiden wäre nicht nur für die nationalliberale Partei, sondern für unser gesamtes öffentliches Leben ein in dieser Zeit geradezu unersetzlicher Verlust gewesen. Auch Herr v. Bethmann Hollweg soll lebhaft wünschen, daß Abg. Bassermann als Parteiführer im Reichstage bleibe, und es wird berichtet, daß letzthin zwischen dem Reichskanzler und dem Abg. Bassermann eine persönliche Unterredung stattgefunden habe. Man darf alio wohl als gewiß annehmen, daß Basser­mann bleibt. Ungewiß, aber ist nach wie vor die weitere Entwicklung der politischen Dinge, und es wird darüber wohl auch erst im Herbst, wenn das Parlament wieder zusammenkommt, Klarheit ge­schaffen werden. Zwischen Bethmann Hollweg und Bassermann soll angeblich ein Einverständnis er­zielt worden sein. Aber was heißt das? Heißt das, daß der Kanzler sich der Politik Bassermanns an­nähert, oder heißt es, daß- sich Bassermann der Po­litik Bethmann Hollwegs annähert? Wir wissen es nicht. So viel aber ist klar, daß die politische Situation mit den schwierigsten Momenten gerade­zu geladen ist.

Rücktritt des Staatssekretärs v. Tirpitz.

In der letzten Zeit tauchen fortwährend Ge­rüchte von dem bevorstehenden Rücktritt des Staats­sekretärs des Reichsmarineamts v. Tirpitz ans. Er soll mit dem Schatzsekretär Wermnth nicht einig sein, .weil dieser an der Marine zu viel obstrei­chen will. Auch behauptet man, die ganze Richtung Pässe ihm nicht mehr 'und er wolle die Versuche zu

l einer Verständigung mit England über die Flot- j tenrüstung, eine Frage, die durch die jüngsten Er­örterungen im englischen Unterhause wieder in Fluh gekommen ist, nicht mitmachen. Er habe schon vor einiger Zeit sein Abschiedsgesuch eingereicht, und «es .werde alsbald nach der Rückkehr des Kaisers« von der Nordlandreise erledigt werden. Im Reichs­marineamt werden diese Gerüchte indessen energisch dementiert. (Staatssekretär v. Tirpitz selbst weilt in der Sommerfrische in St. Blasien.) Mitunter sind ja nun allerdings Dementis nicht gerade Evangelien. Das beste wird sein, abzuwarten.

Diplomatensommer.

In der internationalen Politik macht sich rkUn die sommerliche Stille etwas bemerkbar. Große Fra­gen kritischer Art gibt es augenblicklich nicht. Der kretische Wirrwarr ist glücklich aus eine spätere Zeit hinübergerettet, und wenn auch die Türkei noch mit dem Säbel einigermaßen rasselt, weil Grie­chenland angeblich rüstet, so hat das nicht viel zu bedeuten. Es wird schon so schlimm nicht werden; das sagen sich auch die sogenannten Schutzmächto. Etliche Sorge macht den Jungtürken anscheinend die alttürkische Verschwörung, die sie jüngst entdeckt haben. Sie geht offenbar recht weit, und es sind daran zahlreiche, ehedem hochgestellte Personen be­teiligt, man spricht iogar von ein paar früheren' Großwesieren. Daß die Sache nicht jo einfach ist, geht daraus hervor, saß die Jungtürkenregierung, ganz wider ihre sonstige Gepflogenheit, einigermaßen säuberlich verfährt und die Neigung zeigt, sich mit der Opposition, so weit es geht, zu vierstündigen. Die Sache ist wieder ein Beweis dafür, daß die jungtürkische Herrschaft noch keineswegs fest gesichert ist. Wer weiß, ob sich Licht eines Tages noch Ueber^ ivaschnngen ereignen. Doch das ist für die Dip-, lomatie augenblicklich kein Gegenstand, der den Som­mersrieden trüben könnte. Auch der russisch-japa­nische Vertrag, so bedeutsam er auch ist, stört die Sommeruhe nicht. Man wird erst später erfahren und wahrscheinlich empfindlicher, als diesem oder jenem lieb ist, was in diesem Pakt steckt. Mancher Staatsmann wird sich darüber in seinen po­litischen Betrachtungen wohl Gedanken machen. Be­merkenswert ist in dieser Beziehung, daß China in seiner Antwort auf die Anzeige von dem Abschluß des Vertrags deutliche Vorbehalte macht, insofern nämlich, als es seine Souveränitätsrechte in der Mandschurei, die Gleichberechtigung der Mächte und die offene Tür deutlicher 'betont, als mit den Absich­ten der beiden vertragsschließenden Teile im Ein­klang steht. Auch dieser Sommer wird wieder et­liche Ministerbegegnungen, und vielleicht auch Mo­narchenzusammenkünfte bringen. So war Herr v. Kiderlen-Wächter, unser neuer Staatssekretär des Auswärtigen Amts, in diesen Tagen mit dem Grä­ser: Aehrenthal, dem österreichisch-ungarischen Mini­ster des Auswärtigen, in Marienbad zusammen. Es ist auch die Rede von einer bevorstehenden Begeg­nung Kaiser Wilhelms mit dem Kaiser von Rußland.

Häuslicher Streit in der Sozialdemokratie.

In der Sozialdemokratie streitet man sich er­heblich herum über die badischen Budgetbewilliger. Die Unentwegten, namentlich die Berliner, tun außerordentlich entrüstet über den Verstoß der Bade­ner gegen das Parteidogma und die Parteibeschlüsse. Man verlangt, daß die Frevler darob vor dem Par-- ! teitage in Magdeburg zur Rechenschaft gezogen wer- I den und man spricht hier und da sogar mit dem Gedanken, daß die badischen sozialdemokratischen Ab­geordneten ihrer Ehrenstellen in der Partei ver lustig gehen müssen. Aber diese sind gar nicht ängst­lich, sondern antworten den Radikalen mit einer