gungsabschreibungen von der Eisenbahnschuld auf die Allgemeine Staatsschuld zu beschäftigen gehabt und der Ständevtztsammlung anheimgestellt. ob und wie sie den Gegenstand weiterversolgen will. Die beiden Kammern erteilten je ihren Finanzkommis- sionen den Auftrag, aus Anlaß der Beratung von Kapitel 3 des Hauptfinanzetats (Staatsschuld! die Frage zu prüfen, ob und inwieweit die seitherige Scheidung zwischen Allgemeiner Schuld und Eisen bahnschuld beibehalten werden soll und wie bei Til­gungen die Abschreibungen erfolgen sollen. Die Erste Kammer unterbreitet nun folgende Anträge der Staatsregierung und den zuständigen ständischen Be Hörden empfehlend: l. den Bestand der Eisenbahn­schuld, der sich auf l. April 1911 bei der im Ver­waltungsbericht der Verkehrsanstalten angewende ten Art der Berechnung ergibt, mit Wirkung vom Hauptfinanzetat 1911/12 ab, unter Verzicht auf die bisherige Ausscheidung nach den einzel­nen Anlehen, in der Weise fortzuschreiten, daß jenem Bestand die vom l. April 19 !l ab für Eisenbahnzwecke verwendeten Anlehensbe­träge vom Tag der Anlehensaufnahme an zu- geschrieben und hieran als getilgt diejenigen Be­träge abgeschrieben werden, welche fick alljährlich nach dem auf das betreffende Jahr für die ganze Staatsschuld aus den Staatsschuldtilgungen sich durchschnittlich berechnenden Tilgungsfuß aus dem am Anfang des Rechnungsjahrs vorhandenen Eisen- bahnschuldbestand ergeben. 2. Bon der Etatsperiods 1911/12 ab den jährlichen Zins- und Tilgungsbe­darf der Eisenbahnschuld in der Wsiie festzustsllen, daß dabei der für die ganze Staatsschuld auf das betreffende Jahr durchschnittlich sich berechnende Zins- und Tilgungsfuß und der Stand der Eisen­bahnschuld je am Anfang des Rechnungsjahres, bei der Zinsbedarfberechnung aber außerdem noch die im Laufe des Rechnungsjahrs aufgenommenen Eisenbahnanlehen je mit Wirkung vom Tag ihrer Verzinsbarkeit ab zu Grunde gelegt werden. 3. Bon vorstehenden Beschlüssen der Zweiten Kammer zu gleichmäßiger Beschlußfassung Kenntnis zu geben. Ministerpräsident von Weizsäcker ibract, dem Be­richterstatter den besonderen Dank der Regierung für seine mühevolle und aufklärende Arbeit aus. Zu der Sache selbst habe er keine Bemerkungen zu machen, da dis gestellten Anträge der Stellung der Staatsbähnverwaltung entsprächen. Schließlich wurde eine Eingabe des Vereins zur Begründung ländlicher Heimstätten betreffend das Renrengü- -tergesetz auf Antrag des Geh. Rat von Heß der Regierung zur Kenntnisnahme übergeben. Nächste Sitzung unbestimmt.

Kammer der Abgeordneten.

Stuttgart, 25. Juni.

Die Zweite Kammer beriet heute die Denk­schrift über den Neubau der tierärztlichen, Hochschule. Der Finanzausschuß harre beschlos­sen, sich in einer Resolution für den Fortbestand der Hochschule auszusprechen, die Notwendigkeit eines Neubaues anzuerkennen und die Hochschule unter Verlegung von Stuttgart nach Tübingen der Uni­versität als selbständige tierärztliche Fakultät an­zugliedern, sowie die Regierung um Einstellung der notwendigen Mttel in den nächsten Etat zu ersu­chen. Dieser Antrag wurde von Tr. Eisele B. in einstündiger Rede vertreten, während sich die nächsten vier Redner, Heymann (Soz.,, Schlichte

(Z.), v. Balz (D. P.) nnd Kraut (B. K.j nicht nur gegen die Verlegung, sondern auch gegen den Fort­bestand der Hochschule aussprachen und zwar haupt­sächlich aus finanziellen Gründen. Sie betonten, daß für die Erhaltung, die einen Bauaufwand von 1 700 000 Mark und einen jährlichen Aufwand von 200 300 000 Mart erfordern würde, keinerlei Not­wendigkeit bestehe und daß dem Lande aus der Auf­hebung kein sachlicher Schaden, keinerlei Jnteressen- gefährdung, aber großer finanzieller Nutzen ent­stehe. Ueberrasckend kam die Erklärung des Herrn v. Balz, der im Namen der Mehrheit seiner Frak­tion sprach, deren Vertreter im Ausschuß der ein­gangs erwähnten Resolution zugestimmt hatten, v. Balz stellte den Antrag, die Kammer wolle sich gegen den Fortbestand aussprechen und die Regie­rung ersuchen, die erforderlichen Einleitungen für die Aushebung zu treffen, dabei aber zu er­wägen. ob die in Stuttgart bestehende Pferdeklinik als städtische oder private Anstalt erhalten wer­den kann. Kultminister v. Fleischhauer blieb in sei­nen Ausführungen auf der Tribüne fast unverständ­lich. Dr. Mülberger warnte entschieden vor der Aufhebung der Hochschule, ebenso Liesching (V.). Auf Antrag Dr. Mülbergers wurde die Beratung abgebrochen. Donnerstag Fortsetzung, Forstreserve­fonds u. a.

Lanvesnachrichten.

n. Nagold, 27. Juni. Durch den Seminarchor und weitere musikalische Kräfte wurde gestern abend Robert Schumanns berühmtes Tonwsrk Das Paradies und die Peri" zur Aufführung ge­bracht. Bis auf den letzten Platz war die geräumige Turnhalle von Besuchern des Konzerts besetzt. Es war wirklich ein edler musikalischer Genuß, der da geboten wurde. Unter der tüchtigen und umsichtigen Direktion von Musikoberlehrer Schaffer wirkte alles prächtig zusammen: Chor, Solisten und die Beglei­tung durch Klavier und Harmonium, daß das ganze Chorwerk, das bedeutende Anforderungen an die Mitwirkenden stellte, glänzend durchgeführt wurde. Als Solisten wirkten mit: Frl. Joh. Lang-Stutt- gart (Sopran), Frl. Joh. Bueß-Cannstatt (Alt), Herr Herrn. Sautter-Ludwigsburg (Tenor), Herr Stadt­pfarrer Werner-Berneck (Baß > und Frl. Klara Schu­ster-Nagold, Chormitglied. Die oft recht schwierige Begleitung der Chöre und Solostücke auf dem Kla­vier und Harmonium lag in den bewährten Hän­den der HH Wilh. Lang und G. Rümelin und schmiegte sich trefflich dem "ganzen an. Der leb­hafte Beifall, den die zahlreichen Besucher am Schluß der Aufführung zollten, war ein wohlver­dienter und galt dem Rührigen Dirigenten, den So­listen und allen übrigen Mitwirkenden.

Wildbad, 25. Juni. Das Kind des Gärtners Wacker, das ein Drahtgeflecht bei Seite drückte und über eine Mauer in die Tiefe stürzte, ist sei­nen Verletzungen erlegen.

- Bondorf, OA. Herrenberg, 25. Juni. Als der Flaschnermeister Oehrling im Keller des Trau­benwirts Koch eine Reparatur an dem Eisscbrank vornehmen wollte, zündete er den Lötapparat an. Nach einiger Zen wollte Frau Koch nach ihm sehen und fand ihn bewußtlos am Boden liegen, da sich im Keller Gase entwickelt hatten. Oehrlicb kam erst nach mehreren Stunden wieder zum Bewußtsein.

jf Tübinger». 26. Juni. Der ungünstigen Wit­terung wegen mußte die von dpx Stadt für die Bürgerschaft vorgesehene Feier des L000. Studenten auf Donnerstag verschoben werden. Am gleichen Tage begeht die hiesige Studentenschaft die Feier der Sommersonnenwende, die gleichfalls vorige Wache schon stattfinden sollte, durch einen abends halb neun Uhr beginnenden Fackelzug zur Bismarck­säule.

* Tübingen, 25. Juni. (Strafkammer.) Im Abortgebäude des Bahnhofs in Nagold wurde am 12. April abends ein l2jähriger Volksschü­ler erwischt, wie er eben daran war, mit einem Schienennagel die Kasse in dem besonderen Abteil, für dessen Benützung 10 Pfg. zu entrichten sind, auf­zubrechen und zu plündern. Der jugendliche Dieb wurde wegen versuchten schweren Diebstahls unter Einrechnung einer noch nicht verbüßten 2tägigen Diebstahlsstrafe zu 3 Wochen Gefängnis'ver­urteilt. Mit dem zu erbeutenden Gelde wollte er einen Ball kaufen.

!j Stuttgart, 25. Juni. Der bekannte Sozial­politiker Fabrikant Dr. med. Paul von Lechler hat das Projekt der Gründung einer Wald-Stadt bei Stuttgart ausgsarbeitet, für das der mehr als 200 Hektar umfassende kgl. Schwarzwildpark als geeignetes Areal vorgeschlagen ist. In Verbindung mit der Gründung dieser Walüstadt sieht das Pro­jekt die Errichtung eines Bolksvarkes mit Turn- und Spielvlätzen aus dem .Hasenberg vor. Es ist außer Zweifel, daß die Idee eine überaus glückliche genannt werden kann, doch dürften sich ihrer Reali­sierung mancherlei Schwierigkeiten in den Weg stel­len. Dr. von Lechler hat seinen Plan dem König unterbreitet.

* Stuttgart, 26. Juni. Das Hoflager wird am 4. Juli von Bebenhausen nach Friedrichshafen ver­legt.

js Stuttgart, 26. Juni. Der 5. Reichstags­wahlkreis der Nationalliberalen (deut­schen) Partei hielt heute sein Sommerfest in Kirchheim u. T. ab. Infolge der Ungunst der Witterung mußte von der in Aussicht genom­menen festlichen Veranstaltung auf der Teck Ab­stand genommen werden. Trotz des schlechten Wet­ters aber hatten sich Viels Parteifreunde eingefun­den.

Stuttgart, 25. Juni. Auf dem Partei- Sommerfest der württ. Volks Part ei, das am 3. Juli auf dem Engelberg bei Leonberg abgehalten wird, wird Abgeordneter Eisele über Landes­politik, Parteisekretär Fischer über die Einigung des Liberalismus und Reichstagsabgeordneter Kon- rad Haußmann über Reichspolitik sprechen.

st Stuttgart, 26. Juni. Der Verband der Inhaber des Eisernen Kreuzes im König­reich Württemberg hielt am heutigen Sonntag im Bürgermuseum seine 17. Generalversammlung ab. Der Vorsitzende, Reichsbankbeamter Karl Witte- Stuttgart, gedachte in seiner Begrüßungsansprache der im Berichtsjahr gestorbenen Mitglieder des Ver­bandes, darunter insbesondere des Generals z. D. und Generaladjutanten des Königs, Freiherrn v. Molsberg. Nach dem Rechenschaftsbericht konnte der Verband am Ehrentage der Württemberger (30. No­vember! Gelduuterstützungen im Gesamtbetrag von 503 Mark an 10 Kameraden und 7 Witwen ver­storbener Kameraden zur Verteilung bringen. Außer

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Mil Andacht lies, und dich wird jedes Buch erbauen. Mit Andacht schau, und du wirst lauter Wunder schauen. Mit Andacht strich nur, und man hört dir zu andächtig : Mit Andacht bist du stark und ohn' Andacht ohnmächtig!

Rückert.

Dornenwege."

Roman von C. Dreisel.

(Fortsetzung.) Nachdruck verboten.

In seiner nächsten Nachbarschaft erhoben sich die Prach bauten des modernen Berlin, das seinen gierigen Riesenle immer weiter auf das Land hinauswälzt. Sämtliche Gärt, der Gegend waren ihm bereits zum Opfer gefallen, nur di schlichte alte Haus gab keinen Fußbreit seines baumbestanden! Terrains her. Mit stoischer Ruhe sah es der himmelstürme daulust zu und schob gelaffen seinen ungeschmälert! Erdstrrch zwischen sich und die schwindelnd hohen Wolke kratzer der Nachbarschaft. So stand es in seinem Gartengrü em Memento jener Zert, die Licht und Luft und Pflanzenozl um ihre Wohnstätten brauchte.

Und jetzt, im Schmuck des frischen Mailaubs sah es nic nur gediegen, sondern beinahe poetisch aus, und manch ein der rm Straßengewühl vorüberPlende« Weltstädter maß die grüne Oase inmitten der Wüste des Steins mit sehnsüchtig, Blicken.

Durch Reisemitbringsel aus Nord und Süd hatte Marie nu« der nüchternen Salonausstattung ein wenig nachgeholfe und den türkischen Seidenstickereien, den russischen Fellen ui einigen japanischen Wandschirmen und sonstigen Zierlichkeit! gelang es wirklich die braune, tote Monotonie wohltuend beleben. Und wenn dann noch Zauberin Sonne goldene Licht hineintuschte, machte sich das Ganze nach diesem tiiüstü, touck gar nicht so übel.

Jedenfalls besaß der altmodische «alon zum mindesten für Air. Westread eine ungewöhnliche Anziehungskraft. Hatte er seine Schutzbefohlene bei Fräulein Hagen abgelieserl, so eilte er in den Salon der jungen Geheimrätin, zu dem er ein- für allemal Passepartout erhalten, ohne daß sie freilich die Ver­pflichtung übernommen hätte, tagtäglich die Honneurs zu machen, denn es kam mitunter vor, daß häusliche Obliegen­heiten, mit denen sie es ganz ernst nahm, oder Stadt­kommissionen sie fernhieltcn, so daß er zeitweiliger Allein­herrscher dieses Reiches war, das der Geist der geliebten Frau ihm geheiligt. Das Milieu eines teuren Menschen hat ja immer einen intimen Reiz für uns, und Westread wurde es nie müde, den Spuren zu folgen, die selbst in diesem an sich nüchternen Raum, an Marions anmutteiche Wesenheit erinnerte.

War sie aber zugegen, so rückte er sich einen der steifen, geraden Armsessel an die offene Balkontür, denn wie alle Amerikaner, war er ein leidenschaftlicher Luftfreund, ließ sich darin mit großem Behagen nieder und verplauderte mit der jungen Besitzerin der alten Herrlichkeit jene Zeit, welche sein Schützling ein paar Türen weiter über der deutschen Grammatik versenfzte.

Und sie waren, so häufig sie einander auch sahen, nie verlegen um ein Gesprächsthema. Wie eng war hingegen der Unterhaltungskreis gewesen, st dem Günther sich mit Marion bewegt. Er sah und suchte in ihr vornehmlich das Weib an sich, die Augenweide des Mannes, der man aber den geistigen Horizont möglichst begrenzt und ihr so jede Teil­nahme an Zeitfragen oder die Berufsintereffen des Mannes entzieht, ebenso wie man sie ängstlich den modernen, ihre Urnalur vergewaltigenden Frauenbesirebungen fern hält, als seien sie eine Lebensgefahr für sie. Noch jetzt erinnerte Ma­rion sich mit Unbehagen der absprechenden Ueberhebung, mit der Westsrot damals die geistige Befreiung der Frau aus dem Joch der Beschränkung und Unterordnung abgetan.

Der Amerikaner aber in seinem vernünftigen Frauen- kultus ehrte im Weibe nicht allein die gleichberechtigte Ge­nossin, sondern auch die gleichstrebende Mitkämpferin.

Gewöhnt, die Frau dem weltbewegenden Fortschritt ebenso aufmerksam folgen zu sehen, wie den Sonderintereffen des

Mannes, fiel es ihm natürlich gar nicht ein, diese deutsch« junge Frau aus ein geistig tiefes Niveau zu stellen. Im Gegenteil, gerade von ihr, die ihn anzog, wie kein Weib vor­dem, wollte er bis in die Tiefen von Geist und Seele ver­standen sein.

So kam in dem füllen Haus alles zur Sprache, was je den weiten, ruhelosen Wanderer bewegt, bestürmt. Er redete von den rauhen Lehrjahren seiner harten Lebensschule, den mühseligen Versuchen auf den verschiedensten Berufs gebieten, bis ihm die Eisenindustrie ein lohnendes Arbeitsfeld erschlossen, dem er seine volle freudige Manneskrast gewidmet. Und ebenso erörterte er vor ihr alle laufenden Zeit- und Tages­fragen, immer zum mindestens Interesse und Anteilnahme voraussetzend, wo ihr sachgemäßes Verständnis naturgemäß nicht ausreichen konnte.

Daß auch sie nicht immer im ruhigen, sorglosen Gleich­maß gelebt, sich vielleicht erst durch schwere Konflikte zu jener schönen, friedvollen Harmonie durchgerungen hatte, welche der milde Ernst ihres' Wesens, der Adel ihrer Züge bekundete, ahnte sein weltersahrener Blick. Eine rsZinn vitas, ein Schoß­kind des Glücks, wie die kleine fröhliche Daistz es war, die in der großen Weltbühne lediglich eine Stätte lustigen Spiels und persönlicher Eitelkeitserfolge sah, konnte sie nie gewesen sein. Sir hatte gelitten, und diese Weihe schmerzvoller Er­fahrungen machte sie ihm nur um so teurer.

So kam er dahin, den Tag für einen verlorenen zu halte«, der ihm nicht die inhallreichen und traulichen Stunden in dem stillen alten Haus geschenkt.

Nur von dem Besuch bei dem Bruder hatte er seltsame« Weise wenig erzählt, wie auch Mario« kaum nach dem Er­gebnis gefragt.

Flüchtig erwähnte er, der vornehme Oberbürgermeister habe wirklich ein Kalb geschlachtet, das heißt ein solennes Sekt­stühstück ihm zu Ehren gegeben und dergestalt seine Freude ansgedrückt, ihn als einen Mann zurückgekehrt zu sehen, den man wohl- und hochwohlgeborenen Freunden vorstellen könne. Ob dies mit Sekt begossene Wiedersehen der Brüder auch ein Wiederfinden gewesen, darüber ließ Westread nichts verlauten. Die Kürze seines Besuches, er war nur wenige Tage sortge- blieben, rechtfertigte er durch die große Inanspruchnahme des